Es gibt Ideen, die sind so stark, dass sie einem ganzen Zeitalter einen Namen geben. Manches spricht dafür, dass wir gerade in eine Zeit eintreten, die den Namen einer App (und des dazugehörigen Unternehmens) trägt: Uber. Der Fahrdienst vermittelt über seine App Menschen miteinander, die einerseits mit ihrem Auto Taxidienste anbieten und jene, die das nutzen wollen. Wie eine dünne Schicht legt sich Uber als Plattform zwischen zwei Personen, von der einer eine Leistung anbietet und der andere sie nutzt. In großen Teilen der Welt hat Uber sich innerhalb weniger Monate stark verbreitet. Dahinter steckt mehr als nur ein neuer digitaler Trend. Die Zukunft der Arbeit wird gerade programmiert.
Vor etwa hundert Jahre trat schon einmal ein Unternehmen auf, das einer gesellschaftlichen Ordnung später den Namen geben sollte. Die Rede ist vom Autobauer Ford. Der Fordismus basierte auf monotoner Fließbandarbeit, Massenproduktion und -konsumtion. Der Sozialstaat war stark, Arbeitsverhältnisse zwar starr, aber sicher. Der Fordismus ist seit den 70er Jahren als prägendes Produktions- und Gesellschaftsmodell Geschichte. Dienstleistungsberufe sind heute wichtiger, Produktionen dynamischer, Arbeitsverhältnisse flexibler und unsicherer, der Sozialstaat geschrumpft. Den Autobauer Ford gibt es noch – und er ist immer noch groß. Doch um zu verstehen, vor welch tiefgreifenden Umwälzungen unsere Arbeitswelt steht, muss man den Blick nach Silicon Valley richten, zu Unternehmen, die nichts produzieren, nichts bauen - und dennoch Milliarden erwirtschaften.
Uber ist so viel wert wie Ford. Baut aber kein einziges Auto.
Uber besitzt kein einziges Auto, stellt keinen einzigen Fahrer an. Und trotzdem ist das Unternehmen Schätzungen zufolge mehr als 50 Milliarden Dollar wert – so viel wie der Autokonzern Ford mit fast 200.000 Angestellten und Millionen produzierter Autos. Ford prägte für ein halbes Jahrhundert die Art, wie Industrieproduktion funktionierte und Arbeitsgesellschaft gedacht wurde. Uber und all die anderen Plattformen (z.B. AirBnB) tun das Gleiche mit Dienstleistungen, die sie auf vollkommen neue Art organisieren. Weil Ubers Geschäftsmodell hierzulande gegen das Personenbeförderungsgesetz verstößt, ist der Dienst zwar deutschlandweit verboten, das dahinterliegende Prinzip jedoch prägt auch hier zusehends die Art und Weise, wie wir arbeiten. Uber verdient Geld mit fremden Autos, die Menschen auf der Plattform "teilen", es macht Amateure zu Taxifahrer/-innen. Uberisierung ist daher das Wort, das den Wandel von Wirtschaft und Arbeit ganz gut beschreibt. Neutraler könnte man auch von "Plattformökonomie" sprechen. Die digitale Ökonomie bildet Plattformen, die nichts weiter tun, als Dienstleistungen zu vermitteln. Das mag banal klingen, verändert unsere Gesellschaft aber gerade rasant.
Die heraufziehende Plattformökonomie verwischt zahlreiche Grenzen: Zwischen Produzent/-innen und Konsument/-innen, zwischen professionellem Angebot und amateurhaftem Gelegenheitsauftrag, zwischen Unternehmer/-in und Arbeiter/-in. Das Uber-Prinzip, die Plattformökonomie, die vielmehr sind als nur eine App, verändern den Arbeitsbegriff, vermischen private Hilfe und Schwarzarbeit, ändern das Verständnis und die Regelung von Monopolen.
Uber ist ein Prinzip.
Das, was zunächst recht niedlich als "Sharing-Economy" und unter dem Slogan "Teilen ist das neue Haben" firmierte, dehnt sich auf alle möglichen Lebensbereiche aus: Auf die Art, wie wir uns fortbewegen (Uber), wohnen und Urlaub machen (AirBnB), Projekte finanzieren (Kickstarter), Musik hören (Spotify) oder unser Liebesleben organisieren (Datingapps wie Tinder). Längst ist die Arbeit selbst Teil von Plattformen: Auf Crowdworking-Plattformen wie Amazon MechanicalTurk oder freelancer.com bieten Dienstleister ihre Arbeitszeit oder fertige Produkte an. Die Plattformen vermitteln nur noch zwischen den Arbeitern und Auftraggebern und verdienen damit ihr Geld.
Diese Unternehmen machen so das Soziale zum Produkt: Es gibt keine Grenze dieses Plattformkapitalismus. Alles ist zu verkaufen, das Leben wird zum Markt. Das ändert unser Verhältnis von Arbeit und Freizeit, von Profession und Hobby grundlegend: Es ist nicht mehr notwendig ein Hotel zu besitzen, um ein Zimmer zu vermieten, es braucht keine Schneiderausbildung, um selbstgenähte Taschen auf Handwerks-Plattformen zu verkaufen und kein Designstudium, um auf Plattformen Logos oder Internetseiten zu designen. Die neuen Arbeitsmöglichkeiten funktionieren ohne 9to5-Job, ohne Anwesenheitspflicht, aber eben auch ohne Kündigungsschutz, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ohne jegliche Sicherheit, isoliert und meist ohne gewerkschaftliche Vertretung.
Optimistisch betrachtet öffnet das die Möglichkeiten für mehr Flexibilität, die Nutzung unserer Kreativität und Innovation. Aber es gibt Plattformen auch Macht über uns, lässt uns zu Unternehmer/-innen unserer selbst werden, immer auf der Jagd nach einem neuen Auftrag, lückenlos überwacht und bewertet durch eine Plattform.
Die Sharing-Economy ist eine Lüge.
Die Plattformen erwecken gerne den Anschein, als würden sie ihren Wert aus einer genialen Idee heraus generieren. Tatsächlich geht es auch bei ihnen letztlich um Arbeit: Uber lebt von der Fahrdienstleistung seiner Fahrer, AirBnB bedient sich der Wohnung und der Reinigungskraft seiner Wohnungsanbieter/-innen, Crowdworkingplattformen wie „upwork“ leben von der Kreativität der Arbeiter/-innen, die dort ihre Dienste anbieten. Diese Unternehmen haben sich hinter den schönen Versprechen der Sharing-Economy verschanzt: Wir können alles teilen, dadurch sparsamer leben, soziale Kontakte pflegen, die Umwelt schonen. Doch tatsächlich haben wenige Unternehmen das Teilen, das Soziale, durchkommerzialisiert und Arbeitsbedingungen geschaffen, die hinter dem Schleier des "Teilens" prekär und ausbeuterisch sind.
"Die Benutzeroberfläche sagt zwar Teilen, aber das Backend, der technische Hintergrund, der basiert darauf, dass Macht, Besitz und Einfluss eben nicht geteilt werden und sehr wenige sehr viel Geld verdienen und unsere Daten absaugen.", sagt Thomas Dönnebrink, der in Berlin als so genannter Connector für die NGO Oui-Share fungiert.
Die Sharing-Economy hat ihre Versprechen nicht gehalten. Vielleicht haben wir uns auch einfach in ihr geirrt, denn das, was lange unter dem Schlagwort "Sharing-Economy" firmierte, hat mit "Teilen" eigentlich gar nichts tun: Kein Bäcker würde davon sprechen, dass er seine Brötchen teilt, keine Hotelbesitzer/-in, dass sie ihre Betten mit den Gästen "teilt". Es geht um ein Geschäft, Geld gegen Leistung. Die Plattformen verstehen es, dieses Geschäft so angenehm, so verführerisch zu gestalten, dass immer mehr Leute Lust haben, mitzumachen, eigenständig ihre Zimmer, ihre Autos oder ihre Arbeitskraft anzubieten. Doch hinter diesem Angebot stehen zumeist Unternehmen, die mit einem Heer schlecht bezahlter, scheinselbstständiger Arbeitnehmer/-innen agieren. Uber kämpft in den USA gerade darum, seine Fahrer/-innen weiterhin nicht als Angestellte behandeln zu dürfen – um Steuern und Löhne zu sparen.
Externer Link: Selbst gestalten
Die alte Ökonomie kommt nicht zurück, der Fordismus sowieso nicht. Die neue Form der Arbeit bringt viele Vorteile und die Plattformökonomie bereitet große Komfortgewinne, die wir alle gerne nutzen. Dass diese Vorteile mit Dumpinglöhnen und schlechten Arbeitsbedingungen einhergehen, ist kein Naturgesetz. Trebor Scholz, Professor an der New School in New York, arbeitet seit vielen Jahren an dem Thema digitaler Arbeit. Er hat einen ziemlich eingängigen Vorschlag: Wir sollten die Plattformen einfach selbst besitzen. Er nennt das Externer Link: Plattform Cooperativism – eine Bewegung also, die Plattformen als Kooperativen oder Genossenschaften organisieren möchte. "Lasst uns nur für einen Moment folgendes vorstellen: Wie wäre es, wenn man das technische Herz dieser Hochburgen der Gewerkschaftsfeindlichkeit einfach clonen würde – mit einem anderen Eigentümermodell, mit fairen Arbeitsbedingungen, als humane Alternative zum Modell des freien Marktes?", sagte Scholz im November 2015 auf der von ihm mitorganisierten Externer Link: Konferenz Platform Cooperativism in New York. Eine "Coming-Out Party für das kooperative Internet" sollte die Veranstaltung sein. Mehr als tausend Menschen folgten dem Aufruf und diskutierten, wie sich die Idee geteilten Eigentums auch auf die Digitalökonomie übertragen ließe. Auch deutsche Gewerkschaften wie ver.di oder IGMetall waren auf der Konferenz vertreten. Platform Cooperativism entwirft ein Konzept neuer Eigentumsmodelle für das Internet: Die Nutzer/-innen und Arbeiter/-innen besitzen ihre Plattform selbst, entscheiden demokratisch darüber, was dort passiert, der Gewinn bleibt im Unternehmen oder wird an die die Teilhaber/-innen ausbezahlt.
"Wir brauchen etwas, zu dem wir ja sagen können", forderte Scholz. Uber und all die anderen Plattformen sind mächtig, aber letztlich sind sie "nur" ein paar Zeilen Programmiercode. Dass es möglich ist, Plattformen auch genossenschaftlich zu organisieren, zeigen einige Beispiele in aller Welt. In Israel bietet das Start-Up La’zooz eine genossenschaftliche Lösung für geteilte Fahrten an, in Berlin entsteht mit Fairmondo eine genossenschaftliche Alternative zu ebay. In Soeul unterstützt die Stadtregierung eigene Sharing-Plattformen.
Thomas Dönnebrink, der seit vielen Jahren die Sharing-Economy aktiv begleitet, glaubt, dass vor allem die europäischen Metropolen hier zusammenarbeiten sollten: "Plattformen könnten besonders gut auf dieser Ebene funktionieren, Städte könnten beispielsweise so etwas wie ein gemeinsames AirBnB entwickeln", glaubt Dönnebrink. Genossenschaften hätten gerade in Deutschland und Europa eine lange Tradition, an die gelte es auch in der digitalen Ökonomie anzuknüpfen.
Eine politische Debatte der Nische - noch.
Ob aus der Bewegung zum Plattform Cooperativism tatsächlich Lösungen erwachsen, die unser Arbeiten und Leben in der Plattformökonomie besser machen – diesen Beweis muss die junge Bewegung erst noch erbringen. Doch allein der Vorschlag ist wichtig, weil er zeigt: Die Zukunft der Arbeit ist eine politische Frage. Die Debatte darum ist bisher seltsam technikgetrieben. Aber die Zukunft von Gesellschaft, Arbeit und Leben sollte nicht in den Ingenieurbüros deutscher Maschinenbauer und nicht an den Konferenztischen im Silicon Valley entschieden werden, es ist eine zutiefst politische Entscheidung: Wem gehören eigentlich die Dinge, mit denen wir produzieren? Wer entscheidet darüber und wie? In Deutschland wird diese Debatte noch in den Nischen geführt, da gehört sie nicht hin.