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Transparenz als Mittel gegen die digitale Verbreitung von Desinformation

Dr. Eva Flecken Dr. Gergana Baeva Francesca Sotter

/ 6 Minuten zu lesen

Die Meinungsbildung in digitalen Öffentlichkeiten wird immer vielstimmiger. Wie lässt sich in diesem Umfeld Desinformation verhältnismäßig und doch wirksam begegnen?

Nicht immer verfügbar: Smartphone mit aufgedeckter Falschinformation in einem sozialen Netzwerk (© picture alliance / Bildagentur-online/Ohde)

Überall und jederzeit begegnen wir (vermeintlich) faktischen Narrativen. Eilmeldungen versorgen unseren Handyscreen mit neuesten Schlagzeilen, in unseren Timelines scrollen wir durch Artikel, Kurzvideos und Infografiken. Sie alle erwecken den Anschein einer Faktizität, wenn es sich oft nur um Meinung handelt. Nicht selten sind es auch von irreführenden Fakten oder falschen Tatsachenbehauptungen eingerahmten Meinungen, , die lautstark als alternative Wahrheiten vorgetragen werden. Eine solche Vermischung von zum Teil erfundenen Tatsachen und Interpretation stellt die Nutzerinnen und Nutzer vor einer Hürde: Sie müssen Quellen einordnen und vertrauen und eigene Meinungen herausbilden - in einer Umgebung, die wenig transparent und sehr dynamisch ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Diskussionsführung mit Pseudo-Fakten unversöhnlichen geführt wird. Mit argumentativen Vorschlaghämmern wird auf Themen eingedroschen, ein vielseitiger und abwägender Diskurs kommt so kaum auf. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit wird so das Recht der Einzelnen eingeschränkt, sich ausgewogen zu informieren. Daran schließt sich zwangsläufig die Frage an, wie dem begegnet werden kann. Welche regulatorischen Mechanismen eignen sich, um Desinformation mit aller Verhältnismäßigkeit zu begegnen?

Verbreitung von Desinformation durch alternative Medien und Influencer

Wer sind die Akteure, die Falschinformation verbreiten und so Meinungsmache betreiben? Eine Externer Link: Schwerpunktanalyse der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) untersuchte knapp 800 Angebote darauf, ob sie jugendgefährdende Inhalte wie Verschwörungstheorien, Hasskommentare und Gewaltverherrlichung verbreiten. Die Angebote umfassten Webseiten, aber auch YouTube-Kanäle, Profile in den sozialen Medien und Messenger-Inhalte. Bei 35 Prozent der geprüften Angebote fand sich ein Verdacht auf beeinträchtigende Inhalte. Die Anbieter waren zum Teil Einzelpersonen mit populären Auftritten in den sozialen Medien (sog. Influencer). Andere gaben sich als Nachrichtenmedien aus, die eine alternative Berichterstattung zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ereignissen anbieten. Dabei wurden neue Trends und Themen wie z.B. die Covid-19-Pandemie schnell aufgegriffen. Personen, die für sich in Anspruch nehmen, die besseren Journalisten zu sein, waren auch in einer qualitativen Externer Link: Untersuchung von desinformativen YouTube-Kanälen sehr präsent.

Kleinere Plattformen und Messenger-Dienste stellen mit Blick auf die Verbreitung von Desinformation eine besondere Rolle. So zeigte die Externer Link: Schwerpunktanalyse der KJM, dass Anbieter mit problematischen Inhalten auf weniger reglementierte Plattformen abwandern: Bei Telegram – ein Dienst, welcher von sehr aktiven Gruppen zur Verbreitung von Verschwörungstheorien und Desinformation genutzt wird – begründeten über die Hälfte der geprüften Angebote einen Anfangsverdacht; bei Twitter und Facebook waren es weniger als ein Drittel.

Defizite bei der Nachrichten- und Informationskompetenz

Desinformationen, die auch eine große Reichweite erfahren können, stellen die Nachrichtenkompetenz der Nutzenden auf eine harte Probe. In einer Externer Link: Studie der Stiftung Neue Verantwortung erkannten 41 Prozent der Befragten eine Falschinformation auf Facebook trotz der Faktencheck-Hinweis nicht. Und bei einer nicht gekennzeichneten Falschinformation waren es sogar 57 Prozent. Auch das Erkennen der Neutralität einer Quelle bereitete manchen Befragten trotz eingeblendeter Hinweise große Schwierigkeiten. Insgesamt hatten 81 Prozent der Befragten nur eine mittlere oder geringe Informations- und Nachrichtenkompetenz.

Jüngere Befragte konnten gängige Labels online besser erkennen und einordnen. Junge Zielgruppen haben dagegen oft ein geringeres Wissen über klassische Medien im Vergleich zu Älteren und können politisch motivierte Interessenskonflikte schlechter erkennen. Diese Diskrepanz ist vermutlich damit verbunden, dass für diese Zielgruppe nicht-journalistische Akteure eine oft wichtigere Informationsquelle als die klassischen Medien sind.

Mehr Transparenz durch journalistische Sorgfalt

Die Defizite bei der Nachrichtenkompetenz zeigen, wie wichtig verlässliche Informationsquellen und eine transparente Medienumgebung sind. Der Gesetzgeber hat daher unterschiedliche Ansatzpunkte etabliert, um der veränderten Nutzungsrealität Rechnung zu tragen.

Ein neuer gesetzlicher Auftrag der Landesmedienanstalten liegt darin, journalistisch-redaktionelle Onlineangebote in Hinblick auf ihre Sorgfaltspflichten zu beaufsichtigen, sofern sich diese nicht dem Presserat oder einer anerkannten freiwilligen Selbstkontrolle angeschlossen haben. Diejenigen, die regelmäßig Nachrichten und politische Informationen verbreiten und öffentlich meinungsbildend wirken, müssen auf ihr publizistisches Handwerk achten. Dies regelt Externer Link: § 19 des Medienstaatsvertrags. Die Norm selbst bestimmt zwar nicht, was unter journalistischer Sorgfalt zu verstehen ist, jedoch können die publizistischen Grundsätze des Pressekodex vom Deutschen Presserat herangezogen werden.

Die Regelung betrifft sämtliche Onlineangebote, die nicht ausschließlich privat genutzt sind. Sobald ein Anbieter also kontinuierlich Informationen teilt, die sich auf Tatsachen beziehen und auf die öffentliche Meinungsbildung Auswirkungen haben können, sind die Sorgfaltspflichten einzuhalten - unabhängig vom Verbreitungsweg. Diese Grundsätze stellen die Mindestanforderungen an eine diverse Presse dar, dienen jedoch nicht der Sicherstellung eines inhaltlichen Niveaus, sondern dem Schutz der Allgemeinheit und der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen. Anbieter haben die Pflicht, Inhalte vor der Verbreitung auf die Wahrheit und Herkunft zu prüfen. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche kenntlich zu machen.

Bei der Bewertung von Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten gehen die Landesmedienanstalten derzeit stufenweise vor. Bevor ein förmliches Verfahren eingeleitet wird, werden Hinweisschreiben verschickt, damit die Anbieter Stellung beziehen und gegebenenfalls ihr Angebot anpassen können. Erste Beobachtungen zeigen, dass bereits ein solch niedrigschwelliger Kontakt Wirkung bei den Anbietern zeigte. Führen die Hinweisschreiben jedoch nicht zu einer entsprechenden Reaktion der Anbieter, so kommen weitere Maßnahmen der Rundfunkregulierung, wie Beanstandung und Untersagung zur Anwendung, so dass zur Not die Verbreitung von Falschinformation verboten werden kann.

Transparenz bei der politischen Onlinewerbung

So wie auch Hörerinnen und Zuschauer im klassischen Hörfunk und TV davor geschützt werden, einem Medieninhalt kontextlos ausgesetzt zu sein, so sind auch online Kennzeichnungen vorgesehen. Was ein Werbebanner zwischen den beiden Serienepisoden im Fernsehen ist, ist online die eindeutige Kennzeichnung eines Posts als „Werbung“. Nutzerinnen und Nutzer wollen wissen, ob ein Influencer eine neue Spielekonsole anpreist, weil er diese selbst gekauft und ausprobiert hat, oder weil er für eine werbliche Botschaft bezahlt wurde.

Ungleich relevanter werden Werbekennzeichnungen, wenn es sich nicht um Lippenstifte, sondern um politische Botschaften handelt. Mit politischer Werbung sind in der Regel bezahlte Inhalte gemeint, die im Auftrag oder im Interesse staatlicher Stellen, Parteien oder auch sonstigen Dritten verbreitet werden, um auf die politische Meinungsbildung abzuzielen.

Ähnlich wie im klassischen Rundfunk darf auch online in solchen Angeboten, die dem Hörfunk und Fernsehen ähnlich sind, nicht politisch geworben werden. In sogenannten einfachen Telemedien, die keine oder nur wenige Video- und Audioinhalte enthalten, darf hingegen politisch geworben werden, allerdings muss dies gekennzeichnet werden. Diesem Transparenzgebot wird nicht damit genüge getan, wenn "Werbung" in einer Ecke erscheint. Vielmehr muss der Werbetreibende oder Auftraggeber erkennbar sein. Denn freie Meinungsbildung setzt voraus, dass Nutzerinnen und Nutzer wissen, wer und mit welcher Intention zu ihnen spricht.

Neutrale und verhältnismäßige Maßnahmen gefordert

Die Verbreitung von unbelegten Tatsachenbehauptungen und deren Instrumentalisierung für eine politisch motivierte Meinungsmache sind aktuell zentrale Herausforderungen für die Gesellschaft. Auch wenn Falschinformation keineswegs ein neues Phänomen ist, so ist sie online schwieriger zu erkennen sowie leichter und schneller zu verbreiten.

Auch die Online-Plattformen sind gefordert, mehr Transparenz für Nutzerinnen und Nutzer zu schaffen und Problematisches zu kennzeichnen. Nicht zuletzt geht es auch um Fragen des Designs: Indem ein einfaches Weiterleiten von Inhalten durch Popup-Fenster unterbrochen wird, kann z.B. ein Bewusstsein für die kritische Prüfung von Inhalten gefördert werden.

Bei all den zu ergreifenden Maßnahmen steht jedoch die Sicherung der Meinungsfreiheit im Mittelpunkt. Meinungen sind schon mal geschmacklos, gar widerlich. Doch in einer Demokratie gilt: im Zweifel für die Meinungsfreiheit. Ultimativ müssen wir derlei schwer ertragbare Äußerungen aber eben genau das: ertragen. Und da, wo nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks, sondern des Gesetzes überschritten werden, schreitet die Regulierung ein. Mit Augenmaß und Sorgsamkeit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zum Begriff der Desinformation vgl. Möller/Hameleers/Ferreau (2020): Typen von Desinformation und Misinformation. Berlin: Externer Link: die-medienanstalten.de (PDF)

  2. Vgl. Jünger/Gärtner (2020): Datenanalyse von rechtsverstoßenden Inhalten in Gruppen und Kanälen von Messengerdiensten am Beispiel Telegram. Düsseldorf Externer Link: (PDF).

  3. So haben 71 Prozent der Befragten laut einer Studie im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW 2021 politisch motivierte Desinformation im Internet wahrgenommen Externer Link: (PDF).

  4. Die Studie der Stiftung Neue Verantwortung, ein politischer Think Tank zu Themen der Digitalisierung und neuer Technologien, wurde von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), der Bundeszentrale für politische Bildung, der Landesanstalt für Medien NRW und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) unterstützt.

  5. Vgl. Hasebrink/Hölig/Wunderlich (2021): #UseTheNews. Studie zur Nachrichtenkompetenz Jugendlicher und junger Erwachsener in der digitalen Medienwelt. Hamburg Externer Link: (PDF)

  6. Vgl. Begründung zum Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland Externer Link: (PDF).

  7. Vgl. Heins/Lefeldt (2021): Medienstaatsvertrag: Journalistische Sorgfaltspflichten für Influencer*innen. In: MMR 2021, 126; Lent (2020): Paradigmenwechsel bei den publizistischen Sorgfaltspflichten im Online-Journalismus – Zur Neuregelung des § 19 Medienstaatsvertrag. In: ZUM 2020, 593.

  8. Vgl. Externer Link: LT-Drs. NRW 17/9052, 135

  9. Vgl. Abstiens (2021): To share or not to share. Nudging zur Reduzierung von Fake News. In: Insight Austria Aktuell. Die Perspektive der Verhaltensökonomie Externer Link: (PDF).

Weitere Inhalte

ist Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb). Zuletzt leitete sie bei Sky Deutschland die Bereiche Regulierung und Jugendschutz sowie Politik für die DACH-Region. Zuvor verantwortete sie die Bereiche Digitale Projekte, Netz- und Medienpolitik in der mabb sowie Plattformregulierung in der Gemeinsamen Geschäftsstelle der Landesmedienanstalten.

ist als Referentin für Forschungsprojekte der mabb verantwortlich. Schwerpunkte ihrer Arbeit bilden Fragen der digitalen Medienvielfalt, der Verbreitung von Inhalten online und der Informations- und Nachrichtenkompetenzen in der Bevölkerung. Zuvor forschte sie zu Rundfunkstrukturen im deutschsprachigen Raum.

ist Referentin für Programmgrundsätze und Jugendmedienschutz in der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb). Zuvor studierte sie Rechtswissenschaften an der Universität Potsdam mit dem Schwerpunkt Medien- und Wirtschaftsrecht und absolvierte ihren juristischen Vorbereitungsdienst am Brandenburgischen Oberlandesgericht.