Wenn wir Partizipation hören, denken wir zuerst an politische Teilhabe: Wahlen, Petitionen, Volksentscheide, Demonstrationen und Bürgerdialoge. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass auch in anderen Bereichen fleißig partizipiert wird: In der Wirtschaft zum Beispiel, wenn Firmen gemeinsam mit ihren Kund_innen Produkte entwerfen. Oder in der Computerspielbranche, wenn Entwickler den Code ihrer Spiele offenlegen und ihren Kund_innen Werkzeuge in die Hand geben, um ein Spiel zu verbessern, Fehler zu beheben oder gar eine völlig neue Spielwelt zu erschaffen. Oder die Open Source Bewegung, die mit ihrer völlig offenen, egalitären Arbeitsweise Teilhabe par excellence verkörpert.
Was aber haben alle diese verschiedenen Formen der Teilhabe gemeinsam? Was macht sie stark? Wo liegen ihre Schwächen? Warum fällt es Leuten leicht in stundenlanger, minutiöser Arbeit kleinste Fehler im Algorithmus eines Spiels auszugleichen, aber gleichsam schwer, sich für die Mitgestaltung ihrer politischen Strukturen zu begeistern? Kann die Politik hier von der Wirtschaft lernen? Und was meinen wir eigentlich, wenn wir von Partizipation sprechen?
Das Problem mit den Köchen und dem Brei
Zwar ist das Mitwirkungsrecht wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden Demokratie, jedoch berührt es auch eine Kernproblematik der demokratischen Gesellschaftsordnung. Wie viel Teilhabe tut einem demokratischen System gut? Verderben zu viele Köche etwa den politischen Brei? Hier gehen die Meinungen auseinander. Befürworter direktdemokratischer Beteiligungsformen sehen das Potential des Internets vor allem darin, politische Prozesse transparent zu machen und jedem Bürger die Möglichkeit einzuräumen, selbst politisch aktiv zu werden. Auch Verfechter der repräsentativen Demokratie kommen nicht mehr ganz am Netz vorbei. Sie streben allerdings nicht nach immer mehr Teilhabe, sondern wollen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, über Gesetzesvorschläge abzustimmen und ihre Meinung in politischen Gestaltungsprozessen mit einzubringen. So sollen bereits getroffene Entscheidungen ihrer Repräsentant_innen auf eine breitere, besser informierte Basis gestellt werden. Teilhabe von oben, könnte man meinen.
Das Internet wird’s schon richten
Es gibt aber auch jene, die das demokratische Potential des Internets grundlegend als stark überschätzt betrachten. Das Resultat politischer Aktivität im Netz ist demnach nichts als ein Placeboeffekt, der nicht nur wenig effektiv, sondern möglicherweise sogar gefährlich ist. Clicktivism und Slacktivism, die Kunst des politischen Engagements per Mausklick, vermitteln uns das Gefühl des engagierten Bürgers. Nur schwappt wenig von unserem Netzaktivismus über in die 'offline' Welt. Ob gemeinsamer Zukunftsentwurf im Bürgerdialog der CDU, oder die radikal-demokratische liquid democracy Plattform der Piraten: ungeachtet ihrer politischen Couleur bleiben die Teilnehmer_innenzahlen meist bescheiden. Hinzu kommt, dass jene die sich im Netz engagieren oft diejenigen sind, die auch 'offline' aktiv sind. Ist der Grund dafür, dass so manches Partizipationsprojekt frühzeitig das Zeitliche segnet, vielleicht eben jener, dass sich unser politisches Pflichtbewusstsein im vierjährlichen Urnengang erschöpft? Das demokratische Verständnis von Partizipation bedeutet nämlich nicht nur das Recht und die Möglichkeit sich beteiligen zu dürfen, sondern auch die Freiheit dies nicht tun zu müssen.
Die Wirtschaft macht’s vor
Was in der Politik nur schleppend vorangeht, ist in vielen Bereichen der Wirtschaft längst selbstverständlich. Open Innovation – der Ansatz Innovationsprozesse zu öffnen und Nutzer bewusst in Gestaltungsprozesse mit einzubeziehen – ist in manchen Branchen zur Geschäftsgrundlage geworden. Die Vorteile sind eindeutig: im engen Dialog mit den Kunden lassen sich Trends früh erkennen, durch kontinuierliches Feedback lassen sich Innovationszyklen empfindlich verkürzen und auch mögliche Fehler werden oft schneller aufgedeckt und behoben. Für die Konsument_innen lohnt sich der Einsatz natürlich auch. Zwar wird das Engagement der User selten vergütet, jedoch ist den meisten ein Produkt nach den eigenen Vorstellungen oft Lohn genug. Doch: auch in der Wirtschaft sind bestimmte Rahmenbedingungen nötig, um Menschen zum mitmachen zu bewegen. So funktioniert die Kooperation gewöhnlich am besten in den Bereichen, in denen sich die Kund_innen stark mit einem bestimmten Produkt identifizieren.
Eine Diskussion mit wenn und aber – und das ist auch gut so
Zumindest theoretisch bietet das Netz erstmalig die Möglichkeit, Informationsflüsse und Entscheidungsprozesse transparent und offen zu gestalten. Es braucht nicht viel mehr als einen Internetanschluss oder ein Smartphone, um sich aktiv an politischen Gestaltungsprozessen zu beteiligen, oder sich in einer breiten Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, zu diskutieren, zu informieren und zu mobilisieren. Das ist die eine Seite der Medaille. Dass viele Menschen jedoch nach wie vor von der digitalen Öffentlichkeit ausgeschlossen bleiben, dass das Missbrauchspotential ebenso groß ist wie die neugewonnene Vielfalt an Möglichkeiten und dass auch das Internet nichts an einer grundlegenden Verdrossenheit mit unseren politischen Systemen ändern kann – das ist die andere. Ziel dieses Schwerpunkts soll es sein, die verschiedenen Facetten der Diskussion rund um das Thema digitale Teilhabe zu beleuchten, die Debatte aufzubröseln in überschaubare, aber nicht weniger anspruchsvolle Brocken und vor allem anzuregen zur Teilhabe am Diskurs – oder zumindest zum Nachdenken darüber.