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Transparenz zwischen Post-Privacy und Arcanum | Open & Big Data | bpb.de

Transparenz zwischen Post-Privacy und Arcanum

Dr. Christian Humborg

/ 4 Minuten zu lesen

Transparenz ist zum Fetisch geworden. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man die Anforderungen betrachtet, die in den letzten Jahren an politische Akteure gestellt wurden. Bezüge sollen offengelegt, Nebentätigkeiten öffentlich gemacht werden, private Reisen und persönliche Freundschaften in publizistischen Debatten aufgegriffen. Eine dringend benötigte politische Kultur, der Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland, in seinem Artikel überraschenderweise auch das Recht auf Geheimnis zuspricht, kann auch die denkbare totale Transparenz in digitalen Zeiten nicht ersetzen.

Falscher Ansatz für mehr Transparenz? (CC, watchsmart) Lizenz: cc by/2.0/de

Mittlerweile ist Christian Wulff freigesprochen von den Vorwürfen der Korruption, die die Staatsanwaltschaft Hannover gegen ihn erhoben hatte. Dennoch bleibt er der Öffentlichkeit als der Präsident in Erinnerung, der in seinem viel beachteten TV-Interview davon sprach, dass seine Offenheit der Republik zu mehr Transparenz verhelfen und sie so positiv verändern würde.

Christian Wulffs Problem war damals nicht die fehlende Transparenz, sondern sein Verhalten. Ausbleibende Aufklärung hat es schlimmer gemacht, aber das war nicht das Kernproblem. Für manche Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens sind Verbote einfach notwendig, wie das Verbot zu bestechen oder sich bestechen zu lassen.

Transparenz ermöglicht Kontrolle in Zeiten, in denen das Vertrauen in die Politik stetig schwindet

Nicht alle ethisch fragwürdigen Handlungen aber sind über gesetzliche Verbote zu regeln, sondern oftmals reicht Transparenz aus, weil sie Akteure zwingt, ihr Verhalten zu hinterfragen. Sie sind nicht mehr nur sich selbst Rechenschaft schuldig. Transparenz ermöglicht Kontrolle in Zeiten, in denen das Vertrauen in politische Repräsentanten stetig weiter schwindet. Schon seit einiger Zeit erleben wir den Siegeszug der Transparenz in politischen Reden. Allerorten hören wir Politiker, eher Oppositionspolitiker, Transparenz fordern. Die Piratenpartei war 2011 zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses unter dem Banner der Transparenz angetreten – erfolgreich. Zuvor hatte Berlin den ersten erfolgreichen Volksentscheid seiner Geschichte erlebt: 98,2 Prozent der Stimmen waren für eine Veröffentlichung der Verträge zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe aus dem Jahr 1999.

Öffentliche Daten nützen - private Daten schützen!

Mit dem Siegeszug der Transparenz melden sich aber auch kritische Stimmen. Kurt Kister, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, kommentierte in einem Beitrag zu Wikileaks: "In diesem Sytem der totalen Öffentlichkeit wird der, der sich ihm nicht beugt, zum Volksschädling." Byung-Chul Han, Professor an der Universität der Künste in Berlin, erinnert in seinem Buch ‚Die Transparenzgesellschaft’ an Carl Schmitts Plädoyer an die Politik, mehr Mut zum Geheimnis zu haben: "In einer Gesellschaft, die nicht mehr solchen Mut hat, wird es kein ‚Arcana’ mehr geben, keine Hierarchie, keine Geheimdiplomatie und überhaupt keine Politik mehr, denn zu jeder großen Politik gehört das ‚Arcanum’." Han führt selber aus: "Die Tyrannei der Intimität psychologisiert und personalisiert alles. Auch die Politik entkommt ihr nicht. So werden die Politiker nicht an ihren Handlungen gemessen. Das allgemeine Interesse gilt vielmehr ihrer Person, was bei ihnen einen Inszenierungszwang erzeugt." Was wir im Moment erleben, ist jedoch eine vernünftige Ausdifferenzierung des Transparenzdiskurses. Mit Ausnahme der Post-Privacy-Anhänger reagiert die Transparenzbewegung auf die Transparenzskeptiker mit dem Leitspruch von Chaos Computer Club-Gründer Wau Holland: „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen“.

Meist geht es um die Verhinderung der intendierten Intransparenz und nicht um die Durchsetzung der Transparenz.

Doch selbst wenn es gelingt, die schwierige Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem zu definieren, selbst wenn man das von Michael Seeman exzellent beschriebene Transparenz-Partizipations-Dilemma umschifft und selbst wenn man sich auf eine Posttransparenz (im Gegensatz zur Livetransparenz) politischer Verhandlungen verständigt, braucht es noch immer Akteure, die Informationen sichten, kontextualisieren und vor allem bewerten. Dies können politische Gegner, Journalisten, Interessenvertreter, aber auch interessierte Bürger sein.

Der Maßstab, mit dem Informationen bewertet werden und wann Konsequenzen zu fordern sind, dies bleibt Gradmesser politischer Kultur. Transparenz enthebt Bürger und professionelle Akteure nicht ihrer Verpflichtung, über ein Koordinatensystem zur Bewertung politischer Integrität zu verfügen. Dies heißt wiederum keineswegs, von den Forderungen nach Behebung offensichtlicher Transparenzdefizite Abstand zu nehmen. Weiterhin sollte auf die Veröffentlichung von Nebeneinkünften von Bundestags- und Landtagsabgeordneten auf Heller und Pfennig, detaillierten Listen von Vergaben der öffentlichen Hand oder eines Lobbyistenregisters keinesfalls abgesehen werden. Es heißt aber mitunter, sich stärker auf das politisch Relevante zu fokussieren. Meist geht es um die Verhinderung der intendierten Intransparenz und nicht um die Durchsetzung der Transparenz. So ging es in der Wulff-Affären auch irgendwann nicht mehr um Transparenz, sondern um Konsequenz. Irgendwann waren genug Informationen bekannt, deren Konsequenz auf dem gemittelten Gradmesser politischer Integrität eindeutig war. Wulff zog dennoch die Konsequenz damals erst, als der Antrag auf Aufhebung der Immunität zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gestellt wurde.

Vielleicht hat die Wulff-Affäre die Republik unintendiert ein wenig verändert. Politiker achten seitdem viel peinlicher darauf, wann sie mit wem zu Veranstaltungen gehen. Die Bahn stellte 2011 ganz nebenbei ihre Journalistenrabatte ein. Der richtige Zeitpunkt auch für Zeitungen und Sendehäuser, ihre eigenen Verhaltenskodizes für ihre festen und freien Mitarbeiter im Hinblick auf Journalistenrabatte zu hinterfragen. Immer mehr Menschen im Land schütteln derweil den Kopf ob des Unvermögens der Regierungsfranktionen, die UN-Konventionen gegen Korruption zu ratifizieren.

Fussnoten

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Christian Humborg ist Geschäftsführer bei Transparency International Deutschland.