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"Die Leute wollten erzählen" | Lokaljournalismus | bpb.de

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"Die Leute wollten erzählen"

/ 3 Minuten zu lesen

Als in Lübeck eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge entstehen soll, kommt es zu Protesten der Anwohner. Ein Redakteur verfolgt das Geschehen, spricht mit Bürgern und Entscheidungsträgern.

Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt bekommt am 03.06.2015 in Lübeck nach einer Rede rote Zettel gezeigt. Bürger Lübecks prostestieren auf diese Weise gegen die geplante Ersteinrichtung für Flüchtlinge im Bornkamp, zu der Studt bei einer Informationsveranstaltung Erläuterungen gegeben hatte. (© picture-alliance/dpa)

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Herr Exner, in Ihrem Artikel beschreiben Sie den gesamten Prozess vom Entschluss der Landesregierung, ein Heim zu bauen, bis zum Widerstand der Bürgerschaft, an dem das Vorhaben schließlich scheitert. Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Durch die Lübecker Nachrichten. Die Zeitung hat von dem Moment an, in dem die Entscheidung für den Standort der Erstaufnahmeeinrichtung publik wurde, über das Thema berichtet. So konnte ich das Geschehen verfolgen. Es wurde dann schnell klar, dass die Ereignisse am Lübecker Bornkamp, wo die Unterbringung entstehen sollte, exemplarisch sein könnten auch für andere Orte, an denen Flüchtlingsheime entstehen sollen.

Man hat bei der Lektüre allerdings das Gefühl, dass es um mehr geht als um das Heim. Etwa um die Kluft zwischen Anwohnern und politischen Entscheidungsträgern. War das intendiert?

Nein. Mein Ansatz war ein anderer. Ich wollte versuchen, die Menschen, die dort leben, zu verstehen, und andererseits ergründen, warum die Politik handelt, wie sie handelt. Erst im Laufe der Recherche ist mir klar geworden, dass da zwei Ur-Wellen der Gesellschaft aufeinanderprallen: die Angst vor Fremden und die latente Politikverdrossenheit.

Welche Quellen haben Sie genutzt?

Wichtigste Quelle waren Gespräche mit allen Beteiligten. Ich habe mit dem Lübecker Bürgermeister und Vertretern der Landesregierung in Kiel gesprochen. Vor allem aber mit den Leuten am Bornkamp selbst. Darüber hinaus habe ich auf öffentlich zugängliche Dokumente aus dem Lübecker Rathaus zurückgegriffen, etwa auf die Protokolle der Hauptausschuss- und Bürgerschaftssitzungen.

Bei Ihnen kommen eine Bürgervereinigung gegen das Heim und eine Willkommensinitiative zu Wort. Wie haben die Anwohner auf Ihre Anfragen reagiert?

Sehr offen. Die Leute wollten erzählen, warum sie sich verhalten, wie sie sich verhalten. Wobei man sagen muss: Die Menschen, die im Internet gegen Flüchtlinge hetzen, melden sich natürlich nicht gerade freiwillig, um mit Medienvertretern zu sprechen. Dennoch dürfte es sie auch in Lübeck geben.

Wie aufwendig war die Arbeit an dem Artikel?

Insgesamt habe ich etwa drei Wochen lang intensiv für das Thema recherchiert und am Text gearbeitet. Ich war vier bis fünf Mal am Bornkamp und habe insgesamt etwa 20 Gespräche geführt. Zudem war ich bei Sitzungen in Lübeck und habe auch in Kiel recherchiert.

Gegen Ende des Textes, als bereits klar ist, dass das Heim nicht gebaut wird, geben Sie das Online-Posting eines Flüchtlings wieder, der fehlendes Verständnis seitens der Anwohner bemängelt. Was war die Idee dahinter?

Zum einen wollte ich am Ende gern einen jener Menschen zu Wort kommen lassen, um die es bei der Auseinandersetzung um den Bau von Flüchtlingsunterkünften eigentlich geht: um die Geflüchteten. Zum anderen wollte ich bei aller Distanz und persönlichen Zurückhaltung, mit der ich das Thema aufgeschrieben hatte, dem Leser eine weitere mögliche Sicht der Dinge an die Hand geben, die für ihn eventuell hilfreich sein könnte bei der Meinungsbildung.

Der Text erschien als Titelthema in der Welt am Sonntag. Inwiefern hat Ihre Funktion als Redakteur einer überregionalen Zeitung die Arbeit beeinflusst?

Meine Zeitung bietet uns Journalisten mit dem Titelthema eine wunderbare Möglichkeit, ein Thema ausführlich zu behandeln, länger zu recherchieren, sich noch mehr Mühe zu geben bei der Textarbeit. Das empfinde ich als großes Privileg. Gerade weil ich selbst lange für Lokalzeitungen gearbeitet habe, in denen diese Ausführlichkeit im Alltag häufig nicht möglich ist. Aber auch dort, bei den Regionalzeitungen, entstehen fast täglich tolle Texte. Auch dort wird intensiv recherchiert und sehr differenziert. Nur dass einzelne Themen dort häufig nicht in einem großen Stück abgehandelt werden, sondern in vielen aufeinanderfolgenden Texten.

Ulrich Exner ist Korrespondent für Politik und Gesellschaft der Welt.
Interview: Sascha Lübbe

Fussnoten