Sterben auf Raten oder Digitalrenaissance. So lautet das Motto – sowohl für die Nachrichtenagenturen wie auch für die lokalen Tageszeitungen. Davon ist der Geschäftsführer der dpainfocom GmbH überzeugt. "Es müssen sich beide neu erfinden. Mit den alten Rezepten kommen wir im digitalen Zeitalter nicht weiter", sagt Ellers. Das Internet sei wie ein Disrupter – Zerstörer – in die Medienlandschaft eingefallen. Es hätte alles, inhaltlich und kaufmännisch, auf den Kopf gestallt. Die dpa und die anderen Nachrichtenagenturen hätten eine enorme Konkurrenz durch die Echtzeit-Kommunikation und Publikation im Internet bekommen. Und das doppelte Monopol der exklusiven Verträge für ein einmaliges globales technisches Netzwerk und ein weltweites journalistisches Netz seien durch das Internet hinweg gefegt worden. "Heute kann jeder von jedem Punkt der Erde publizieren, dafür braucht man keine Nachrichtenagentur mehr", sagte Ellers.
Meinolf Ellers
Meinolf Ellers ist Geschäftsführer der dpa-infocom GmbH. Gemeinsam mit Redaktionschef Christoph Dernbach leitet er die 2000 gegründete Multimedia-Tochter der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Hamburg. Er begann seine Laufbahn als Volontär bei der Tageszeitung "Die Glocke", war Reporter und Korrespondent der dpa in Essen, Hamburg, Bonn und Tokio sowie Ressortleiter. 1998 baute er das dpa-Zentralressort Vermischtes/Modernes Leben auf. Er koordinierte die Entwicklung von dpa-Online, woraus die dpa-infocom GmbH hervorging.
Aber auch die lokale Tageszeitung sei durch die digitale Konkurrenz mächtig unter Druck. "Ich glaube an das Potenzial der lokalen Tageszeitung, aber es hat nichts mit Papier zu tun", so der Geschäftsführer. Er appellierte dafür, die Funktionen der lokalen Tageszeitung in den Vordergrund zu stellen: die Rolle des "Geschichten- Erzählers am Lagerfeuer" ernst zu nehmen – "diese Funktion können Blogger nicht erfüllen" – und die Position des Moderators im lokalen Markt nicht der digitalen Konkurrenz zu überlassen. Denn die lokale Tageszeitung und der Lokaljournalismus stellen eine erfahrbare Lebenswelt ihres Publikums verlässlich und transparent dar. Sie habe zwei ganz starke Schätze, die es als Trümpfe auszuspielen gelte: die Beziehung zu den Lesern und Kunden, zu den Menschen im Verbreitungsgebiet sowie die eigene Marke. Sie sei ein Vertrauenskapital, dass gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann – und das auch bei den "digital natives" bekannt sei: "Sie kennen die Zeitung und sie wissen, was sie kann", so Ellers.
Die Währung der Zukunft seien deshalb die "Touchpoints" – wie viele Berührungspunkte hat die Zeitung in der Region? Die Zeitung muss zum Leben der Menschen im Verbreitungsgebiet gehören, sie müssen sie als Teil der Identität anerkennen. "Es gibt allerdings inzwischen Regionen in Deutschland, da stolpert man nicht mehr genug über die lokale Tageszeitung", mahnte der dpa-Geschäftsführer. Die Verlage müssten lernen, näher an Menschen und Kunden herankommen. "Die Leute müssen das Gefühl haben, die Redaktion sei immer für sie da", so Ellers. Trotz der optimistischen Prognose für die Zukunft des lokalen Print-Mediums warnte Meinolf Ellers vor zu großer Sorglosigkeit. Zwar könne er aus Deutschland noch keine wirkliche Erfolgsgeschichte lokalen Blogger entdecken, "dennoch gibt es inzwischen einige, die uns etwas vormachen, was für die "digital natives" attraktiver ist." Er forderte mehr Kreativität und Entdeckergeist: "Wir müssen verstehen, wie die Garagenkinder (gemeint sind Tüftler wie Steve Jobs oder Bill Gates, die ihre Erfindungen in der Garage zum Milliarden-Geschäft entwickelten. Anm. d. Red.) ticken". Solche Leute gebe es in Deutschland nicht. Unternehmer- und Gründergeist forderte Ellers auch von den Journalisten, nicht nur Verleger und Geschäftsführer ständen in der Pflicht – und sei es am Ende die publizistische "Ich-AG", die Journalisten angesichts der schrumpfenden Redaktionen im Hinterkopf haben müssten.
Publizistische Unternehmer gebe es in Deutschland so gut wie nicht. Er nannte als Vorbilder zwei Modelle aus Österreich und der Schweiz: das Vorarlberger Medienhaus (www.vol.at) mit seinen diversen Geschäftsmodellen von journalistischmultimedial bis zu Dienstleistungen. Auch die Jungfrau-Zeitung von Urs Gossweiler sei vorbildlich (Externer Link: www.jungfrauzeitung.ch und Interview auf der Externer Link: drehscheibe-Homepage). Gossweiler habe mit seiner "Mikrozeitung" kreatives Unternehmertum bewiesen. Gossweilers These: Nur nationale und lokale Medien werden überleben – die Tageszeitung müsste sich entscheiden. Der Geschäftsführer appellierte an die Verlage, sich intensiver mit ihren Zielgruppen zu beschäftigen (Stichwort: Sinus-Gruppen) und zwar über die Grenzen von Redaktion und Vertrieb hinaus. Wichtige Fragen müssen gemeinsam geklärt werden: Wo sind wir stark? Wo verlieren wir? Was müssen wir tun? Welche Plattform ist die richtige? Dabei sollten die Häuser weg von der Ein-Produkt-Strategie: "Verlage sollten selbst dafür sorgen, dass am Ort etwas los ist, worüber die Menschen sprechen." Voraussetzung für eine erfolgreiche Tageszeitung der Zukunft seien Voraussetzung für eine erfolgreiche Tageszeitung der Zukunft seien 1. Medienneutrale Produktion, das bedeutet, die Peaks zu beachten und auszuspielen, wann welches Medium die Menschen am besten erreicht und, 2. das Multikanal- Produzieren: das erfordere tief greifende Veränderungen im Produktionssystem der Redaktion.
Einen Trend der Zukunft macht Ellers im E-Publishing aus: "Wir sehen in Tablet und E-Reader, was Papier ablösen wird." Deshalb sei es für Verlage dringend geboten, sich jetzt mit der Materie zu beschäftigen, um nicht den Anschluss zu verlieren. "Wenn die Leute jetzt ihre Erfahrung mit den Geräten sammeln, müssen wir auch jetzt dabei sein." Ein Zukunftsmodell sieht er etwa in der Herangehensweise der Schwäbischen Zeitung, die plane, ein App-Angebot zu machen, das die Menschen im Zeitfenster zwischen Nach-Hause-Kommen und Anschalten der Tagesschau erreicht. Aber was immer die Häuser vorhätten, sie müssten es sorgfältig planen. E-Publishing müsse gelernt und geplant werden. "Sie werden noch länger Freude am Print haben, aber emanzipieren Sie sich vom Papier", mahnte Meinolf Ellers.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Dokumentation des bpb-Modellseminars "Das Netz ist lokal" im November 2010
Neue Finanzierungswege mit "goLocal"?
Auf dem Forum Lokaljournalismus 2012 sprach die drehscheibe mit Meinolf Ellers über das gemeinsame Projekt von dpa-infocom, Wan-Ifra und einigen Verlagen: "goLocal" will neue Geschäftsmodelle für Verleger entwickeln. Wie vielversprechend sind die ersten Ergebnisse?