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Historische Plakate

Prof. Dr. Michael Sauer Michael Sauer

/ 13 Minuten zu lesen

Plakate wollen vor allem eines: auffallen. Als politische Plakate oder Werbeplakate heischen sie nach Zustimmung, informieren, werben und diffamieren sie.

Plakate sind ein Massenmedium, sie richten sich zumeist in großer Stückzahl an ein breites Publikum. Sie sollen informieren, werben, Zustimmung heischen, Gegner diffamieren, zur Aktion bewegen. Damit sie auch den schnellen und uninteressierten Betrachter erreichen, müssen sie Aufmerksamkeit hervorrufen. Entsprechend auffällig, eingängig und wirkungsvoll müssen sie gestaltet sein.

Der Quellenwert

Zwei thematische Großgruppen von Plakaten lassen sich unterscheiden: politische Plakate und Werbeplakate. Die erste Gruppe lässt sich weiter differenzieren, wenngleich die Abgrenzung nicht ganz trennscharf ist: Wahlplakate sind ein Instrument im Wettstreit der Parteien auf einem politischen Massenmarkt; Propagandaplakate dienen der Auseinandersetzung mit dem Gegner, vorzugsweise im Krieg oder im ideologischen Kampf; sozialkritische Plakate prangern gesellschaftliche Missstände an.

Wie lassen sich Plakate als historische Quellen nutzen? Die Besonderheit politischer Plakate liegt darin, dass in ihnen verdichtet und zugespitzt eine zeitgenössische Perspektive, ein Programm, ein Werturteil oder eine Ideologie zum Vorschein tritt. Diese lassen sich anhand von Plakaten einfacher und eindrücklicher (wenngleich weniger differenziert) untersuchen als anhand programmatischer Schriften. Hinzu kommt, dass sich nicht nur Überzeugungen und Meinungen, sondern auch Wirkungsabsichten anhand dieser Quellen besonders gut nachvollziehen lassen. Und Plakate machen allemal Grundströmungen einer Zeit erkennbar: Die rege Produktion politischer Plakate in der Weimarer Republik ist das Spiegelbild eines mit (damaligen) modernen Mitteln heiß umkämpften politischen Massenmarktes.

Werbeplakate aus dem Bereich der kommerziellen Werbung und der Kultur und Unterhaltung können Aufschlüsse über Alltags- und Mentalitätsgeschichte geben: Wer potenzielle Besucher und Kunden ansprechen will, muss deren Selbst- und Leitbilder treffen – anders hat er mit seiner Werbung keinen Erfolg. Deshalb kann man davon ausgehen, dass sich zeittypische Interessen, Haltungen, Bedürfnisse und Sehnsüchte in Werbeplakaten recht zuverlässig spiegeln.

Die Frühgeschichte des Plakats

Die Geschichte des Plakats geht zurück auf die Erfindung des Buch- und Bilderdrucks im 15. Jahrhundert. Diese technische Revolution brachte Texte und Holzschnitte unters Volk. Flugblätter und Flugschriften, am öffentlichen Ort angeschlagen oder von Hand zu Hand weitergegeben, wurden zum propagandistischen Mittel der konfessionellen Auseinandersetzungen nach der Reformation. Zugleich waren sie als Medien der Massenkommunikation Vorläufer der späteren Zeitungen. Diese neue Form von Öffentlichkeit war der Obrigkeit suspekt; schon früh gab es deshalb Versuche, solche Druckerzeugnisse zu kontrollieren und zu zensieren. Schon die frühen Plakate übernahmen werbliche Funktionen: Ab 1501 warb ein Anschlag für das Kölner Schützenfest, und seit dem 16. Jahrhundert verbreiteten sich die Ankündigungen von Gauklern, Schaustellern und Theaterleuten.

Der weiteren Entwicklung bereitete wiederum eine technische Erfindung den Boden. Die Lithografie, 1798 von Alois Senefelder entwickelt, ermöglichte größere Formate, eine engere Verbindung von Schrift und Bild und den Farbdruck. Nach 1848 hatte überall in Deutschland die Obrigkeit die politische Plakatierung erheblich eingeschränkt oder ganz untersagt. Erlaubt waren Werbeplakate. 1854 erhielt Ernst Litfaß durch einen Vertrag mit dem Polizeipräsidenten von Berlin das Recht, öffentlich Plakate anzubringen, im Jahr darauf errichtete er seine erste Werbesäule.

Die große Zeit des Plakats

Werbeplakat von 1911

Die große Zeit des Plakats begann am Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung, die sich jetzt in den führenden Wirtschaftsnationen durchgesetzt hatte. Neue Formen der Kultur, der Unterhaltung und des Konsums entstanden und ein breiteres, vornehmlich städtisches Publikum erhielt die Möglichkeit, daran teilzuhaben. Die anspruchsvolle Plakatwerbung für Theater, dann Kabarett oder Film wurde stilistisch vor allem geprägt durch Henri Toulouse-Lautrec, der durch die japanische Malerei zu seiner typischen kontrastiven Gestaltung klarer Linien und farbkräftiger Flächen angeregt wurde. Den Künstlerplakaten folgte die massenhafte kommerzielle Werbung für die jetzt neu entstehenden Markenartikel in den unterschiedlichsten Branchen – von Lebensmitteln bis zu Automobilen. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden die Werbeagenturen und die Werbeabteilungen in den Firmen.

Die Nutzung des Plakats für politische Propagandazwecke begann im Ersten Weltkrieg. Den Anfang machten mit einer wirksamen Feindbildpropaganda die Alliierten, Deutschland folgte erst mit Verspätung und eher zurückhaltend. Während der Weimarer Zeit avancierten dann die Plakate zu einem bevorzugten Instrument der politischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien. Unter der NS-Herrschaft wurde die Plakatwerbung wie auch alle anderen Medien staatlich kontrolliert und funktionalisiert. Plakate warben für die Partei und ihre Gliederungen und propagierten die Errungenschaften des Systems. Sie warnten vor Judentum und Bolschewismus, sie feierten alles Soldatische und Militärische und sollten so zur Ideologisierung und Militarisierung der Gesellschaft beitragen.

Propagandaplakat der Nationalsozialisten (© Wikimedia)

Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte die politische Plakatwerbung zunächst – wenngleich in der Ausführung weniger aggressiv – an die Weimarer Zeit an. Mit der Konsumwelle der Fünfzigerjahre war auch ein erneuter Aufschwung des Werbeplakates verbunden – mit Werbung für die Zigarette im Friedensformat, für Heidi-Filme oder für Coca-Cola. Durch die Entwicklung der Massenmedien Presse, Funk und schließlich Fernsehen nahm dann die Bedeutung politischer Plakate immer stärker ab. Heute sind sie häufig reduziert auf den Typ des reinen Kopfplakats, das einen Politiker bekannt machen und ein bestimmtes Image vermitteln soll. Die Parteien dokumentieren mit Plakaten vorwiegend Präsenz und führen dem Publikum ihren "Markennamen" vor Augen. Natürlich haben aber auch Plakate in allen großen politischen Streitfragen der bundesrepublikanischen Geschichte – von der Wiederbewaffnung über "1968" bis zur Nachrüstungsdebatte – ihre Rolle gespielt.

Das sozialkritische Plakat

Auch das sozialkritische Plakat erlebte seine Geburtsstunde im späten 19. Jahrhundert. Für diese Zeit ist es besonders mit den Namen Théophile-Alexandre Steinlen (1859-1923) in Frankreich und Thomas Theodor Heine (1867-1948) in Deutschland verbunden. Zwischen den Kriegen waren Käthe Kollwitz (1867-1945), George Grosz (1893-1959) und John Heartfield (eigentlich Helmut Herzfeld) (1891-1968) mit seinen Collagen und Fotomontagen seine profiliertesten Vertreter, und in den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts führte Klaus Staeck (*1938) diese Tradition fort.

Wirft man einen Blick auf die außerdeutsche Geschichte, fällt vor allem ins Auge, welche maßgebliche Rolle das politische Plakat seit der Revolution in Russland bzw. der Sowjetunion gespielt hat. Für die Politisierung von weitgehend analphabetischen Adressaten war das auf Bilder und wenige Schlagworte konzentrierte Plakat das Medium der Wahl. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben Plakate in den sozialistischen Ländern ein beliebtes Propagandamittel, allerdings zunehmend geprägt durch die simplen Darstellungsweisen des sozialistischen Realismus. Die Gleichförmigkeit der Botschaften und Gestaltungsmittel sowie deren Häufigkeit hat bei den Adressaten im Laufe der Zeit vermutlich eher zu einer Abstumpfung geführt. In vielen Ländern der ehemaligen Dritten Welt spielen Plakate als Mittel der Masseninformation und -beeinflussung heute noch immer eine wichtige Rolle.

Darstellungsmuster

Das Spektrum der Darstellungsmittel ist bei Plakaten – ähnlich wie bei Karikaturen – begrenzt; das ist Voraussetzung für ihre Zugänglichkeit und Wirksamkeit. Großes Format, markante Schrift, grafische Elemente, prägnante Farbgebung und in den meisten Fällen bildliche Darstellungen sollen im Zusammenspiel den "plakativen" Effekt erzielen. Bei den bildhaften Darstellungen sind Personen oder Personifizierungen, Symbole und Allegorien besonders beliebt. Definitorische Unterscheidungen einzelner Plakattypen sind schwer zu treffen. Klar abgrenzen lässt sich nur das lange vorherrschende reine Textplakat. Ansonsten können die Anteile der einzelnen Elemente ganz unterschiedlich ausfallen.

Eine besondere Rolle spielen beim politischen Plakat Symbole und Allegorien – das gilt vor allem für die Hoch-Zeit des politischen Plakats in der Weimarer Republik. An ihm lassen sich bestimmte politische Richtungen, soziale Gruppierungen, Wertungen oder Aussagen ohne weitere sprachliche Erläuterungen vermitteln. Den Zeitgenossen war das einschlägige Inventar von Zeichen und Verweisen bekannt, für sie gab es keine Verständnisprobleme; im Rückblick muss mitunter die eine oder andere zeichenhafte Bedeutung erst rekonstruiert werden. Die meisten Parteien oder Bewegungen haben ihre eigenen Symbole mit hohem Wiedererkennungswert wie das Hakenkreuz oder den Sowjetstern; damit verbunden ist oft die Symbolik der Farbe an einzelnen Gegenständen oder allgemein als Signalfarbe.

Kampfbereitschaft und Entschlossenheit kann man durch Bewaffnung, durch einen Turm oder eine Rüstung, aber auch durch eine geballte Faust symbolisieren. Soziale Gruppen lassen sich durch typische oder konventionelle äußere Accessoires markieren: der Arbeiter durch Schiebermütze und offene Jacke, der Kapitalist durch Zylinder, Zigarre, Uhrenkette.

Eng damit verbunden ist die Darstellung von Personen. Es kann sich dabei um einzelne oder Personengruppen, um bekannte oder um anonyme Personen handeln. Insbesondere Propagandaplakate arbeiten mit Stereotypen: Der Feind wird zum mordenden Ungeheuer, die Eigenen werden zu unschuldigen Opfern oder heldenhaften Verteidigern stilisiert. Solche Feindbilder sind etwa im Ersten Weltkrieg der aus alliierter Sicht "vertierte" deutsche Soldat, im so genannten Dritten Reich das antisemitische Bild des Juden mit seinen angeblichen Rassemerkmalen, von der russischen Revolution bis in die Nachkriegszeit der "asiatische" Bolschewik, der Deutschland oder den ganzen Westen bedroht.

Propaganda-Plakat von 1917 (© Wikimedia)

Demgegenüber stehen reale, aber ins Positive stilisierte Helden- und Vatergestalten wie etwa Hindenburg. Völker werden durch die bekannten allegorischen Figuren vertreten, Frankreich durch die Marianne, England durch John Bull, die USA durch Uncle Sam und Deutschland durch den Michel. Insbesondere in der Technikwerbung des späten 19. Jahrhunderts sind allegorische Darstellungen des Fortschritts beliebt, zum Beispiel die Figur des feuerbringenden Prometheus oder des Sonnengottes Helios in der Elektrizitätswerbung.

Bei der Ausgestaltung der Bilder kommt, der jeweiligen Intention entsprechend, das gesamte Inventar zeichnerischer Mittel zum Tragen. Größe, Proportion, Perspektive, Haltung, Dynamik können gegnerische Bedrohung, aber auch eigene Stärke zum Ausdruck bringen. Dazu trägt wiederum auch die Farbgestaltung bei, besonders wenn sie mit Signalfarben und starken Farbkontrasten arbeitet. Die Darstellung kann realistisch, überhöht oder karikierend ausfallen. Ein besonderer Kunstgriff ist die gezielte Ansprache des Betrachters nicht nur durch eine Aufforderung oder eine rhetorische Frage, sondern auch im Bild. Das bekannteste Beispiel dafür ist sicherlich das Rekrutierungsplakat der US-Army von 1917, auf dem Uncle Sam mit den Worten "I want you for U.S. Army" auf den Betrachter deutet . Auch andere Länder haben für ihre Rekrutierungswerbung dieses Mittel verwendet.

Analysemöglichkeiten

Weil "Botschaft" und Darstellungsmittel funktional miteinander verbunden sind, muss die Analyse von Plakaten stets beides berücksichtigen und aufeinander beziehen. Die Untersuchung der tatsächlichen Intentionen und Wirkungen von Plakaten ist allerdings nur im Ausnahmefall möglich. So fehlen meist genaue Angaben über die Auflagenhöhe und die Verbreitung eines Plakats: Hing es an jeder Wand im ganzen Land, war es nur lokal verbreitet oder blieb es gar nur Entwurf? Je nach dem war es um die Wirkungsmöglichkeiten sehr unterschiedlich bestellt. Wollen wir wissen, wie Menschen Plakate tatsächlich wahrgenommen und was diese in ihnen bewegt haben, so sind wir auf geeignete Selbstzeugnisse angewiesen, etwa einschlägige Äußerungen in Tagebüchern oder Briefen. Weil sie allenfalls vereinzelt vorliegen, muss man sich in aller Regel auf die Untersuchung der intendierten Wirkung beschränken.

SPD-Plakat von 1932

Aber auch diese ist nur begrenzt möglich. Denn nur selten sind explizite Äußerungen darüber überliefert, was Auftraggeber oder Künstler mit einem Plakat bewirken wollten. Kurzum: In der Regel wird sich die Untersuchung auf die Darstellung selber konzentrieren und intendierte wie tatsächliche Wirkungen aus ihr zu erschließen versuchen. Dass dabei historisches Kontextwissen erforderlich ist, versteht sich von selbst.

Außer der Analyse einzelner Plakate kann auch der Vergleich mehrerer zu interessanten historischen Einsichten führen. Die querschnitthafte Gegenüberstellung von Plakaten, die verschiedene Parteien oder Bewegungen anlässlich von Wahlen oder in Umbruchsituationen angefertigt haben, erhellt schlaglichtartig das Spektrum der zeitgenössischen politischen Positionen und lässt die jeweiligen Ziele, Gegner und Adressaten erkennbar werden. Solche kontrastiven Vergleiche sind besonders ergiebig für die Endphase der Weimarer Republik und die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Man kann aber auch anhand von Plakaten die Entwicklung einer Partei, einer Bewegung oder Ideologie im Längsschnitt verfolgen. Nicht nur Konstanz oder Wandel der Programmatik, sondern auch die gegebenenfalls zeittypische Veränderung der Darstellungsmittel wird daran deutlich.

Eine andere Möglichkeit, Gegensätze zu akzentuieren, ist die Untersuchung der jeweiligen Feindbilder, wie sie etwa die Kriegsgegner im Ersten und Zweiten Weltkrieg mit Hilfe von Plakaten gezeichnet haben – es geht um die Verfestigung bestimmter Stereotype und ihre propagandistische Inszenierung. Ähnliches lässt sich wiederum auch im Längsschnitt verfolgen: Wenn man die Darstellungen des Bolschewismus oder "des Bolschewiken" von der Weimarer Zeit bis in die Bundesrepublik – oder umgekehrt die "des Kapitalisten" in den sozialistischen Staaten und über den kommunistischen Parteien – verfolgt, tritt die Variation einer stets ziemlich gleichbleibend angelegten Motivik zutage. Auch eine thematisch ausgerichtete Längsschnittbildung ist möglich: Themen wie der Erste Mai, Frauen oder Frieden im Spiegel des Plakats.

Einzelbeispiele

Um die Anwendung plakattypischer Darstellungsmittel zu verdeutlichen, seien einige Plakate exemplarisch genauer betrachtet. Als Beispiele für politische Plakate sollen zwei Wahlplakate aus der Weimarer Zeit dienen. Das Plakat der DNVP stammt aus dem Wahlkampf zur Reichstagswahl am 31. Juli 1932. Es bietet eine Positivfigur und ein Feindbild zugleich. Im Mittelpunkt des Bildes steht Hindenburg. Die rechte Hand hat er erhoben, eine beruhigende, fast segnende Gebärde. Wie ein Denkmal ragt der Reichspräsident über einer tumultartigen Szene auf. Sie stellt den Reichstag dar: Die Abgeordneten fuchteln erregt mit den Armen, der Reichstagspräsident versucht offenbar vergeblich, mit seiner Glocke die Ruhe wieder herzustellen. Ein klassisches Stereotyp von Rechts (und Links): das Parlament als undisziplinierter Haufen, als "Schwatzbude". Der schwarz-weißen Zeichnung ist plakativ die kräftige rote Schrift gegenüber gestellt, bezeichnenderweise Fraktur.

Die Botschaft ist vor dem Hintergrund der politischen Situation eindeutig. Seit Anfang Juni regiert Franz von Papen als Reichskanzler ohne parlamentarische Mehrheit allein mit Unterstützung der DNVP. Eine parlamentarische Mehrheit für von Papen steht bei der Wahl nicht zu erwarten. Nach Artikel 54 der Weimarer Verfassung ist die Regierung vom Vertrauen des Parlaments abhängig: "Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstages. Jeder von ihnen muss zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluss sein Vertrauen entzieht." Dieses Recht will die DNVP zugunsten des Reichspräsidenten beseitigen, deshalb die Diffamierung des Reichstags und die Stilisierung Hindenburgs. Interessant ist, wie hier der Begriff "Alleinherrschaft" propagandistisch umgedeutet wird für einen Angriff auf die parlamentarische Verfassung.

Stereoytp des Arbeiters auf einem KPD-Plakat von 1932

Mit ganz ähnlichen bildlichen Versatzstücken arbeitet das Plakat der KPD aus demselben Wahlkampf. Um einen Tisch sind führende rechte Politiker versammelt. Dargestellt ist offenbar von Papen – mittig in der Position des Vorsitzenden – mit seinem Kabinett. Aber auch Hitler sitzt mit am Tisch (drei Plätze weiter links). Drei Personen sind mit Stahlhelm, Pickelhaube und Militärmütze als Angehörige der Reichswehr oder militärischer Verbände gekennzeichnet. Die anderen Herren sieht man nur von hinten; ganz offenkundig handelt es sich um Vertreter der Wirtschaft, an Zylindern und feisten Nacken als "Kapitalisten" erkennbar. An diesem Tisch, das wird suggeriert, kungeln die Mächtigen miteinander. So stellt sich aus der Perspektive der KPD das "System" dar, das es zu beseitigen gilt.

Die Partei selber ist als mächtige rote Gestalt ins Bild gesetzt, nicht als individuelle Person wie bei Hindenburg, sondern als Typus des Arbeiters. Die einschlägigen Accessoires sind Schiebermütze, offene Jacke, Hose mit Gürtel (statt Hosenträgern), Hemd ohne Kragen. Sein Gesichtsausdruck ist grimmig entschlossen. Gespreizte Beine und ausgestreckter Arm signalisieren Dynamik: gleich wird seine Faust auf die Tischgesellschaft niedersausen. Wie beim DNVP-Plakat wird hier also sowohl ein Feindbild wie eine Identifikationsfigur geboten, beides als Stereotyp.

Stilrichtungen politischer Plakate

El Lissitzky Plakat von 1919: "Schlagt die Weißen mit dem roten Keil"

Will man untersuchen, wie sich verschiedene künstlerische Stilrichtungen auf die Gestaltung politischer Plakate ausgewirkt haben, so ist die Geschichte der Sowjetunion besonders interessant. Geradezu legendär geworden ist El Lissitzkys Plakat aus dem Bürgerkrieg: "Schlagt die Weißen mit dem roten Keil" (1919). Der politische Konflikt zwischen Roten und Weißen wird auf eine außerordentlich eingängige konstruktivistische Bildformel gebracht. Zum Farbgegensatz – in den politischen Begriffen schon gegebenen – kommt der Kontrast der Formen: Der dynamische rote Keil zerstört die "weiche", geschlossene Form des weißen Kreises.

Nach der siegreichen Beendigung des Bürgerkrieges wurde die Kunst in den Dienst des "sozialistischen Aufbaus" gestellt. Als Beispiel dafür ein Plakat von Nikolaj Dolgorukov aus dem Jahre 1931: "Schaffen wir eine mächtige Basis der Industrialisierung im Osten!" Der Gesamteindruck ist durch das grafische Zusammenwirken verschiedener Elemente bestimmt: Fotos in Schwarz-Weiß und Farbe, teilweise freigestellt, schwarze und rote Zeichnungen, die Luftskizze eines Industriekomplexes, eine Landkarte. Die Motive Hochöfen, Schornsteine und Kräne werden variiert. Es gibt zwei Standrichtungen, die eine senkrecht, die andere um etwa 45 Grad nach links gekippt. Das Plakat zeigt Aspekte und Assoziationen zum Thema "industrieller Aufbau", und in der Form der Montage ist dies adäquat umgesetzt.

Schon in den Zwanzigerjahren entstand der neue Stil des sozialistischen Realismus. Er sollte das Heroische und Vorbildhafte des "sozialistischen Aufbaus" zeigen. Positive Helden, Parteilichkeit, Volkstümlichkeit und Massenverbundenheit lauteten seine Schlagworte. 1934 wurde er zur verbindlichen Doktrin für Kunst und Literatur und blieb es bis zum Tode Stalins. Das bedeutete die Abkehr von den nun als formalistisch kritisierten innovativen Darstellungsformen. Diese Entwicklung demonstriert, wie sich in einem zentralistischen Regime nicht nur die Inhalte der Plakatwerbung, sondern auch die gestalterischen Mittel im Wandel offizieller Kunstanschauungen verändern.

Kommerzielle Plakate

Plakate aus dem Bereich der kommerziellen Werbung und der Kultur und Unterhaltung können, wie schon gesagt, Aufschlüsse zur Alltags- und Mentalitätsgeschichte geben. Als Beispiel dafür zwei Werbeplakate aus dem Kaiserreich. Beide werben für Fahrräder der Firma Opel, und beide tun das mit der Darstellung junger Damen. Auf dem Plakat von 1891 trägt die junge Frau ein langes Kleid, eine geschnürte Taille, Handschuhe und einen Hut. Sie ist also genau so gekleidet wie als Spaziergängerin; obgleich es sich mit dem langen Kleid gewiss nicht gut radeln lässt, entspricht sie den herkömmlichen Anstandsregeln.

Anders das zweite Plakat aus dem Jahre 1898. Die Fahrerin steht selbstbewusst vor ihrem Rad. Mit ihrer Mütze winkt sie dem Betrachter zu. Sie trägt ein sportliches Kostüm, das die Unterschenkel frei lässt. Die Kleidung ist dem Radmodell angemessen: Es handelt sich um ein Sportfahrrad mit Herrenstange, ohne Schutzbleche und Kettenkasten. Der sportliche Aspekt wird durch den Schriftzug "Die Siegerin" und den Lorbeerkranz unterstrichen. Gestalterisch korrespondieren die Kreise der beiden in Seitenansicht gezeigten Räder, der Kranz und das Opel-O miteinander. Hier glauben die Werber nicht mehr ängstlich auf die bürgerlichen Konventionen Rücksicht nehmen zu müssen; sie sind offenbar sogar der Meinung, mit einem emanzipatorischen Frauenbild Käufer für ihr Produkt gewinnen zu können – eine kleine mentalitätsgeschichtliche Facette im langwierigen Prozess der weiblichen Emanzipation, die sich am Plakat als historischer Quelle eingängig nachvollziehen lässt.

Fussnoten

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Prof. Dr. Michael Sauer ist Professor für Didaktik der Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen. Er hat Bücher und zahlreiche Aufsätze zur Geschichtsdidaktik, Literaturdidaktik und Bildungsgeschichte veröffentlicht und ist Mitherausgeber der Zeitschriften "Geschichte in Wissenschaft und Unterricht" sowie "Geschichte lernen".