„Vernetzt” wurden wir schon in den 1980er Jahren, großflächig verlegte man in der Bundesrepublik Kabel und sprach von der „Kabeldemokratie”. Zumindest technisch bot dieses Kabelnetz die Möglichkeiten für neue Demokratieformen, z. B. die komfortable Nutzung von Informationsinhalten und Rückkanälen. Während Mitte der 1980er Jahre die Geburtsstunde des Privat-Fernsehens schlug, erwiesen sich die Kabelnetze für die politische Teilhabe aber als untauglich. Die euphorische Vorstellung der „Teledemokratie”, die dann mit der zunehmenden Verbreitung des Netzes entwickelt wurde, konzentriert sich vor allem auf die Interaktivität und sieht darin das wesentliche Potenzial auf dem Weg zu einer direkten Demokratie. Die Kommunikationsforschung hat solche Entwicklungen von Beginn an mit Studien begleitet. Getrieben werden die Wissenschaftler dabei von den Fragen nach den politischen Wirkungen der „neuen Medien”, aber auch durch die Nachfragen von Medienpolitikern und Parteistrategen: Was „bringt” das Internet? Wie schaffen wir es, die Menschen mit Hilfe des Internets für Politik zu interessieren? Erste repräsentative Umfragen zeigten: Die Deutschen informierten sich zumindest in begrenztem Maß intensiver über politische Themen, sobald sie sich einen Internetzugang zugelegt hatten (Studie „Bürger Online“ 2011). Die ältere Generation sowie diejenigen, die mit der Demokratie in Deutschland eher unzufrieden waren, konnten mit dem Internet teils zu etwas mehr Teilnahme online als auch im „echten Leben” bewegt werden – vom Sammeln von Unterschriften bis zum Veröffentlichen politischer Meinungen im Netz. Zu sehr viel mehr konnten die Bürger zwar nicht „mobilisiert” werden, es gab aber auch keinen Rückgang der politischen Kommunikation durch das Internet. In den USA, wo die Verbreitung des Internets schon in den 1990er Jahren weiter fortgeschritten war, kam man zu ähnlichen Ergebnissen: In einer Auswertung von 38 Studien zum Einfluss des Netzes auf das Engagement der Amerikaner fasst Shelley Boulianne (2009) zusammen: Es gibt einen kleinen, nachweisbaren Interneteffekt und ganz besonders das Lesen von Online-Nachrichten bewirkt, dass die Bürger sich etwas stärker engagieren.
Eine Vielfalt an Möglichkeiten, doch keiner, der sie nutzt
Die politischen Effekte auf die Gesamtheit der Bürger sind also in den Anfängen des Internets messbar gewesen, fielen aber insgesamt eher gering aus. Nicht zuletzt deshalb wurden neue „Web 2.0”-Angebote besonders unter die Lupe genommen: Politische Kommunikation, die noch viel näher dran ist an den Bürgern, war die Hoffnung, die in die damals neuen digitalen Kanäle wie Weblogs und YouTube gesetzt wurde. Eine Vorstellung, die der Asymmetrie von Kommunikator und Rezipient der typischen Massenkommunikation entgegensteht. Zudem sind solche Kanäle für eine breite Öffentlichkeit nutzbar, die (nicht nur monetären) Kosten bestehender und bekannter Partizipationsformen sanken Mitte der 2000er Jahre drastisch. Als solche Angebote, die fern der von professionellen Journalisten gefütterten bekannten Nachrichtenseiten über Politik informieren und eine Vielzahl an Meinungen zu politischen Themen bereitstellen, wurden Blogs & Co. auch von den Netznutzern wahrgenommen. Nur ein Bruchteil der Deutschen aber hatte sich 2009 das Internet aktiv zu Nutze gemacht (zwei Prozent der Onliner) und z. B. eigene Videobotschaften online gestellt oder einen Podcast mit politischen Inhalten veröffentlicht.
Kein klarer Trend erkennbar, was wir brauchen, ist ein reger Diskurs
Mittlerweile geht das Jahr 2013 zu Ende und die Frage, ob das Netz die politische Kommunikation der Menschen verändert und intensiviert, kann noch immer nicht mit „ja” oder „nein” beantwortet werden. Vielmehr bedarf es auch zukünftig genauer Beobachtung der Veränderungen, die eine „Medialisierung” von Politik mit sich bringt sowie einen breiten Diskurs darüber, was das Netz können soll und was wir eigentlich von diesem Internet erwarten dürfen. Beides ist aus zwei Gründen dringend nötig: (1) Das Interesse der Deutschen an Politik ist über die letzten zehn Jahre hinweg nicht merklich gestiegen, fast zwei Drittel haben ein nicht so starkes oder gar kein Interesse an Politik (Quelle: SOEP, DIW Berlin). Und die Beteiligung an den Bundestagswahlen ist nach 15 Jahren um etwa zehn Prozent gesunken (Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundeswahlleiter). (2) Gleichzeitig sind knapp 80 Prozent der Deutschen im Netz unterwegs, das Netz ist vom ersten Weckerklingeln an bis zum Ende der Tagesthemen präsent und mittlerweile auf den meisten Mobiltelefonen verfügbar. Das Mediennutzungsverhalten hat sich zudem stark hin zu den Sozialen Netzwerken verlagert: Knapp die Hälfte der Onliner ab 14 Jahren nutzt sie, fast 90 Prozent von ihnen haben ein Profil bei “Facebook” (Quelle: ARD/ZDF-Onlinestudie 2013). Dementsprechend verändert sich auch der Fokus der Kommunikationsforscher, den omnipräsenten Netzwerken wird zunehmend mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Die Lösung liegt nicht allein in der Technik
Eine aktuelle Untersuchung der vornehmlich jüngeren User (befragt wurden 22- bis 35-Jährige zur On- und Offline-Partizipation) an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg kommt zu dem Ergebnis: Das Netz bleibt ein Informationsmedium und die fehlende politische Beteiligung im „echten” Leben kann durch das Klicken im sozialen Netz nicht ausgeglichen werden. Letztlich zeigen die Mitglieder der „Generation Like” ihren Freunden und Anhängern zwar, mit welchen Themen und Organisationen sie sich beschäftigen oder welche Veranstaltungen sie besuchen. Flüssige Demokratie und ein verändertes Verständnis für unsere gewählten Repräsentanten, so der Wissenschaftler Gary S. Schaal in einem aktuellen Interview mit Deutschlandradio Kultur, wären aber nötig, um den demokratischen Prozess grundlegend zu verändern. Für die digitale Beteiligung, die wir seit nunmehr über 30 Jahren herbeiwünschen, braucht es also am Ende vielleicht gar nicht neue Online-Angebote oder Gadgets und schon gar kein Web 3.0. Die oft technik-zentrierte Sicht der Wissenschaftler sollte das anerkennen.