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„Wir sollten einen Gang zurückschalten“ | Lokaljournalismus | bpb.de

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„Wir sollten einen Gang zurückschalten“

/ 3 Minuten zu lesen

Seit Pegida-Demonstranten in Dresden Journalisten tätlich angegriffen haben, diskutiert die Branche über die Bedrohung der Pressefreiheit. Ulrich Wolf, Reporter der Sächsischen Zeitung, rät hingegen dazu, Probleme nicht hochzuschreiben.

Rund 15.000 Menschen nahmen am Montag an einer Pegida-Demonstration in Dresden teil. (© picture-alliance/dpa)

Der Artikel erschien in der drehscheibe Sonderpublikation Angekommen in Deutschland (1,33 MB).

Herr Wolf, kürzlich griffen Demonstranten bei einer Pegida-Demonstration Reporter der Dresdner Neuesten Nachrichten und des MDR an, auch in Sebnitz wurde eine Reporterin bedroht. Was bedeuten diese Meldungen für Sie als Journalist, der über Pegida berichtet?

Worte wie „Überfall“ und „Bedrohung“ finde ich in diesem Zusammenhang zu stark. Sicher, die Organisatoren von Pegida haben sich radikalisiert. Von den einst hehren Forderungen, etwa die nach mehr sozialer Betreuung, ist nicht viel übrig. Die Redner hetzen ganz pauschal, versuchen aktuelle Ängste einzufangen und zu polarisieren. Trotzdem neigt ein Großteil der Mitläufer nicht dazu, Journalisten zusammenzuschlagen. Kritischer sehe ich die Lage an Orten wie Heidenau oder Chemnitz-Einsiedel. Bei Blockaden von potentiellen Flüchtlingsheimen kann es für Journalisten ernsthaft ungemütlich werden. Obwohl es auch dort meist bei Beschimpfungen bleibt, sollte man sich als Reporter am besten in der Nähe der Polizei aufhalten.

Wie gehen Journalisten mit der gestiegenen Gewaltbereitschaft um?

Teile unserer Branche haben sich von der Hysterie anstecken lassen, die momentan um sich greift. Ich will die Lage nicht beschönigen, aber alle in der Region wissen, wie aufgeheizt die Stimmung in Dresden momentan ist. Und in diesem Klima muss man als Journalist damit rechnen, verbal attackiert und sogar mal geschubst zu werden. Allerdings kalkulieren damit auch Reporter, die über die Proteste gegen den G7-Gipfel in Bayern berichten. Solange es nicht um wirkliche Körperverletzung geht, sollte man vielleicht versuchen, über solchen Provokationen zu stehen.

In Leserbriefen und Userkommentaren ist der Ton gegenüber der „Lügenpresse“ schon lange aggressiv. Hat man Drohungen im Netz zu lange verharmlost?

Wenn ich alle Äußerungen im Internet ernst nehmen würde, müsste ich wohl aus Dresden wegziehen und ein Zeugenschutzprogramm beantragen. Ich glaube, dass man 99 Prozent der Drohungen im Netz als bockige Wutausbrüche betrachten kann. Konkreter ist die Bedrohung hingegen für einige Lokalpolitiker geworden. Wenn Bürofenster eingeworfen und Morddrohungen ausgesprochen werden, sollte man das sehr wohl ernst nehmen. Mir ist allerdings kein Fall aus Sachsen bekannt, in dem die Hetze gegen Journalisten solche Dimensionen angenommen hat.

Mit Ihrem Enthüllungsbericht über den Pegida-Initiator Lutz Bachmann haben Sie im vergangenen Jahr überregional Aufmerksamkeit erregt, aber auch die Szene gegen sich aufgebracht. Würden Sie das Porträt heute noch einmal genauso schreiben?

Natürlich, ohne Wenn und Aber. Wenn jemand jeden Montag tausende Menschen auf die Straße bringt, muss der Leser erfahren, wer diese Person ist.

Haben Sie aus Angst vor den Konsequenzen schon einmal eine Veröffentlichung zurückgehalten?

Nein, und das würde ich auch nicht tun. Zumindest hoffe ich, dass ich auch in brenzligen Situationen den Mut aufbringen werde, meinen Job zu machen.

In einer gemeinsamen Erklärung forderten der DJV, der MDR und der Sächsische Zeitungsverlegerverband die Innenministerien und Polizeiorgane in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt auf, die Angriffe auf Journalisten zu unterbinden. Ist eine größere Polizeipräsenz die Lösung?

Über diesen dramatischen Appell war ich ein wenig verwundert. Ich bin seit Jahren DJV-Mitglied, hätte diese Erklärung aber nicht unterzeichnet. Bei Pegida-Demonstrationen erkenne ich die Notwendigkeit für erhöhten Polizeischutz noch nicht. Vielleicht sehe ich das Ganze aber auch zu locker, immerhin trete ich meist als stiller Beobachter auf. Fotografen hingegen geben sich sofort als Journalisten zu erkennen. Dass man darauf keine Lust mehr hat, kann ich verstehen.

Wie sollte die Presse künftig mit Pegida umgehen?

Wir werden in Dresden einen heißen Herbst und Winter erleben. Deshalb sollten wir Journalisten nicht den gleichen Fehler begehen wie in der letzten Saison und die Pegida-Demonstranten pauschal als Nazis abtun – obwohl der Anteil an Rechtsextremen unter den Mitläufern zugenommen hat. Toll fand ich den kürzlich veröffentlichten Kommentar einer MDR-Kollegin, die sich mit dem Begriff der „Lügenpresse“ auseinandergesetzt hat. Diese Form der Kommunikation sollte stärker gefördert werden, anstatt sich gegenseitig hochzuschaukeln. Wir sollten alle emotional einen Gang zurückschalten.

Interview: Julia Lorenz

Fussnoten