Navina Sundaram war die erste festangestellte, „nicht-biodeutsche“
Im Wikipedia-Eintrag zu Sundaram steht: „Sie moderierte als erste Fernsehjournalistin mit Migrationshintergrund renommierte Sendungen wie den Weltspiegel, extra 3 und Panorama.“
Als Sundaram 1964 begann, beim Norddeutschen Rundfunk zu arbeiten, war das Umfeld, in das sie kam, einerseits geprägt vom restaurativen Verständnis Nachkriegsdeutschlands – die Ära Konrad Adenauer war gerade von einem weiteren CDU-Bundeskanzler, dem „Wirtschaftswunderkanzler“ Ludwig Erhard, abgelöst worden, eine umfassende und kritische gesellschaftliche, politische, wissenschaftliche und mediale Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hatte noch nicht begonnen. Andererseits war migrantische Präsenz allgegenwärtig, es war die Zeit der sogenannten Gastarbeiterära. Im Jahr von Sundarams Ankunft wurde mit großer Medienresonanz eine andere Ankunft gefeiert, die des (nach offizieller Zählung) millionsten Gastarbeiters, des portugiesischen Zimmermanns Armando Rodrigues de Sá. Das Bild seiner „Ehrung“ mit der Übergabe eines Blumenstraußes und eines Mopeds wurde zu einem ikonischen Teil der Selbsterzählung deutscher Gegenwartsgeschichte.
Gastarbeiter, Ausländer – sie sollten kommen aber nicht bleiben. Sie sollten lediglich eine funktionale Rolle auf dem Arbeitsmarkt erfüllen. Eine Person wie Sundaram markierte hier sichtbar
Migrantisch situiertes Wissen
Mit dem Begriff des migrantisch situierten Wissens ist ein Wissen gemeint, das sich dem üblichen Wissen über Migrant*innen (zumal als Herrschafts-, Verwaltungs- und Regierungswissen) widersetzt und das geteilt und damit gemeinschaftlich ist, dabei vielfältig und vor allen Dingen kritisch und widerständig. Der Begriff geht auf die Auseinandersetzung mit dem „NSU-Komplex“
Zloch merkt jedoch an, dass eine „Wissensgeschichte der deutschen Einwanderungsgesellschaft seit 1945“ sich auf unterschiedliche Weise schreiben ließe.
Migrantisches Wissen in den Medien / Migrantisches Medienwissen
So wie migrantisches Wissen da ist (und nicht erst abgefragt, eingeladen, hergestellt werden muss), gibt es eine migrantische Präsenz im Medialen. Diese Präsenz findet sich bereits im Kino der 1950er Jahre, wie die Film- und Medienwissenschaftlerin Maja Figge am Beispiel bundesrepublikanischer Filme dieser Jahre untersucht hat. In diesen Filmen sei nach 1945 Deutschsein als „Weißsein“ auch über rassistische und sexualisierte Auslassungen, Verschiebungen und Umdeutungen „(wieder-)hergestellt“ worden. Einerseits sei in den restaurativen Filmen der Adenauer-Ära die deutsche Gewaltgeschichte von Nationalsozialismus und auch Kolonialismus ausgeblendet worden. Andererseits seien in den Filmen auch Schwarze und „migrantische“ Personen zu sehen, die aber die Funktion hätten, das Selbstbild der Bundesrepublik als „bereinigt“ zu bestätigen. Dennoch würde ich im Anschluss an Figges Thesen festhalten, dass die migrantischen Figuren das bereinigte Selbstbild letztlich auch in Frage stellen – denn sie sind nicht zu übersehen, zumindest dann nicht, wenn die Filme mit kritischem Blick betrachtet werden.
Migrantische Präsenz findet sich aber auch auf der Tonspur, in der Musik, im Radio und auch im Fernsehen, nicht zuletzt in den mehrsprachigen Hörfunksendungen der ARD-Anstalten – die erste sogenannte „Gastarbeitersendung“ fand ebenfalls 1964 statt, ein Wunschkonzert für Spanier*innen – und später dem sogenannten Ausländerprogramm der ARD (das 2002 endgültig eingestellt wurde). Radio und Fernsehen (in der Bundesrepublik) als Schauplatz auch und gerade von migrantischem Wissen zu sehen, mag überraschen – ist es doch vor allem als Medientechnologie des Nationalstaats zu verstehen, die zu dessen Synchronisierung und Hegemonialisierung beiträgt. Gerade im Konzept des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, also der Kontext von Navina Sundarams Schaffen, kommt auch ein Anspruch auf Aushandlung zum Ausdruck, eben jener Anspruch, den der britische Soziologe Stuart Hall in seiner Studie zu aktiven Nutzung, Aneignung und auch Umdeutung von TV durch ein vermeintlich ausschließlich passiv berieseltes Publikum mit den Begriffen Encoding/Decoding als aneignende und gestaltende Medienpraxis beschrieben hat.
Diejenigen, die vermeintlich von den Programmentscheidungen ausgeschlossen sind und die Programmatik des Fernsehens nicht mitbestimmen können (oder zumindest zu einem bestimmten historischen Moment nicht konnten), haben immer auch ein Wörtchen mitzureden, d.h. sie reden immer schon mit. „Denn Fernsehen ist Technik, Institution und Programm, aber eben auch Seismograph der Gesellschaft, ‚Produkt der gesellschaftlichen Modernisierung und zugleich Transmissionsriemen sozialer Veränderungen‘ (Hickethier 1998, 1), Medium der Öffentlichkeit, Kulturtechnologie, ein Modus der Weltwahrnehmung, ein Gerätekasten im Wohnzimmerschrank, eine ästhetische Erfahrung, ein Dispositiv, Teil eines medialen Ensembles, Bilder & Töne, Alltagspraxis, Zuschauen & Mitmachen usw.“, wie es die Medienwissenschaftlerin und Fernsehforscherin Judith Keilbach bereits vor 20 Jahren formuliert hat.
Fernsehen ist damit auch ein migrantisches Medium: Migration hier verstanden als politische und soziale Bewegung, die Veränderungen erkämpft, auch und gerade „in den Medien“.
Fernsehen steht für die Einübung des Blicks, der Wahrnehmung, aber diese Einübung ist auch eine Frage des Ins-Verhältnis-setzens: Fern-sehen als Heranholen von dem, das anderswo ist – ist das dann nah oder bleibt es fern? Wem und wohin gehört es? Welchen Raum erzeugt Fernsehen, gerade als Technologie des Innenraums, des Wohnens, des „Zuhause“?
„Migration ist nicht zuletzt das Recht auf eine andere Geschichte“
Navina Sundaram hat Interviews geführt, die ich als aktivierend beschreiben würde. Sie war dabei Protagonistin vor und hinter der Kamera, aber nicht mit dem Effekt, dass sie den eigentlichen Protagonist*innen den Raum genommen hätte, im Gegenteil – sie hat sich dazugesellt, also in Gesellschaft begeben, um Gesellschaft zu erzeugen, zu verändern. Ihre bemerkenswerte Präsenz im „deutschen“ Fernsehen hat manche Menschen überhaupt erst dazu gebracht, mit eben dieser Institution ins Gespräch zu kommen. Selbstverständlich ist die Zustimmung zum Interviewt-werden auch das Ergebnis der Autorität ebendieser Institution.
Die beiden Initiator*innen, Autor*innen und Herausgeber*innen der „Fünften Wand“, Mareike Bernien und Merle Kröger haben dieses Projekt von Anfang an ebenfalls als Aktivierung (durch Rezeption) angelegt: sie haben zu Kommentaren zu verschiedenen Produktionen und Filmen von Navina Sundaram eingeladen – ich durfte mich beispielsweise mit Sundarams Film MEINE STADT, DEINE STADT von 1973 befassen. Darin portraitiert sie die Stadt Mannheim anhand zweier Industriearbeiter, die beide bei Mercedes-Benz tätig sind: Heinz Schmidt, deutscher Facharbeiter und Abdul Rahman, Gewerkschafter und Vertrauensmann im Betrieb, „aus der Türkei“.
So parallelisiert der Film die Binnenmigration vom Land in die Stadt und die internationale Migration über Staatsgrenzen hinweg – beide haben ökonomische und damit letztlich politische Ursachen. Wie ich an anderer Stelle mit Bezug auf die Argumentation des postkolonialen Literaturwissenschaftlers und Kulturtheoretikers Homi K. Bhabha in „DissemiNation“
Navina Sundarams Kommentare bestehen darauf, migrantisches Wissen nicht nur zu Gehör zu bringen. Vielmehr stellt sie dieses Wissen ins Zentrum (ins öffentlich-rechtliche Fernsehen). Sundaram sieht sich nicht nur als Vermittlerin, sondern schreibt sich als Teilhabende in dieses Wissen ein – und das auch und gerade als „First class immigrant“, die geholt wurde und die mit Privilegien ausgestattet nach Deutschland eingereist ist.