Herausforderungen des deutschen Rundfunk- und Medienrechts
Thomas VestingProf. Dr. Thomas Vesting
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Der Übergang zur Kultur der Netzwerke fordert das deutsche Rundfunk- und Medienrecht heraus. Ein Medienrecht der Zukunft bedeutet Erhaltung der Durchlässigkeit der vielen Teilforen und Netzöffentlichkeiten für eine "Hintergrundkultur", auf die sich alle Bürger beziehen können.
Einleitung
Die Ordnungsstrukturen des deutschen Rundfunk- und Medienrechts sind inzwischen recht unübersichtlich gewordenen. Sein Sinn und seine Logik erschließen sich am besten vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen Entwicklung. Deshalb werden in diesem Beitrag zunächst einige historische Daten zur Entstehung des Presserechts in Erinnerung gerufen. Danach erfolgt eine ausführliche Darstellung der aktuellen Verhältnisse.
Das liberale Presserecht und das Modell einer "negativen" Ordnung
Das liberale Presserecht ist mit dem Aufstieg der auflagenstarken Massenpresse – illustrierte Zeitschriften und (täglich erscheinende) Zeitungen – zu einem zentralen Organ der öffentlichen Meinung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verbunden. Dieser Prozess war in ganz Europa von einer umfangreichen Interner Link: Deregulierung, d. h. von einer Verringerung oder Abschaffung vorhandener Regelungen, begleitet.
Dazu gehörte unter anderem die Aufhebung des teilweise schikanösen staatlichen Konzessionszwangs, wie er für die deutsche Monarchie bis dahin üblich war: Jeder publizierende Verlag benötigte eine behördliche (staatliche) Genehmigung; Zeitschriften wie Bücher unterlagen noch lange der Vorzensur. Außerdem gab es ein staatliches Anzeigenmonopol. Die Bewegung hin zu einer freien, im bürgerlichen Publikum und ihren selbstbestimmten Suchprozessen verankerten Presse, war gerade in Deutschland während der Restauration nach 1848 immer wieder von Rückschlägen gekennzeichnet.
QuellentextReichs-Gesetzblatt No 16
(Nr. 1003.) Gesetz über die Presse. Vom 7. Mai 1874. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:
I. Einleitende Bestimmungen.
§. 1.
Die Freiheit der Presse unterliegt nur denjenigen Beschränkungen, welche durch das gegenwärtige Gesetz vorgeschrieben oder zugelassen sind.
§. 2.
Das gegenwärtige Gesetz findet Anwendung auf alle Erzeugnisse der Buchdruckerpresse, sowie auf alle anderen, durch mechanische oder chemische Mittel bewirkten, zur Verbreitung bestimmten Vervielfältigungen von Schriften und bildlichen Darstellungen mit oder ohne Schrift, und von Musikalien mit Text oder Erläuterungen. Was im Folgenden von "Druckschriften" verordnet ist, gilt für alle vorstehend bezeichneten Erzeugnisse.
§. 3.
Als Verbreitung einer Druckschrift im Sinne dieses Gesetzes gilt auch das Anschlagen, Ausstellen oder Auslegen derselben an Orten, wo sie der Kenntnißnahme durch das Publikum zugänglich ist.
§. 4.
Eine Entziehung der Befugniß zum selbständigen Betriebe irgend eines Preßgewerbes oder sonst zur Herausgabe und zum Vertriebe von Druckschriften kann weder im administrativen, noch im richterlichen Wege stattfinden. Im Uebrigen sind für den Betrieb der Preßgewerbe die Bestimmungen der Gewerbeordnung maßgebend.
§. 5.
Die nichtgewerbsmäßige öffentliche Verbreitung von Druckschriften kann durch die Ortspolizeibehörde denjenigen Personen verboten werden, welchen nach §. 57 der Gewerbeordnung ein Legitimationsschein versagt werden darf. Zuwiderhandlungen gegen ein solches Verbot werden nach §. 148 der Gewerbeordnung bestraft.
Erst im Reichspressegesetz von 1874 wurde die Freiheit der Presse vom Staat prinzipiell anerkannt. Damit konnte sich auch in Deutschland eine durch die Vielfalt der Meinungen und Formate geprägte Öffentlichkeit wenigstens zeitweise stabilisieren und zu einem zentralen kollektiven Phänomen der Fremd- und Selbstbeobachtung von Staat und Gesellschaft werden (jenseits des Regimes der Repräsentation des Monarchen). Vereinfacht gesagt: Presse und Öffentlichkeit wandelten sich im späten 19. Jahrhundert allmählich zu einer vom Staat weitgehend unabhängigen Institution.
Das liberale Presserecht, das auf der Institution einer freien Presse beruht und sie selbst schützt, ist in seinem Kern Interner Link: ordnungsrechtlich strukturiert: Freiheit wird hier als ein natürliches, d. h. nicht-teleologisches (nicht ziel- und zweckgebundenes) Recht vorausgesetzt. Es ist nur durch das Prinzip der Schädigung anderer eingeschränkt.
Anders gesagt besteht Freiheit darin, nicht an vorab festgelegte (teleologische, zielgerichtete) Handlungszwecke gebunden zu sein: Unter Einschluss des Bruchs mit der lokalen Tradition ist es erlaubt, alles zu tun, was einem anderen nicht schadet. Die Schadensgrenze, die auf gesellschaftliche Erfahrungswerte verweist, kann hier nur durch ein allgemeines Gesetz festgelegt werden, wie es schon in der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrecht von 1789 heißt. In genau diesem Sinn findet die Pressefreiheit ihre Grenzen in Gestalt allgemeiner Gesetze. Sie umreißen die potenziellen Schädigungen als immanente Selbstbegrenzung der Pressefreiheit.
Die Presse und ihre Akteure (Verleger, Journalisten, Autoren etc.) können ihre Sicht auf das kulturelle oder politische Geschehen grundsätzlich frei wählen:
Solange dabei nicht Rechte anderer verletzt werden und
solange ihr Handeln keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.
Die Pressegesetze der Länder sind bis heute – von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. Interner Link: Pressesubventionierung) – an diesem Modell "negativer" Ordnung orientiert. Noch das Pressekartellrecht ist ein primär grenzziehendes Recht: Es interveniert erst, wenn der Pressemarkt durch Marktbeherrschung und/oder Fusionen in seiner Funktionsfähigkeit gefährdet erscheint (§ 36 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen). Es überlässt den Pressemarkt aber ansonsten seiner eigenen Rationalität, dem "Kampf“ um Auflagen und Werbeerlöse.
Das Presserechtsmodell der "negativen" Ordnung leitet letztlich auch die Rechtsprechung der deutschen Gerichte, insbesondere die des Bundesverfassungsgerichts. Das Presseverfassungsrecht, das an Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz anknüpft, ist als Institutionenschutz konzipiert: Es schützt die privatrechtliche Betätigungsfreiheit von Verlegern als "Institution". Dieser Schutz bezieht sich allerdings auf die Produktionsbedingungen der Presse als Medium der öffentlichen Meinungsbildung im Interesse der Demokratie. Er bezieht sich nicht auf eine rein wirtschaftlich zu verstehende verlegerische Entscheidungsfreiheit (ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 10, 118, 121).
Mit der Wahl dieses Bezugspunktes – Schutz der Reproduktion einer politischen Öffentlichkeit – wird die Pressefreiheit zwar mit einer öffentlichen Aufgabe verknüpft. Die Presse wird aber dadurch nicht auf eine Vorstrukturierung für die organisierte (staatliche) Willensbildung verpflichtet. Sie kann auch reine Unterhaltungspresse sein. An der freien Wahl der Themen und Formen wird in der presserechtlichen Variante institutioneller Freiheit also keineswegs gerüttelt. Es ist in diesem Modell aber denkbar, dass der Gesetzgeber Maßnahmen zum Schutz einer für eine intakte politische Öffentlichkeit notwendigen Infrastruktur ergreift. Dies erlaubt auch Eingriffe in Rechte Dritter, wie es jüngst im Fall der Verabschiedung eines Leistungsschutzrechts im Bundestag zugunsten der Verlage und zu Lasten von Google geschehen ist.
QuellentextBeschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 17/11470 -
Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes
A. Problem
Durch Einführung eines Leistungsschutzrechts im Urheberrechtsgesetz soll Presseverlegern das ausschließliche Recht eingeräumt werden, Presseerzeugnisse oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Geschützt werden sollen die Presseverleger vor systematischen Zugriffen auf die verlegerische Leistung durch die Anbieter von Suchmaschinen und solchen Diensten, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten. Das Leistungsschutzrecht soll ein Jahr nach der Veröffentlichung des Presseerzeugnisses erlöschen. Zulässig bleiben soll die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten.
B. Lösung
Annahme des Gesetzentwurfs in geänderter Fassung. Damit Suchmaschinen und Aggregatoren ihre Suchergebnisse kurz bezeichnen können, ohne gegen Rechte der Rechteinhaber zu verstoßen, sollen einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte nicht vom Leistungsschutzrecht erfasst sein.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk: Entstehung und Gestalt
Mit der Entwicklung von Film, Radio und Fernsehen im 20. Jahrhundert entsteht ein Rundfunkrecht, das sich dem presserechtlichen Modell einer "negativen" Ordnung nicht mehr so ohne weiteres fügt. Das Presserecht und seine historische Grundlage – das privatwirtschaftliche Presse- und Verlagswesen – hat sich seit dem 19. Jahrhundert in Distanz zum Staat als freie privatrechtliche Institution entwickeln können. Im Unterschied dazu ist das Rundfunkrecht von Anfang an weiter für regulatorische Ansprüche des Staates und damit auch für politische Einflussnahmen geöffnet. Das hängt vermutlich mit der ursprünglich engen Verknüpfung der technischen Übertragungswege des Rundfunks mit staatlich-militärischen Interessen zusammen.
Möglicherweise deshalb gerieten die neuen Medien schnell in den Fokus des Weimarer Staates und der Weimarer Staats- und Verfassungslehre. Das betraf insbesondere die von vielen Beobachtern unterstellten Einflussmöglichkeiten durch die Bündelung von Themen. Damit verbunden war die Annahme einer wachsenden Abhängigkeit der organisierten (staatlichen) Willensbildung von Massenpresse, Radio und Kino-Wochenschau. Dies führte in den unter unmittelbarer staatlicher Aufsicht stehenden regionalen Radiogesellschaften zu einer Verringerung der politischen Berichterstattung.
Carl Schmitt, der spätere "Kronjurist" der Nationalsozialisten, beschwor schon 1923 das Verschwinden des freien und rationalen Austauschs von Argumenten als unerlässlicher Voraussetzung der parlamentarischen Demokratie. Die diskursive Erörterung von Argument und Gegenargument, so Schmitt, beruhe auf der Buchdruckerkunst. Mit dem Aufstieg einer neuartigen, von Zeitungsartikeln und anderen Massenmedien getragenen Propaganda, einer "plakatmäßig eindringliche(n) Suggestion", hätten Öffentlichkeit, Diskussion und Parlamentarismus ihren Sinn verloren. Diese Beobachtung mag teilweise zutreffen, aber sie war vor allem Ausdruck eines in Weimar – rechts wie links – weit verbreiteten Antiparlamentarismus.
Der Nationalsozialismus hatte Wochenschau, Film und Radio auf breiter Ebene für Propagandazwecke missbraucht. Danach konnte sich das Rundfunkrecht in der Bundesrepublik als eine Art gruppenbasiertes Recht zwischen staatlicher Regulierung und Selbstregulierung neu etablieren .
InfokastenRundfunkrecht
Auf der Grundlage einer umfassenden Restrukturierung der Medienlandschaft durch die Alliierten
stützt sich das Rundfunkrecht einerseits auf staatliche und grundgesetzliche Vorgaben,
hat es andererseits starke Elemente einer staatsunabhängigen Selbstregulierung (teilweise nach dem Vorbild der britischen BBC) adaptiert.
Orientiert ist das gruppenpluralistische Rundfunkrecht an der Herstellung einer "positiven Ordnung" . Deren Aufgabe besteht ihrerseits in der Reproduktion einer öffentlichen Meinung: Es wird eine dynamische Beziehung zwischen der staatlichen "Öffentlichkeit" und einem "Öffentlichkeitsanspruch" gesellschaftlicher Gruppen eingerichtet, die jetzt selbst auf die Willensbildung des Staates Einfluss nehmen. Die öffentliche Meinung wird also nicht mehr gedacht als zusammengesetzt aus einer Menge von (unterschiedlichen) individuellen Meinungen, sondern als Ergebnis der Repräsentation von gruppenbezogenen Meinungen.
Das gruppenpluralistische Modell der "positiven" Ordnung zielt anders gesagt darauf ab, die Integrität der öffentlichen Meinungsbildung unter neuen medientechnischen und soziostrukturellen Bedingungen zu gewährleisten: Eine mit den Mitteln des öffentlichen Rechts bereitgestellte Form, die öffentlich-rechtliche Anstalt, öffnet sich für ein neuartiges soziales Wissen. Dies ist ein Wissen, das durch gruppenbasierte Wahrscheinlichkeitsannahmen und Weltbilder geprägt ist (von Sozialdemokraten, Gewerkschaften, Konservativen, Unternehmern, Angestellten, Kirchenleuten usw.). Auf dieser Grundlage wird versucht, ein "publizistisches Gleichgewicht" zwischen allen gesellschaftlichen Kräften herzustellen, die entsprechend ihres Gewichts auch in den Rundfunkräten der Sendeanstalten vertreten sind.
Ursprünglich betraf das Modell einer "positiven" Ordnung ausschließlich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wie sie noch unter der Kontrolle der Alliierten in den Ländern entstanden sind:
Einerseits zielt das gruppenpluralistische Rundfunkrecht auf die Sicherung der Autonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegenüber dem Staat.
Andererseits zielt es auf die dauerhafte Stabilisierung der Öffnung der Rundfunkanstalten gegenüber dem Gruppenpluralismus der Nachkriegszeit, seinen parteipolitischen und verbändeförmigen Organisationsformen sowie den dazugehörigen kulturellen Milieus, Gruppenwahrscheinlichkeiten und Weltbildern.
Dazu wird der Gesetzgeber von Verfassungswegen verpflichtet, die Rundfunkfreiheit durch ein Organisationsgesetz zu realisieren und dem Rundfunk eine "positive" Ordnung zu geben. Diese bildet den erreichten Grad gesellschaftlicher Pluralisierung in sich ab. Die "positive" Ordnung ist auch verfahrensmäßig auf die Verwirklichung und Aufrechterhaltung von Programmvielfalt angelegt durch die Beteiligung von Gruppen an einem gemeinsamen Programm (Interner Link: Integrationsrundfunk).
Dieses Ordnungsmodell bezieht sich allerdings ausschließlich auf die Organisation der jeweiligen Landesrundfunkanstalten (WDR, BR, NDR, HR etc.). Demgegenüber wird die bundesweite Koordination der jeweiligen Programminhalte den Anstalten bzw. ihren Intendanzen (Sender-Leitungen) selbst überlassen. Daraus resultieren die bis heute schwierigen programmlichen (und personellen) Abstimmungsprozesse innerhalb der ARD, in denen neben den Sachargumenten immer auch der Interner Link: "Länderproporz" Berücksichtigung finden muss. (Das ZDF ist eine durch einen Länderstaatsvertrag geschaffene "interföderale" Anstalt, die diese Art Abstimmungsprobleme von vornherein nicht kennt).
Das duale Rundfunksystem
Der Konsens über die Ausgestaltung der Rundfunkordnung im politischen Raum zerbrach in den 1980er Jahren vor dem Hintergrund des Aufkommens neuer Technologien (z. B. neue grenzüberschreitende Satellitentechnik, Ausbau des nationalen Breitbandkabelnetzes und damit Aufhebung der Frequenzknappheit, Ausbau des terrestrischen Rundfunks). In der Folge ist das öffentlich-rechtliche durch ein kommerzielles Rundfunkmodell ergänzt worden.
Das hat für das Rundfunkrecht eine enorme Steigerung seiner Komplexität zur Folge gehabt, an deren Folgen es noch heute leidet: Der kommerzielle Rundfunk folgt in seinem Handeln viel unmittelbarer spezifisch medienwirtschaftlichen und kulturökonomischen Zwängen als der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Sowohl die Abhängigkeit des privaten Rundfunks von der Werbefinanzierung als auch die ihn härter treffenden Zwänge einer "Ökonomie der Aufmerksamkeit", die immer nur wenige Gewinner und viele Verlierer im Kampf um die Einschaltquote kennt, prägen sein gesamtes Verhalten. Das hat schon früh zu einem überproportional hohen Anteil an (fiktionalen) Unterhaltungsendungen und einem geringen Anteil an politischen Informationssendungen oder Dokumentationen im Privatrundfunk geführt .
Umgekehrt kann die politische Logik des Gruppenpluralismus im Privatrundfunk allenfalls in einer äußerst verdünnten Form zur Geltung gelangen, weil es sich eben um kommerzielle Unternehmen handelt, die mit ihren Programmen primär Geld verdienen wollen und müssen.
Auf diese Entwicklung haben die Medienpolitik der Länder und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der Konstruktion eines "dualen Rundfunksystems" reagiert. Das duale System ist seit 1991 in einem "Rundfunkstaatsvertrag" verankert, der inzwischen in Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien umbenannt worden ist. In diesem werden die jeweiligen Interner Link: Landesmediengesetze unter Einschluss laufender Updates koordiniert. Der Kern des Rundfunkstaatsvertrags besteht in einer staatlichen Zulassungskontrolle, der sich Rundfunkunternehmen unterziehen müssen – wie früher die Presse. An diese Zulassung schließt sich eine konzentrationsrechtliche Überprüfung von Medienunternehmen an.
Dieses Verfahren ist inzwischen durch die Schaffung immer neuer Zusatzeinrichtungen wie der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK, § 35 RStV) oder der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK, § 35 RStV) komplizierter geworden. Das hängt letztlich damit zusammen, dass die Kompetenz zur Zulassung privater Veranstalter grundsätzlich bei den Ländern liegt (und damit bei den jeweils zuständigen Landesmedienanstalten), die Zulassung bundesweiter Programme wie RTL und SAT.1 aber einer bundesweiten Koordination bedarf. Das gilt auch auf den Ebenen der Werberegulierung oder des Jugendschutzes, auf denen die Landesmedienanstalten ebenfalls eng zusammenarbeiten und interföderale Strukturen und Gremien wie die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) ausgebildet haben. Dieses "Kompetenzgewirr" könnte in einer gemeinsamen Medienanstalt der Länder sicherlich abgebaut werden. Darüber wird aber nun schon seit Jahren ohne erkennbares Ergebnis diskutiert.
Das duale System ist ein störanfälliges Gebilde, trotz des enormen organisatorischen und finanziellen Aufwands, mit dem sein Aufsichtssystem betrieben wird. Seine Schwäche kann ganz grob so beschrieben werden: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gilt nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts normativ als maßstabsbildend. Das gilt für das öffentlich-rechtliche Programm als dem eigentlich vielfältigen Programm mit „besonderen normativen Erwartungen“.
Das gilt aber auch für die Formulierung von Anforderungen an die organisatorische Ausgestaltung der Rundfunkverfassung. Diese Konstruktion privilegiert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk stark und räumt ihm viele Rechte ein, wie etwa eine sehr umfassende Bestands- und Entwicklungsgarantie. Sie wird jedoch mit einer Realität konfrontiert, an der sich diese normative Vorstellung zusehends bricht. Denn mit der Zulassung des privaten Rundfunks sind auch die Produktionsbedingungen des öffentlichen-rechtlichen Rundfunk grundlegend verändert worden: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss in einem einheitlichen Rundfunkmarkt und damit in einer unmittelbaren Wettbewerbsbeziehung zum privaten Rundfunk agieren.
Auflösung des alten "Integrationsrundfunks"
Diese Konkurrenz des öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Rundfunkmodells stellt sich inzwischen auch als Wettbewerb zwischen Rundfunk und Presse via Internet dar. Dieser Wettbewerb ist aber nicht nur ein publizistischer um die qualitativ besten Angebote, sondern wird auch durch medienökonomische und spezifisch medienkulturelle Parameter bestimmt. Das hat zur Folge, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Programm den Zwängen einer neuartigen ereignisbasierten Unterhaltungsöffentlichkeit und ihren Quoten-Zwängen hat anpassen müssen und seit langem auch angepasst hat. Dies schlägt sich auch in einer Auflösung des alten "Integrationsrundfunks" nieder: Entstanden ist eine Vielzahl von Programmschienen. Dieser Prozess der Fragmentierung der Rundfunköffentlichkeit ist im öffentlich-rechtlichen Radio mit seinen vielen Zielgruppenprogrammen noch weiter als im Fernsehen fortgeschritten.
Der Aufstieg der Kultur der Netzwerke und die Suche nach einem neuen medienrechtlichen Ordnungsmodell
Die Probleme des herkömmlichen Rundfunk- und Medienrechts verschärfen sich, wenn man die Digitalisierung und die mit ihr entstehende neue Kultur der Netzwerke mit in den Blick nimmt. Sieht man es aus der Perspektive des traditionellen Rundfunkrechts, löst der Aufstieg des Computers und des Internets eine Ausfransung des herkömmlichen Programmrundfunks nach mehreren Seiten aus: Mit der Ingebrauchnahme und Vernetzung von Computern und der neuen Allgegenwart digitaler Kommunikation (via Handy, Laptop, Tablet-Computer etc.) sind eine neuartige Universalmaschine und ein darauf basierendes "Netzwerk der Netzwerke" entstanden. Dies "kassiert“ alle anderen Medien und lässt die Medien miteinander Interner Link: konvergieren.
Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind weitreichend und können hier nur angedeutet werden: Computer und Internet destabilisieren die Unterscheidung der Medien selbst, etwa zwischen Rundfunk und Presse. Sie unterlaufen die Unterscheidung zwischen Individual- und Massenkommunikation sowie die alte Unterscheidung zwischen Medieninhalt und neutraler (Übertragungs-)Technik. Dies geschieht mit weitreichenden Relevanzen für die Abstimmung von Rundfunk- und Telekommunikationsrecht. Sie lösen aber auch die Unterscheidung von Öffentlichkeit und Privatheit auf, etwa durch die Entstehung von Interner Link: Social Networks wie Facebook usw. Programme werden Teil eines gigantischen "Informationscontainers" mit einer unendlichen Vielfalt von Kombinationsmöglichkeiten, die dezentral, durch Interner Link: Schwarmintelligenz, gesteuert werden.
Der (Rundfunk-) Gesetzgeber hat auf diesen umfassenden Wandel jüngst immerhin mit der Unterscheidung von linearem Programmrundfunk und Interner Link: Telemedien innerhalb des Rundfunkstaatsvertrages reagiert. Damit wurde dessen Regulierungsregime der Sache nach noch weiter aufgespalten. Die Telemedien (als Teil der Internetkommunikation) werden jetzt einer presseähnlichen Regulierung nach dem Vorbild einer "negativen" Ordnung unterworfen.
QuellentextRundfunkstaatsvertrag – RStV: VI. Abschnitt: Telemedien
§ 54 Allgemeine Bestimmungen
(1) Telemedien sind im Rahmen der Gesetze zulassungs- und anmeldefrei. Für die Angebote gilt die verfassungsmäßige Ordnung. Die Vorschriften der allgemeinen Gesetze und die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre sind einzuhalten. (2) Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben werden, haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen. Nachrichten sind vom Anbieter vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen. (3) Bei der Wiedergabe von Meinungsumfragen, die von Anbietern von Telemedien durchgeführt werden, ist ausdrücklich anzugeben, ob sie repräsentativ sind.
Es erscheint aber zweifelhaft, ob die neue Kultur der Netzwerke auch künftig sinnvoll in einem Rundfunkstaatsvertrag reguliert werden kann, der allein auf ordnungsrechtliche und gruppenpluralistische Komponenten setzt. Hier wird es künftig vielmehr darauf ankommen, das Rundfunk- und Medienrecht auf noch mehr Komplexität einzustellen. Es wäre ein Modell zu entwerfen, das das relativ starre Modell der "negativen" Ordnung ergänzt, das auf der Verhaltenskontrolle nach allgemeinen Gesetzen und Grenzbegriffen basiert.
Dabei sollte das neue Modell das alte in zwei wesentlichen Punkten ergänzen:
Es wird erweitert um gruppenpluralistische Organisations- und Verfahrenslösungen, wie sie sich in der öffentlich-rechtlichen Rundfunkverfassung durchaus bewährt haben.
Es werden Strategien der Institutionenbildung in Form von Selbstorganisation und Selbstregulierung in Netzwerken angeregt.
Ein solches Modell müsste dann vom Gesetzgeber in den Rundfunkstaatsvertrag übernommen werden.
Die Dramatik des Übergangs zur neuen Kultur der Netzwerke liegt in einer weiteren Zerstückelung der sozialen Kommunikationsströme. Das bedeutet die Auflösung der Öffentlichkeit in immer kleinere Teilforen und Netzöffentlichkeiten (Chats, Blogger, YouTube etc.). Die amerikanische Federal Communications Commission (FCC) hat diesen Trend einer Zerklüftung der Medienlandschaft in immer kleinere Bruchstücke kürzlich treffend als ein "great unbundling" charakterisiert. Die "große Entbündelung" bedeutet nicht nur eine Schrumpfung der herkömmlichen Programmformate im Unterschied zu Online-Angeboten aller Art.
Mit einer "großen Entbündelung" ist darüber hinaus die Gefahr verbunden, dass bestimmte Formate und Inhalte künftig ganz verloren gehen. Geht man von folgenden beiden Annahmen aus:
Kultur ist das Symbol für ein gesellschaftlich geteiltes (= gemeinsames) Wissen.
Die Öffentlichkeit repräsentiert seit dem 18. Jahrhundert das Forum, auf dem dieses gemeinsame Wissen zirkulieren kann, in Form eines kollektiven Bestands von Themen und Formaten (z. B. als Bericht über hohe Honorare für Reden von Berufspolitikern).
Dann liegt die Herausforderung für ein Medienrecht der Zukunft in der Erhaltung der Durchlässigkeit der vielen Teilforen und Netzöffentlichkeiten für eine "Hintergrundkultur", auf die sich weiterhin alle Bürger beziehen können.
InfokastenWas bedeutet "Hintergrundkultur"?
Hintergrundkultur bezeichnet den gesamten sozio-kulturellen Bereich (z. B. philosophische, ethisch-moralische, religiöse Lehren), der nicht Teil der öffentlichen politischen Kultur ist.
Fazit
Die neue Kultur der Netzwerke wirft mit anderen Worten die Frage auf, wie ein gemeinsames (geteiltes) Wissen über gesellschaftliche Entwicklungen, die alle betreffen, erhalten werden kann – und damit ein Informationsniveau, das der erreichten Komplexität der Gesellschaft angemessen ist. Nur dann können komplexe Entscheidungen weiterhin in einem öffentlichen Raum einigermaßen sinnvoll diskutiert und nicht nur jeweils system- und organisationsspezifisch behandelt werden, wie etwa ausschließlich innerhalb des Politikbetriebs oder der Finanzmarktindustrie. Von hier aus ließe sich ein normativer Ansatzpunkt gewinnen, der den Umbau der Medienverfassung leiten und zur Institutionalisierung der digitalen Kommunikation, zum Aufbau einer "Rechtsverfassung der Internetkommunikation" beitragen könnte.
Das kann hier zwar nicht dargestellt werden. Es sollte aber abschließend angedeutet werden, dass der Übergang zur Kultur der Netzwerke das deutsche Rundfunk- und Medienrecht derzeit vor große Herausforderungen stellt.
Hinweis:
Der vorliegende Beitrag nimmt stellenweise Überlegungen und Formulierungen aus vorangegangenen Handbuchbeiträgen auf, vgl. Vesting, Thomas: Medienrecht. In: Schröter, Jens (Hrsg.): Handbuch Medienwissenschaft. Stuttgart, i. E. Vesting, Thomas: Medienrecht. In: Hachmeister, Lutz (Hrsg.): Grundlagen der Medienpolitik. Bonn 2008, S. 267 ff.
Zum Weiterlesen auf bpb.de
Hans-Ulrich Thamer: Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft (Teil 2), aus dem Dossier "Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg"
Franck, Georg (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit. München, Wien.
Hoffmann-Riem, Wolfgang (2000): Regulierung der dualen Rundfunkordnung. Baden-Baden, S. 273 ff.
Hutter, Michael (2006): Neue Medienökonomik. München, S. 95 ff., 104, 184.
Ladeur, Karl-Heinz (1998): Der Eigenwert des Rechts. In: Meier-Schatz, Christian (Hrsg.): Die Zukunft des Rechts. Basel, S. 31 ff., 52.
Ladeur, Karl-Heinz (2000): Rechtliche Möglichkeiten der Qualitätssicherung im Journalismus. In: Publizistik – Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung. 45/2000, S. 442 ff.
Ladeur, Karl-Heinz (2012): Ein „Leistungsschutzrecht“ für Presseverlage und die Rechtsverfassung der Internetkommunikation. In: AfP – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht 05/2012, S. 470 ff.
Schmitt, Carl (1926): Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1926), Berlin 1985, S. 58, 62 f.
Dr. Thomas Vesting ist ordentlicher Universitätsprofessor am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Recht und Theorie der Medien mit den Arbeitsgebieten Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht und Rechts- und Medientheorie. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Medien des Rechts und die informationsrechtlichen Grundlagen des Verwaltungsrechts.
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