"Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann" - dieser Satz aus der Pate-Trilogie ist vielleicht einer der bekanntesten Mafia-Sprüche, die wir kennen - und er beschreibt gut die Verbindung von Gewalt und Geld. Die Mafia hat eine besondere Form von Versprechen und Verbindlichkeiten geschaffen, die Gewalt als Möglichkeit immer mitdenkt, sich aber eben auch moralisch gibt. Ein Mafiaboss, wie wir ihn zumindest aus der popkulturellen Erzählung kennen, ist kein roher Gewalttäter. Er ist loyal, verhält sich integer, gibt etwas auf Ehre und Anstand. Zumindest vordergründig. Seine Gewaltherrschaft ist moralisch verschleiert, Ehre ist das Argument: "Du schuldest mir etwas und als Ehrenmann solltest du es zurückzahlen". Der Revolver am Kopf des Schuldners unterstreicht die Dringlichkeit. Die Mafia arbeitet mit ebenjener Verbindung von Gewalt und Moral, auf der Schulden per se basieren, weil diese eben mehr sind als eine bloße Zahlungsverpflichtung: Sie sind mehr als ein Verhältnis zwischen zwei Geldsummen, sondern Grundlage für eine Herrschaftsbeziehung zwischen Menschen, die von Moral und Gewalt aufrechterhalten wird.
Schulden ohne Geld
Geld und Schulden erscheinen uns heute fast synonym. Graeber aber zeigt: Schulden sind viel älter als Geld. Auf einer ganz einfachen Ebene sind sie schlicht Teil unseres alltäglichen Lebens: Wir geben, ohne zu erwarten, einen konkreten Gegenwert zurückzubekommen. So gehen wir mit Freunden und Verwandten um, aber auch mit Nachbarn und Gästen. Niemals kämen wir auf die Idee, diese Schuld zu beziffern oder eine exakte Rückzahlung einzufordern. Wir geben, doch nicht weil wir erwarten, dass die andere Person das Gleiche für uns tun wird, sondern nur, dass sie es potentiell tun würde. Auch Fremden gegenüber verhalten wir uns so: Werden wir auf der Straße nach dem Weg gefragt, antworten wir höflich und fragen nicht zurück, was wir denn für die Auskunft bekämen. Solange sich diese Beziehungen der gegenseitigen Verpflichtung nicht genau beziffern lassen, sind sie eben bloße Versprechen. Ein Phänomen, das Graeber ‘elementaren Kommunismus’ nennt und das andernorts auch als gelebte Schuldenwirtschaft beschrieben wird. Jeder gibt, was er kann und nimmt, was er bedarf. Graeber will zeigen, dass die Erzählung der Ökonomen über Schulden und Geld falsch ist: Keinen einzigen Beweis gebe es in der Menschheitsgeschichte dafür, dass Tausch vor der Erfindung des Geldes eine wesentliche Rolle gespielt habe. Wir sind nicht als Händler geboren, wie die klassische Ökonomik es zu verkaufen versucht. Stattdessen habe es unzählige Gesellschaften gegeben, in denen Waren und Dienste verteilt wurden, ohne dass darüber Konto geführt oder erwartet wurde, dieses um jeden Preis zu begleichen.
Das Münzgeld als Mittel der Kriegsführung
Die Aufzeichnung von Schulden beginnt etwa vor 5000 Jahren Externer Link: in Mesopotamien: Auf Tafeln wurden Schulden in Keilschrift notiert. Wenn der Schuldner die Schuld beglich, wurden die Tafeln zerbrochen. Münzen waren damals praktisch nicht im Umlauf, sie wurden erst mehrere Jahrtausende später üblich. So gab es den Kredit vor dem Geld - und damit auch Überschuldung. Weil die erdrückende Schuldenlast sozialen Sprengstoff bot, galten Schuldenerlasse nicht nur in Mesopotamien als ein probates und häufig genutztes Mittel der Herrscher. Zu ihrem Amtsantritt wollten sie reinen Tisch machen. Schuldenerlasse waren ein Mittel, drohende Umstürze zu vermeiden: Überschuldete Bauern wurden so von der Last der Kredite befreit. Das erste Wort für Freiheit in menschlicher Sprache überhaupt, zeigt Graeber, ist das sumerische "amargi", ein Wort für Schuldenfreiheit.
Die Einführung des Münzgeldes datiert Graeber auf das sogenannte Externer Link: Achsenzeitalter , ein paar Jahrhunderte vor Christus. Verbunden sei diese Erfindung untrennbar mit der Bildung von Berufsarmeen. Die Münzen dienten dabei zur Bezahlung von Söldnern, die fern der Heimat für unhandliche Waren oder Schuldscheine, die bei ihnen Zuhause wertlos waren, keine Verwendung hatten. So schließt sich, wie Graeber betont, ein folgenschwerer Pakt zwischen Münzen und Schwertern, denn um die Söldner zu bezahlen, wurden benachbarte Staaten mit Silber- und Goldvorräten angegriffen, deren lokale, auf Vertrauen basierende Wirtschaften damit verdrängt wurden.
Schulden als moralische Waffe
Graeber plädiert an keiner Stelle entweder für eine auf Kredit- oder Edelmetall basierende Wirtschaftsform. Es geht ihm um etwas anderes: die blinde Geldgläubigkeit zu zerreißen, der wir ganz offenbar aufsitzen. Er will betonen, dass Geld (in welcher Form auch immer) eine reine gesellschaftliche Konvention ist, die so oder eben auch ganz anders sein könnte. Schulden sind ein moralisches Prinzip, sie folgen politischen Machtverhältnissen und sind keine einfache Soll-Haben-Rechnung. Und: Mehr als jede andere Kraft haben Schulden historisch zu Revolutionen geführt. Die Kraft der Verzweiflung überschuldeter Menschen, die ihre Zahlungsversprechen niemals werden einlösen können - das ist der Sprengstoff einer Gesellschaft, der die Zahlung dieser Versprechen zur obersten moralischen Pflicht erhoben hat. Graebers zentrale Frage lautet daher: Warum ist es eigentlich so, dass wir glauben, Schulden müsse man tatsächlich um jeden Preis zurückzahlen? Warum steht diese Pflicht über jeder anderen moralischen Verpflichtung? Warum ist die moralische Forderung, Griechenland solle all seine Schulden zurückzahlen so wichtig, dass Europa die Erosion von Demokratie und Sozialstaat hinnimmt und sogar den Tod griechischer Bürger durch fatale Kürzungen im Gesundheitsbereich akzeptiert?