Übers Wochenende sind meine Eltern zu Besuch. Mitten in den Vorbereitungen zum gemeinsamen Sonntagsessen meldet sich mein Smartphone: Gerade ist ein neuer Auftrag reingekommen. Ab heute Abend wird wieder gearbeitet. Auf der Firmen-Facebook-Gruppe läuft bereits die Abstimmung, wer heute die Nachtschicht übernimmt. Weil ich die letzen zwei Male abgesagt habe, bin ich wohl diesmal dran, sonst gibt es wieder Negativpunkte für meinen Flexibilitätsquotienten im Arbeitsprofil. Die Kinder sind geknickt, meine Eltern auch. Aber Wochenende und 9 to 5 Regelarbeitszeit passen eben nicht zur Industrie 4.0.
Am Arbeitsplatz wartet schon eine Benachrichtigung meiner Maschine: Sie hat gerade ihre Produktionskapazitäten überschlagen und braucht für Morgen 400 Rohlinge. Die Bestellung hat sie bereits allein ans Lager rausgeschickt und gleich noch das Update für die neue Produktserie aus dem Maschinen-Netzwerk angefordert. Aber auch meine kluge Maschine und die ganze Smart-Factory ist ohne Menschen wie mich aufgeschmissen. Heutzutage ist die "Kundenindividuelle Massenproduktion" Standard und ich bin für die Spezialaufträge zuständig. Ein Vorteil der totalen Konfigurierbarkeit: Wir wissen immer, was die Kunden wollen. Schließlich können wir die Verschiebung ihrer Vorlieben in Echtzeit nachvollziehen.
Einen Vorarbeiter habe ich schon lange nicht mehr. Ich arbeite ohnehin so akribisch wie möglich. Denn wenn ich heute schlampe, kann mir das in zwei Jahren auf die Füße fallen. Schließlich bekommt jedes Produkt ein Smart-Tag implantiert. Also einen Chip, auf dem gespeichert wird, wann, wo und von wem es hergestellt wurde. Immerhin: Teure Schleppnetz-Rückrufaktionen sind damit passé. Über die SmartTags können wir schließlich immer zurückverfolgen, welche Produkte eine Macke hatten und die Kunden gezielt anmailen.
Die letzten Mittelständler haben sich vor knapp 10 Jahren den multinationalen Großkonzernen angeschlossen. Die meisten von ihnen weil sie sich die Aufrüstung auf die intelligenten Maschinen nicht leisten konnten. Jetzt teilen sich die großen Unternehmen den Markt unter sich auf. Auch in der Fabrik ist es mittlerweile leerer geworden. Mittlerweile braucht es nur noch eine Handvoll gut ausgebildete Facharbeiter wie mich, um die Smart Factory am Laufen zu halten. Einige der ehemaligen Lageristen haben nach der Umstellung auf Kundenberater umgeschult. Wer sich nicht umstellen konnte, ist durch das Raster gefallen. Hilfsarbeiter werden eben nicht mehr gebraucht in der Industrie 4.0. Aber auch mein Schwager, der Radiologe, ist jetzt arbeitslos, seinen Job macht jetzt eine neu entwickelte intelligente Bilderkennungssoftware. Wer nicht flexibel ist, muss eben schauen wo er bleibt.