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Medien sichten – Menschen und Geschichte(n) sehen | Die fünfte Wand. Ein Blick auf Migrations- und Mediengeschichte | bpb.de

Die fünfte Wand Einführung Interview mit Merle Kröger und Mareike Bernien Migrationsgeschichte(n) Kommentar: Die Medien der Migration / Die Migration der Medien Kommentar: Recht auf Öffentlichkeit Das Gefühl des Kollektiverlebnisses Das Archivprojekt im Unterricht Navina Sundaram: Leben und Werk Redaktion

Medien sichten – Menschen und Geschichte(n) sehen Potenziale des Archivprojekts "Die fünfte Wand" für den Unterricht

Marguerite Seidel

/ 15 Minuten zu lesen

Schülerinnen und Schüler können mit Hilfe des digitalen Werkarchivs von Navina Sundaram, der ersten festangestellten Fernsehjournalistin of Colour im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, erkunden, wie Mediengeschichte Zeitgeschichte spiegelt, mitschreibt und in unsere Gegenwart hineinwirkt.

Navina Sundaram im ARD-Studio für Südasien in Neu-Delhi (1967) (© Norddeutscher Rundfunk)

Fächer: Politik, Sozialkunde / Gesellschaftskunde, Geschichte, Erdkunde / Geografie, Deutsch, Ethik / Religion, fächerübergreifender Unterricht
Altersempfehlung: ab 15 Jahren, ab 10. Klasse

Was bedeutet es, heute Fernsehbilder aus der Vergangenheit zu sehen? Und welchen Blick werfen sie auf uns zurück? Seit dem Einzug von Film und Rundfunk in den Lebensalltag prägen Bewegtbilder unsere Wahrnehmung der Welt – zusätzlich befeuert durch die Vervielfältigung der Kanäle und Kommunikationsmöglichkeiten infolge der Digitalisierung. Doch wer produziert all die Bilder, aus welchen Gründen, mit welchen Absichten? Und was haben diese mit mir zu tun?

Das digitale Werkarchiv der Fernsehjournalistin Navina Sundaram wirft ein bewusst enges Licht auf diese weitreichenden Fragen rund um Medien und hinein in den Wald der möglichen Antworten. Das Archiv versammelt Filme, Reportagen, Moderationen, Texte, Briefe und Fotos aus über 40 Jahren Fernseharbeit. Ausgehend von ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk lassen sich relevante gesellschaftliche Themen erkunden und Verbindungen zwischen Sundarams pointierten Beiträgen, (Medien-)Geschichtsschreibung und gesellschaftlichem Wandel herstellen.

Im Folgenden sollen die Potenziale des Archivprojekts für die schulische Bildung aufgezeigt und Denkanstöße zur Entwicklung von Unterrichtsvorhaben zu diesen Themen gegeben werden:

  • Lernen an einer Biografie

  • Medien-/Rundfunkgeschichte

  • Migration und Rassismus

  • Dekolonisierung

  • Feminismus

  • Journalistische Ethik

Hinweis zur Nutzung des Online-Archivs

Das Webarchiv „Die fünfte Wand“ ist kostenfrei nutzbar. Aus urheberrechtlichen Gründen und zum Schutz der Privatsphäre beteiligter Personen und ihrer Angehörigen ist eine Registrierung notwendig. Um von dieser Seite aus auf die im folgenden Beitrag verlinkten Archivalien zugreifen zu können, ist daher eine vorherige Registrierung im Archiv erforderlich. Sie kann in einem gesonderten Fenster oder Tab erfolgen.
Registrierung und Anmeldung unter: Externer Link: https://die-fuenfte-wand.de/de/user/login

Ein Leben – viel(e) Geschichte(n) – Historisches Lernen anhand einer Biografie

„Namasté. Guten Abend meine Damen und Herren in Deutschland.“ Im Jahr 1963 tritt Navina Sundaram erstmals im deutschen Fernsehen auf. Mit einem Sari bekleidet, übernimmt die junge Studentin aus Neu-Delhi auf Einladung des damaligen Asien-Korrespondenten Hans Walter Berg die Anmoderation der Sendung Asiatische Miniaturen des Norddeutschen Rundfunks. Den deutschen Text lernt sie auswendig. Nach einem Jahr Mitarbeit im Studio Neu-Delhi spricht Sundaram gut Deutsch, ist 19 Jahre alt und beginnt ein Volontariat zur Politikjournalistin beim NDR in Hamburg. Als erste festangestellte „Redakteurin Interner Link: of Colour“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk plant und moderiert sie im Anschluss Sendungen wie den Weltspiegel, extra 3, Panorama sowie verschiedene Brennpunkte und prägt die politische Berichterstattung über das In- und Ausland mit. 1992/93 leitet sie als ARD-Korrespondentin das Fernsehstudio Südasien in Neu-Delhi. Ab 2004 arbeitete sie als freie Dokumentarfilmerin und Autorin.

Sundarams Werdegang sowie das Spektrum ihres journalistischen Schaffens sind verknüpft mit dem aus dem Grundgesetz abgeleiteten Auftrag des Interner Link: öffentlich-rechtlichen Rundfunks, vielfältige Programme, Themen, Perspektiven und Bilder anzubieten, um freie Meinungsbildungsprozesse in einer offenen, demokratischen Gesellschaft zu unterstützen. In einem Aufsatz schreibt Sundaram: „Damals, 1964, stand mir alles offen. […] Ich [war] eine Sensation – der exotische Gast […] Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum Inder in Deutschland, schon gar nicht beim Fernsehen. Ich war ein ‚first class immigrant‘.“

Trotz dieser Sonderrolle und ihrer Vorteile, will sie raus aus dieser „geistigen Ghettoisierung“ und „Marginalisierung“ und „rein in den Mainstream.“ Entgegen den Zuschreibungen, die Sundaram aufgrund ihrer Herkunft in der weißen Mehrheitsgesellschaft erfährt, unterläuft sie dualistische Vorstellungen vom Eigenen und vom Fremden. Sie positioniert sich an mehreren Orten: Als Indern mit Wahlheimat Hamburg und ab 1987 mit deutschem Pass, entwickelt sie eine hybride Identität und nimmt ihr Umfeld zugleich von außen als Neuzugezogene und von innen als in Deutschland lebende Person wahr. Teils entgegen der Anregungen ihrer Kolleg*innen, trägt sie etwa vor der Kamera nur noch selten und in bewusst ausgewählten Beiträgen einen Sari, das traditionelle Kleidungsstück vieler Frauen in Südasien. Grundsätzlich berichtet sie über alles – ungeachtet der Kritik an ihrer vorgeblich zu großen persönlichen Distanz zu innerdeutschen Themen oder ihrer zu großen persönlichen Nähe zu Indien und seinen Nachbarländern. Der „andere Blick“ auf die Welt, den sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk von Sundaram ausdrücklich wünscht, beschränkt sich nach ihrem Verständnis nicht auf Themen aus dem Ausland oder über Ausländer*innen. Sie begreift ihre Aufgabe vielmehr als weiterreichende Chance für Entgrenzung, facettenreiche Repräsentationen und Qualitätsjournalismus.

Medien-/Rundfunkgeschichte und Migrationsgeschichte – mögliche Rechercheschwerpunkte und Pfade durch das Archiv

  • Sundarams Auftreten im Fernsehen im Verlauf ihrer Berufslaufsbahn vergleichen und analysieren, mit TV-Journalist*innen heute vergleichen

  • Nach Archivalien sortieren: Fotos und Filmanfänge sichten und analysieren, Kommentar Dresscodes sichten und einordnen

  • Sundarams beruflichen Werdegang vor dem Hintergrund von Auftrag und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks untersuchen: Zur Entstehung und zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks recherchieren, Sundarams ersten Fernsehauftritt in Asiatische Miniaturen und damit verknüpfte weitere Archivalien sichten, Sundarams Reflexion ihres Werdegangs „Wenn das Normale exotisch wird …“ (1990) in Auszügen arbeitsteilig lesen und auswerten, Zusammenhänge herstellen und diskutieren

  • Partizipation und Sichtbarkeit von Fernsehjournalist*innen of Colour bzw. mit Migrationsgeschichte heute vergleichend untersuchen

  • Bezüge zwischen Rundfunkgeschichte und gesellschaftlichem Wandel/Migrationsgeschichte am Beispiel von Sundarams Leben und Werk erkennen: den Begriff Integration am Beispiel von Sundarams Biografie und anderen (post-)migrantischen Lebensläufen überprüfen und diskutieren

Living Archives: Vergangenheit erhalten – Geschichte(n) aus verschiedenen Perspektiven entdecken

Dass Qualitätsjournalismus – ebenso wie differenzierte Geschichtsschreibung – eine Frage multipler Perspektivnahmen ist, darauf verweist der von Sundaram selbst formulierte Untertitel des Archivs "Die fünfte Wand": „Innenansichten einer Außenseiterin oder Außenansichten einer Innenseiterin“. Diesen flexiblen Blick, dem eine migrantische Perspektive eingeschrieben ist, greift der „Living-Archive-Ansatz“ des Projekts auf. Er bietet Freiraum für ein entdeckendes Lernen.

Die Website versammelt Filme, Reportagen, Moderationen, Texte, Briefe und Fotos der Filmemacherin und Redakteurin Navina Sundaram und macht sie in dieser Zusammenschau erstmals öffentlich und kostenlos zugänglich – im Gegensatz zu den Archiven der Rundfunkanstalten, die aus (urheber-)rechtlichen Gründen nicht umfassend zugänglich sind. Die zufallsgenerierte Anordnung der Archivalien auf der Startseite erlaubt zum einen ein non-lineares Erforschen jenseits vorgegebener Kategorien oder Narrative. Bei jedem erneuten Aufruf der Seite ordnen sich die Archivalien neu an und werden so immer wieder anders zueinander in Beziehung gesetzt. Zum anderen können sie über Filterfunktionen (thematisch, chronologisch, nach Typ, nach Sendereihe, nach einem frei wählbarem Schlagwort) unterschiedlich sortiert werden. Verknüpfungen zwischen einzelnen Archivalien stellen zudem Kontexte her. Im Workspace können Nutzerinnen und Nutzer Fragestellungen, Recherchepfade und weiterführende Bildungsangebote miteinander teilen.

Auf diese Weise wirkt "Die fünfte Wand" mehreren Unsichtbarkeiten entgegen: Medial und im kollektiven Bewusstsein häufig unterrepräsentiert sind sowohl die Archivalien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als auch Menschen mit Migrationsgeschichte vor und hinter der Kamera sowie alternative Diskurse und Narrative. Der Interner Link: Lernort Archiv macht die Bedeutung von Archivpolitik, Archiven, ihrer Funktionen, Aufgaben und Arbeitsweisen unmittelbar erfahrbar: Themen und Fragen können durch Nutzerinnen und Nutzer selbstständig oder angeleitet entdeckt und erkundet werden.

Thema Archivpolitik, Archivpraxis und Medien-/Rundfunkgeschichte – mögliche Rechercheschwerpunkte und Pfade durch das Archiv

  • Die Bedeutung von Archivpolitik, Archiven, ihren Funktionen, Aufgaben und Arbeitsweisen am Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Werkarchivs "Die fünfte Wand" kennenlernen

  • Archive vergleichen: Parallelen und Unterschiede zwischen den Startseiten von Externer Link: ARD-Retro (oder Externer Link: NDR-Retro) und "Die fünfte Wand" vergleichen (auch möglich: Startseite des Externer Link: Bundesarchivs), Potenziale der Zugänge in die Archive erkunden und beurteilen

  • Historische Vorgänge bzw. gesellschaftspolitische Themen anhand ausgewählter Quellen erschließen (für mögliche inhaltliche Schwerpunkte vgl. die weiteren Infoboxen in diesem Artikel)

  • Quellen in ihrer unterschiedlichen Medialität vergleichen, erschließen, deuten und einordnen

  • Geschichtsdarstellungen als Rekonstruktionen und Interpretationen einordnen und beurteilen: einen Fernsehbeitrag von Navina Sundaram mit dem thematisch passenden Text in einem Geschichtsbuch vergleichen

Migration und Rassismus in der Bundesrepublik

Navina Sundaram zeichnet als journalistische Chronistin Ereignisse aus vier Jahrzehnten Bundesrepublik Deutschland auf. Gleichzeitig lebt sie als Zeitzeugin inmitten der Gesellschaft. Sie erlebt Migration, Rassismus und die Auswirkungen der Asylpolitik und nutzt ihre mediale Sicht- und Hörbarkeit, um sich zunehmend mit innenpolitischen Fragen auseinanderzusetzen. Über persönliche Erlebnisse hinaus, von denen im Archiv Briefe, Texte und Kommentare zeugen, entstehen insbesondere im Lauf der 1970er und 1980er Jahre Beiträge, die die Zusammenhänge zwischen Migration, Rassismus und Asylpolitik aus Sicht unterschiedlicher Menschen, Akteure und Institutionen beleuchten. Zwischen Aufnahme und Ablehnung von Arbeitskräften sowie Asylsuchenden, dem Anwerbestopp 1973 und der Verschärfung des Asylrechts in den 1980er Jahren legt Sundaram exemplarisch alltäglichen wie institutionellen Rassismus offen und widerlegt Vorurteile. So begleitet sie 1973 in "Externer Link: Darshan Singh will in Leverkusen bleiben" zwei aus Uganda vertriebene indische Familien auf ihrem Weg in den neuen deutschen Alltag, in dem sie ebenso auf Zuneigung wie Ablehnung stoßen. Immer wieder seziert Sundaram auch kritisch das Zweiklassensystem im Umgang der Behörden mit Asylsuchenden. Dabei wirken die inzwischen historisch gewordenen Situationen in ihren Beiträgen oft bestechend aktuell. Inwiefern sich bestimmte Aspekte des menschlichen Zusammenlebens über die Zeit hinweg zu wiederholen scheinen, drängt sich für heutige Zuschauende als Frage auf – ebenso, wie Medien durch die Art und Weise ihrer Berichterstattung Einfluss nehmen und interkulturelles Lernen anstoßen können.

Ob in Magazinbeiträgen über die Themen Asyl, binationale Ehen und türkische Gastarbeiter oder als Mitwirkende an Diskussionsendungen, Sundaram nimmt möglichst mehrere Perspektiven in den Fokus, die im Zusammenspiel Menschenfeindlichkeit entlarven und für ein gleichberechtigtes Miteinander plädieren. „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ – gemäß dieser vielzitierten Feststellung des Schriftstellers Max Frisch aus dem Jahr 1965 ermöglichen Sundarams Beiträge, die Welt hinter gängigen Klischees und Stereotypen in ihrer manchmal widersprüchlichen Vielfalt wahrzunehmen.

Thema Migration und Rassismus in der Bundesrepublik – mögliche Rechercheschwerpunkte und Pfade durch das Archiv

  • Migrationsgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland anhand ausgewählter Archivalien arbeitsteilig erkunden, Zusammenhänge mit migrationspolitischen Entscheidungen herausarbeiten und diskutieren, Wandel in der Gesellschaft erkennen und untersuchen, Geschichte und Situation von Minderheiten kennenlernen und beurteilen

  • Flucht und Asyl am Beispiel des Beitrags "Externer Link: Darshan Singh will in Leverkusen bleiben" (1973) oder einem anderen Fernsehbeitrag zum Thema* sowie den verknüpften Archivalien erkunden, mit aktuellen Flucht- und Asylgeschichten vergleichen, Unterschiede und Parallelen einordnen, individuelle vs. strukturelle Diskriminierung unterscheiden, Vielfalt erkennen, Klischees, Vorurteile und Rassismus erkennen, Situation von Minderheiten beurteilen

  • Darstellung von Migration und Migrant*innen in den Medien untersuchen: Klischees und Stereotype versus Vielfalt und Facettenreichtum, Vielfalt erkennen, Klischees, Vorurteile und Rassismus erkennen, Situation von Minderheiten Situation von Minderheiten beurteilen

  • Navina Sundarams persönliche Erfahrungen als Migrantin in der Bundesrepublik recherchieren und einordnen, persönliche Briefe, Texte und Kommentare zu Migration und Rassismus per Schlagwortsuche im Archiv finden und auswerten, Vielfalt erkennen, Klischees, Vorurteile und Rassismus erkennen, individuelle vs. strukturelle Diskriminierung unterscheiden, Situation von Minderheiten beurteilen

* Weitere Fernsehbeiträge zum Thema (Auswahl):

"Awake to light and freedom" – Die Dekolonisierung der Welt

Im säkularen Indien kurz nach der Unabhängigkeit aufgewachsen, erlebt Sundaram als Kind und Jugendliche den Nation-Building-Prozess des jungen Staates nach der Ablösung von der britischen Interner Link: Kolonialmacht unter Jawaharlal Nehru als erstem Premierminister. Später, als Journalistin beim NDR, befasst sich Sundaram aus persönlichem Interesse und einer solidarischen Haltung heraus mit Entwicklungspolitik – vor allem in Ländern, die sich im Übergang vom Kolonialstaat zur Selbstbestimmung befinden. So thematisieren ihre Auslandsreportagen und -dokumentationen verschiedene Dekolonisierungsprozesse in Asien und Afrika ab 1945, die in ihrer Gesamtheit trotz aller historischen und regionalen Besonderheiten exemplarisch vom globalen Phänomen der Emanzipation abhängiger Territorien nach 1945 zeugen. Sundarams Beiträge dienen als Ausgangspunkt, um Ursachen und Folgen von Kolonisierung bzw. Dekolonisierung beispielhaft, multiperspektivisch und vergleichend zu erschließen und zu diskutieren: die politische Entwicklung seit der Staatsgründung in Indien ("Externer Link: Solange es noch Tränen gibt", 1972), Bangladesch nach der Loslösung von Pakistan ("Externer Link: Die Freiheit und ihr Preis", 1973), der Rückzug der spanischen Truppen aus der Westsahara ("Externer Link: Krisenherd West-Sahara", 1976) oder der Besuch in Guinea-Bissau anlässlich der Rückführung des ermordeten Unabhängigkeitskämpfers Amílcar Cabral ("Interner Link: Das Erbe von Amílcar Cabral", 1976). Als Korrespondentin in Südasien wirft Sundaram zudem einen kritischen Blick auf die Politik insbesondere in Indien.

Thema Dekolonisierung (und Geschichte/Politik Indiens) – mögliche Rechercheschwerpunkte und Pfade durch das Archiv

Feministische Perspektiven

Nicht nur aufgrund ihrer Herkunft, sondern auch als Frau im männlich dominierten Politikjournalismus ist Navina Sundarams Arbeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bemerkenswert. Ihr beruflicher Werdegang ab den 1960er-Jahren verläuft zeitlich parallel zur damaligen Frauenbewegung. Wieder nutzt sie ihre privilegierte Position als eine der verhältnismäßig wenigen Journalistinnen mit der Reichweite des Fernsehens, um medial vermittelte Perspektiven rund das Thema Gender zu hinterfragen und zu vervielfältigen. Abhängigkeiten, ökonomische Ungleichheit und Arbeitsbedingungen von Frauen stehen im Zentrum ihrer Gesellschaftskritik.

So plädiert sie in ihrem einzigen Interner Link: Tagesthemen-Kommentar im Jahr 1991 für die Abschaffung des umstrittenen Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche als rechtswidrig einstuft. Frauen trügen seit jeher die Verantwortung über ungeborenes Leben und könnten durchaus selbst Entscheidungen treffen, so Sundaram. Von „mutig“ bis „skandalös“ – wie stark ihr Kommentar polarisiert, zeigen die zahlreichen Externer Link: Zuschriften, die daraufhin eingehen. Bereits in "Externer Link: Frauenhäuser überbelegt" aus dem Jahr 1983 kritisiert sie die vordergründig fortschrittliche westdeutsche Gesellschaft, die in ihrer Augen vor allem in den Behörden an tradierten Familienbildern festzuhalten scheine, anstatt die Selbstbestimmung der Frau konsequent zu unterstützen. Die benachteiligte Situation vieler Frauen in so genannten Entwicklungsländern macht sie in ihren Auslandsberichten und Texten meist am Beispiel der indischen Gesellschaft deutlich. Die Lage der Frauen in Indien diskutiert sie unter anderem in "Externer Link: Frauen in Indien: Manushi" (1986) als komplexes Gefüge zwischen globaler Abhängigkeit, ökonomischer Verteilung, patriarchalen Strukturen und Arbeitsverhältnissen.

Thema Feminismus – mögliche Rechercheschwerpunkte und Pfade durch das Archiv

  • Wer bin ich, wer will ich sein und in welcher Gesellschaft möchte ich leben? Anhand und mit Frauenbiografien lernen am Beispiel Navina Sundarams, ihr Lebensumfeld mit dem eigenen vergleichen, Wünsche/Forderungen/ … an sich selbst und das eigene Umfeld entwickeln

  • Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik erarbeiten, einordnen und untersuchen: Archivalien im Online-Archiv nach Externer Link: Themen: Gender sortieren und (arbeitsteilig) analysieren (weiterführende Materialien u.a. bpb-Interner Link: Schulnewsletter zum Thema Gleichberechtigung oder das Externer Link: Schulkit Frauenbewegung des Archivs FrauenMediaTurm)

  • Entstehungsgeschichte und Kontroversen rund um den Paragrafen 218 erschließen, zum aktuellen Stand Stellung nehmen: Sundarams Interner Link: Tagesthemen-Kommentar von 1991 und damit verknüpfte Archivalien untersuchen (v.a. die Externer Link: Zuschriften) und auf Aktualität überprüfen, weiterführende Informationen recherchieren und einordnen

  • Sich mit Gewalt/häuslicher Gewalt, Präventions-, Schutz- und Hilfsmaßnahmen am Beispiel von Frauenhäusern auseinandersetzen: Sundarams Beitrag "Externer Link: Frauenhäuser überbelegt" (1983) in die Erarbeitung neben weiteren Quellen einbeziehen

  • Frauen in den Medien – Entwicklung 1960er bis heute untersuchen und beurteilen (Position, Sichtbarkeit, Verdienst …): Sundarams Vortrag "Externer Link: Frauen sind die Hälfte des Himmels" beim Medientreffen der Frauen in Hamburg/Horn 1991 in die Erarbeitung neben weiteren Quellen einbeziehen

  • Gleichstellung von Frauen in der Welt seit den 1980er-Jahren untersuchen, verschiedene Situationen bzw. Perspektiven vergleichen und einordnen: Archivalien im Online-Archiv nach Externer Link: Themen: Gender sortieren und Sundarams Auslandsberichterstattung untersuchen (u.a. "Externer Link: Frauen in Indien: Manushi", 1986), z.B. mit aktueller Auslandsberichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Mediatheken sowie der eigenen Lebenswelt vergleichen und Ergebnisse einordnen

"Ich habe eine Meinung" – journalistische Ethik

In den 1960er-Jahren galt das Fernsehen noch als neues Medium, das die Menschen erstaunte. Es öffnete ihnen zu Hause ein Fenster zur Welt, gefüllt mit Bewegtbildern und Tönen. Als „fünfte Wand“ bezeichnete Sundaram deshalb in einem Externer Link: Brief an ihre Eltern die Faszination Fernsehen, die es beispielsweise 1969 ermöglichte, die erste bemannte Mondlandung im eigenen Wohnzimmer mitzuerleben. Mit diesen medialen Möglichkeiten musste nicht nur das Publikum umgehen lernen, sondern auch die Rundfunkschaffenden.

Navina Sundarams Selbstverständnis als Fernsehjournalistin orientiert sich zum einen an der im Grundgesetz verankerten Interner Link: Pressefreiheit, zum anderen an den aus dem NDR-Staatsvertrag abgeleiteten Leitlinien für einen ausgewogenen, qualitativ hochwertigen Journalismus, der in erster Linie der Wahrheit verpflichtet ist und die Menschenwürde achtet. Journalistische Ethik bedeutet für Sundaram aber nicht nicht Neutralität. Ihre Aufgabe sei es nicht, nur zu berichten. Sie beschreibt ihre Arbeitsweise vielmehr als „bekennend“ und „engagiert“. Bei aller Ausgewogenheit und Multiperspektivität war es ihr wichtig, stets einen Standpunkt zu haben und diesen erkennbar zu vermitteln. Neben ihrem Interner Link: Tagesthemen-Kommentar zum Paragrafen 218, in dem das Format per se eine Meinungsäußerung zur Gleichstellung von Frauen einfordert, findet sie auch in anderen journalistischen Formaten Wege, ihre Position mal offen, mal unterschwellig zu verdeutlichen.

In einem Zeitungsartikel über das Indien-Bild in Deutschland fragt sie etwa suggestiv: „Ayurveda, Bollywood, Computer. Dieses neue deutsche ABC hat das alte Medien-Mantra Kaste, Konfession, Korruption ersetzt. Wird es nicht Zeit für eine differenziertere Darstellung?“

Wie ausgewogener Journalismus bei gleichzeitiger Stellungnahme aus ihrer Sicht funktioniert, zeigt sie beispielhaft in der Dokumentation "Externer Link: Darshan Singh will in Leverkusen bleiben" (1972). Einerseits legt Sundaram das Spannungsfeld rund um die neu zugezogene Familie Singh zwischen Willkommenskultur, Neugier, Vorbehalten und offenem Rassismus durch die Vielfalt ihrer Gesprächspartner*innen differenziert dar. Andererseits entlarvt sie menschenverachtende Strukturen und Äußerungen durch eine Kombination von gezielten Rückfragen, Vermittlungsversuchen und eben der Einbeziehung vieler Standpunkte.

In der Auseinandersetzung mit der Dokumentation kann erörtert werden, inwiefern Sundaram eine überzeugende Argumentationsstrategie anwendet und ob die Meinungsbildung aufseiten der Zuschauenden durch diese Herangehensweise unterstützt wird. Während in den 1970er-Jahren andernorts der Pressekodex, aber auch der Interner Link: Beutelsbacher Konsens formuliert werden, lebt Sundaram durch ihr wertegeprägtes journalistisches Schaffen vor, wie ihre Vision eines offenen, toleranten, aber durchaus kritischen Miteinanders aussehen könnte.

Thema Journalistische Ethik – mögliche Rechercheschwerpunkte und Pfade durch das Archiv

  • Rechte und Pflichten von Journalistinnen und Journalisten kennenlernen, einordnen und diskutieren I: Sundarams Journalismusverständnis anhand des Kommentars "Externer Link: Ich habe einen Standpunkt gehabt" (2018) und den damit verknüpften Kommentaren erarbeiten und bewerten

  • Rechte und Pflichten von Journalistinnen und Journalisten kennenlernen, einordnen und beurteilen II: Medien als vierte Gewalt untersuchen: sich über Pressefreiheit und Pressekodex informieren, Materialien zum Thema von der Externer Link: bpb oder auch vom Externer Link: NDR auszugsweise bearbeiten, einen Fernsehbeitrag von Navina Sundaram im Zusammenhang mit Pressefreiheit, öffentlich-rechtlichem Rundfunk und journalistischer Ethik analysieren, mit einem aktuellen Fernsehbeitrag zu einem ähnlichen Thema vergleichen und Ergebnisse beurteilen

  • Informationen und Meinungen unterscheiden: einen Fernsehbeitrag oder Beitragsausschnitt von Navina Sundaram untersuchen, z.B. Tagesthemen-Kommentar (1991), Frauenhäuser überbelegt (1983), Darshan Singh will in Leverkusen bleiben (1973) …, mit einem aktuellen Fernsehbeitrag zu einem ähnlichen Thema vergleichen und Ergebnisse beurteilen, Potenzial der „Meinungsmache“ von Medien im Hinblick auf die eigene Lebenswelt bewerten

  • Zu einem kontroversen Thema Stellung nehmen: aktuelle Tagesthemen-Kommentare im Vergleich zu Interner Link: Sundarams Kommentar (1991) untersuchen, Positionen und Argumentationsstrategien erarbeiten und beurteilen, einen eigenen Kommentar sprechen, filmen oder schreiben

  • Journalistische Ethik – Schnee von gestern? Medien auf journalistische Gütekriterien hin unterprüfen (Vergleich zwischen Sundarams Beiträgen – aktuellen TV- und Online-Beiträgen möglich), Ergebnisse diskutieren und dazu Stellung nehmen

Weitere Inhalte

Marguerite Seidel hat Film- und Literaturwissenschaft in Berlin, Paris und Montpellier studiert. Als freie Autorin und Redakteurin arbeitet sie im Bereich Film, Filmvermittlung und Fremdsprachen. Sie unterrichtet zudem Deutsch als Fremdsprache an einem Hamburger Gymnasium.