"Immer näher dran", so heißt seit zwei Jahren der Anspruch, mit dem der Nordbayerische Kurier für seine Tageszeitung wirbt - im eigenen Blatt, auf Litfasssäulen, im Lokalradio und überall sonst, wo in und um das oberfränkische Bayreuth Werbung platziert werden kann. "Immer näher dran", das sagt sich leicht und ist doch schwer zu erreichen. Denn "Immer näher dran" dokumentiert auch den alltäglichen Spagat, den ein Lokaljournalist zu bewerkstelligen hat.
"Bratwurstjournalisten", so pflegt ein polarisierender Lokalblogger aus Südhessen seine Kollegen von den etablierten Zeitungshäusern zu nennen. Denn, so seine These, Lokaljournalisten kungeln eh nur mit den Mächtigen vor Ort, mit Bürgermeistern, Sparkassen-Chefs, Rotary-Präsidenten und mit den werbetreibenden Unternehmen. So ganz abwegig ist die These nicht, aber sie beschreibt ein überkommenes Journalismusmodell, das überall in Deutschland im Niedergang begriffen ist. Denn die Leser von Lokalzeitungen wollen vor allem eins: unabhängige Journalisten.
"Immer näher dran", das bedeutet in Bayreuth und Oberfranken, sich offen und in allen Facetten mit einem gefallenen Politikerstern auseinanderzusetzen, dem Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg. Der Plagiator war bis Mitte Februar 2010 der wichtigste Hoffnungsträger dieser einst als Zonenrandgebiet und nun von Abwanderung gebeutelten Region. Bis zu dem Zeitpunkt, als sich herausstellte, dass der damalige Verteidigungsminister in seiner Dissertation massiv getäuscht hatte. Die "Causa Guttenberg" hat die Lokaljournalisten beim Nordbayerischen Kurier und den anderen oberfränkischen Tageszeitungen mehr gefordert als alle anderen Themen der vergangenen Jahre.
Warum? Weil hier die Meinung einer großen Mehrheit der Leser und die der Journalisten geradezu konträr auseinandergehen. Während die Menschen, für die wir schreiben, dem Freiherrn seinen Betrug großzügig verzeihen, haben wir über die Vorbildfunktion des Abgeordneten geschrieben und darüber, dass ein Lügner, noch dazu einer, der nicht zu seinen Fehlern steht, kein öffentliches Amt bekleiden darf.
Wahrnehmung und Verachtung
Das Ergebnis der Kommentierungen zu unserer Berichterstattung ist deutlich. Nicht nur Dutzende Leserbriefe, in denen die Lokaljournalisten persönlich angegriffen werden, in denen man ihnen Neid vorwirft und eine "menschenverachtende Hetzjagd" und ihnen vorschlägt, ihren "Hass" vom Psychiater therapieren zu lassen, sondern auch Anfeindungen auf offener Straße und im Bekanntenkreis. Auch in solchen Konflikten Haltung zu zeigen, ist eine der wichtigsten Tugenden guter Lokaljournalisten - doch wer dankt es ihnen? Während die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für ihre konsequente Guttenberg-Berichterstattung mit dem "Leuchtturm-Preis" des Netzwerks Recherche oder zuletzt als „Redaktion des Jahres“ ausgezeichnet wurde, werden die streitbaren Lokal-Kommentatoren in Guttenbergs Heimat außerhalb ihres Verbreitungsgebiets nicht einmal wahrgenommen.
Anderer Fall, andere Region: Der Landrat eines Kreises im Münchner Speckgürtel will sich im Zuge einer Kasernen-Konversion ein Denkmal setzen und baut auf Pump für mehrere zehn Millionen Euro ein Gründerzentrum. Der Plan scheitert, nicht zuletzt aus Unprofessionalität, und am Ende sind über 15 Millionen Euro in den Sand gesetzt worden und die Schulden des Landkreises verdoppeln sich auf gut 80 Millionen Euro.
Der Lokaljournalist, der in jahrelanger Kleinarbeit die Stümpereien und den Größenwahn aufgedeckt hatte, musste allerdings stärker leiden als der Landrat. Nicht weil der den Berichterstatter jahrelang nicht grüßte, ihn versuchte, von Informationen abzuhängen und bei jeder Gelegenheit öffentlich diskredierte. Nein, weil ihn auch die Leser der Tageszeitung (und selbst manche Kollegen) immer wieder in Leserbriefen und persönlichen Briefen beschimpften.
Haltung und Brezeln
Nähe kann für den Lokaljournalisten auch ein Fluch sein, dann nämlich wenn das eigene soziale Umfeld zum Gegner wird, wenn die Familie leiden muss, wenn von den kritisierten Lokalgrößen unverhohlen Drohungen ausgesprochen werden. Wer bleibt schon unberührt, wenn er den Landrat aufgrund von dessen Verfehlungen am einen Tag zum sofortigen Rücktritt auffordert und am nächsten Tag als Berichterstatter auf der Parteiversammlung vom Rednerpult aus als "Schmierenjournalist" beschimpft wird. Einem Journalisten der FAZ oder des Spiegels würde so etwas nie passieren.
Und doch braucht der Lokaljournalist die Nähe, auch zu den Mächtigen in seiner Stadt. Er braucht diese Leute als Informanten, für Hintergrundgespräche und auch als vertrauensvolle Gesprächspartner, um im Wettlauf der konkurrierenden Medien nicht immer wieder zweiter Sieger zu sein. Er braucht ein Netz an Kontakten, die gepflegt werden müssen. Er muss es schaffen dazuzugehören, ohne Teil des Systems zu sein (was ganz nebenbei für die persönliche Eitelkeit sehr befriedigend sein kann).
Ob man als Lokaljournalist am Puls der Themen ist, diese Erkenntnis bringen solche Beziehungen allerdings nichts. Das erfährt man nur von den eigentlichen Kunden, den Lesern: Für mich war jahrelang eine Bäckersfrau der Gradmesser, wo ich gerade stehe. Dort gab es nicht nur die besten Brezeln im ganzen Landkreis, ich kam auch jeden Tag auf dem Weg in die Redaktion an dem Laden vorbei. Manchmal wurde ich dort freundlich und mit Namen begrüßt, oft aber auch aggressiv-abweisend ignoriert - dann nämlich wenn die Konflikte mit dem erwähnten Landrat gerade wieder die Kommentarspalten füllten. In dem Fall hilft nur das konsequente Überprüfen, ob man sich in der Berichterstattung an journalistische Standards wie ausgewogene Recherche und Fairness gehalten hat. Denn wer will schon auf die besten Brezeln im ganzen Landkreis verzichten?