Egal ob Arbeiter, Bauern, Großunternehmer, Umweltschützer oder Vereinsvorsitzende: Seit jeher versuchen Vertreter einer Vielzahl verschiedener Interessengruppen politische Entscheidungen und Gesetzgebungsverfahren zu beeinflussen. Die Politik selbst wiederum ist auf ihre Informationen und ihr Expertenwissen angewiesen.
Im Zuge der Industrialisierung und der Entstehung von Nationalstaaten formierten sich im Europa des mittleren 19. Jahrhunderts die ersten organisierten Interessenverbände. Gemeinsam hoffte man ein größeres Gewicht in die politische Waagschale werfen zu können, um so Einfluss auf die staatlichen Entscheidungsorgane zu nehmen. Damals gehörten z.B. der Externer Link: Centralverband deutscher Industrieller oder der Externer Link: Bund deutscher Landwirte zu den ersten dieser Interessenverbände.
Sowohl die gesellschaftspolitische als auch die wirtschaftliche Landschaft haben sich seither grundlegend verändert – und mit ihnen der Lobbyismus. Während die großen, klassischen Interessengemeinschaften - Verbände und Gewerkschaften etwa - mit schwindenden Mitgliedszahlen kämpfen, steigt die Anzahl der Lobbyist/-innen, die in Berlin, Brüssel oder Washington versuchen ihre Anliegen auf der politischen Agenda zu platzieren.
In Berlin zählt man heute knapp 2.000 registrierte Interessenverbände, in Brüssel wird die Zahl der aktiven Lobbyist/-innen auf knapp 20.000 geschätzt.
Lobbyismusexperten forschen zur Bedeutung des Lobbyismus für die Demokratie. Der Politikwissenschaftler Rudolf Speth zum Beispiel. Er beschreibt den Lobbyismus als "fünfte Gewalt im Staat". Im
Interner Link: Interview erklärt er, was genau er damit meint.
Der Historiker Werner Bührer hat für uns einen Blick zurück auf die Anfänge des Lobbyismus in Deutschland geworfen. Er ist erstaunt darüber wie kontinuierlich unternehmerische Verbände in Deutschland als politisch gewichtige Akteure auftreten. (
Interner Link: zum Beitrag )
In unseren Faktenkarten fassen wir das wichtigste zum Thema in aller Kürze zusammen.
Eine Branche erfindet sich selbst
Die Pluralisierung der Gesellschaft im 20. und 21. Jahrhundert hat auch eine Pluralisierung der Interessen mit sich gebracht: Neben den klassischen Wirtschafts- und Arbeiterverbänden sind im Laufe der vergangenen Jahrzehnte so eine Vielzahl an gesellschaftlichen Gruppierungen, Unternehmensvertretungen, NGO's, Public-Affairs-Agenturen, Auftragslobbyist/-innen und Rechtsanwaltskanzleien auf die Bühne der politischen Beratung getreten. Der Lobbyismus hat sich professionalisiert und um ihn herum ist ein ganzes Ökosystem an Beratern und Dienstleistern entstanden, die sich eigens auf die Interessenvertretung spezialisiert haben.
Im Arbeitsalltag der Interessenvertreter/-innen dreht sich, vereinfacht gesagt, alles vorrangig um zwei Formen des Lobbyismus: Den sogenannten Beschaffungslobbyismus, der vor allem darauf abzielt sich öffentlich ausgeschriebene Aufträge zu sichern und den Gesetzeslobbyismus, der vor allem darauf abzielt Entscheidungsprozesse der Legislative zu beeinflussen.
Wir haben mit dem
Interner Link: Lobbyisten-Coach Hubert Koch gesprochen um herauszufinden, wie man Lobbyist/-in wird und wie der Arbeitsalltag eines/einer Lobbyist/-in aussieht.
Von den Gründungsmitgliedern des Netzwerk Zirkus haben haben wir erfahren, welche Hürden man als frischgebackene Lobby nehmen muss und wie die Gründung eines Lobbyvereins überhaupt funktioniert. (in Kürze)
Timo Lange vom Verein Lobbycontrol erklärt im Interview, warum Lobbyverbände ihre Büros so nah am Bundestag ansiedeln und wie die Kontaktaufnahme zu den Abgeordneten funktioniert. Kritisch sieht er vor allem die mangelnde Transparenz, die das Geschäft nach wie vor prägt.
Good Lobby, bad Lobby
Kritiker halten die Entwicklung des Lobbyismus für gefährlich: Das System sei intransparent und anfällig für Korruption. Nicht demokratisch legitimierte Akteure nähmen zu großen Einfluss auf politische Entscheidungen, die potentiell die Gesellschaft als ganze betreffen. Darüber hinaus gebe es auch unter den Lobbys selbst zu große Ungleichheiten, als Folge ungleicher Ressourcenausstattung – finanzielle Mittel, Kontakte, Zugang zu Abgeordneten und anderen Entscheidungsträgern.
Dem halten die Befürworter des Lobbying entgegen, dass die Interessenvertretung ein elementarer Bestandteil des demokratischen Prozesses sei. Politiker/-innen seien in einer zunehmend komplexen Gesellschaft mehr denn je auf das Expertenwissen und die Beratung von Spezialisten angewiesen, um informierte und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen zu können. Zudem stünde die Interessenvertretung ja nicht nur großen Unternehmen und Branchenverbänden offen – vielmehr böte der Lobbyismus gerade kleinen Vereinen und Verbänden die Möglichkeit, politisch aktiv zu werden und ihren Einfluss geltend zu machen.