Bei Gesprächen über die redaktionelle Qualität, wirtschaftliche Kraft und Innovationsfähigkeit der deutschen Tagespresse äußern Experten sehr häufig als ihr Credo: "Die Zukunft der Zeitung liegt im Lokalen". Oder auch: "Die Stärke der deutschen Tageszeitungen beruht auf ihrer tiefen lokalen Verwurzelung". Das stimmt – und bedarf angesichts der wirtschaftlichen und strukturellen Veränderungen in der Zeitungsbranche insbesondere während der vergangenen zehn Jahre doch des genaueren Hinschauens.
Die Struktur des deutschen Zeitungsmarkts ist, anders als beispielsweise die zentralistisch organisierten Zeitungsmärkte in Frankreich oder dem Vereinigten Königreich, typisch regional und mittelständisch geprägt. Hierzulande zählen wir 347 Tageszeitungen insgesamt, davon allein 329 lokale und regionale Titel sowie zehn überregionale Tageszeitungen und acht Straßenverkaufs- oder Boulevardblätter. Die tägliche verkaufte Auflage der gedruckten Zeitung liegt 2011 bei rund 19 Millionen Exemplaren, hinzu kommen vier Millionen Wochen- und Sonntagszeitungen, ferner gut 150.000 verkaufte E-Paper-Ausgaben und mittlerweile Zehntausende bezahlte Zeitungs-Apps täglich.
Der deutsche Zeitungsmarkt ist damit der größte Europas und der fünftgrößte der Welt. Seine Struktur gilt als stabil, ganz besonders im Vergleich etwa mit England oder den USA, wo in den vergangenen Jahren als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise reihenweise Zeitungen eingestellt wurden oder auf ausschließliches Erscheinen online umstellen mussten. Auch auf diesem stabilen deutschen Markt sehen sich die Verlagsunternehmen allerdings vor der Herausforderung, die seit dem (Anzeigen-)Boom-Jahr 2000 im Schnitt merklich geschrumpften Werbeeinnahmen wie auch die kontinuierlich leicht sinkenden Verkaufsauflagen der gedruckten Zeitung zu kompensieren.
Die Ursachen sind vielfältig, reichen zum Teil Jahrzehnte zurück und sollen an dieser Stelle nur stichwortartig genannt werden: Da ist die zunehmende Konkurrenz um Aufmerksamkeit, Zeit und Geld der Leser/Nutzer/Werbekunden durch die explosionsartige Vermehrung und Marginalisierung der Medienangebote im Zuge der Einführung des privaten Rundfunks und (zehn Jahre später) der Durchsetzung des Internets. Hinzu kommen demographische Faktoren wie größere berufliche Mobilität und Landflucht bei der deutschen Bevölkerung, die Zunahme von Single-Haushalten oder das sinkende Interesse Jugendlicher und junger Leute an gedruckter Lektüre.
Gleichwohl erreichen allein die gedruckten Zeitungen im Jahr 2011 täglich 68,4 Prozent der deutschen Bürger über 14 Jahren. Betrachtet man die lokalen/regionalen Titel, sind es immer noch 55,8 Prozent oder 40 Millionen Menschen, die Tag für Tag zur Zeitung greifen. In Kombination mit den Zugriffen auf Zeitungangebote online und mobil liegt die Nettoreichweite der lokalen/regionalen Titel sogar 13 Prozentpunkte höher. Das sind 9,2 Millionen zusätzliche Leser mit einem starken Akzent in den jungen Altersgruppen. Ihre Ansprache geschieht "vielkanalig" - gedruckt, online, mobil, mit Apps. Und das ist erst der Anfang der digitalen Evolution. Erfolge im digitalen Geschäft setzen bei den Verlagen Experimentierfreude voraus, einen langen Atem und die Bereitschaft zu erheblichen Investitionen in neue Technik, in die Schulung der Mitarbeiter, in Software. Und dies zu einer Zeit, in der das traditionelle Geschäft mit der gedruckten Zeitung aus den beschriebenen Gründen immer aufwändiger wird.
Was also tun? Auch hier nur einige Stichworte zu grundsätzlichen strategischen Optionen für Verlage: neue Geschäftsfelder erschließen, defizitäre Aktivitäten beenden, Nischen besetzen, Skaleneffekte nutzen, kurz: überkommene Strukturen aufbrechen und im Idealfall neue, „schlankere“ Strukturen schaffen. Auf absehbare Zeit wird die Herausforderung darin bestehen, mit weniger Mitarbeitern ein stetig verbessertes Produkt zu kreieren.
In diesen Zusammenhang gehört die Einführung zentraler News- und/oder Regiodesks zur optimalen Auslieferung der Zeitungsinhalte gedruckt, online und mobil; die breite multimediale Ausbildung junger Journalisten zur Herstellung qualitativ hochwertiger Inhalte weit über die gedruckte Zeitung hinaus; aber auch das Ressourcen schonende Outsourcing von Druck, IT, Technik oder Teilen der Redaktion (und hier insbesondere der Service-Seiten). Dazu zählt auch die Überwindung von Ressortgrenzen. Natürlich ist es nur sinnvoll, wenn Redaktion, Marketing und Vertrieb ihre Aktivitäten gemeinsam planen, wenn Redakteure auch einen Sinn für die wirtschaftlichen Aspekte ihrer Arbeit haben. Dass dabei das Trennungsgebot (also die klare Trennung von redaktionellen Inhalten und Werbung) unbedingt beachtet werden muss, versteht sich von selbst. Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut der Zeitung. Das gilt doppelt im Lokalen, wo die Leser/Nutzer die Wahrhaftigkeit des Berichteten unmittelbar vor Ort überprüfen können.
Die fortschreitende Digitalisierung wird so oder so weitere Veränderungen in der Arbeitsweise der Redaktionen und gerade auch der lokalen Journalisten mit sich bringen. Die Herstellung crossmedialer Inhalte beispielsweise erfordert über das journalistische Handwerk hinaus ein gewisses technisches Grundverständnis, je nachdem, ob Texte gedruckt, online oder mobil verbreitet werden und ob die Autoren Fotos, Ton- oder Videomaterial dazustellen.
Mehr als bisher werden sich die Redaktionen öffnen und mit den Lesern/Nutzern direkt kommunizieren sowie soziale Netzwerke aktiv bespielen. Das dient nicht nur der Leser-Blatt-Bindung, sondern immer stärker auch der Themenfindung und Recherche. Ohne den Begriff des Bürgerreporters überstrapazieren zu wollen, gibt es schon heute gute Beispiele dafür, wie Redaktionen auch in flächenmäßig großen oder nur dünn besiedelten Verbreitungsgebieten dank Facebook, Twitter und Co. ihre Fühler bis in kleinste lokale Ecken ausstrecken können.
Über den Erfolg entscheidet die richtige Ansprache der Leser, Hörer, Nutzer, Zuschauer immer dort, wo sie sich gerade befinden. Über den Erfolg entscheidet vor allen Dingen aber die Qualität der Inhalte.