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Mit Öffentlichkeit dienen | Lokaljournalismus | bpb.de

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Mit Öffentlichkeit dienen Der Demokratieauftrag der Lokalredaktion

Dieter Golombek

/ 5 Minuten zu lesen

Die freie Presse ist im lokalen Bereich besonderen Belastungen ausgesetzt. Gerade hier treten Störfälle im System der Machtbalance zu Tage. Und gerade hier wiegt der demokratische Auftrag schwer: zur Teilhabe zu befähigen und Orientierungshilfe für politische Fragen zu bieten.

Die Lokalzeitung ist fest eingebunden in die demokratische Struktur (© picture-alliance/AP)

Kate Amayo macht das Abitur mit der Gesamtnote 1,8. Sie ist illegal eingereist, aber ein Musterbeispiel an Integration. Das Illegale soll spät aber dennoch geahndet werden. Die Abschiebung scheint beschlossene Sache, das Flugticket ist ihr schon zugestellt. Der Reporter des Interner Link: Hamburger Abendblatts begleitet die möglicherweise letzten Tage der Ghanaerin in Deutschland. Die Zeitung trägt mit ihren Reportagen dazu bei, dass sie bleiben darf. Die Redaktion hilft einem Menschen und stößt eine sehr notwendige Debatte an, sie gibt das Thema zurück an die, die in Politik und Verwaltung Verantwortung tragen.

Eine Millionenfalle

Die ehemalige Bundeshauptstadt braucht neue große Projekte. Ein internationales Kongresszentrum soll in Bonn entstehen. Die Stadt geht einem Investor auf den Leim, dem es vor allem an einem fehlt, an Geld. Die Stadt stolpert in eine Millionenfalle, so auch der Titel der Serie, mit der der Generalanzeiger das Desaster in vielen Folgen ausleuchtet. Ein Skandal, die Zeitung macht ihn öffentlich. Dazu braucht es Mut, Rückgrat, Ausdauer und die richtige Strategie. Mehr muss auch nicht sein. Die Zeitung schafft die Voraussetzung für die Bereinigung eines Skandals. (Mehr Informationen unter Externer Link: www.general-anzeiger-bonn.de) .

Schlüsselfunktion in der Demokratie

Damit ist ein zentraler Auftrag angesprochen - für den Journalismus im Allgemeinen, für den lokalen Journalismus im Besonderen. Der Auftrag heißt: Öffentlichkeit herzustellen. Freie Medien haben konstitutive Bedeutung für die Demokratie. Das Verfassungsgericht lässt keinen Zweifel: "Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfenen Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates." Ohne freie Medien ist Demokratie keine Demokratie. Die Verfasser des Externer Link: Grundgesetzes haben die Medien aber nicht mit Verfassungsrang ausgestattet, sie sind nicht 4. Gewalt. Für eine eigene Machtausübung fehlt ihnen die Legitimation, sie sind nicht Richter, sondern Wächter.

Die freie Presse ist im lokalen Bereich besonderen Belastungen ausgesetzt. Gerade hier treten Störfälle im System der Machtbalance zu Tage. Der Störfall ist zum Beispiel eingetreten, wenn ein Kommunalpolitiker erzählt, es sei ihm gelungen, "seine" Lokalredakteure durch viele freundliche Kontakte, das vertrauliche "Du" inklusive, zur Harmlosigkeit zu erziehen. Der Störfall nimmt eine dramatische Form an, wenn der Skandal zum Stadtgespräch wird und darüber kein Sterbenswörtchen in der Zeitung zu finden ist.

Wenn dem so ist, dann hat die lokale Tageszeitung versagt, sie ist ihrer Wächterfunktion nicht gerecht geworden. Sie ist nicht in der Pflicht, jedes Ereignis, das ein Bürger oder eine bestimmte Gruppe als Skandal empfindet, auch gleich als Skandal zu brandmarken. Aber sie muss der Sache nachgehen. Und wenn etwas dran ist, muss sie mit Öffentlichkeit dienen.

Nachrichten trotz Nachbarschaft

Dieses Gebot gilt nicht nur für Skandale. Die Zeitung darf sich nicht einbinden lassen in politische Geschäfte durch Vertraulichkeit. Die politisch Handelnden verfolgen andere Interessen, sie wollen Entscheidungen durchsetzen, sie sind daran interessiert, nur Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, die für ihr Vorhaben sprechen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie die lokalen Medien in diesem Sinne instrumentalisieren wollen. Für Mächtige ist es mitunter lästig, wenn die Presse ihnen auf die Finger schaut, und Fehler kenntlich macht. In den Gemeinden begegnen sich Redakteure und Politiker manchmal täglich. Nachrichten trotz Nachbarschaft zu liefern, ist das schwere Brot für Lokaljournalisten. Es erfordert Mut, Missstände und Versäumnisse öffentlich zu machen, es erfordert Mut und Augenmaß, das Wächteramt auszufüllen. Die lokale Tageszeitung ist der Chefanwalt für Öffentlichkeit vor Ort.

Das Problem in den hoch entwickelten demokratischen Gesellschaften heißt nicht Informationsarmut, sondern Informationsfülle. Die wirkliche Welt und noch mehr die über Medien vermittelte Welt wird immer undurchschaubarer. Gerade das Internetzeitalter mit seiner unendlichen Menge von Informationsangeboten lässt viele Bürger immer wieder die Gretchenfrage stellen, was denn nun die Welt wirklich zusammenhält. Zeitungen haben viele Möglichkeiten, den Lesern ihre Dienste beim Sichten der Wirklichkeit anzubieten. Die aus dem Lokalen heraus begriffene Zeitung macht sich unverzichtbar, wenn sie einen Brückenschlag schafft, zwischen Heimat und Welt, wenn sie beides schafft: Heimatpflege und Welterklärung.

Erklärender Journalismus

Ihre Informationsangebote müssen entsprechend aussehen. Demokratietüchtig macht die Zeitung den Leser, indem sie ihm Orientierungs- und Navigationshilfen für diese komplizierte Welt bietet. Demokratie braucht den informierten Bürger, der, weil er weiß, um was es geht, zum Mitdenken und Mitmachen bereit ist. Politik wird in Brüssel, in Berlin oder in den Landeshauptstädten gemacht, ihre Auswirkungen hat sie in den Kommunen. Die Kanzlerin ruft in Berlin die Energiewende aus, plädiert für mehr Solarenergie, Windkraft und Biogas-Projekte, umgesetzt werden muss das Ganze in den Gemeinden, von den Gemeinden, von privaten Investoren im ländlichen Raum. Wie das alles zusammenhängt, was machbar ist, was nicht, was es genau mit mir und meinem Leben zu tun hat, um das zu verstehen, braucht es erklärenden Journalismus.

Nachrichten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen in einen Bezug gebracht werden zu den Menschen in der Region. Nur so können sie Politik verstehen, nur so ist ihr Interesse zu wecken. Die Leser müssen erfahren, was los ist auf der Welt, und warum und wie es sie angeht. Es ist vornehme Aufgabe der Lokalredaktion, diese Zusammenhänge deutlich zu machen und zu erklären. Ohne die Orientierungskraft von Lokalzeitungen hängt die sogenannte große Politik in der Luft. Mustergültig hat der Südkurier 2010 begonnen, diese Idee in die Tat umzusetzen. Er ist dafür mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis der Externer Link: Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet worden. Die Zeitung öffnet ihre prominenten Seiten 2 und 3, um die großen Themen der Zeit auf die Region herunterzubrechen ( Externer Link: www.suedkurier.de ).

Modell Bürgerzeitung

Die lokale und regionale Qualitätszeitung erklärt die Welt, sie kann sich ihren Lesern auch als Übungsfeld anbieten, indem sie ihre Forumsfunktion nutzt, Themen vorgibt, Diskussionen anzettelt, die Bürger einbezieht und sie selber die Themen setzen lässt, die sie bewegen. Das ist demokratische Teilhabe, wie sie besser kaum geht. Für Zeitungen eröffnen sich umso mehr Möglichkeiten, je weiter das Netz um sich greift. Onlinejournalismus ist in diesem Sinne eine große Chance für die lokalen Tageszeitungen, eine Chance, mit den neuen medialen Möglichkeiten Leser und Nutzer zu Mitdenkern und Mitgestaltern zu machen. Die Leser und Nutzer sind Bürger. Und Bürger haben in der Demokratie das Recht (und die Pflicht) selbstbewusst zu sein. Diesen Bürger braucht die Demokratie, diesen Bürger nimmt die Zeitung ernst, wenn sie ihn einbindet in die redaktionelle Arbeit, wenn sie aus der Zeitung eine Bürgerzeitung macht. Den Begriff Bürgerzeitung hat die Externer Link: Braunschweiger Zeitung geprägt. Für die Idee und das Konzept erhielt sie 2008 den Deutschen Lokaljournalistenpreis.

Wächteramt, erklärender Journalismus, Forumsfunktion, Bürgerzeitung: Die Ansprüche sind hoch. Wenn Zeitungen ihnen gerecht werden, leisten sie viel, tun der Demokratie gut, halten sie lebendig. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat vor knapp 40 Jahren ihr Lokaljournalistenprogramm auf den Weg gebracht. Sie hat es in der Überzeugung getan, dass die Qualität des Lokaljournalismus mitentscheidend ist für die Qualität der Demokratie. Positive Belege dafür gibt es viele. Der Pressedienst drehscheibe begleitet in diesem Sinne das Lokaljournalistenprogramm seit 30 Jahren. Das Rezept ist einfach: Die Externer Link: drehscheibe bietet Bestes aus Lokalredaktionen für Lokalredaktionen, Ideen, Themen, Konzepte, die zum Nachspielen und Weiterdenken einladen – und zur Pflege der Demokratie vor Ort.

Dr. Dieter Golombek hat 1975 das Lokaljournalistenprogramm der bpb begründet. Er ist Vorsitzender der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung