Der Blogkosmos
Lokale Blogs: Konkurrenz und/oder Ergänzung?
Julia NeubarthChristoph Neuberger
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Blogger versus Journalisten - ein Konflikt, der mit dem Aufkommen des neuen Publikationsformats immer wieder skizziert wurde. Auf der einen Seite: professionelle Medienproduzenten mit demokratischem Auftrag, auf der anderen: "Hobby-Allesschreiber". Heute setzt sich aber folgende Ansicht durch: Weblogs ergänzen den klassischen Journalismus. Journalisten bloggen und auch Blogger arbeiten mitunter investigativ. Lokalzeitungen nutzen das Format, genauso gibt es im Lokalen unabhängige Blogger.
Die große Verheißung des Internets ist die Möglichkeit, dass sich nun jeder ohne viel Aufwand öffentlich zu Wort melden kann. Social Media haben das Publizieren im Netz erheblich vereinfacht. Darunter ist das Weblog - das Blog - das älteste Social-Media-Format. Mit einigen Vorteilen als Publikationsform: Es lässt dem Autor mehr Gestaltungsfreiheit und Unabhängigkeit als zum Beispiel der Microblogging-Dienst Twitter oder die Kommunikation via Facebook. Blog-Autoren gestalten ihre Seiten sehr individuell und thematisch variabel. Was sie verbindet ist das Format, gekennzeichnet durch die in chronologischer Folge sortierten Kurzbeiträge (Postings), die von einem Blogger oder einer kleinen Gruppe regelmäßig publiziert werden.
Trotz einer vergleichsweise geringen Reichweite in Deutschland sind das Blog und seine Wirkung nicht zu unterschätzen. Zwar gaben nach der ARD/ZDF-Online-Studie nur sieben Prozent der Internetnutzer 2011 in Deutschland an, Blogs zumindest gelegentlich zu nutzen. Und auch im internationalen Vergleich gilt die deutsche Bloggerlandschaft als weniger ausgeprägt, dennoch gibt es auch hierzulande eine Reihe profilierte Blogger unter Experten, Wissenschaftlern und Journalisten. In verschiedenen Themenfeldern wie Mode oder Netzpolitik hat sich eine hohe Blogdichte entwickelt. Klein geblieben ist hingegen die Zahl der politisch relevanten Blogs.
Befragungen zeigen, dass Blogger sich vor allem Alltagsthemen widmen. Nur eine Minderheit besitzt tatsächlich ein journalistisches Selbstverständnis. Im Vergleich mit Journalisten bevorzugen sie einen subjektiven Blickwinkel und streben eher nach einem interaktiven Austausch mit ihren Lesern – und mit anderen Bloggern. Durch die enge Vernetzung der Blogs untereinander entsteht eine Blogosphäre: ein intensiver Austausch mit vielen Verweisen untereinander. Allerdings ist das Blog – wie andere Social-Media-Formate – vielfältig verwendbar, weshalb solche Charakterisierungen nur begrenzt gültig sind.
Vor der Haustür: "Hyperlocal News"
Tatsächlich liegt es für Blogger aber nahe, über das zu berichten, was vor ihrer Haustüre passiert, im eigenen Dorf oder Stadtviertel. Hier hat die Berichterstattung durch lokale Blogger an Bedeutung gewonnen. Unter den Bloggern mit Lokalbezug befinden sich sowohl professionelle Journalisten als auch solche, die in ihrer Freizeit schreiben. In einigen Fällen bloggen auch Lokalpolitiker wie der Varelblogger Djure Meinen, der aus Varel am Jadebusen berichtet und grünes Stadtratsmitglied ist (siehe dazu: Interner Link: Julia Mittmeyer: Auf der Spur eines Leserbriefs).
Der Journalist und Internetvordenker Jeff Jarvis sieht in dieser Form von "Hyperlocal News" sogar die Zukunft des Journalismus. Zum Beweis gründete Jarvis, Professor an der Graduate School of Journalism der City University of New York, mit seinen Studierenden in Kooperation mit der New York Times ein eigenes Placeblog. Externer Link: "The Local" berichtet aus Manhattan und Brooklyn. Daneben gibt es in den USA eine große Zahl weiterer hyperlokaler Angebote, einige der ursprünglich unabhängig gegründeten Blogs werden mittlerweile von Medienunternehmen unterstützt oder diese initiieren eigene Plattformen. So akquiriert der Großkonzern AOL Hunderte von Bloggern, um sein landesweites Netzwerk Externer Link: "Patch" aus lokalen Blogs zu komplettieren.
Wie groß die Zahl der lokalen Blogs und wie umfassend ihre Verbreitung in Deutschland ist, lässt sich jedoch nicht genau sagen. Bisher fehlen Studien über diesen Blogtyp. Ein erster Überblick lässt sich allerdings durch die Plattformen Externer Link: istlokal.de und Externer Link: kiezblogs.de gewinnen. Sie vernetzen lokale Blogs, sodass der Leser schneller fündig wird, wenn er nach Blogs aus seiner Region sucht. Sie tragen nicht nur zur Bekanntheit bei, sondern auch zur Entwicklung eines eigenen Selbstverständnisses der Lokalblogger.
So vielfältig wie das Themenspektrum sind auch die Anlässe für die Gründung lokaler Blogs. Häufig haben Blogger den Anspruch, Missstände lokaler Tageszeitungen zu kompensieren und Lücken in deren Berichterstattung zu füllen – zum Beispiel im Ruhrgebiet: Dort befassen sich Zeitungen zwar mit den einzelnen Städten, doch fehlte eine übergreifende Klammer. Dieser Aufgabe nehmen sich das Pottblog, die Ruhrbarone und pott2null.de an. Oft ist den Bürgern die lokale Berichterstattung der Printmedien nicht kleinteilig genug. Sie erfahren aus der Zeitung nicht genug über ihr Stadtviertel oder ihr Dorf. Deswegen gibt es für den Tübinger Süden oder den Externer Link: Norden des Berliner Stadtteils Neukölln jeweils ein lokales Blog. Mitunter sind auch Kürzungen oder Fusionen im Bereich der Lokalpresse Auslöser für die Gründung lokaler Blogs – so geschehen in Berlin: Als die Kreuzberger-Chronik, ein Monatsblatt, mit der Friedrichshainer-Chronik zusammengelegt wurde, gründete der Journalist und Buchlektor Thomas Heubner einfach ein gleichnamiges Blog für Externer Link: Friedrichshain.
In anderen Fällen sind die lokalen Blogs als direkte Konkurrenz zur Tagespresse gedacht: Die Tegernseer Stimme möchte eine bessere Alternative zum Heimatblatt sein. Auch Externer Link: Regensburg-Digital oder das Heddesheimblog und lokalnews.de entstanden aus Unzufriedenheit mit der Lokalpresse. "Was andere versprechen, das halten wir", verkündet Daniel Wildfeuer, Geschäftsführer von lokalnews.de. Allerdings erhielt lokalnews.de eine Anschubfinanzierung vom ortsansässigen Zeitungsverlag. Kritiker sahen darin eine Gefahr für die redaktionelle Unabhängigkeit.
Lokalzeitungen bekommen Konkurrenz im Netz durch Blogs – oder Blogs werden zu ihrem Ersatz, wenn Zeitungen verschwinden. Die Westküsten-Stadt Seattle ist ein Beispiel für das neue "Nachrichten-Ökosystem". Dort stellten 2007 und 2009 zwei Tageszeitungen ihr Erscheinen ein. Die einzig verbliebene Zeitung musste ihre Redaktion erheblich verkleinern. Zugleich entstand eine Vielzahl alternativer, hyperlokaler Nachrichtenangebote, wobei Seattle über günstige Voraussetzungen verfügt: eine hohe Internetreichweite, eine starke Bürgerbeteiligung und die große Rolle, welche die IT-Branche (Microsoft, Amazon, RealNetworks) in der Stadt spielt. Nach einer Studie des Institute for Interactive Journalism in Zusammenarbeit mit der University of Maryland sind in den USA sogenannte "Citizen Media" vor allem dort entstanden, wo keine oder nur eine geringfügige lokale Berichterstattung in Zeitungen vorzufinden ist. Mittlerweile gibt es übergreifende Plattformen wie Patch, Externer Link: EveryBlock, Externer Link: Outside.in und Externer Link: Placeblogger, die lokale Nachrichten und Nachbarschaftsinformationen bündeln. In Deutschland ist Externer Link: myheimat.de die größte Plattform für lokale Leserreporter. Auch Regiowikis (die das kostenlose Wikipedia-Prinzip und die Software lokal nutzen) haben weite Verbreitung gefunden, die – meist abseits der Tagesaktualität – Wissenswertes aus der Region zusammentragen.
Bisher sind lokale Weblogs nicht zu einem deutschlandweit gleich großen Phänomen herangewachsen. Trotzdem konnten sie vereinzelt bereits für Furore sorgen: In der badischen Kleinstadt Bruchsal tauchte während des Oberbürgermeister-Wahlkampfs 2009 das lokale Blog (Externer Link: bruchsal.org) als Kritiker des CDU-Kandidaten auf, der schließlich den sicher geglaubten Wahlsieg verfehlte. Den Anstoß für die öffentlichen Unmutsäußerungen der Bürger gab die Zurückhaltung der lokalen Monopolzeitung "Bruchsaler Rundschau". Auch die Ruhrbarone ließen sich nicht von Politikern einschüchtern: Sie legten sich im März 2010 mit dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers an, als sie CDU-interne Unterlagen ins Netz stellten. Diese Beispiele deuten an, welche Rolle den neuen Stimmen im Lokalen und Regionalen zuwachsen könnte: Sie könnten die kommunale Öffentlichkeit beleben, die an vielen Orten in Deutschland nur von einer Zeitung bestimmt wird: Im Jahr 2008 stand 42 Prozent der Bundesbürger nur eine Lokalzeitung zur Verfügung.
Finanzierung lokaler Blogs
Ein Fragezeichen aber bleibt: Bis heute lässt sich mit Lokalblogs nur in Ausnahmefällen Geld verdienen. Selbst einige der genannten Vorzeige-Projekte in Großbritannien und den USA haben Schwierigkeiten. Von den 863 lokalen Seiten von "Patch" sind längst nicht alle Ableger profitabel. Die 2010 als Pilotprojekte begonnenen lokalen Blogs des britischen Guardian in Edinburgh, Leeds und Cardiff wurden mittlerweile eingestellt.
In Deutschland ist die Tegernseer Stimme die seit April 2010 mit einer neunköpfigen Redaktion über die Gemeinden im Tegernseer Tal berichtet, wohl der erfolgreichste deutsche Vertreter seiner Art. Ihr gelingt es, Werbeumsätze von bis zu 10.000 Euro monatlich zu erwirtschaften. Dazu trägt erheblich der Anzeigenverkauf für die kostenlose Printausgabe bei. Auch ruhrbarone und die Friedrichshainer-Chronik besitzen einen Papierableger. Der Großteil der lokalen Blogs ist aber auf Spenden und Erlöse aus Online-Werbung angewiesen. Ein tragfähiges Finanzierungskonzept wird dringend gesucht. Dennoch können Blogs Kostenvorteile bieten: Sie benötigen keine große Redaktion und wecken nicht die Erwartung, das gesamte lokale Geschehen abzudecken. Breiter angelegte lokaljournalistische Internetprojekte sind in der Vergangenheit regelmäßig gescheitert - wie die ambitionierte Online-Zeitung Echo Münster. Das Münsteraner Blog blieb schließlich als Plattform für lokale Sportnachrichten erhalten. Das Blog, so scheint es, ist als schlankere Variante eher überlebensfähig.
Schaffer, Jan (2007): Citizen Media: Fad or the Future of News? The rise and prospects of hyperlocal journalism. Washington, D. C.: J-Lab – The Institute for Interactive Journalism, Philip Merrill College of Journalism, University of Maryland. Externer Link: http://www.kcnn.org/research/citizen_media_report
Julia Neubarth, M.A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Dort forscht sie im Rahmen ihrer Dissertation zu dem räumlichen Bezug von Weblogs (Arbeitstitel: "Transnationale Öffentlichkeit oder nationale Isolation im Internet? Eine Netzwerk- und Inhaltsanalyse länderspezifischer Blogosphären.")
Prof. Dr. Christoph Neuberger
Prof. Dr. Christoph Neuberger ist Professor für Medienwandel am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Zu seinen Schwerpunkten gehören Journalismus- und Internetforschung. Von 2006 bis 2008 leitete er das DFG-Forschungsprojekt "Vermittlungsakteure, -strukturen und -leistungen der aktuellen Internetöffentlichkeit". Daraus entstand 2009 das Buch Journalismus im Internet. Profession – Partizipation - Technisierung.
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