Die Antwort auf die Frage: "… und woher weißt Du das?" fällt Jugendlichen und jungen Leuten inzwischen sehr leicht: "Aus dem Internet natürlich!" Dort kennen sie sich aus, dort finden sie ihre Quellen - dort sind sie zuhause. Die Repräsentativerhebung zur Mediennutzung der Deutschen ergab, dass tatsächlich hundert Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren Internetnutzer sind; unter den 20- bis 29-Jährigen sind es mehr als 98 Prozent, so die ZDF-Online-Studie 2011. Dabei spielt die Welt der Information für die jungen Leute keineswegs die Hauptrolle; viel wichtiger ist ihnen die Kommunikation. Und besonders wichtig sind ihnen die Plattformen, auf denen man sich zeigen ("profilieren"), sogenannte Freunde sammeln, seine Meinungen kundtun und sich austauschen kann. Der genannten Erhebung zufolge haben inzwischen neun von zehn Jugendlichen (14- bis 19-Jährige) auf einer dieser Plattformen – überwiegend bei "facebook" – ein Profil; in der Gruppe der 20- bis 29-Jährigen sind es mehr als 70 Prozent.
Die vertraute Fremde Junge Leser und die Zukunft der Zeitung
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Die Zeitung will junge Leser erreichen: Sie entscheiden über die Zukunft der Zeitung. Aber nehmen diese die Lokalzeitung noch wahr? Und stimmen gar die Prognosen: Stirbt die Zeitung jung?
Die enorme Bedeutung, die das Internet als Kommunikationsraum vor allem unter jungen Leuten besitzt, zeigt sich an der durchschnittlichen Verweildauer. Während die berufstätige Erwachsenenbevölkerung pro Tag rund zwei Stunden online ist (und davon einen erheblichen Teil aus beruflichen Gründen), verbringen Teenager jeden Tag rund drei Stunden im Internet, vor allem, um unter Ihresgleichen zu kommunizieren. Diese Welt der "Social Media" ist heute die mediale Heimat der jungen Leute, sie ist ihr Marktplatz, ihr Cafe, ihre Flaniermeile, ihr Club. Das Smartphone haben sie stets in der Hand – und so ist ihre Lebenswelt unauflösbar mit der digitalen Community vernetzt und verwoben. Für sie ist das Lokale kein geografischer, sondern ein kommunikativer Raum.
Den alten Medien schenken sie hingegen kaum Aufmerksamkeit. Sie schauen sehr viel weniger Fernsehen als ihre Eltern (die 40- bis 55-Jährigen sitzen im Durchschnitt vier Stunden und 20 Minuten vor dem Fernseher, die Teenager "nur" eine Stunde und 54 Minuten), hören seltener Nachrichtensender und lesen weniger Zeitung. Befragungen zufolge aber unterstützen sie die Ansicht, dass Tageszeitungen glaubwürdiger sind als die meisten Newsanbieter im Internet. Auch die grundsätzlichen Anforderungen an die Informationsbeschaffung sind ihnen bewusst: Zusammenhänge zu kennen und Hintergründe auszuleuchten, um das komplizierte Weltgeschehen zu verstehen. Aber die großen Themen der etablierten Welt erscheinen vielen jungen Menschen abstrakt und sachfremd. Sie finden, dass die Themen, die sie in ihren Kommunikationsnetzen unter Gleichaltrigen austauschen, sowieso die wichtigeren seien. Denn dort geht es um ihre Sicht der Dinge, um ihre Wertvorstellungen und um ihre Sorgen.
Die Community stiftet Identität – nicht nur im Web?
Wenn das Lokale der Ort ist, wo sich der Alltag der Menschen abspielt, dann sind die meisten Jugendlichen im Lokalen sehr gut vernetzt, weil sich für sie (fast) alles in dieser Community der Gleichaltrigen abspielt. Die Kommunikationswissenschaft nennt dies Peer-to-peer-Kommunikation, die das Lebensgefühl der jungen Leute bis Mitte Zwanzig permanent zur Sprache bringt. Gewiss ist dies eine selbstreferenzielle und hoch redundante Kommunikation, deren Bedeutung aber darin liegt, dass sie identitätsvermittelnd wirkt und das bietet, was schon immer Merkmal des Lokalen ist: Vertrautheit, Geborgenheit, Sicherheit. Mit diesen Merkmalen verbindet sich die für den Journalismus zentrale Frage: Gibt es einen Übergang von der Community-Welt des Web 2.0 zu den klassischen Informationsmedien, allen voran zur Tageszeitung, die bis heute die lokale Welt der Erwachsenen repräsentiert? Was ist, wenn die jungen Leute, die als sogenannte "digital natives" mit und in der Internetwelt groß geworden sind, die Dreißig überschreiten, wenn sie einen Job auf unbestimmte Dauer haben, wenn sie mit ihrem Partner/ihrer Partnerin an Familiengründung denken? Wenn die Suche nach dem "richtigen" Stadtteil, nach der besten Schule einsetzt, wenn man eine Initiative für mehr Wohnstraßen unterstützt und sich eine Meinung über den Stadtteilentwicklungsplan bilden will? Wenn man für den Ausgang mit Freunden die kompetente Gastrokritik sucht und eine Einschätzung der Theaterpremiere lesen will? Zu allem gibt es Informationen im Web. Aber sind sie zuverlässig? Und wer steht jeweils dahinter?
Die derzeit ungeklärte Frage also lautet: Sind die Lokalteile der Zeitungen – sei es auf Papier, sei es als Webangebot – attraktiv genug, um in fünf oder zehn Jahren die dann Erwachsenen als regelmäßige Leser zu gewinnen?
Es gibt hierzu eine optimistische und eine eher pessimistische Einschätzung. Ich beginne mit letzterer. Ihr zugrunde liegt die Ermittlung der regelmäßigen Zeitungsleser; gemeint sind damit diejenigen, die mehrmals pro Woche in "ihrer" Tageszeitung lesen. Mitte der 80er Jahre waren dies unter den 14- bis 24-Jährigen immerhin 79 Prozent. Das Beunruhigende daran ist, dass unter diesen Jungen der Anteil der Zeitungsleser schon seit Ende der 80er Jahre rückläufig ist. Seit einer Zeit also, als es noch gar kein Internet gab. Zehn Jahre später, als die Mehrheit der deutschen Haushalte über einen Internetzugang verfügte und auch ältere Erwachsene regelmäßig im World Wide Web surften, war unter den Jungen der Anteil der Zeitungsleser bereits unter 60 Prozent gesunken. Heute liegt er deutlich unter 50 Prozent. Man kann daraus folgern, dass die Welt des Lesemediums Zeitung und die Welt der Jugendlichen schon seit mehreren Jahrzehnten auseinanderdriften. Dies gilt auch für die lokale Berichterstattung insgesamt, die ebenfalls schon damals an Attraktivität eingebüßt hat. Dieses Problem der Diskrepanz zeigt sich auch darin, dass von den älter werdenden Jungen nur wenige zum regelmäßigen Zeitungslesen konvertieren. Weil sozusagen der Leser-Nachschub fehlt, sinkt die Reichweite der Lokal- und Regionalzeitungen Jahr für Jahr um zwei bis vier Prozent. Leider gibt es bislang auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die jungen Leute statt der Papierausgabe die Webseite der Lokalzeitung nutzen: Auch dieses Angebot wird in den meisten Ballungsräumen von der Mehrheit der Jungen verschmäht; vielen von ihnen genügt der flüchtige Blick aufs Smartphone, um zu sehen, ob sich Freunde und Kollegen melden. Ihr Informationsinteresse beschränkt sich meist auf das Geschehen in der Community.
Repräsentant der Erwachsenenwelt
Also ein Siechtum, an dessen Ende der Tod der Zeitung steht? Schauen wir uns noch die optimistisch stimmenden Nachrichten an. Diese gehen von dem Befund aus, dass die Verweigerung der jungen Leute nicht allein die Zeitungen betrifft, sondern den klassischen Informationsjournalismus insgesamt, also auch die Fernsehnachrichten und die Nachrichtenmagazine. Und besonders hart trifft es die Lesemedien. Offenbar hatte das Schulsystem schon während der 80er Jahre zunehmend Probleme mit der Vermittlung von Lesekompetenz - nicht nur mit der Technik des Lesens, sondern dem damit verbundenen Textverstehen. Verstehendes Lesen ist keine Anstrengung, sondern interessant – und vielen, die dies können (vor allem Mädchen so zeigen Studien) bringt es auch Spaß.
Hinzu kommen die Lehrinhalte. Der Stoff, den Kinder und Jugendliche in der Schule lernen (müssen), repräsentiert die Erwachsenenwelt: eine abstrakte, institutionelle Begriffs- und Wissenswelt. Das war zwar schon immer so, verändert haben sich indessen die Geltung, die Reputation und die Glaubwürdigkeit dieser Erwachsenenwelt. Die Erwachsenen argumentieren heute doppelzüngig: Sie wollen Wachstum und erzeugen Umweltzerstörung, beklagen soziales Elend und fördern Turbokapitalismus, predigen Freiheit und denken an verschärfte Überwachung, suchen im öffentlichen Leben nach integeren Persönlichkeiten und protegieren aus opportunistischen Gründen Kleingeister und Schnäppchenjäger. Für Jugendliche ist die Tageszeitung mit ihrem Lokalteil ein "typischer" Repräsentant dieser Erwachsenenwelt, denn auch im Lokalteil wird schöngeredet und hochgeschrieben – und verschwiegen, was den Etablierten schaden könnte. Sehr viele Jugendliche machen darum einen weiten Bogen um die Zeitung, entwickeln Vorurteile und mokieren sich das "Blatt für die Omas/Opas".
Sie fragen sich, warum dies eine gute Nachricht sein soll? Allein deshalb, weil – wenn diese Beschreibungen zutreffen – der Prozess der Entfremdung auch umkehrbar ist. Untersuchungen des Angebots von Lokalzeitungen (bzw. des Lokalteils von Regionalzeitungen) kamen zu dem Ergebnis, dass rund zwei Drittel aller lokalen Zeitungsberichte nur die Perspektive der Institutionen und Veranstalter zeigen - egal, ob Politik, Wirtschaft oder Kultur. Nur ausnahmsweise wurde und wird aus der Sicht derjenigen berichtet, für die man die Zeitung macht: jene der Bürgerinnen und Bürger. Und noch immer sind dialogische und erzählende Darstellungsformen die große Ausnahme, noch immer kommen jene Problemthemen zu kurz, für die sich junge Leute interessieren.
Inzwischen ist in verschiedenen Zeitungsredaktionen die Botschaft angekommen. Dort beginnt das Umdenken, und der Perspektivenwechsel wird eingeübt: weg von der überkommenen Veranstaltungsberichterstattung, hin zu eigenständigen Themen, die ganz aus der Sicht der Leute (Beteiligte, Betroffene, Interessierte) aufgegriffen und recherchiert werden.
Dies genügt freilich nicht. Denn für die, denen die Zeitung fremd war, bedeutet Zeitunglesen eine anspruchsvolle Kulturtechnik, die keineswegs selbstverständlich gekonnt wird. Inzwischen gibt es eine Reihe von Experimenten in verschiedenen Bundesländern, in deren Verlauf Zeitungen in den Schulunterricht sinnvoll integriert und Zeitungen auch in
Allzu optimistisch? Vermutlich dann, wenn wir nur an die gedruckte Zeitung denken. Aber das Wort "Zeitung" sagt es eigentlich schon: Im 17. Jahrhundert stand dieses Wort für "tagesaktuelle Nachrichten", die von den "Zeitungern", den Blattmachern, verbreitet wurden. Diese Bedeutung kommt wieder, sofern der Lokaljournalismus das öffentliche Stadtleben aus Sicht (auch der jungen) Menschen über alle relevanten Kanäle vermittelt – sei es per Video und Plattformen, über Smartphone und weiterentwickelte Tablet-PCs. Oder auch, wer sich es dann noch leisten kann, auf dem Papier.
Berücksichtigte (nicht zitierte) Literatur:
Bucher, Hans-Jürgen und Klaus-Dieter Altmeppen (Hrsg.) (2003): Qualität im Journalismus. Grundlagen-Dimensionen-Praxismodelle. Wiesbaden.
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Journalisten-Reader "Kreativ ohne Chaos". Multimediales Arbeiten in den Lokalredaktionen. Externer Link: http://www.drehscheibe.org/fileadmin/user_upload/allgemein/bpb_ms_kreativ_reader_2009.pdf
Haller, Michael (Hrsg.) (2003): Lokale Kommunikation. In: Bentele/Brosius/Jarren (Hrsg.): Öffentliche Kommunikation. Handbuch der Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden, S. 576-589
Haller, Michael (Hrsg.) (2011): Näher ran! Das Lokale soll die Zeitungen aus der Krise führen. Themenschwerpunkt in Message. Internationale Zeitschrift für Journalismus, Heft 1/2011, S. 8-23
Stöber, Rudolf (2005): Deutsche Pressegeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Konstanz, 63ff.
Wolf, Fritz (2010): Salto Lokale. Das Chancenpotential lokaler Öffentlichkeit. Zur Lage des Lokaljournalismus. 15. Mainzer Medien Disput. Als Download erhältlich unter Externer Link: http://www.mainzermediendisput.de/.
Michael Haller ist Herausgeber der Internationalen Zeitschrift für Journalismus "message". Zu den Schwerpunkten des emeritierten Professors für Allgemeine und Spezielle Journalistik an der Universität Leipzig gehören im Bereich des Printjournalismus insbesondere Tageszeitungen, sowie Medienethik und Qualitätssicherung. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen unter anderem zur journalistischen Praxis und zur medienkulturellen Entwicklung.
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