Journalismus unter den Bedingungen des Medienwandels
Vervielfältigung der Kanäle, Big Data und neue Formen der Publikumsbeteiligung
Wiebke Loosen
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Für die Berichterstattung bietet das Internet Chancen und Risiken: In Windeseile werden Informationen gesammelt und weltweit verbreitet. Gleichzeitig verbleiben Quellen sowie Akteure oft anonym und die Qualität der Informationen ist schwer zu überprüfen.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die gesellschaftlichen Kommunikationsverhältnisse grundlegend verändert: Das Internet gehört heute zum Alltag und ist für die meisten Menschen fester Bestandteil ihres Medienrepertoires geworden. Die rasant steigende Internetverbreitung der ersten Jahre ist aufgrund der schon hohen Sättigung mittlerweile von einem moderaten Wachstum abgelöst worden . Deutlich erhöht hat sich aber die Nutzungsfrequenz: 2015 nutzen bereits über 44 Millionen Menschen in Deutschland das Internet täglich, was gegenüber dem Vorjahr einem Zuwachs von 8,5 % entspricht (siehe Tabelle "Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland 1997 bis 2015"):
Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland 1997 bis 2015
Personen ab 14 Jahren; Angaben in %
Zumindest gelegentliche Onlinenutzung
1997
2000
2003
2006
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
in %
6,5
28,6
53,5
59,5
67,1
69,4
73,3
75,9
77,2
79,1
79,5
in Mio.
4,1
18,3
34,4
38,6
43,5
49,0
51,7
53,4
54,2
55,6
56,1
Zuwachs ggü. dem Vorjahr in %
-
64
22
3
2
131
6
4
2
2
0,9
Tägliche Onlinenutzung
2013
2014
2015
in %
57,0
58,3
63,1
in Mio.
40,0
41,0
44,5
Zuwachs ggü. dem Vorjahr in %
-
3,0
8,5
Fußnote: 1 Wechsel der Grundgesamtheit (Zuwachs bei "Deutschen ab 14 Jahren": 1%) Basis: bis 2009: Deutsche ab 14 Jahren (2009: n=1806, 2006: n=1820, 2003: n=1955, 2000: n=3514, 1997: n=15.431). Ab 2010: Deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren (2015: n=1800, 2014: n=1814, 2013: n=1800, 2012: n=1800, 2011: n=1800, 2010: n=1804).ARD/ZDF-Onlinestudien 1998-2015, Frees/Koch 2015: 367.
Quelle: ARD-Onlinestudie 1997,
Die Verbreitung des Internets liegt in Deutschland mit Blick auf die Gesamtbevölkerung bei über 88 % und damit im Externer Link: europäischen Vergleich deutlich über dem Durchschnitt von gut über 70 %; noch höher ist diese Zahl vor allem in den skandinavischen Ländern (Angaben für 2015).
Als Interner Link: Hybridmedium unterstützt das Internet verschiedene Kommunikationsmodi, die von der massenmedialen Kommunikation über den interpersonalen Austausch bis hin zur Mensch-Maschine-Interaktion reichen.
Die verschiedenen Kommunikationsmodi lassen sich u. a. danach unterscheiden, wie viele Kommunikationsteilnehmer jeweils als Sender bzw. Empfänger agieren :
Der Modus one-to-one charakterisiert z. B. die E-Mail-Kommunikation zwischen zwei Beteiligten.
Der Modus one-to-few kann für eine E-Mail an mehrere Empfänger stehen.
Der Modus one-to-many beschreibt u. a. das Bloggen oder z. T. auch das Twittern.
Der Modus many-to-many bezieht sich beispielsweise auf die Nutzung von Interner Link: Filesharing-Plattformen.
Das Senden und Empfangen von Emails sowie die Informationssuche gehören nach wie vor zu den Hauptanwendungen vieler Internetnutzer . Darüber hinaus entfallen von der durchschnittlichen täglichen Internetnutzungsdauer von 108 Minuten der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren 27 Minuten auf die Nutzung von Medieninhalten (z. B. Nutzung aktueller Nachrichten, Videos sehen oder Audios hören).
Mit sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder YouTube sind zudem die Hürden gesunken, auch selbst Inhalte aller Art im Internet zu publizieren, mit anderen Nutzern zu bearbeiten und weiterzuverbreiten . Diese Entwicklung wurde im öffentlichen Diskurs in den Anfängen mit dem Schlagwort Interner Link: Web 2.0 zusammen gefasst, während heute vermehrt von "Social Media", "sozialen Medien" oder auch vom "Social Web" die Rede ist. Verbunden wird hiermit, dass das Internet mit dem Aufkommen sozialer Medien eine neue Phase erreicht habe. Sie unterscheide sich durch die erweiterten Möglichkeiten des interaktiven Austauschs sowie der Erstellung und Verbreitung von Inhalten fundamental von früheren Phasen.
Nutzung von Social-Media-Anwendungen 2007 bis 2015
1Netzwerke aufgerufen mit eigenem Profil 2Mikrobloggingdienste wie Twitter oder Tumblr Basis: bis 2009: Deutschsprachige Onlinenutzer ab 14 Jahren (2007: n=1142). Ab 2010: Deutschsprachige Onlinenutzer ab 14 Jahren. (2015: n=1432, 2014: n=1434, 2013: n=1389, 2012: n=1366, 2011: n=1319, 2010: n=1252).
Die Tabelle "Nutzung von Social-Media-Anwendungen 2007 bis 2015" gibt einen Überblick über Social-Media-Anwendungen; 2015 wurde in der ARD/ZDF-Onlinestudie erstmals auch nach Instant-Messaging-Diensten wie WhatsApp gefragt, die hier den weitaus größten Nutzerkreis haben. Die Nutzung sozialer Netzwerke und Communitys ist seit 2013 hingegen leicht rückläufig, wobei sich dieser Rückgang vor allem bei der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen zeigt .
Hinter dem aber insgesamt noch hohen Interesse an sozialen Netzwerken und Communitys steht vor allem Facebook: In Deutschland nutzen 42 % der Onliner ab 14 Jahren Facebook; ein knappes Viertel (= 23 %) davon täglich .
Die Möglichkeiten, sich im Internet zu Wort zu melden, sind vielfältig – allerdings werden sie jeweils von unterschiedlich vielen Menschen genutzt und es zeigen sich z. T. recht deutliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen: Social-Media-Anwendungen werden eher als das Internet insgesamt von den jüngeren Altersgruppen genutzt (s. Tabelle "Altersstruktur der Nutzerschaft von Social-Media-Plattformen 2015"). Der im Hinblick auf seine Nutzerschaft jüngste Dienst ist die Fotocommunity Instagram, während bei anderen Angeboten wiederum die 30- bis 49-Jährigen die größte Nutzergruppe darstellen .
Altersstruktur der Nutzerschaft von Social-Media-Plattformen 2015
mindestens selten genutzt, in %
14-29 Jahre
30-49 Jahre
ab 50 Jahre
Gesamtbevölkerung1
21
32
47
Onliner2
26
37
37
Instagram
70
21
10
Tumbler
52
31
17
Twitter
50
35
15
Facebook
43
38
18
Pinterest
38
47
15
Google+
37
40
23
WhatsApp
36
42
21
Xing
32
47
22
LinkedIn
20
62
17
Fußnote: 1 Deutschsprachige Bevölkerung ab 14 Jahren (n=1.800)
Fußnote: 2 Deutschsprachige Onlinenutzer ab 14 Jahren (n=1.432)
Im Prinzip kann also jeder, der Zugang zum Internet hat, journalismusähnlich aktiv werden und eigene Inhalte publizieren. In dieser Hinsicht besitzen soziale Medien ein erhebliches Partizipationspotenzial und unterscheiden sich grundlegend von den traditionellen Massenmedien. Daher ist häufig die Rede davon, dass die Grenzen zwischen Sender und Empfänger, zwischen Kommunikator und Rezipient, zwischen professioneller und nicht-professioneller Aussagenentstehung verschwimmen. Die Beschränkungen der klassischen Massenkommunikation, z. B. hohe Zugangshürden, wenige Anbieter, begrenzte Möglichkeiten der Teilnahme, können also potentiell überwunden werden. So jedenfalls lautet das "Demokratisierungsversprechen", das schon seit Mitte der 1990er Jahre mit dem Internet verbunden gewesen ist – und davor schon mit anderen jeweils "neuen Medien" wie dem Buch oder dem Radio:
QuellentextEinführung eines neuen Mediums
"Bei der Einführung jeden neuen Mediums gibt es leidenschaftliche Befürworter und Gegner, die immer die gleichen Argumente verwenden.
Während die Gegner einen Verfall der bisherigen Kultur und Gefahren für die Gesellschaft wie die Individuen beschwören, werben die Befürworter mit dem Argument, das neue Medium werde allen mehr Zugang zu Wissen, Kultur und Unterhaltung eröffnen, eine bessere Kontrolle der Macht erlauben und allen durch neue Kreativität im Umgang mit dem neuen Medium kulturelles Kapital verschaffen.
Vom Buchdruck bis zum Internet hat sich dieses Argument nicht verändert, das mehr Gerechtigkeit durch größere Gleichheit aller vor dem Medium verheißt – eine Verheißung, die sich nie (ganz) erfüllt hat."
Quelle: Schmidt/Zurstiege 2000, S. 207
Soziale Medien könnten also den in Deutschland aus dem Grundgesetz abgeleiteten Umstand, dass "Journalist" keine geschützte Berufsbezeichnung und der Zugang zum Beruf offen ist, "mit Leben füllen": Prinzipiell kann sich jeder "Journalist" nennen und als solcher tätig sein. In Deutschland ist der Zugang zum Journalismus frei und die Berufsbezeichnung "Journalist" ist rechtlich nicht geschützt.
Abgeleitet wird dies aus Artikel 5 des Grundgesetzes, dort heißt es in Artikel 1: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."
Soziale Medien und Abgrenzungsprobleme des Journalismus
Auch wenn also "everybody is a journalist" zu den Verheißungen des Internets gehört, so hat sich doch auch der Beruf der Journalistin und des Journalisten immer weiter entwickelt. Daher ist im Allgemeinen der professionelle, meist in Redaktionen organisierte Journalismus gemeint, wenn von Journalismus die Rede ist. Seine zentrale Funktion für die Gesellschaft besteht in der Vermittlung von Informationen, die zur Meinungsbildung beitragen (sollen); manifesten Ausdruck findet dies in der journalistischen Berichterstattung.
Eine abstrakte, vor allem in der Wissenschaft verbreitete Definition charakterisiert die Funktion des Journalismus für die Gesellschaft folgendermaßen: Journalismus ist die "professionelle Fremdbeobachtung der verschiedenen Gesellschaftsbereiche" (etwa Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport), bei der "Themen für die öffentliche Kommunikation" zur Verfügung gestellt werden, "die neu und relevant sind und die auf Tatsachen(erfahrungen) basieren" . Zentral ist also die Unterscheidung zwischen Fakten und Fiktionen. Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) setzt auf der Ebene des Akteurs an und charakterisiert den Journalisten/die Journalistin als jemanden, der/die "hauptberuflich an der Erarbeitung bzw. Verbreitung von Informationen, Meinungen und Unterhaltung durch Medien mittels Wort, Bild, Ton oder Kombinationen dieser Darstellungsmittel beteiligt ist" .
QuellentextEin Journalist/ Eine Journalistin
Journalistin/Journalist ist, wer nach folgenden Kriterien hauptberuflich an der Erarbeitung bzw. Verbreitung von Informationen, Meinungen und Unterhaltung durch Medien mittels Wort, Bild, Ton oder Kombinationen dieser Darstellungsmittel beteiligt ist:
Journalistinnen und Journalisten sind fest angestellt oder freiberuflich tätig für Printmedien (Zeitungen, Zeitschriften, Anzeigenblätter oder aktuelle Verlagsproduktionen), Rundfunksender (Hörfunk und Fernsehen), digitale Medien, soweit sie an publizistischen Ansprüchen orientierte Angebote und Dienstleistungen schaffen, Nachrichtenagenturen, Pressedienste, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Wirtschaft, Verwaltung und Organisationen sowie in der medienbezogenen Bildungsarbeit und Beratung.
Zu journalistischen Leistungen gehören vornehmlich die Erarbeitung von Wort- und Bildinformationen durch Recherchieren (Sammeln und Prüfen) sowie Auswählen und Bearbeiten der Informationsinhalte, deren eigenschöpferische medienspezifische Aufbereitung (Berichterstattung und Kommentierung), Gestaltung und Vermittlung, ferner disponierende Tätigkeiten im Bereich von Organisation, Technik und Personal.
Journalistinnen und Journalisten üben ihren Beruf aus als freiberuflich Tätige oder als Angestellte eines Medienunternehmens bzw. im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Wirtschaftsunternehmens, einer Verwaltung oder einer Organisation.
Quelle: Deutscher Journalisten-Verband (2009): DJV Wissen 4: Berufsbild Journalistin – Journalist, S. 3
Dennoch lassen sich immer mehr Aufweichungen des Berufsbildes beobachten: In den "Journalism Trends 2016", einer internationalen Befragung von über 2.000 Journalisten des PR-Portals Mynewsdesk, stimmen die Befragten mehrheitlich darin überein, ein Journalist sei jemand der mit Inhalten arbeite, anstrebe objektiv zu sein sowie eine Geschichte zu erzählen und ein Publikum habe. Über 50 % sind überdies der Ansicht, dass auch ein Blogger manchmal als Journalist zu betrachten sei, während lediglich 12 % eine formale journalistische Ausbildung für ein konstitutives Merkmal eines Journalisten halten .
Auch wird die Organisationseinheit "Redaktion" mittlerweile immer mehr durch andere Formen ergänzt, denn digital vernetzte Medien erlauben es, Journalismus auch anders als in einer traditionellen Redaktion zu organisieren: Etwa in Netzwerken und Kollektiven bestehend aus meist frei arbeitenden Journalist(inn)en (wie z. B. bei "Deine Korrespondentin" oder "Externer Link: Untold.st" oder auch als Eine-Frau- bzw. Ein-Mann-Medium im so genannten Unternehmer- oder Entrepreneur-Journalismus. Gleichzeitig trägt die gewandelte Medienumgebung dazu bei, dass neue Medienangebote wie Externer Link: BuzzFeed, Externer Link: Correctiv, Externer Link: Edition F, Externer Link: Heftig.de und Externer Link: Huffington Post entstehen, welche insbesondere soziale Medien auf neue Weise bedienen und einbinden.
Allerdings sind journalistische Inhalte nicht immer eindeutig von anderen Formen öffentlicher Kommunikation (etwa Interner Link: Public Relations) zu unterscheiden, weil beide teilweise die gleichen Kerntätigkeiten voraussetzen– und professionelle Journalisten nicht immer von anderen Kommunikatoren (etwa PR-Fachleute oder publizierende Laien). Auch sind journalistische Kerntätigkeiten wie Recherchieren, Selektieren, Schreiben und Redigieren so universell, dass sie nicht nur im Journalismus Anwendung finden. Abgrenzungsprobleme und unscharfe Ränder gehören also von jeher zum Journalismus.
Unter den Bedingungen des Internets und sozialer Medien ist die Lage allerdings noch unübersichtlicher geworden: Zahlreiche neue Anbieter von Informationen sind hinzugekommen, die ähnliche Vermittlungsleistungen wie der Journalismus erbringen (können):
Das sind zum einen partizipative Kommunikationsformate (in der Abbildung "Beziehungen zwischen Kommunikationstypen im Internet" unter dem Stichwort "Partizipation" zusammengefasst), etwa die eine Beteiligung zulassenden Nachrichtenangebote (z. B. Externer Link: www.myheimat.de), Weblogs oder Podcasts.
Zum anderen sind dies technische Kommunikationsformate (in Abb. unter dem Stichwort "Technik" zusammengefasst), etwa Nachrichten-Aggregatoren (z. B. "Google News" sowie die mittlerweile ebenfalls mögliche vollständig automatisierte Inhaltsproduktion. Diese Möglichkeit ist mittlerweile schon recht weit fortgeschritten: Beispielsweise lässt die norwegische Nachrichtenagentur "NTB" bereits automatisch erstellte Fußballspielberichte von einem "robot journalist" erstellen, die bereits 30 Sekunden nach Ende des Spiels vorliegen .
Damit stellt sich auch die Frage, in welcher Beziehung professioneller Journalismus (in Abb. unter dem Stichwort "Profession" zusammengefasst) zu diesen anderen Kommunikationstypen im Internet steht.
Unterscheiden lassen sich hierbei die Beziehungsdimensionen der:
Identität (d.h. die verschiedenen Kommunikationsformate erbringen aus Sicht der Nutzer identische, also austauschbare Leistungen),
Komplementarität (d.h. sich gegenseitig ergänzende Leistungen) und
Integration (d.h. sich gegenseitig durchdringende Formen).
Dass Partizipation und Technik den professionellen Journalismus überflüssig machen, steht bis auf Weiteres nicht zu befürchten. So machen journalistisch professionell produzierte Inhalte nach wie vor einen großen Teil der Verweise in sozialen Medien sowie der Suchmaschinentreffer aus. Sie erhalten damit auch im Internet viel Aufmerksamkeit. Allerdings ändern sich damit die Zugangswege zu journalistischen Inhalten: der häufigste Zugriff auf nachrichtlich Inhalte im Internet erfolgt über Suchmaschinen und gut 20 % geben an, über soziale Medien auf Artikel zu stoßen (s. Abbildung "Zugangswege zu Online-Nachrichten"):
In der Gruppe der 18- bis 24-Jähringen beziehen mittlerweile 21 % ihre Nachrichten ausschließlich über Quellen aus dem Internet (+7 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr) – 8 % von ihnen ausschließlich über soziale Medien (+ 4 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr).
Die Zahlen des Reuters Institute Digital News Survey 2016 für Deutschland machen ebenfalls deutlich, dass Onlinenutzer, die soziale Netzwerke wie Facebook als Quelle oder Zugangsweg für Nachrichten verwenden, hieran insbesondere die einfache Art schätzen, auf verschiedene Quellen zugreifen zu können (s. folgende Abb.):
Der Umstand, dass Menschen journalistische Inhalte zunehmend auch über soziale Medien beziehen, ist ein besonders gutes Beispiel für die oben in der Abbildung "Zugangswege zu Online-Nachrichten" dargestellten Beziehungen zwischen "Profession", "Partizipation" und "Technik": Wichtigster Distributionskanal für professionelle journalistische Inhalte in sozialen Medien ist für sehr viele Medien mittlerweile Facebook . Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang z.B. von einer "Kolonisierung des Journalismus" , da u.a. mit den von vielen Medien genutzten "Instant Articles" – gemeint ist die direkte Einbindung journalistischer Beiträge auf Facebook, d.h. Nutzer werden nicht mehr auf die Webseiten der jeweiligen Medien geleitet – der Journalismus "integraler Bestandteil von Facebook" werde.
Noch bedeutsamer erscheint, dass die Inhalte, die Facebook-Nutzer in ihrem individuellen Newsfeed angezeigt bekommen, mit Hilfe eines Algorithmus gesteuert werden . Dieser bestimmt, was relevant für den jeweiligen Nutzer ist, welche Facebook-Posts also besonders prominent oder auch gar nicht angezeigt werden. Die jüngste "Nachjustierung" des Facebook-Algorithmus sieht nach Angaben des Unternehmens vor, Postings von Freunden und Familienmitgliedern des jeweiligen Nutzers im Hinblick auf die Sichtbarkeit im Newsfeed zu bevorzugen . Professionelle Anbieter befürchten nun also, dass ihre Inhalte nun weniger Aufmerksamkeit erzielen und es zu einem Einbruch der Zugriffszahlen auf die eigenen Webseiten kommt . Das Beispiel verdeutlicht also, wie eng die Verschränkung von Journalismus, sozialen Medien bzw. Plattformanbietern und Technik – hier im Sinne von algorithmischer Informationsverarbeitung – mittlerweile ist .
Verschränkungen zwischen sozialen Medien und professionellem Journalismus
Zwischen sozialen Medien und professionellem Journalismus entstehen also vielfältige Verschränkungen :
Journalistische und nicht-journalistische Akteure beobachten sich gegenseitig und nutzen sich wechselseitig als Quellen. Einerseits erzeugen Medienthemen in Online-Communitys Anschlusskommunikation, werden dort diskutiert und weitergeführt. Andererseits werden aber auch eigenständige Inhalte produziert, die wiederum die Journalisten aufgreifen.
Im Zuge dieser Verschränkungen wandelt sich auch die Beziehung zwischen dem Journalismus und seinem Publikum. Das Publikum wird als Nutzer in und durch soziale Medien sichtbar(er), kommentiert journalistische Beiträge und beteiligt sich mitunter auch an journalistischer Aussagenentstehung. Dies ist z.B. bei der Wochenzeitung "Der Freitag" der Fall; hier werden Beiträge aus der "Freitag-Community" nicht nur regelmäßig auf der Website publiziert, sondern schaffen es mitunter auch in die Printausgabe .
Insgesamt nimmt also die Relevanz sozialer Medien für die alltägliche Arbeit von Journalistinnen und Journalisten kontinuierlich zu und sie werden in vielen Redaktionen zu unterschiedlichen Zwecken genutzt. Hierzu gehören z. B. :
die Recherche in nutzergenerierten Inhalten verschiedenster Art,
das Aufspüren von Augenzeugen und Experten,
die Verbreitung eigener journalistischer Beiträge über Netzwerkplattformen, inklusive des Monitorings (= systematische Erfassung) ihrer Nutzung,
die eigene, institutionelle und persönliche Interner Link: Social Media-Präsenz von Journalistinnen und Journalisten sowie
verschiedene Formen der Publikumsbeteiligung und -interaktion.
Für die Redaktionen bedeutet dies, dass sich nicht nur eine eigene Website betreiben, sondern auf verschiedenen sozialen Medien wie z. B. Facebook, Twitter oder Google+ präsent sein müssen (s. Tabelle "Social Media-Aktivitäten nach Anbietertyp").
Social Media-Aktivitäten nach Anbietertyp, März 2014
Angaben in %, Vollerhebung, Inhaltsanalyse, mindestens ein Account
Zum festen Bestandteil der meisten journalistischen Online-Medien gehören:
Facebook- und
Twitter-Accounts,
Möglichkeiten, journalistische Beiträge zu kommentieren, bewerten und weiterzuempfehlen,
Diskussionsforen oder auch
z. B. per E-Mail oder zunehmend auch per WhatsApp mit der Redaktion bzw. Redaktionsmitgliedern in Kontakt zu treten.
Dabei lässt sich in den letzten Jahren eine kontinuierliche Vervielfältigung der Plattformen und Kanäle feststellen, auf denen Journalistinnen und Journalisten versuchen, ihr Publikum zu erreichen – etwa auch über WhatsApp, Periscope oder Snapchat. Diese zunehmende 'Vielkanaligkeit' wird vor allem mit Blick auf den amerikanischen Journalismus deutlich: In einer Studie des Tow Centers an der Columbia School of Journalism wurde für insgesamt neuen Medienmarken erhoben, über welche Plattformen sie ihre Inhalte verbreiten; die Abbildung "Präsenz journalistischer Medien auf Plattformen im Internet" verdeutlicht, dass dies in den meisten Fällten deutlich über 14 Plattformen sind.
Die Präsenz auf all diesen verschiedenen Kanälen und Plattformen nimmt – mehr oder weniger sichtbar – Einfluss auf die journalistische Aussagenentstehung und Berichterstattung, d.h. auf:
Recherche,
Themenfindung,
Präsentationsformen,
Darstellungsweisen,
Anschlusskommunikation und
Interaktion mit dem Publikum.
Der Journalismus erweitert also sein massenmedial geprägtes Medienensemble für die Produktion und Distribution von Inhalten immer mehr um immer vielfältigere soziale Medien, die wiederum auch andere Formen der Kommunikation im Austausch mit dem Publikum mit sich bringen.
Publikumsbeteiligung im Journalismus und ihr Einfluss auf die Berichterstattung
An Publikumsbeteiligung im Journalismus sind hohe, bisweilen widersprüchliche Erwartungen geknüpft: Den einen gilt sie vor allem als Mittel der (ökonomisch motivierten) Publikumsbindung, den anderen als Chance, endlich die Demokratisierungs- und Partizipationsversprechen des Internets einzulösen und öffentlichen Diskursen zu mehr Vielfalt zu verhelfen. Gerade in den letzten Jahren hat sich aber noch eine weitere Perspektive herauskristallisiert, die auf die auch dysfunktionalen Folgen von Publikumsbeteiligung in Form von "Hasskommentaren" und "Cyber-Propaganda" aufmerksam macht und die zunehmend öffentlich diskutiert werden . Diese Entwicklungen werden in verschiedenen journalistischen Redaktionen mittlerweile auch zum Anlass genommen, Kommentarfunktionen auf den eigenen Websites z. T. deutlich einzuschränken oder gar ganz abzuschalten .
Zwar sind weder Interner Link: User Generated Content noch "Partizipation im Journalismus" originäre Phänomene des Web 2.0, sondern haben vielfältige (historische) Vorläufer und Pendants in klassischen Medien (z. B. die Lesermitarbeit in Heimatzeitungen, den klassischen Leserbrief, das Zuschauer- bzw. Hörertelefon ). Unter den skizzierten gewandelten Kommunikationsbedingungen lässt sich aber ohne Übertreibung durchaus von einer "(Wieder-)Entdeckung des Publikums" (auch) durch den Journalismus sprechen. Dies zeigen die vielfältigen Formen, wie der professionelle Journalismus sein Publikum einbezieht. Denn mittlerweile wird insbesondere im Rahmen journalistischer Online-Angebote eine breite Palette partizipativer Formate und Elemente integriert. Sie lassen sich nach der jeweils erlaubten Interaktions- bzw. Gestaltungstiefe unterscheiden :
InfoboxJournalistische Online-Angebote
Formate und Elemente der Publikumsbeteiligung Teilhabe online sind:
die traditionell etablierte Möglichkeit des Leserbriefs/der E-Mail,
die Kommentierung und Bewertung journalistischer Beiträge,
die Mitwirkung an unterschiedlichen Phasen des journalistischen Produktionsprozesses (z. B. bei der Recherche und Themenfindung)
Bereiche für die Veröffentlichung von eigenen Nutzerinhalten (z. B. in Form von eigenen Beiträgen oder Fotos). Diese können dann wiederum auf verschiedene Weise in das journalistische Angebot integriert werden (wie z. B. bei der "View Fotocommunity" von Externer Link: stern.de).
Derartige Formen der Publikumsbeteiligung und -interaktion erfordern entsprechend angepasste Arbeitsroutinen. Mit diesem Erfordernis gehen Redaktionen ganz unterschiedlich um, sodass sich verschiedene Strategien der Publikumsbeteiligung beobachten lassen. Neuere journalistische Start-ups wie beispielsweise die "Krautreporter" beziehen ihr Publikum häufig auf sehr viel vielfältigere Weise in die journalistische Arbeit ein als dies in vielen etablierten Redaktionen der Fall ist.
Ein Beispiel für die Beteiligung der Nutzer am redaktionellen Produktionsprozess stellt das sogenannte Interner Link: Crowdsourcing da. Als Paradebeispiel für die Möglichkeiten des Crowdsourcing im Journalismus gilt noch immer eine Aktion der britischen Zeitung Externer Link: The Guardian, die 2009 ihre Leser aufforderte, mehr als 450.000 Ausgabenbelege britischer Unterhausabgeordneter zu analysieren, um auf diese Weise Spesenbetrug aufzudecken . In Deutschland wurde Crowdsourcing vor allem durch das Externer Link: GuttenPlag Wiki zum Thema: 2011 hatte eine Vielzahl von Nutzern die Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg, dem damaligen Bundesminister der Verteidigung, nach plagiierten Stellen durchsucht. Diese Aktion ging nicht auf eine Initiative aus dem Journalismus zurück, die klassischen Medien nahmen die Ergebnisse aber auf und sorgten für die weite Verbreitung der Prüfergebnisse .
Insgesamt lassen sich für den Journalismus unterschiedliche Möglichkeiten des "Crowdsourcing" unterscheiden :
Die "Crowd" steuert Informationen, Daten, Kommentare zu journalistischen Beiträgen bei.
Die "Crowd" wird z. B. über soziale Netzwerke im Rahmen von Recherchen befragt bzw. um Unterstützung gebeten.
Die "Crowd" analysiert Daten oder Dokumente im Hinblick auf eine von Journalisten vorgegebene Fragestellung.
Zunehmende Bedeutung kommt auch dem "Crowdfunding" zu, bei dem Nutzerinnen und Nutzer z. T. bereits vor dem Zustandekommen journalistischer Angebote in finanzielle Vorleistung gehen, um journalistische Projekte überhaupt erst zu ermöglichen .
"Big Data" und die Entwicklung des Daten-Journalismus
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Die Entwicklung des Crowdsourcing ist eng verbunden mit den Herausforderungen des Journalismus, die mit der Verfügbarkeit großer Datenmengen im Internet (Interner Link: Big Data) und ihrer Verwertbarkeit verbunden sind. Es sind dies zum einen die Daten, die bei der Internetnutzung als "digitale Spuren" quasi automatisch anfallen, zum anderen all die vielfältigen Daten, die im Internet publiziert werden (z. B. in sozialen Netzwerken, im Rahmen von Interner Link: Open Data-Initiativen, Veröffentlichung geheimer Daten z. B. über Externer Link: WikiLeaks).
Für den Journalismus sind "Big Data" und eine zunehmend datengetriebene Gesellschaft doppelt relevant: Zum einen stehen hinter dieser Entwicklung Themen wie "Datensicherheit" und "Schutz von Persönlichkeitsrechten", die gesellschaftlich relevante Berichterstattungsgegenstände für den Journalismus darstellen. Zum anderen betrifft die zunehmende Verfügbarkeit von Daten den Journalismus und seine Arbeitsroutinen selbst. So hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr ein Interner Link: Datenjournalismus entwickelt, der Daten sammelt, prüft, auswertet, interpretiert und visualisiert. Wenn man so will, lässt sich die Entstehung des Datenjournalismus als die Antwort des Journalismus auf die zunehmende "Datafizierung" unserer Gesellschaft verstehen: Es entwickeln sich neuartige Formen, Geschichten (in Daten) zu identifizieren und (mit Daten) zu erzählen. Als Durchbruch des Datenjournalismus wird vielfach die Veröffentlichung der Afghanistan-Kriegstagebücher im Juli 2010 datiert; damals hatten Der Spiegel, The Guardian, The New York Times und Al Jazeera an die 400.000 Datensätze mit verschiedenen Mitteln aufbereitet .
InfoboxDatenjournalismus
Datenjournalismus stellt besondere Anforderungen
an die Rationalisierung informationsverarbeitender Prozesse (z. B. Recherche in und Auswertung von großen Datenbeständen) sowie
an die Entwicklung und Präsentation von datenbasierten Geschichten (Aufbereitung, Visualisierung).
Vielen gilt der Datenjournalismus als die Zukunft der Berichterstattung und als "ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal für Onlinejournalismus" . Kennzeichnend für die datenjournalistische Berichterstattung ist, dass Datenbestände im Hinblick auf ein bestimmtes Erkenntnis- bzw. Berichterstattungsinteresse ausgewertet werden . Der Datenjournalismus entwickelt sich zunehmend in Richtung eines eigenen Berichterstattungsmusters mit online-spezifischen Darstellungsformen.
Hierfür steht z. B. das datenjournalistischen Projekts "Verräterisches Handy: Was Vorratsdaten über uns verraten" von Externer Link: ZEIT Online aus dem Jahr 2011, was aber kaum an Aktualität eingebüßt hat: Der Grünen-Politiker Malte Spitz hatte dafür sechs Monate lang seine Vorratsdaten zur Verfügung gestellt, die bei seinem Telefonanbieter über ihn gespeichert wurden. Verknüpft wurden diese Geodaten mit frei im Netz verfügbaren Informationen aus Twitter und Blogeinträgen. Dies bildete die Grundlage für eine interaktive Karte, auf der seine Bewegungen in dieser Zeit nachvollziehbar gemacht wurden. Das Stück, das also ein datenkritisches Thema mit Mitteln des Datenjournalismus behandelt.
QuellentextGrimme Online Award - Begründung der Jury
Daten sind Schätze, die noch zum Glänzen gebracht werden müssen – deshalb machen sich viele Journalisten erst gar nicht auf die Suche. Das Interaktiv-Team der Morgenpost dagegen hat mit großer Kontinuität diese Disziplin zu einer eigenen Klasse entwickelt und damit die eigene Zeitung zum Strahlen gebracht.
Nicht nur der Lokaljournalismus wird so bereichert und auf eine andere Stufe gebracht. Fantasievoll und leidenschaftlich greift das Team um Julius Tröger aktuelle, relevante und lebensnahe Themen auf, sucht nach der passenden Datengrundlage und einer überzeugenden grafischen Darstellungsform – mit immer wieder verblüffenden Ergebnissen.
Die Leser werden unmittelbar einbezogen, etwa wenn sie im "Zugezogenen-Atlas" nachschauen können, wie viele Berliner aus derselben Heimatgemeinde stammen wie sie. Oder wenn sie vor dem Hintergrund des Fahrrad-Volksentscheids in die Lage versetzt werden, schnell mal zu überprüfen, wie viel Prozent der von ihnen genutzten Straßen tatsächlich mit einem Radweg ausgestattet sind. Auch wie laut ihr Viertel im Vergleich zu anderen ist, in welchem Bezirk wie oft umgezogen wird, wie an jedem Tag im Jahr der Himmel über Berlin ausgesehen hat, wie dramatisch sich die Stadt architektonisch verändert: Das Interaktiv-Team wertet die Datengrundlage aus und visualisiert sie in leicht zugänglicher, immer wieder neu anregender Weise. Mit der gelungenen Integration des Datenjournalismus ist der Berliner Morgenpost ein vorbildliches, interdisziplinäres Projekt mit Signalwirkung gelungen.
Ein Scoop, der für besonderes Aufsehen gesorgt hat, waren 2016 aber zweifelsfrei die "Panama Papers". Das sind interne Dokumente der panamaischen Kanzlei Mossack Fonesca, die Einblicke in hunderttausende Briefkastenfirmen erlauben, die u. a. für Zwecke der Steuervermeidung, aber auch der Steuerhinterziehung gegründet worden sein sollen . Die 2,6 Terabyte Daten, die der Süddeutschen Zeitung von einer geheimen Quelle übermittelt worden waren, gelten als das größte Daten-Leak, "mit dem Journalisten je gearbeitet haben" . Die Auswertung der Dokumente erfolgte schließlich in einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von über 370 Journalisten von über 100 Medienorganisationen; das Projekt wurde als "Investigation of the Year" mit dem "Data Journalism Award 2016" ausgezeichnet .
Da der Umgang mit Daten für Journalistinnen und Journalisten immer wichtiger wird, lässt sich zum einen beobachten, dass mittlerweile in vielen Redaktionen mit Formen des Datenjournalismus gearbeitet wird und es immer mehr Tools gibt (wie z. B. "Datawrapper", Externer Link: https://datawrapper.de), die sie hierbei unterstützen, es also in gewisser Weise zu einer "Veralltäglichung" des Datenjournalismus kommt. Zum anderen zeigt sich mit Blick auf die Projekte, die jährlich für den "Data Journalism Award" des "Global Editors Network" nominiert werden, dass datenjournalistische Projekte immer komplexer werden und die Zusammenarbeit von Spezialisten in Teams erforderlich machen .
Konvergenz zwischen sozialen Medien und dem Fernsehen: "Second Screen", "Social TV" und neue Formate
Ein Großteil der aktuellen Diskussionen und auch der Forschung rund um den Journalismus und journalistische Berichterstattung bezieht sich auf das Internet und insbesondere soziale Medien. Über die Online-Angebote – insbesondere über die Ableger von klassischen Print- und TV-Angeboten – erreichen die gewandelten Formen der Publikumsbeteiligung und Darstellungsformen aber auch die klassischen Medien.
Dies zeigt sich auch an den sich wandelnden Mediennutzungspraktiken. So nimmt zum Beispiel die Häufigkeit der Parallelnutzung von Fernsehen und Internet laut der ARD/ZDF-Onlinestudien tendenziell zu: 2015 waren es 19 % der Befragten, die angegeben haben, täglich Fernsehen und Internet gleichzeitig zu nutzen; in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen war es sogar nahezu ein Viertel (s. Tabelle "Häufigkeit der Parallelnutzung von Fernsehen und Internet 2013 bis 2015").
Häufigkeit der Parallelnutzung von Fernsehen und Internet 2013 bis 2015
in %
ab 14 Jahre
14-29 Jahre
2013
2014
2015
2013
2014
2015
zumindest selten
46
51
55
66
69
68
zumindest wöchentlich
31
36
43
52
55
56
täglich
11
14
19
18
20
24
Tabellenbeschreibung
Basis: Deutschsprachige Onlinenutzer ab 14 Jahren (2015: n=1.432; 2014: n=1.343; 2013: n=1.389).http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=520
Quelle: ARD/ZDF-Onlinestudie 2013-2015,
Diese Parallelnutzung von Fernsehen und Internet wird im Allgemeinen unter dem Schlagwort Second Screen verstanden, während mit Social TV konkreter "die Verbindung sozialer Online-Medien mit der Ausstrahlung von meist linearen Fernsehinhalten" bezeichnet wird . Bei "Social TV" geht es also konkret um die Vernetzung bzw. die gleichzeitige Nutzung von Fernsehangeboten und sozialen Netzwerken wie etwa Twitter und Facebook – wobei die Kombinationsmöglichkeiten vielfältig sind, wie die folgenden Szenarien, die im Jahr 2014 abgefragt wurden, verdeutlichen:
Szenarien der Parallelnutzung von TV und Internet:
Es schauen 51 % fern und sind gelegentlich parallel, also gleichzeitig, im Internet mit etwas anderem beschäftigt.
Es tauschen sich 12 % gelegentlich parallel zur Sendung in einer Community über die Sendung aus.
Es kommentieren 6 % gelegentlich sendungsbegleitend auf der Internetseite der entsprechenden Sendung.
Es sehen 5 % gelegentlich eine Fernsehsendung und kommentieren etwas zu dieser Sendung auf der Facebook- oder Twitterseite der Fernsehsendung.
Es beteiligen sich 7 % gelegentlich während einer Fernsehsendung online an einer Abstimmung zu einem Thema dieser Sendung.
Es diskutieren 2 % gelegentlich während einer Fernsehsendung online mit Machern, Gästen oder Experten aus dieser Sendung.
Es nutzen 2 % gelegentlich spezielle Zusatz-Apps wie ProSieben Connect oder RTL inside parallel zur Sendung.
3 % geben an, Fernsehen und Internet nicht zu nutzen.
Prominentes Beispiel für "Social TV" ist in Deutschland der "Tatort", zu dem sich regelmäßig tausende Nutzer sonntags parallel zur Ausstrahlung unter dem Hashtag #tatort auf Twitter austauschen. Laut der Jahresauswertung 2015 des "Social TV Buzz", für den von der Mediaagentur "MediaCom" regelmäßig Tweets und Faceook-Posts zu TV-Sendungen in Deutschland erhoben werden, ist der Tatort das meistkommentierteste TV-Format. Aber auch insgesamt sei 2015 auf Facebook und Twitter "so viel wie nie" über das Fernsehen in Deutschland debattiert worden: Im Hinblick auf die Anzahl der ermittelten Postings (Mitteilungen, Beiträge) geht man von einem Zuwachs von 74 % gegenüber 2014 aus .
Neuere Formate wie zum Beispiel das seit 2015 existierende Nachtichtenformat "heute+" des ZDF verdeutlichen, wie in TV-Formaten soziale Medien nicht nur zur Verbreitung eigener Inhalte genutzt werden, sondern das ganze Konzept prägen und auf "crossmediale Vernetzung und Dialog" mit dem Publikum ausgelegt sind. Die Kopplung an das Fernsehen wird dabei aufgehoben. Vielmehr werden einzelne Inhalte schon vor der Ausstrahlung im TV online und über soziale Medien (Facebook, Twitter, Periscope) verbreitet. Beim ZDF verbindet man damit die Hoffnung, auf diesem Wege eine "jüngere Zielgruppe […] für die Nachrichten der 'heute'-Familie" zu gewinnen. Dies verdeutlicht, dass die online getriebenen (technologischen) Entwicklungen auch erhebliche Rückwirkungen auf das Fernsehen und den Fernsehjournalismus haben, da sich digitale Medien auch auf die Verwendungsweisen alter Medien auswirken – und schließlich auch journalistische Berichterstattung und Formate beeinflussen.
Aber nicht nur in neueren Sendungen, sondern auch in traditionellen TV-Formaten wie beispielsweise der "Tagesschau" oder in Talkshows finden sich zunehmend Formen von nutzergenerierten Inhalten. Bei der "Tagesschau" sind dies z. B. YouTube-Videos aus Krisengebieten, die von Social Media-Redakteuren recherchiert und geprüft werden . Bei Fernseh-Talkshows gehören wiederum Diskussionsforen auf den zugehörigen Sendungswebseiten längst zum Standard; mitunter werden sie als Quelle für Themenanregungen oder für Fragen, die mitunter in der Sendung vorgelesen werden, genommen .
So werden denn auch Aufrufe zu Diskussion und Chats, die in verschiedenen TV-Sendungen z. B. in Form Einblendungen von Internetaderessen oder Twitter-Hashtags vorkommen, von über der Hälfte der deutschen Internetnutzer wahrgenommen; am häufigsten ist dies bei Talkshows der Fall (s. Tabelle "Wahrnehmung von Aufrufen zu Diskussionen und Chats bei Fernsehsendungen 2015"):
Wahrnehmung von Aufrufen zu Diskussionen und Chats bei Fernsehsendungen 2015
Nennungen ab 1 %
Onliner (gesamt)
Ja, und zwar bei...
54
Talkshows
16
Unterhaltungsshows
14
Politischen Magazinen
12
Sportübertragungen
8
Fernsehfilmen/Serien
8
Nachrichten
1
Nein
46
Tabellenbeschreibung
Basis: Deutschsprachige Onlinenutzer ab 14 Jahren (n=1.432).
Allerdings geben lediglich 2 % der Internetnutzer an, sich tatsächlich bereits auch aktiv an derartigen Diskussionen oder Chats zu Fernsehsendungen beteiligt zu haben . Es ist also nur ein kleiner Teil der TV-Zuschauer, der sich auf diese Art und Weise einbringen möchte.
Ausblick: Vervielfältigung der Kanäle, Big Data und Algorithmen
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Die gewandelte Medienumgebung führt zu grundlegenden Veränderungen der Medienproduktion und Mediennutzung. Und so wandelt sich auch der Journalismus mit der Medienumgebung in der er operiert. Heute entsteht Journalismus nicht mehr allein unter den Bedingungen von Massenmedien und Massenkommunikation, sondern zunehmend auch unter den (Kommunikations-)Bedingungen von sozialen Medien und Plattformanbietern wie Facebook. Journalismus aber nur als Getriebenen dieses Wandels zu sehen, wäre verkürzt, denn er treibt ihn auch selbst voran: Wenn Redaktionen sich zum Beispiel entscheiden, ihre Inhalte auch über WhatsApp oder Snapchat zu verbreiten und auf diesen Kanälen mit Teilen ihres Publikums in Kontakt zu treten, dann trägt dies auch zur "Mainstreamisierung" dieser Angebote bei – und zur Erweiterung der kommunikativen Optionen zwischen Journalismus und seinem Publikum.
Dabei gehörte die ‚medienneutrale Redaktion‘ und die Idee, digitalisierte Inhalte über beliebig viele Kanäle ausspielen zu können sicher eher zu den ‚Verheißungen‘ und Rationalisierungsversprechen der Digitalisierung . Mittlerweile ist jedoch deutlich geworden, dass der Journalismus eher mit einer fortlaufenden Vervielfältigung und Differenzierung von Medienkanälen und Plattformen, die für die Produktion, Nutzung und Distribution von journalistischen Inhalten genutzt werden, umgehen muss.
Jeder dieser Kanäle steht aus Sicht des Journalismus aber auch für ein neues bzw. erweitertes Publikumssegment (z. B. die Leser des Printprodukts, die Nutzer der Website, die Follower auf Twitter etc.), die – je nach Medienmarke, um die herum sich diese bilden – mehr oder weniger überschneidungsfrei sein können. Das heißt auch, dass Journalistinnen und Journalisten zunehmend weniger mit der Referenzgröße "Publikum" arbeiten können, sondern vielmehr mit multiplen Publika, die sie zudem noch unterscheiden im Hinblick auf ihre Partizipationspraktiken und –wünsche – d. h. es gibt den passiven Zuschauer ebenso wie die aktiv kommentierende Facebook-Nutzerin, den Leserbriefschreiber und den Follower auf Twitter .
Dies verdeutlicht auch, dass technologische Entwicklung prägendes Element journalistischer Arbeitsprozesse ist. Dies betrifft alle Phasen der Aussagenentstehung – von der Recherche über die Darstellung und Verbreitung von Inhalten bis hin zur Interaktion mit dem Publikum. So haben sich denn auch die Folgen technischer Innovationen immer wieder als zentral für die Veränderung von Arbeitsabläufen, Darstellungsformen und Berufsrollen herausgestellt. Deshalb führen neue Technologieschübe auch regelmäßig zu Diskussionen über neue Kompetenzanforderungen an Journalistinnen und Journalisten, wie sich dies etwa anhand des Datenjournalismus verdeutlichen lässt. So bietet z. B. die renommierte Externer Link: Columbia Journalism School in New York City seit einigen Jahren einen Master-Studiengang an, der Journalismus und Informatik kombiniert, um angehende Journalistinnen und Journalisten auf die besonderen Herausforderungen des Digitalen Journalismus, auf den Umgang mit Big Data und Algorithmen vorzubereiten.
"Big Data" und "Algorithmen" sind derzeit zentrale Schlüsselthemen für den Journalismus und mindestens in dreifacher Hinsicht relevant:
als Berichterstattungsgegenstände, die in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erfahren haben und praktisch in allen Ressorts zum Thema gemacht werden,
als Phänomene, die den Journalismus und seine Arbeitsweisen selbst nachhaltig betreffen
und vor allem auch im Hinblick auf (Konkurrenz durch) journalismusähnliche Leistungen nicht-journalistischer Dienste und Anbieter wie Suchmaschinen und soziale Netzwerke, die Teil der tiefgreifenden Veränderungen der kommunikativen Grundlagen unserer Gesellschaft sind.
Priv.-Doz. Dr. Wiebke Loosen arbeitet als Senior Researcherin am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. Die Schwerpunkte ihrer Forschung liegen in den Bereichen Journalismusforschung, Online-Kommunikation und Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts beschäftigt sie sich derzeit insbesondere mit Formen der Publikumsbeteiligung im Journalismus. Sie studierte Kommunikationswissenschaft und habilitierte sich in diesem Fach 2010 am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Hamburg.
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