Die Ethik wirft die grundsätzliche Frage auf, wie wir Menschen handeln und uns verhalten sollen. Diese Frage hängt aber sehr stark mit unseren Bewertungen zusammen, und Bewertungen sind ein bestimmter Typ von Aussagen über die Welt. Ändert sich unsere Sicht auf die Welt und damit das, was wir über sie aussagen können, dann ändert sich auch unsere Ethik.
Die Redeweise vom "Internet der Dinge" ist deswegen ethisch von hoher Relevanz, weil sie über die technische Seite der Vernetzung der Dingwelt mit der Lebenswelt hinaus einige zentrale Begriffe zu verändern scheint. Es sind die Begriffe des Dings, der Kommunikation und auch der Vernetzung. Wenn diese Dinge plötzlich etwas anderes bedeuten, dann ändern sich auch die Bewertungen und damit die ethischen Aussagen, die damit zusammenhängen.
Lorena Jaume-Palasi forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zum Thema Internetethik
Der Begriff des Dings hat gerade in der deutschen Philosophie eine zentrale Stellung, seit vor allem Immanuel Kant und G.W.F. Hegel ihn in ihrer Externer Link: Erkenntnistheorie zum wesentlichen Gegenstand der Betrachtung gemacht haben. Das Ding ist demnach gerade das, was unserem Erkennen nicht "an sich" zur Verfügung steht. Hegel hat daraus eine ganz eigene Subjekt-Objekt-Logik geschaffen, die es über den Umweg des Marxismus bis in die Staatstheorie des 20. Jahrhunderts geschafft hat und zu einigen historischen Verwerfungen der Geschichte geführt hat. Wortgeschichtlich ist das Ding aber viel älter und führt – wenn man so will wiederum "staats"-theoretisch – in die Zeit der alten Germanen. Das "Thing", von dem sich auch der heute gebräuchliche englische Ausdruck herleitet, war der Versammlungsort der freien Bürger, an denen Gericht gehalten und die wichtigen gemeinschaftlichen Entscheidungen getroffen wurden. Das "Internet der Dinge", wie es uns heute angekündigt wird, scheint gerade die alte Subjekt-Objekt-Unterscheidung zu unterlaufen. Das hat mit dem zweiten Begriff zu tun, der offenbar einer starken Veränderung ausgesetzt wird, nämlich dem der Kommunikation.
Die 10 Gebote der Dingwelt
Mit der Einführung des Internetprotokolls Version 6 können potentiell ungefähr 340 Sextillionen Adressen vergeben werden. Das reicht für die Vernetzung aller Dinge in unserem Sonnensystem beinahe bis hinunter auf Atomebene, die miteinander "kommunizieren" können. Man könnte das im altgermanischen Sinne als Demokratisierung der Dingwelt bezeichnen. Die Zahl menschlicher Kommunikationsteilnehmer aber, von denen es auf der Erde momentan etwa 7 Milliarden gibt, reicht nicht aus, um auch nur einen geringen Teil der zukünftigen Kommunikationen auch nur zu rezipieren, geschweige denn zu kontrollieren.
Stephan Noller ist CEO der Firma nugg.ad und beschäftigt sich vor allem mit der Vereinbarkeit von Datenschutz und Werbealgorithmen
Die Kommunikation der Dinge bedeutet also einen erheblichen Kontrollverlust. Kommunikation im Internet der Dinge wird darum nicht mehr an menschliche Akteure gebunden sein. Wenn die Dinge künftig untereinander kommunizieren (der Kühlschrank mit dem Supermarkt, das Auto mit der Ampel), werden auch Handlungsregeln für die Dingwelt aufgestellt werden müssen, die Menschen nicht mehr betreffen. Das ist mit der Aufhebung der Subjekt-Objekt-Unterscheidung gemeint. Es braucht also die "10 Gebote" für Elektrogeräte, die "goldene Regel" für PCs und Smartphones.
Wir werden die Ethik teilweise den Dingen überlassen müssen
Wie stark ein Konzept wie das Internet der Dinge unsere Wert-Aussagen über die Welt beeinflusst, wird deutlich, wenn man das Gedankenexperiment etwas weiter treibt: Wenn künftig Kleidungsstücke und Alltagsgegenstände vernetzt sind, kann also mein Pullover ständig weiterfunken, wo ich mich aufhalte. Das wirft nicht einfach Probleme mit der Privatsphäre auf, sondern verändert die Begriffe privat und öffentlich in hohem Maße. Diese Umdeutungen wiederum sind dem ethischen Denken schon entzogen: Der Vorgang der Vernetzung der Dingwelt ist bereits in vollem Gange und es fehlt schlicht das Subjekt, dass ihn noch aufhalten könnte. Wir werden also Teile des ethischen Denkens künftig den Dingen überlassen müssen.