Redaktion: Was sind momentan die drängendsten Probleme der Kleinbauern in Deutschland?
Ulrich Jasper: Der Großteil der Bauern in Deutschland, nämlich die Milchvieh- und die Schweinehalter, steckt derzeit in einer der schwersten wirtschaftlichen Krisen, die die Branche in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Die Molkerei- bzw. Schlachtunternehmen zahlen den Bauern seit dem ersten Halbjahr 2014 für den Liter Milch bzw. für das geschlachtete Schwein so niedrige Erzeugerpreise wie nie zuvor. Die gleichen Unternehmen reden seit Jahren von steigenden Exportmöglichkeiten durch eine wachsende Weltbevölkerung. Sie haben den Bauern signalisiert: Baut neue, größere Ställe, steigert die Leistung pro Tier, dann zählt ihr zu den Gewinnern. Und in Brüssel und Berlin haben sie und ihre Verbände mächtig gegen alles gekämpft, was dem Mengenwachstum in die Quere kommen könnte. Vorsorgende Kriseninstrumente für den Milchmarkt auf EU-Ebene, die ein preisdrückendes Überangebot hätten vermeiden können, wurden ebenso verhindert wie etwa eine Verschärfung des Dünge- und Tierschutzrechts. Entsprechend ist die Erzeugung in den letzten Jahren besonders auch in Deutschland erheblich ausgedehnt worden, ohne auf die Entwicklung der Nachfrage zu achten. Das Überangebot sorgt nun schon seit zwei Jahren für fallende Erzeugerpreise. Nur wenn weniger produziert wird, erreichen wir die notwendige Preiswende. Der Bund, aber auch die Bundesländer und die EU, sollten alles unternehmen, um die Molkereien dazu zu bewegen. Die Alternative ist ein dramatischer Strukturbruch in der Landwirtschaft, in dem Tausende wirtschaftlich eigentlich gesunde bäuerliche Betriebe aufgeben werden. Das Verrückte dabei ist, dass die Gesellschaft besonders diese kleinbäuerlichen und mittelgroßen Betriebe will und sich auch im politischen Diskurs gegen eine weitere Industrialisierung in der Landwirtschaft wehrt. Das was wir derzeit bei uns beobachten, steht stellvertretend auch für internationale Entwicklungen und Konflikte in der Landwirtschaft: Die Exportstrategie gerade der deutschen und europäischen Ernährungsindustrie zerstört, zum Beispiel durch billige Milchpulverexporte, auch in Entwicklungsländern in Afrika und Asien kleinbäuerliche Strukturen.
In einigen Jahren wird es auf der Welt knapp 10 Milliarden Menschen geben. Können die alle allein von Kleinbauern ernährt werden?
Rund 70 Prozent der Hungernden weltweit leben auf dem Land. Viele von ihnen sind Kleinbauern, Hirten, Landarbeiter, Fischer. Die Lebensmittel, die sie erzeugen, dienen zu allererst der Ernährung der eigenen Familie, also zur so genannten Subsistenz. Der Rest wird vor Ort verkauft. Diese Menschen leben überwiegend in den Ländern Afrikas und Asiens, also den Kontinenten mit dem größten prognostizierten Bevölkerungswachstum. Die wichtigste Aufgabe um Hunger zu bekämpfen und die wachsende Bevölkerung zu ernähren, ist daher die Unterstützung der Kleinbauern und ihrer Familien. Ihnen muss Zugang zu Boden, Wasser, Saatgut und nicht zuletzt zu Gesundheitsversorgung und Bildung gesichert werden. Ebenso brauchen sie Zugang zu den lokalen und regionalen Märkten, um sich auch wirtschaftlich weiterentwickeln zu können. Das anhaltende Bestreben diese regionalen Märkte durch Exporte auch aus Deutschland und Europa zu besetzen, ist völlig kontraproduktiv. Neben der Stärkung der Kleinbauern muss aber auch die ökologische Tragfähigkeit und Ressourcenintensität verschiedener landwirtschaftlicher Systeme beachtet werden. Es muss also beurteilt werden wie viele Rohstoffe, wie viel Energie für eine gewisse Form der Landwirtschaft benötigt werden. Industrielle Agrarmodelle versprechen auf den ersten Blick große Ertragssteigerungen, aber sie rechnen sich nur bei großflächiger Anwendung und erfordern damit geradezu die Verdrängung kleinbäuerlicher Strukturen. Außerdem führen sie die örtliche Landwirtschaft in eine hohe Abhängigkeit von Energie, zum Beispiel für die Düngung und den Pflanzenschutz. Dazu kommt meist importiertes und häufig gleich auch noch gentechnisch verändertes Saatgut. Damit sind diese Modelle insgesamt so teuer, dass sie nur für externe Investoren in Frage kommen. Von deren Renditen hat die örtliche Bevölkerung wiederum keinen Vorteil. Das zeigt, dass es bei der Frage der "Welternährung" nicht nur um ethische Fragen geht, sondern auch um widerstrebende wirtschaftliche Interessen.
Kann es denn eine gesunde Balance zwischen großen, industriellen Agrarunternehmen und kleinbäuerlichen Betrieben geben, oder heißt es: Entweder, oder ?
Hier eine Balance der verschiedenen Interessen zu finden, ist insbesondere eine politische Aufgabe. Die Bundesregierung spricht viel davon, dass ihr der Erhalt der bäuerlichen Betriebe wichtig sei. Aber das agrarpolitische Handeln läuft in die entgegengesetzte Richtung. Das zeigt nicht nur das Beispiel Milchpolitik, sondern auch die Berliner Politik zur Verteilung der staatlichen Gelder in der Landwirtschaft.
Großbauern, aber auch immer mehr Investmentfirmen profitieren vor allem von den pauschal und nach Größe gezahlten Direktsubventionen der EU. Liegt hier, zumindest auf europäischer Ebene, das Kernproblem in der Entwicklung die wir gerade beobachten?
Die EU stellt Deutschland pro Jahr rund fünf Milliarden Euro für Direktzahlungen zur Verfügung. Es gibt mehrere Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten eine Obergrenze der Zahlungen je Betrieb festzulegen. Gleichzeitig könnte man eine Anhebung der Zahlungen für kleinere und mittlere Betriebe vornehmen. Doch Bund und Länder, die die EU-Mittel verteilen, haben sich im Jahr 2013 darauf geeinigt, dass diese Gelder in Deutschland fast gänzlich pro Hektar Fläche ausgeschüttet werden. Das führt dazu, dass große Ackerbaubetriebe am meisten von den Subventionen profitieren. Umgerechnet auf die Arbeitskraft erhalten diese Betriebe teilweise das Zehnfache von dem was kleinere und mittlere Betriebe, wie zum Beispiel Milchviehbetriebe in Mittelgebirgen, erhalten. Das führt im Extremfall dazu, dass einzelne Investmentfirmen dank ihrer tausende Hektar großen Ackerflächen, vor allem in Ostdeutschland, jährlich mehrere Millionen Euro an Direktzahlungen aus der EU-Kasse erhalten. Das ist nicht nur Verschwendung von Steuergeldern, sondern wendet sich gegen das von der Bundesregierung stetig vorgetragene agrarpolitische Ziel der Stärkung bäuerlicher Landwirtschaft.
Welche Reformen halten Sie für nötig, um kleinbäuerliche Strukturen zu stärken?
Das erste ist eben die jetzt bestehenden Instrumente der EU zu nutzen. Deutschland kann 15 Prozent der fünf Milliarden Euro EU-Direktzahlungen in Förderprogramme für Agrarumwelt und Tierschutz umschichten. Aktuell werden aber nur 4,5 Prozent umgeschichtet. Die Erhöhung auf 15 Prozent muss bis zum Sommer 2017 im Gesetz stehen, damit sie umgesetzt werden kann. So schreibt es die EU-Verordnung vor. 30 Prozent der dann verbleibenden Direktzahlungen könnte Deutschland dann auf die ersten 46 Hektar je Betrieb verteilen. Das würde zu einer Erhöhung bei kleineren und mittleren Betrieben mit bis zu 100 Hektar führen und zu einer Reduzierung bei den größeren Betrieben. Zusätzlich kann Deutschland acht Prozent der EU-Gelder gezielt für eine umwelt- und tierverträgliche Weidehaltung von Rindern, Schafen und Ziegen einsetzen. Hier sind vor allem kleinere und mittlere Betriebe tätig.
Zählt man all das zusammen können Bund und Länder heute schon über die Hälfte der EU-Direktzahlungen anders einsetzen: Es würde nicht der Flächenbesitz subventioniert, sondern eine landwirtschaftliche Praxis unterstützt, die die Erzeugung von Lebensmitteln mit der Erbringung zusätzlicher gesellschaftlich gewünschter Leistungen verbindet. Das hängt nicht an Brüssel, sondern liegt ganz und gar in der Kompetenz der Bundesregierung, des Bundestags und des Bundesrats.
Aufgrund ihrer Wirtschaftskraft und ihrer Bedeutung für den Arbeitsmarkt haben es Agrarverbände und Großbauern leichter sich politisches Gehör zu verschaffen. Wie organisiert sich die Lobby der Kleinbauern? Ist hier aufgrund der wirtschaftlichen Einbußen auch mit einem politischen Machtverlust zu rechnen?
In der Bevölkerung gibt es großen Rückhalt für den Erhalt der kleineren und mittleren bäuerlichen Betriebe - es gibt fast eine Sehnsucht danach. Der Ausspruch "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" steht sinnbildlich dafür. Für die einzelnen bäuerlichen Betriebe ist das Entscheidende sich bewusst auf die Erhaltung gesellschaftlich gewünschter Qualitäten, wie etwa eine umwelt- und tierfreundliche Produktionsweise, zu besinnen und das am Markt in höhere Erzeugerpreise umzusetzen. Eine solche Qualitätsstrategie am heimischen Markt sichert weit mehr Betriebe, als über die höchst riskante Orientierung am Weltmarkt je möglich sein wird. Für uns als Interessenvertretung bäuerlicher Betriebe ist es vordringliche Aufgabe das auch politisch zu begleiten. Dafür gehen wir gezielt Bündnisse mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen ein, z. B. den Umweltschutz- und Tierschutzverbänden, Verbänden für Entwicklungspolitik, Kirchen oder gentechnikkritischen Verbraucherverbände. Wir sehen hier weit größere Schnittmengen in den Interessen als etwa in einem Bündnis mit den Größen der Wirtschaft- und Industrie, für das sich der Deutsche Bauernverband entschieden hat. Damit hat er zwar alle finanziellen Möglichkeiten und problemlosen Zugang zu Ministerien, EU-Kommission und Parlamenten. Aber sein agrarpolitisches Ziel, größere Anteile am Weltmarkt zu erzielen, fesselt ihn, die Agrarindustrie und auch die entsprechenden landwirtschaftlichen Unternehmen in der gesellschaftlichen Defensive. Unser Weg ist mühsamer, aber wir sind sicher, dass er für die bäuerlichen Betriebe und für die Gesellschaft mehr Vorteile bringt. Tierschutz, Grundwasserschutz, gentechnikfreie Erzeugung und Artenvielfalt sind störende Kostenfaktoren, wenn es darum geht den Export zu steigern. Für uns bedeuten sie aber eine existenzielle Chance für eine hohe Wertschätzung in der Bevölkerung. Diese drückt sich in höheren Erzeugerpreisen und in gesellschaftlicher Akzeptanz der Art und Weise, wie Landwirtschaft betrieben wird, aus .