Herr Schäfer, wie war Ihr Eindruck bei der Lektüre?
Ich bin mit der WAZ in meinem Elternhaus aufgewachsen. Nach gut 15 Jahren Zeitungslektüre hatte ich dann erstmal ein Jahr lang keine Zeitung mehr und habe mich dann für ein Experiment dazu entschlossen, den Gutschein über das zweiwöchige Probeabo einzulösen. Mein Eindruck war zunächst enttäuschend, schien mir doch, dass die WAZ sich gegenüber 2010, als ich sie zuletzt gelesen hatte, kein bisschen verändert hat.
Dass ich zuvor nicht von ihr angetan war, war mit der Grund, warum ich die WAZ nicht selbst abonniert habe, und es schien mir noch immer genauso berechtigt. Die WAZ war und ist für mich keine optisch ansprechende Zeitung und ihre Aufmacher haben mir selten mehr bieten können als ich schon kannte, weil ich das meiste schon am Vortag online lesen konnte.
Was fiel Ihnen besonders negativ auf?
Wenn ich von den Inhalten mal absehe, denn da sind Geschmäcker und Ansprüche verschieden, dann waren es all die Unaufmerksamkeiten. Hier ein Flüchtigkeitsfehler, da ein doppelter Artikel. Das kann einmal passieren, aber wenn es regelmäßig passiert, dann ist das nur ärgerlich. Dass es dazwischen auch Texte gab, denen man ihren überholten Kenntnisstand anmerkte, war bisweilen dem Medium geschuldet – irgendwann ist halt Redaktionsschluss – aber eben auch nicht immer. Und Unwissenheit der Redakteure schützt dann bei schon anderweitig informierten Lesenden auch vor Missmut nicht.
Was war die beste Geschichte oder was hat sie am meisten interessiert?
Woran ich mich noch erinnern kann, war eine Reportage über einen muslimischen Mitbürger, der mit seiner Frau und seiner Mutter nach Mekka gepilgert war. Sie hatte einen schönen Spannungsbogen, ich stolperte über keine Fehler, und sie bot mal einen Einblick in etwas Neues, was mich interessierte. Ähnlich war es mit einer Reportage über die Auflösung eines Klosters, ich glaube, es war in Essen. Es waren Geschichten mitten aus dem Leben, die einen nicht unwichtigen gesellschaftlichen Aspekt auf das Menschliche herunterbrachen, das interessierte mich.
Sie sagen, Sie interessieren sich für lokale Themen. Wie informieren Sie sich über diese, wenn Sie keine Lokalzeitung lesen?
Zum Glück gibt es, auch wenn die WAZ in Herne Monopolistin ist, noch andere Quellen, wie zum Beispiel HalloHerne.de, ein kleines, aber ambitioniertes Online-Angebot eines ehemaligen freien Mitarbeiters der WAZ, das aber wesentlich mehr Inhalte online zur Verfügung stellt. Ansonsten gibt es aber auch noch den Twitter-Account von Radio Herne, der alle paar Stunden auf die drei Meldungen verweist, die in den Nachrichten Thema waren.
Das ist insgesamt natürlich viel zu wenig, allerdings bin ich auch nicht so lokal beschränkt, dass ich mich allein auf Meldungen aus Herne reduzierte. Das Ruhrgebiet ist einfach ein Ballungsraum mit gut fünf Millionen Einwohnern, da interessiert mich auch, was in der Nachbarschaft – und das sind in dem Fall eben die Nachbarstädte und das ganze Kernruhrgebiet – passiert. Vielleicht geht es mir weniger darum, um welche Straßenführung sich wo die Anwohner streiten, aber Themen mit regionalen Bezügen, Ereignisse, die die ganze Region beeinflussen oder Teil des Industriewandels hier im Ruhrgebiet sind, die finde ich dann doch spannend, und da gibt es dann doch mehr Nachrichtenquellen als die WAZ mit dem dahingehend allerdings ziemlich guten Portal DerWesten.de.
Geht es mir um die Region, dann habe ich noch die Ruhr Nachrichten als Quelle, ebenso wie manchmal RP Online, aber immer das Pottblog von Jens Matheuszik und die Ruhrbarone um Stefan Laurin. Die beiden finden und schaffen die regionalen Bezüge, die viel öfter gesehen werden sollten. Sie fokussieren stets auf das Regionale und Lokale und überlassen die Weltpolitik dann eher denen, die dafür die Kapazitäten und Einblicke haben. Genau das macht sie aber auch so gut.
Was ließe sich aus Ihrer Sicht grundsätzlich verbessern, etwa an der Blattstruktur oder der Themenauswahl?
Die WAZ ist im Ruhrgebiet in einer ziemlich schwierigen Situation. In manchen Orten ist sie die einzige Zeitung, anderswo muss sie gegen eine große Konkurrenz antreten. Was ich vielleicht für eine Verbesserung halte, würde von anderen als Verschlechterung empfunden und umgekehrt. Wenn ich mir jetzt mehr Lokales und Regionales wünsche, mehr längere Artikel, mehr Reportagen und weniger Agenturmeldungen, dann darf die WAZ aber gleichzeitig nicht weniger Bundespolitik bringen, weil sie eben die einzige Zeitung vor Ort ist und deshalb die einzige Zeitung ist, die das leisten kann. Eigentlich bräuchte es zwei Zeitungen, eine, die diesen generalistischen Anspruch, alles anzubieten, erfüllt, und eine, die sich ihre Nische, nämlich das Lokale und Regionale, sucht und diese gut ausfüllt.
Was sollten Lokalzeitungen Ihrer Ansicht außerdem tun, um Leser gerade in Ihrem Alter für die Zeitung zu gewinnen?
Das kann ich so pauschal gar nicht sagen. Am ehesten könnte ich noch sagen, sie sollte dorthin gehen, wo die von Ahnungslosen "Generation Facebook" getauften zu finden sind: online, in den diversen Social Networks (Facebook, Wer Kennt Wen, die VZ-Gruppe etc.), zu Twitter. Sie sollten ihre Beiträge an die Leute bringen und nicht darauf warten, dass sich die Leser durch die riesigen, alles bietenden Onlineportale hin zu ihren Lokalteil klicken. Sie sollten RSS-Feeds anbieten, denn wer will schon seine 120 Quellen lesen, indem er sie Seite für Seite ansurft. Es gibt genügend Feedreader, die, ähnlich wie eine Zeitung, alle Quellen an einem Ort zusammenführen.
Darüber hinaus wird es schon schwieriger, ich kann da eigentlich nur für mich sprechen. Vielleicht sollte man mal mehr jungen Leuten diese Frage stellen. Vielleicht käme man dann noch auf einen gemeinsamen Nenner: Die taz hat vor einiger Zeit ein Sonntaz-Abo eingeführt, mit der man nur die Wochenend-Ausgabe erhält, die WAZ hat ein Sport-Abo, das nur die sportstarken Ausgaben von Freitag, Samstag und Montag umfasst, dieser Individualisierung sollte auch bei Abo-Modellen von Lokalteilen Rechnung getragen werden. Wer zum Beispiel keinen Sportteil haben will, sollte ihn auch nicht bekommen und bezahlen müssen, sondern eben den Gesellschaftsteil, den er lesen möchte.
Wie könnte so etwas praktisch funktionieren?
Generell bräuchte es bessere Bezahlmodelle. Es ist etwas anderes, ob ich mich für zwei Jahre an einen Handyvertrag binde oder ob ich für denselben Zeitraum eine Zeitung abonnieren soll. Mit dem Vertrag bekomme ich ein Gerät, von dem ich ungefähr weiß, was mich erwartet, und dazu noch ein genau abgestecktes Angebot an Dienstleistungen wie Freiminuten oder einer Internet-Flatrate. Bei der Zeitung muss ich neben dem, was mich interessiert, noch alles andere mit erwerben und dabei darauf hoffen, dass mir die Art und Weise der Berichterstattung später immer noch zusagt.
Wenn nun gerade online mehr gelesen wird und die Zeitung dorthin geht, dann braucht es neben attraktiven Abomodellen auch einfache, barrierefreie Bezahlmöglichkeiten. Ich möchte zum Beispiel einen Artikel mit einer spannenden Überschrift und einer interessanten Überschrift sehen und ihn zum Lesen dann mit höchstens zwei oder drei Klicks kaufen können: einloggen und bezahlen, fertig, und das bitte nicht zu Mondpreisen. Ich will doch nicht für einen einzigen Artikel, den ich mal empfohlen bekommen habe, direkt einen Euro oder noch mehr löhnen, weil ich direkt ein Tages- oder Wochenabo abschließen muss.
Sehe ich mir nun die Inhalte an, muss ich mich fragen, was ich als Azubi oder Student von einer Meldung über eine Feier anlässlich der Ehrung von langjährigen Parteimitgliedern habe. Ich wüsste dann doch lieber von Dingen, die mich betreffen bzw. mich betreffen sollten. Studierende und Auszubildende sollten nicht nur dann in der Zeitung stehen, wenn es wieder um Fachkräftemangel und die miserable Ausbildungsplatzsituation geht. Es wirkt auf mich oft so, als fände junges Leben gar nicht in der Tageszeitung statt, als spielten die Sorgen und Nöte junger Menschen keine Rolle. Was machen Jugendzentren, wo gibt es Kultur für junge Leute, wo und wie engagieren sich junge Leute, auch politisch? Davon würde ich gerne mehr lesen. Ob es aber das ist, was andere junge Leute lesen wollen, kann ich nicht sagen. Bis zur individuellen Tages- und vor allem Lokalzeitung ist es ein sehr weiter Weg. Dafür reichen dann aber auch nicht sieben Lokalredakteure für 160.000 Einwohner.
Interview: Stefan Wirner
Das Interview ist zuerst erschienen auf Externer Link: drehscheibe.org