1. In Deutschland gibt es keine Vorratsdatenspeicherung
Das stimmt so nicht ganz: Für manche Leute gilt die Vorratsdatenspeicherung bereits. Telekommunikationsunternehmen speichern Daten für Abrechnungszwecke. Nicht von jedem, denn immer mehr Menschen haben eine Flatrate und bezahlen damit einen Pauschalbetrag für ihre Verbindungen. In vielen Fällen werden jedoch nach wie vor einzelne Verbindungen abgerechnet. Diese werden dann länger als nur ein paar Tage gespeichert – meistens bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Rechnung bezahlt worden ist. Wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen – unter anderem der Verdacht einer schweren Straftat – dürfen die Ermittlungsbehörden schon heute auf diese Verbindungsdaten zugreifen. Für Personen mit bestimmten Verträgen gilt also schon heute die Vorratsdatenspeicherung.
2. Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Externer Link: personenbezogenen Daten zu bestimmen. Sie ist Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das in Art. 2 des Grundgesetzes geregelt ist. Wenn nun aber Unternehmen alle Verbindungsdaten von Telefonen, Handys oder Computern speichern würden – so das Argument der Kritiker – ließen sich von jedem Bürger Bewegungs- und vielleicht sogar Persönlichkeitsprofile erstellen. Dies sei ein schwerer Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Im Grundgesetz garantierte Rechte oder solche, die hieraus abgeleitet werden, können in bestimmten Fällen jedoch durch Gesetze eingeschränkt werden. Dazu muss es – vereinfacht gesagt – ein Interesse der Allgemeinheit geben, das schwerer wiegt als das geschützte Recht des Einzelnen. Das Allgemeininteresse, das für die Vorratsdatenspeicherung spricht, ist die Bekämpfung schwerer Kriminalität. Oft sind Verbindungsdaten der einzige Ermittlungsansatz – beispielsweise bei Kinderpornographie im Internet. Deshalb muss eine Abwägung stattfinden: Rechtfertigen bessere Ermittlungsmöglichkeiten, die sich die Strafverfolgungsorgane von der Vorratsdatenspeicherung erhoffen, die anlasslose Speicherung aller Verbindungsdaten für eine gewisse Zeit (oft vorgeschlagen wurden sechs Monate)?
3. Das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof haben die Vorratsdatenspeicherung verboten.
Das Bundesverfassungsgericht hat die in Deutschland bis ins Jahr 2010 geltende Regelung für verfassungswidrig erklärt. Auch der Europäische Gerichtshof hat eine entsprechende EU-Richtlinie im Jahr 2014 für europarechtswidrig erklärt. Die Entscheidungen der Obergerichte werden in der öffentlichen Diskussion allerdings häufig nur verkürzt wiedergegeben.
Fakt ist, dass keines der beiden Gerichte das Instrument der Vorratsdatenspeicherung für grundsätzlich unvereinbar mit deutschem bzw. europäischem Recht erklärt hat. Vielmehr haben beide Gerichte nur die bestehenden Regelungen für unwirksam gehalten und Maßstäbe aufgestellt, die dem Gesetzgeber auf europäischer und nationaler Ebene ermöglichen sollen, verfassungsmäßige Lösungen zu schaffen. Das Bundesverfassungsgericht hat die deutsche Regelung zwar für nichtig erklärt. Jedoch hat es ausdrücklich betont, dass eine Speicherungspflicht nicht von vornherein verfassungswidrig ist. Alleine die Ausgestaltung des entsprechenden Gesetzes wurde bemängelt – allein diese war verfassungswidrig. Aus rechtlichen Gründen musste deshalb allerdings das gesamte Gesetz "einkassiert" werden. Das Verfassungsgericht hat insbesondere die unzureichende Datensicherheit und die Unverhältnismäßigkeit der Regelung zur Verwendung der Daten für die Strafverfolgung festgestellt. Es sei nicht ausreichend sichergestellt, dass nur schwerwiegende Straftaten Anlass für eine Datenerhebung sein dürfen.
Der Europäische Gerichtshof hat ähnliche Gründe genannt: Die Unionsregelung sei unwirksam, da sie keine klaren Regeln über die Tragweite und Anwendung der Maßnahme vorsehe und keinen wirksamen Schutz der Daten vor Missbrauch und unberechtigten Zugang bzw. unberechtigter Nutzung sicherstelle. Zusammenfassend kann man also sagen, dass beide Gerichte nicht die Datenspeicherung an sich, sondern nur das Gesetz in seiner konkreten Fassung von 2010 bzw. die diesem zugrunde liegende europäische Richtlinie für verfassungswidrig gehalten haben.
Der Deutsche Richterbund
Der Deutsche Richterbund (DRB) ist der größte Berufsverband für Richter und Staatsanwälte in Deutschland. Der DRB befürwortet die Vorratsdatenspeicherung und hält sie auch nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für juristisch umsetzbar.
4. Eine Vorratsdatenspeicherung nach den strengen Auflagen der Gerichte ist nicht mehr möglich und würde ihren Zweck nicht mehr erfüllen.
Alle von den Gerichten aufgeworfenen Probleme sind lösbar. Das Verfassungsgericht selbst hat einen Maßnahmenkatalog aufgestellt, mit dem sich ein verfassungsmäßiges Gesetz erarbeiten lässt. Folgende Voraussetzungen müssen dafür erfüllt werden:
Im Gesetz muss exakt geregelt sein, wer beim Verdacht welcher Straftaten die Ermittlungsbehörden befugt sein sollen, die vorgehaltenen Daten auszulesen. Dies kommt nur bei schweren Straftaten und schwerster Kriminalität in Betracht, zum Beispiel bei Mord, Vergewaltigung oder der Bildung einer terroristischen Vereinigung oder dem Verdacht auf organisierte Kriminalität. Anders herum ausgedrückt: Beim Verdacht auf einen einfachen Diebstahl oder nach einer Kneipenschlägerei soll kein Beamter die Verbindungsdaten verdächtigter Personen auswerten dürfen.
Die Auswertung der Daten muss unter einen Richtervorbehalt gestellt werden. Das bedeutet, dass weder die Polizei noch die Staatsanwaltschaft von sich aus entscheiden darf, ob bestimmte Daten ausgewertet werden oder nicht. Vielmehr muss die Ermittlungsakte einem Richter zur unabhängigen Prüfung vorgelegt werden. Dieser entscheidet dann, ob die Polizei von den privaten Telekommunikationsanbietern den Zugriff auf die Daten verlangen kann. Diese Voraussetzungen gibt es bereits jetzt bei anderen, weitaus eingriffsintensiveren Ermittlungsmöglichkeiten. Beispielsweise darf ein Richter beim Verdacht bestimmter schwerer Straftaten die Überwachung der Telekommunikation anordnen: Dann darf die Polizei Telefongespräche sogar abhören.
Es muss technisch sichergestellt werden, dass kein Unbefugter Zugriff auf die Daten hat, damit jeder Missbrauch von vornherein ausgeschlossen werden kann.
Das Verfassungsgericht verlangt wirksame Transparenzregeln: "Der Gesetzgeber muss die diffuse Bedrohlichkeit, die die als solche nicht spürbare Datenspeicherung und -verwendung für die Bürger erhalten können, (…) auffangen. Hierzu zählt der Grundsatz der Offenheit der Erhebung und Nutzung von personenbezogenen Daten. Eine Verwendung der Daten ohne Wissen des Betroffenen ist verfassungsrechtlich nur dann zulässig, wenn andernfalls der Zweck der Untersuchung, dem der Datenabruf dient, vereitelt wird." Diese Regeln können wiederum durch Kontrollinstanzen nachgeprüft und eine Zuwiderhandlung sanktioniert werden.
Wirksame Sanktionen bei Rechtsverletzungen sind eine weitere Voraussetzung, die laut den Gerichten geschaffen werden müssen. Wie diese aussehen, entscheidet der Gesetzgeber.
5. Der Zugriff auf die Daten kann von Rechtswegen nicht ausreichend reguliert werden
Die Speicherung von Verbindungsdaten und der Zugriff auf Verbindungsdaten sind zwei verschiedene Themen. Die Speicherung erfolgt privat, durch die Telekommunikationsunternehmen. Sind die Daten richtig gesichert – wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt – hat niemand die Möglichkeit, sie einzusehen oder gar zu missbrauchen. So sah es auch das höchste deutsche Gericht im Hinblick auf das Post- und Fernmeldegeheimnis: "Dennoch kann eine solche Speicherung unter bestimmten Maßgaben mit Art. 10 Abs. 1 GG vereinbar sein. Maßgeblich dafür ist zunächst, dass die vorgesehene Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht direkt durch den Staat, sondern durch eine Verpflichtung der privaten Dienstanbieter verwirklicht wird. Die Daten werden damit bei der Speicherung selbst noch nicht zusammengeführt, sondern bleiben verteilt auf viele Einzelunternehmen und stehen dem Staat unmittelbar als Gesamtheit nicht zur Verfügung." Problematisch wird es also erst beim zweiten Schritt: dem Zugriff. Erst durch ihn können sich Ermittler ein Bild machen und personenbezogene Informationen herausfinden. Wenn dieser aber so streng geregelt wird wie vom Verfassungsgericht verlangt, wird die Polizei die Daten erst dann auswerten dürfen, wenn der von einem Richter überprüfte konkrete Verdacht einer schweren Straftat besteht.
Stellvertretend für den Deutschen Richterbund antwortete für uns Pressesprecherin Elisabeth Sift.