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Interview mit Shoushana Zuboff: "Facebook und Google haben ihr Geburtsrecht verwirkt" | Überwachung, Tracking, Datenschutz | bpb.de

Interview mit Shoushana Zuboff: "Facebook und Google haben ihr Geburtsrecht verwirkt"

Netzdebatte Redaktion

/ 8 Minuten zu lesen

Die großen Internetunternehmen haben uns verraten, indem sie unsere Daten herausgegeben und unser Vertrauen verspielt haben. Das sagt die emeritierte Harvard-Professorin Shoushana Zuboff im netzdebatte-Interview mit Patrick Stegemann. Nun stehen wir am Scheideweg: Können wir einen anderen Kapitalismus entwickeln und die Demokratie erhalten? Ein Gespräch über den „geteilten Kapitalismus“ und die Zukunft der Demokratie.

Überall im Netz hinterlassen wir bei Unternehmen unseren digitalen Fingerabdruck. Im Gegenzug sollten wir erwarten können, dass diese verantwortungsvoll unsere Daten schützen. (flickr - CPOA) Lizenz: cc by-nd/2.0/de

Wenn wir in ein paar Jahren auf die Geschichte des Snowden-Leaks zurückschauen, werden wir dann sagen, dass er das Ende der demokratischen Gesellschaft war, wie wir sie kannten?

Es könnte der Anfang vom Ende der Demokratie sein, wie wir sie kannten - oder aber der Anfang einer Erneuerung und Rückbesinnung auf demokratische Werte, Prinzipien und Prozesse. Die ganze Angelegenheit ist nicht nur eine Sache der Privatsphäre. Wir sollten es als ein Versuch verstehen, Demokratie und deren Belastbarkeit zu testen. Das Überwachungsparadigma ist absolut undemokratisch und zudem auch eine Bedrohung für die persönliche Privatsphäre. In diesem Sinne ist auch die gegenwärtige Krise das paradoxe Produkt des sogenannten „Anti-Terror-Kriegs“, innerhalb dessen wir mehr und mehr undemokratische Züge annehmen, um uns vor denjenigen zu schützen, die die Demokratie nicht zu schätzen wissen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir „scheitern“, während wir denken, dass wir „erfolgreich“ sind.In dem alten Bob Dylan Song „Subterranean Homesick Blues“ gibt es eine berühmte Zeile, die in etwa besagt, dass man „keinen Wetterfrosch braucht, um vorher zu sagen, aus welcher Richtung der Wind weht“. Ich würde sagen, dass Edward Snowden eine Art Wetterfrosch ist, ein Meta-Wetterfrosch aus dem 21. Jahrhundert, der uns daran erinnert, aus welcher Richtung der zivilisierte Wind weht.

Wie werden wir auf die Prognose des Wetterfrosches Snowden reagieren?

Wir könnten uns zurück ziehen und leise unsere eigenen Gedanken in die kleine Sphäre flüstern, die uns noch geblieben ist und in der man noch unentdeckt bleiben kann. Das ist die Freiheit von Jean Paul Sartres Gefangenem: eine Freiheit, die so lange existiert, wie wir uns nicht in Richtung Flucht wenden. Oder aber wir erlauben uns, von der Allgegenwart der „Überwacher“ kolonisiert zu werden. Dann beginnen wir, uns selbst neu zu interpretieren mittels ihrer Bedeutung, ihrer Werte, ihrer Interessen und ihrer Blickwinkel. Wir würden alle zu Kolonisierten, während die Realität der Überwacher unterschwellig unser Verhalten, unsere Gefühle und den Horizont unserer Wahrnehmung formen würde. Wir könnten uns immer noch „frei“ nennen, aber wir wären nicht frei. Wir würden in einer „antizipierenden Konformität“ leben. Würden wir so weitermachen, wäre das Internet bald kein offener und freier Raum mehr. Das Netz würde uns nach wie vor in vielerlei Hinsicht die Informationen liefern, die wir benötigen, jedoch würde es nicht mehr das sein, was wir von ihm erwartet haben. Wir würden vorsichtiger auftreten und Masken tragen.

Klingt ziemlich ernüchternd. Sehen Sie keine Alternative?

Die Alternative ist: Wir widmen uns voll und ganz der Konfrontation. Damit meine ich, dass wir jede verfügbare Ressource nutzen, um darauf zu bestehen, dass Unternehmen und gewählte Volksvertreter unsere Interessen und unsere Wahl vertreten. Wir verlangen eine transparente Zurechnungsfähigkeit des Staates und kommerzieller Datenprozesse, sowohl national als auch international. Wir definieren diesen Moment neu als eine Art Prüfung der Demokratie statt einer eher technischen Herausforderung für die individuelle Privatsphäre. Privatsphäre ist essenziell, aber dieses Thema richtet sich an ein weit größeres Publikum. Deswegen ist es so fatal, wenn US-Präsident Obama uns mitteilt, dass es lediglich etwas mehr Feintuning braucht, um die Sache zu regeln. Er hat gesagt: „Wenn Sie wüssten, was ich weiß, dann würden Sie sehen, dass es Nichts gibt, worüber Sie sich Sorgen machen müssten. Glauben Sie mir!“ Damit umgeht er allerdings alle relevanten Fragen: Wer weiß etwas? Wer entscheidet? Wer entscheidet, wer etwas weiß?

Das Ausmaß der Überwachung, wie es gerade durch den Snowden-Leak deutlich wird, ist das überhaupt ein Produkt des Internets und der Digitalisierung oder gab es das eigentlich schon immer?

Der Wunsch, mehr Kontrolle durch immer mehr Wissen zu erlangen, ist so alt wie die menschliche Vorstellungskraft. Dank Edward Snowden ist der Schleier jetzt, wenn auch nur leicht, gelüftet worden im Bezug auf die neueste Verkörperung dieses alten Wunsches: Wir wollen totale Macht durch totale Allwissenheit. Dahingehend ist die digitale Sphäre gar nicht so neu. Aber sie ist ein besseres Mittel als alles, was wir bisher kennen. Je mehr die Menschheit ihr Selbstbewusstsein und ihren Drang zur Selbstbestimmung entwickelt, desto mächtiger sind die entstehenden Werkzeuge zur Ausübung von Kontrolle und Aufrechterhaltung der gängigen Ordnung. Je komplexer das Leben wird, desto komplexere Werkzeuge braucht man und früher oder später werden diese Werkzeuge dazu umfunktioniert, Kontrolle auszuüben. Mit Bezug auf das Digitale habe ich Zuboffs Drittes Gesetz formuliert: „In Ermangelung ausgleichender Beschränkungen und Sanktionen kann jede Art digitaler Anwendung zur Kontroll- und Überwachungszwecken eingesetzt werden, ganz gleich was ihr ursprünglicher Zweck war.“

Das Entscheidende ist, zu verstehen, wo wir uns in der Geschichte befinden. Wir sind am Anfang des digitalen Zeitalters. Unsere Techniken und Technologien übersteigen unsere gesellschaftlichen Grundsätze, Normen, Ethik, Regularien und Gesetze. Wir verstehen die Schutzmaßnahmen noch nicht, die wir und die Demokratie benötigen, weil wir die wirklichen Schwachstellen, denen wir gegenüber stehen, auch noch nicht verstehen. Im Buch, an dem ich gerade schreibe, nenne ich das „den Rückstand“. Wir leben rückständig und das Rennen geht weiter.

Prism will unser Verhalten vorhersagbar machen - das wollen viele Unternehmen auch. Ist Prism also letztlich das Ergebnis einer Verschmelzung wirtschaftlicher und geheimdienstlicher Logiken im Internet?

Ich würde sagen, Prism ist eine Ausbeutung von Wirtschafts- und Sicherheitslogiken des 20. Jahrhunderts, die nicht nur fortbestehen, sondern auch weiterhin das Geschäfts- und Politikgeschehen dominieren. Nichtsdestotrotz repräsentieren diese Logiken aus der Industrieära des 20. Jahrhunderts schon lange nicht mehr das Selbstverständnis der meisten Menschen. Die Wenigsten von uns wollen weiterhin anonyme Rädchen im Getriebe der großen unpersönlichen Maschinerie des Staates oder der Unternehmen sein. Was wir gerade erleben, ist eine Vermischung der neuen Möglichkeiten des Digitalen mit diesen alten Massenlogiken, in denen der Staat oder die Unternehmen undurchdringlich sind, weil sie Bürger und Verbraucher am Rande ihrer Betriebssysteme ansiedeln. Wir realisieren, dass diese Vermischung ein gefährlicher, vielleicht sogar giftiger Cocktail ist.

Die Internetunternehmen sind eigentlich mal mit dem Anspruch angetreten, die kapitalistische Welt humaner und individueller zu machen. Was ist daraus geworden?

Tatsächlich sind die Internetunternehmen, die sich der NSA gefügt oder mit ihr zusammen gearbeitet haben, heute groß und reich geworden, größtenteils weil wir sie als Alternativen zu den alten Massenlogiken gesehen haben. Sie haben sich vielleicht vom neuen Weg entfernt, weil sie das schnelle Geld im Blick hatten, aber der Weg ist immer noch beständig und wartet auf die Unternehmen, die eine neue Herangehensweise an das Geldverdienen im Einklang mit Nutzerrechten nicht scheuen. Ich nenne das „geteilten Kapitalismus“, weil Werte nicht innerhalb des Unternehmens „geschaffen“ werden, sondern mit und unter den Nutzer_innen „umgesetzt“ werden. Ich glaube, dass diese Entwicklung innerhalb des Kapitalismus‘ immer noch möglich ist, weil die Bedürfnisse unserer Bevölkerung dies erfordern.

Die großen Internetunternehmen wie Google und Facebook haben ziemlich bereitwillig die Daten ihrer Nutzer herausgegeben. Haben denn diese Unternehmen, denen das Netz doch gewissermaßen gehört, keine Möglichkeit gegen die staatlichen Eingriffe anzukommen?

Meiner Ansicht nach haben diese Firmen ihr Geburtsrecht verwirkt. Wir haben sie reich und mächtig gemacht, weil sie unsere ureigensten Bedürfnisse auf neue Weise verstanden haben und wir glaubten, sie hätten nichts als unsere Interessen im Sinn. Hätten wir gewusst, wie schnell sie uns hintergehen würden, wie fragil und prekär ihr Engagement wirklich war, dann wäre das Internet wohl nicht so schnell gewachsen. Die Unternehmen sagen, sie haben nur Regierungsvorgaben „befolgt“, aber dann frage ich mich, wann „Befolgen“ zu „Komplizenschaft“ wird? Es gab im Guardian, in der New York Times und in anderen Zeitungen mehrere Berichte, die das Ausmaß schildern, mit dem Facebook, Microsoft und andere scheinbar proaktiv mit der NSA zusammen gearbeitet haben, um Daten zugänglich zu machen und Verschlüsselung zu umgehen. Wir wissen, dass viele Telefongesellschaften direkten Zugang zu ihren Überseeleitungen und den unvorstellbar großen Datenvolumina geschaffen haben.

Was hätten diese Unternehmen denn tun können?

Wenn die Internetunternehmen ihr Geburtsrecht gewahrt hätten, hätten sie Wege gefunden, sich geschlossen gegen die NSA Forderungen aufzulehnen. Sie hätten diese auf Basis der Verfassung herausfordern können. Es wäre schwierig, kostspielig und riskant geworden, das ist mir bewusst. Aber sie hätten den Verlauf des Kapitalismus ändern und die Erwartungen der Demokratie stärken können. Die Macht dieser Unternehmen ist so groß, dass sie unter den wenigen, die die US-Regierung tatsächlich herausfordern können, diejenigen hätten sein können, die den Schleier der Geheimniskrämerei hätten lüften können und eine lebhafte globale Debatte auf den Plan gerufen hätten. Stattdessen überließen sie dies einem einzigen jungen Mann, der weder Geld, noch Macht noch Verbündete hat.

Die meisten von uns nutzen Google, Facebook & Co und das sehr bereitwillig und gerne. Wie können wir überhaupt gegen diese verlockenden Angebote und die Unternehmen opponieren?

Zunächst müssen wir Wettbewerber finden, die unsere Bedürfnisse erfüllen können, indem sie sich umgehend nach unseren Interessen ausrichten. Wenn es derartige Möglichkeiten gibt, können wir unsere Marktmacht nutzen, um diese neuen Modelle zu entlohnen. Weiterhin sollten wir alle uns verfügbaren Werkzeuge nutzen, um Google, Facebook etc. darüber in Kenntnis zu setzen, dass sie unsere Verbundenheit mit neuem Verhaltensweisen zurück gewinnen müssen. Verweigert ihnen die Zustimmung zum Daten speichern! Lehnt ihre Werbung ab! Löscht ihre Cookies! Zieht eure Unterstützung für ihr Geschäftsmodell zurück! Nutzt eure Stimme und sagt ihnen, wieso! Besteht auf öffentlicher Regelung ihrer kommerziellen Datenhandhabung! Die weite Welt der Technologie hält noch viel für uns bereit: Das Internet aller Dinge, Billionen smarter Sensoren an allem, von deinen Mandeln bis zu deiner Zahnbürste. Die Datenströme werden nahezu ozeanische Ausmaße annehmen. Wenn wir jetzt nicht darauf bestehen, dann wird das Überwachungsparadigma unabänderlich.

Klingt ein bisschen nach David gegen Goliath, die einzelnen Nutzer_innen gegen die Internetgiganten?

Ich bin dennoch optimistisch. Ich denke, dass die nächsten 10 Jahre die Zeit unserer Stimmen werden könnte. Ja, wir formen unser Leben gerade nach Datenströmen und das hat uns verwundbar gemacht, aber ich denke, es hat uns auch cleverer gemacht und uns auf vielfältige Weise neu zusammen gebracht. Dies ist ebenfalls ein mächtiger Cocktail, der die alte Ordnung stürzen kann, weil er eine demokratischere und integrativere Zukunft formt.

Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Cosima Bredereck.

Shoushana Zuboff

Shoshana Zuboff ist Wirtschaftswissenschaftlerin im Bereich Business Administration an der Harvard University und Autorin des Buches Externer Link: The Support Economy: Why Corporations Are Failing Individuals and the Next Episode of Capitalism. In ihrere Arbeit beschäftigt sie sich insbesondere mit den Zusammenhängen zwischen technischer Überwachung und dem Wandel der Weltwirtschaft weg von einer rohstoffbasierten, hinzu einer informationsbasierten Wirtschaft

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