Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen ist eine Herausforderung für Journalisten: Es gibt eine Informationspflicht, aber die Opfer müssen vor Voyeurismus geschützt werden. Wie kann die Frage nach der "richtigen" Bildberichterstattung beantwortet werden?
"Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden." (Pressekodex des Deutschen Presserats / Richtlinie 11.3 – Unglücksfälle und Katastrophen siehe auch Presserat rügt Veröffentlichungen von Fotos – Schwere Verstöße gegen Opferschutz)
Katastrophen gehören zum Alltag des Nachrichtengeschäfts: Der Tsunami in Südostasien im Dezember 2004, der Hurrikan Katrina in New Orleans im Sommer 2005, das Erdbeben in Haiti im Januar 2010 oder der Tsunami in Japan und die anschließende Havarie des Atomkraftwerks in Fukushima im März 2011 – sie alle haben die Welt in Atem gehalten und die Menschen bewegt, vor allem durch die Fotos und TV-Bilder, die Medien produzieren, wenn sie über Katastrophen (teilweise live) berichten. Aber welche Motive von Gewalt und Zerstörung wählen Zeitungen und Magazine für die Bebilderung aus? Welche Einstellungen von Leid und Elend lassen Fernsehredakteure über ihre Sender gehen? Und wie gehen seriöse Medien mit den Bildern einer Katastrophe um?
Bilder halten fest: Welchen Wert haben Bilder von Katastrophen?
Dr. Guido Zurstiege, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, sagt dazu:
QuellentextEin gutes Bild dokumentiert
Ein gutes Bild dokumentiert. Zugleich leugnet es nicht, dass es von einem bestimmten Standpunkt aus geschossen wurde. Ein gutes Bild bewegt seinen Betrachter, betreibt dabei aber keine Effekthascherei. Es respektiert die Rechte der abgebildeten Personen.
Quelle: Prof. Dr. Guido Zurstiege
Für Harald Menk, Bildredakteur für die Ressorts Ausland und Reportage beim Hamburger Nachrichtenmagazin Stern, müsse ein "gutes" Bild einer Katastrophe die Leserinnen und Leser bewegen. Dafür brauche es eine gewisse Dramatik sowie Nähe und Unmittelbarkeit, um Emotionen wecken zu können. "Auch nach vielen Jahren zucken wir in der Bildredaktion oft zusammen, wenn wir sagen: 'Das ist ein gutes Foto' und du siehst nur Tod und Verwüstung." Das passiere besonders nach Katastrophen und während Kriegen.
Steffen Haug, Chefredakteur von SPIEGEL TV und Leiter Bewegtbild bei SPIEGEL Online, findet, dass es bei Zerstörungen eigentlich nichts gibt, was lieber nicht gezeigt werden sollte. Anders sei das bei Toten:
QuellentextNicht einfach nur bebildern
Ich bin der Meinung, dass man immer auch zeigen muss, dass in Kriegen oder bei Katastrophen gestorben wird. Aber die Bilder dürfen nicht ästhetisierend sein, sie müssen eingebunden sein, nicht einfach nur bebildern, sondern etwas erklären.
Quelle: Steffen Haug
Dr. Liane Rothenberger, Kommunikationswissenschaftlerin und Mitglied in der internationalen Forschungsgruppe Krisenkommunikation an der TU Ilmenau, unterstreicht diese Forderung. Fotografen, Kameraleute und Redakteure sollten sich immer bewusst sein, dass das Visuelle bei den meisten Menschen als die Realität wahrgenommen wird:
QuellentextVisuelles und Realität
Es gibt ein Urvertrauen in die Bilder. Seit in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Autorität des Reporters aufgesprengt wurde, seine Augenscheinberichte allein nicht mehr reichten und die Fotografie die Funktion des Beweises übernommen hat, ist für die meisten Leser und Zuschauer ein Bild die Wirklichkeit.
Quelle: Dr. Liane Rothenberger
Dass auch Bilder subjektive Ausschnitte der Realität sind, sei den meisten Menschen nicht bewusst. Je subjektiver Bilder seien, als desto authentischer würden sie gelten, sagt Rothenberger und bezieht sich dabei beispielsweise auf verwackelte Bilder, die über Helmkameras von Soldaten in Kriegen aufgenommen wurden. Es sei daher wichtig, dass Redakteure Bilder immer einordnen, durch Bildunterschriften oder durch Informationen im begleitenden Text: "Die Wolke über dem Atomkraftwerk in Fukushima mag ein starkes Bild sein, aber was bedeutet sie? Hat es eine Kernschmelze gegeben? Wie hoch ist die Radioaktivität? Wie groß die Gefahr?"
Bilder erzählen: Die Bedeutung der Live-Berichterstattung
Daneben fordert die Wissenschaftlerin mehr Bescheidenheit und Ehrlichkeit von den Medienleuten in ihrer alltäglichen Arbeit: "Eigentlich müssten Reporter und Redakteure viel öfter den Satz sagen: 'Ich stehe hier, sehe nur einen kleinen Ausschnitt und kann das Ereignis daher gar nicht genau einordnen.'" Das gelte vor allem für die Live-Berichterstattung des Fernsehens: "Live-Berichte holen Katastrophen direkt in das Wohnzimmer ohne zeitliche Distanz zum Geschehen und oft auch ohne genügend Zeit für Recherche."
Die Frage, vor der eine Redakteurin und ein Redakteur immer stehe, lautet: "Was muss ich senden? Was soll ich den Zuschauern besser nicht zumuten?", sagt Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-Aktuell und somit auch der "Tagesschau" und der "Tagesthemen". Das gelte in besonderem Maße für die Live-Berichterstattung, die man in besonderem Maße versuche, vorzuplanen: "Wir versuchen dabei sehr genau zu sein, trotz der Hektik und Unübersichtlichkeit, die zu der Arbeit in solchen Ausnahmesituationen gehört. Wir wollen keine Sensationsgier befriedigen und uns an dem orientieren, was wir wissen, und dazu gehört, dass wir auch auf spektakuläre und exklusive Bilder verzichten, wenn sie zu grausam oder zu monströs sind."
Für Steffen Haug (SPIEGEL TV / SPIEGEL Online) liegt die Stärke des Bewegtbildes in allererster Linie in seinem Live-Charakter. Gerade solche Bilder würden oft zu Interner Link: Bild-Ikonen, die immer wieder gezeigt werden und die fast jeder kennt: "2011 waren die Einstellungen des weggesprengten Daches im havarierten Atomkraftwerk in Fukushima die weltweit meist ausgestrahlten TV-Minuten und auch auf SPIEGEL Online wurde kein anderes Video so häufig angeklickt."
Unter dem Einfluss der Interner Link: digitalen Medien habe sich in den vergangenen Jahren die Reichweite des Aktualitätsbegriffs ganz klar ausgeweitet, erläutert Guido Zurstiege (Universität Tübingen): "Facebook, YouTube, Twitter – sie alle ermöglichen, dass wir bei immer mehr Ereignissen quasi live dabei sein können." Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hätten die klassischen Interner Link: Massenmedien wie Fernsehen und Radio mit der Ausweitung ihrer Live-Berichterstattung reagiert, um konkurrenzfähig zu bleiben. Zugleich hätten sie aber auch eine ihrer großen Stärken weiter ausgebaut und konzentrierten sich auf die Kontextualisierung und Einordnung dessen, was wir live beobachten können. "Was sich hier andeutet, könnte sich zu einer medialen Aufgabenteilung entwickeln in digitale Aufmerksamkeit und analoge Vertiefung", glaubt Zurstiege.
Bilder schockieren: Was wir nicht sehen
Werden die Zuschauer durch die digitale Bilderflut immer abgebrühter? Müssen Medienmacher immer mehr zeigen, weil sich die Grenze des Zeigbaren durch das Internet ins Voyeuristische verschoben hat? So pauschal könne man das sicherlich nicht behaupten, findet Guido Zurstiege. Aber der Medienwissenschaftler sieht die Gefahr, dass Journalisten immer abgebrühter würden und stärker auf voyeuristische Elemente setzten, angesichts des gestiegenen Wettbewerbs auf den Medienmärkten. Das gelte nicht nur für die oft kritisierten Boulevardformate im Fernsehen oder Printgeschäft.
Er glaube dagegen nicht, dass durch das Internet bei klassischen Medien Schranken gefallen sind, sagt Steffen Haug. "Sie können im Netz zum Beispiel Handyfilme zur Love-Parade-Katastrophe in Duisburg finden, die ich nie zeigen würde, obwohl wir dazu viel gesendet haben. Wir haben damals über jede Einstellung lange debattiert und viel einfach weggelassen." Bei Kriegen und Katastrophen spiele zwar oft Bildmaterial aus den sozialen Medien und Videoportalen wie YouTube eine Rolle. Dieser Ursprung würde aber immer kenntlich gemacht, da man nicht wisse, wie vertraulich und verlässlich die Quellen seien. "Ich würde die Bilder eines Agenturkameramannes immer vorziehen", erklärt Haug, der trotz der vermeintlichen Konkurrenz aus dem Internet vielmehr eine gegensätzliche Entwicklung sieht: "Heute werden viele Dinge nicht mehr gezeigt, die früher über die Sender gegangen wären."
Auch Harald Menk (Stern) ist nicht der Meinung, dass durch das Internet mit seinem scheinbar unendlichen Reservoir an verstörenden Bildern die Printmedien skrupelloser und sensationsgieriger geworden sind: "Da ist wenig in die Zeitungen und Magazine geschwappt." Es sei vielmehr so, dass Printmedien in der Vergangenheit viel grausamere Bilder von Kriegen und Katastrophen gedruckt hätten. "Was es früher für Bilder aus dem Vietnamkrieg oder von Dürrekatastrophen in Afrika gegeben hat, wäre heute unvorstellbar." Der Bildredakteur vermutet, dass es im Umgang mit der Fotografie so etwas wie eine Lernkurve gegeben habe:
QuellentextLernkurve im Umgang mit der Fotografie
Gerade in den 60er und 70er Jahren haben Chefredakteure und Art-Direktoren, Fotografen und Bildredakteure viel ausprobiert. Heute ist es dagegen in der Gesellschaft Common Sense, dass man zum Beispiel Sterbende nicht zeigen muss und vielleicht auch nicht sehen will.
Quelle: Harald Menk
Tatsächlich zeigt eine aktuelle und viel beachtete empirische Studie des Wissenschaftlers Folker Hanusch von der University of the Sunshine Coast in Australien, dass Tote in Zeitungen nur selten abgebildet werden. Hanusch untersuchte die Bildberichterstattung über das Erdbeben in Haiti 2010 in 30 Qualitätszeitungen in 15 Ländern. Nur auf 8,3 % der Bilder waren Tote zu sehen. In den europäischen und amerikanischen Zeitungen wurden auch kaum Blutende oder Schwerverletzte gezeigt, wohl in erster Linie, weil die Leserinnen und Leser nach Auskunft der Zeitungsmacher solche Bilder nicht sehen wollten, wie Hanusch schreibt. Dabei war in katholisch geprägten Ländern der Anteil Toter etwas höher als in evangelisch geprägten. Hanusch vermutet, dass die größere Bildernähe im Katholizismus hier eine Rolle spiele. In Ländern, in denen Gewalt und Tod eher zum Alltag gehören – wie in Mexiko oder Südafrika – waren die Redakteure außerdem eher bereit, die Toten aus Haiti auf die Seiten zu stellen. Irgendeinen Einfluss des Internets auf die Auswahl der Bilder in den Zeitungen konnte Hanusch nicht erkennen.
Bilder erschüttern: Wer entscheidet, was wir sehen?
"Wir haben keine internen Regeln, die darüber entscheiden, was wir drucken und was wir nicht drucken", sagt Harald Menk. Die tägliche Arbeit mit hunderten Bildern forme einen Erfahrungshorizont, sensibilisiere das Schamgefühl, glaubt der Stern-Bildredakteur.
Wo die Grenze des Zumutbaren liegt, sei immer wieder Gegenstand von Diskussionen, denn natürlich gehörten auch grausame Bilder dazu. Sie seien gleichfalls Ausschnitte der Realität. Es käme immer auf den Zusammenhang an: "Wir haben vor kurzem heftige Diskussionen gehabt, ob wir die Bilder einer Hinrichtung in Syrien drucken sollen, und uns schließlich dagegen entschieden, sie waren uns zu brutal. Außerdem war nicht ganz klar, welche Rolle die Fotografin gespielt hat. Wir konnten nicht ausschließen, dass die Anwesenheit der Fotografin die Situation beeinflusst, im schlimmsten Fall sogar heraufbeschworen hat." Umgekehrt wirke die Anwesenheit von Medienvertretern aber auch oft deeskalierend.
Auch bei der "Tagesschau" oder den "Tagesthemen" gebe es keinen internen Leitfaden in dem Sinne, das beschrieben werde "Offene Wunden ja, abgerissene Gliedmaßen nein", erklärt Kai Gniffke:
Wir orientieren uns am Pressekodex, der besagt, dass die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen findet. Wir zeigen keine Sterbenden und auch keine entwürdigenden Bilder. Wir entscheiden von Fall zu Fall, wie lange wir schlimme Bilder stehen lassen, wann wir dem Draufhalten eine totalere Perspektive vorziehen.
Quelle: Kai Gniffke
Ein guter Kameramann könne zudem auch durch vermeintlich zurückhaltende Bilder das Schockierende eines Ereignisses wie das eines Erdbebens oder eines Tsunamis einfangen. "Er muss nicht die offene Wunde, den abgerissenen Arm zeigen, sondern vielleicht das vor Schmerz verzerrte Gesicht der Angehörigen oder verstreute Wäsche und Alltagsgegenstände auf der Straße." Der Chefredakteur von ARD-Aktuell betont die Verantwortung gegenüber den Zuschauerinnen und Zuschauern: Menschen könnten Bildern nicht ausweichen, die ihnen von einer auf die nächste Sekunde auf dem Bildschirm gezeigt würden. "Deshalb differenzieren wir in unserer Berichterstattung zum Beispiel auch in der Tageszeit und zeigen nachmittags, zu einer Zeit wo sicher mehr Kinder fernsehen, im Zweifelsfall weniger schockierende Bilder als am Abend."
Eine Praxis, die nicht zuletzt dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) verpflichtet ist. Aufgabe des Jugendmedienschutzes im Fernsehen ist es, negative Einflüsse durch Gewaltdarstellungen oder Pornografie so gering wie möglich zu halten und somit die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen zu schützen. Das Erste deutsche Fernsehen hat in diesem Zusammenhang Richtlinien zur Sicherung des Jugendschutzes festgelegt und Kriterien geschaffen zur Sicherung des Jugendmedienschutzes bei der Beurteilung von Fernsehsendungen. Sie sind für alle Verantwortlichen verbindlich. Die Einhaltung der Vorschriften wird vom Rundfunkrat als Aufsichtsorgan des Senders kontrolliert. Das bedeute für die Redakteurinnen und Redakteure oft eine Gratwanderung in der Konzeption von Filmen und beim Schnitt von Einspielern, erklärt Gniffke: "Sie müssen im schnellen Nachrichtengeschäft die Aktualität abbilden ohne zumutbare Grenzen bei der Wiedergabe von Gewalt und Grausamkeiten zu überschreiten."
Auch Steffen Haug zeigt im SPIEGEL TV-Magazin andere Bilder als auf SPIEGEL Online. An der üblichen Praxis, Bilder von Toten und Opfern zu verpixeln, lässt sich seiner Meinung nach der Wandel in den Medien in den letzten zwanzig Jahren gut beschreiben. "Heute würde wahrscheinlich der Vietkong, der auf dem berühmten Foto aus dem Vietnamkrieg erschossen wird, eher nicht gezeigt oder wenn, dann verpixelt", glaubt Haug. Die Rechtsprechung schütze Persönlichkeitsrechte viel stärker als früher und zwar nicht nur in Strafprozessen, sondern auch bei Katastrophen: "Dabei ist zu beachten, dass auch eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernsehberichterstattung in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt als eine Wort- und Schriftberichterstattung in Hörfunk und Presse".
QuellentextBundesverfassungsgericht vom 27.11.2008
In Gerichtsverfahren gewinnt der Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten eine über den allgemein in der Rechtsordnung anerkannten Schutzbedarf hinausgehende Bedeutung. Dies gilt nicht nur, aber mit besonderer Intensität für den Schutz der Angeklagten im Strafverfahren, die sich unfreiwillig der Verhandlung und damit der Öffentlichkeit stellen müssen (vgl. BVerfGE 103, 44 <68>; 119, 309 <322>). Während der Täter einer Straftat sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern auch dulden muss, dass das von ihm selbst durch seine Tat erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in freier Kommunikation auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird, gilt dies für den noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten nicht in gleicher Weise. Die bis zur rechtskräftigen Verurteilung zugunsten des Angeklagten sprechende Unschuldsvermutung, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ableitet, gebietet eine entsprechende Zurückhaltung, mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung (vgl. BVerfGE 35, 202 <231>). Außerdem ist eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen, die durch eine identifizierende Medienberichterstattung bewirkt werden kann (vgl. BVerfGE 119, 309 <323>). Dabei ist zu beachten, dass auch eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernsehberichterstattung in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt als eine Wort- und Schriftberichterstattung in Hörfunk und Presse. Dies folgt aus der stärkeren Intensität des optischen Eindrucks und der Kombination von Ton und Bild, aber auch aus der ungleich größeren Reichweite, die dem Fernsehen nach wie vor gegenüber anderen Medien zukommt (vgl. bereits BVerfGE 35, 202 <226>).
Außerdem seien die technischen Möglichkeiten, Gesichter zu verpixeln, viel besser als vor Jahren. Durch die Verpixelung würden die Bilder außerdem nichts von ihrem Informationsgehalt verlieren. "Journalisten verstehen sich heute nicht mehr nur als Sender von Nachrichten", sagt Haug. "Wir sind mit unseren Zuschauern über das Internet ständig im Dialog und wissen, dass sie nicht alles Grausame dieser Welt sehen wollen."
Bilder ermüden: Wie Zuschauerinnen und Zuschauer Katastrophen ausblenden
Viele Zuschauer ließen Bilder von Katastrophen nach einer Weile sowieso nicht mehr an sich herankommen, fasst Professor Hansjörg Znoj vom Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Bern seine jahrelangen Forschungen zusammen. Wenn man etwas oft sehe, verliere es an Relevanz, es trete ein Gewöhnungseffekt ein – auch bei Bildern von Tod und Zerstörung. Eine notwendige Reaktion, denn Bilder könnten viel bewegen, weil Information über das visuelle System oft direkt auch emotionale Reaktionen auslösten, welche nicht notwendigerweise bewusst verarbeitet würden:
QuellentextBilder ermüden
Als das World Trade Center am 11. September 2001 in New York zusammenstürzte, wurden diese Bilder immer wieder im Fernsehen gesendet. Mit der Folge, dass viele Zuschauer, die nicht direkt betroffen waren, Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung aufwiesen.
Quelle: Prof. Hansjörg Znoj
Auch das Explodieren eines japanischen Atomreaktors könne in den ersten Tagen der Katastrophe als eine unmittelbare Gefahr empfunden werden, auch wenn das Ereignis 20.000 Kilometer entfernt stattfindet.
In einer Übersättigung und gewissen Taubheit gegenüber Katastrophenbildern sieht der Trauma-Experte eine Schutzfunktion von Zuschauern und Lesern. Die Medien sollten nicht versuchen, diesen Reflex durch immer krassere Bilder zu überwinden, auch wenn die sich die Fotos eines Tsunami oder eines Erdbebens hervorragend dazu eigneten, emotionale Inhalte zu transportieren. Die mediale Abstumpfung sei bei den meisten Menschen auch nicht von Dauer, sagt Hansjörg Znoj: "Bei der nächsten Katastrophe und den Bildern eines schlimmen Einzelschicksals empfinden wir sehr wohl wieder Trauer und Mitleid."
Für den Beitrag wurden Interviews mit folgenden Personen geführt:
Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-Aktuell und somit unter anderem verantwortlich für "Tagesschau" und "Tagesthemen".
Steffen Haug, Leiter in der SPIEGEL-Gruppe für die Bewegtbild-Aktivitäten und Chefredakteur von SPIEGEL TV.
Harald Menk, leitender Redakteur für die Ressorts Ausland und Reportage beim Magazin "Stern", für das er seit 1989 als Bildredakteur arbeitet.
Dr. Liane Rothenberger, Kommunikationswissenschaftlerin und Mitglied in der internationalen Forschungsgruppe Krisenkommunikation an der TU Ilmenau. Sie hat Diplom-Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt studiert.
Hansjörg Znoj, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Bern, hat u. a. den Arbeitsschwerpunkt Trauer und Trauerbewältigung.
Dr. Guido Zurstiege, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, mit den Forschungsschwerpunkten Medienkultur, Medien- und Kommunikationstheorie sowie Rezeptions- und Wirkungsforschung (Empirische Medienforschung).
Tobias Asmuth ist Journalist und schreibt Reportagen, Analysen und Essays, berät Verlage sowie Agenturen und konzipiert Magazine für Print und das Internet. Seine Texte erscheinen u. a. in der Neuen Zürcher Zeitung, dem Tagesspiegel, der Berliner Zeitung, der taz, dem Tagesanzeiger und der Wiener Presse. Externer Link: www.asmuth-journalist.de
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