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Die dritte Generation der RAF (1982-1998)

Prof. Dr. Christopher Daase Christopher Daase

/ 6 Minuten zu lesen

Anfang der 1980er Jahre änderte die RAF ihre Strategie. Die dritte Generation verfolgte eine Internationalisierung des Terrorismus. Das letzte Mordopfer der RAF starb 1991.

Trotz intensiver Fahndung konnten die meisten RAF-Terroristen der dritten Generation bislang nicht identifiziert werden. (© AP)

Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ab wann man von einer dritten Generation der RAF sprechen kann. Für die hier entwickelte Argumentation ist die programmatische Neuausrichtung der RAF Anfang der 1980er Jahre entscheidend, die im sogenannten Mai-Papier von 1982 "Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front" deutlich wird. Ausgehend von der Kritik der Ereignisse des Jahres 1977 wurde ein Strategiewechsel der RAF angekündigt:

"Das Problem, das sich während der Schleyerentführung gegen uns ausgewirkt hat, war, daß wir – auf unser konkretes Ziel, die Gefangenen rauszuholen, konzentriert – die Entwicklung des politischen Ziels in der ganzen Offensive, die Vertiefung der Widersprüche in der Krise, nicht angepackt haben." Das Ziel war nun, die Kräfte auf den Kampf in den Metropolen in einer Front zu konzentrieren und dabei sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene vorzugehen.

Bei der Umsetzung dieser Strategie scheiterte die RAF zunächst im Dezember 1984 mit einem Anschlag auf die NATO-Schule in Oberammergau. Im Januar und Februar 1985 wurden in abgestimmten Aktionen mit der Action Directe der französische General René Audran und der Industrielle Ernst Zimmermann ermordet. Wenig später übernahm die RAF gemeinsam mit der AD die Verantwortung für den Anschlag auf die US-Airbase in Frankfurt im August 1985, bei dem zwei Menschen getötet und 23 verletzt wurden.

Bis 1990 fanden fünf weitere gezielte Morde statt, im Juli 1986 an Siemens-Vorstandsmitglied Karl Heinz Beckurts und seinem Fahrer Eckhard Groppler, im Oktober 1986 an Gerold von Braunmühl, Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt, im November 1989 am Vorstandssprecher der Deutschen Bank Alfred Herrhausen. Dagegen scheiterten Anschläge 1988 auf den Finanzstaatssekretär Hans Tietmeyer und 1990 auf den Staatssekretär im Bundesinnenministerium Hans Neusel. Am 1. April 1991 schließlich wurde der Vorsitzende der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder das letzte Opfer eines Mordanschlags der RAF.

Zu Beginn des Jahres 1992 erklärte der damalige Bundesjustizminister Kinkel die Bereitschaft des Staates, das Verhältnis zur RAF zu überdenken. Der Staat müsse dort, wo es angebracht sei, zur Versöhnung bereit sein. In der Folge kam es im April 1992 zu einer Erklärung der RAF, in der sie die "Eskalation zurücknimmt" und im sogenannten August-Papier des gleichen Jahres zum Eingeständnis, dass die Idee des Front-Gedankens nicht verwirklicht werden konnte. Im März 1998 verfasst die RAF ihre Auflösungserklärung und stellt fest, dass die "Stadtguerilla in Form der RAF [...] nun Geschichte" ist.

Programmatik: Internationalismus und Front

Die Grundidee des Mai-Papiers 1982 war, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und eine neue Programmatik zu entwickeln: "Wir sagen, daß es jetzt möglich und notwendig ist, einen neuen Abschnitt in der revolutionären Strategie im imperialistischen Zentrum zu entfalten." Was 1982 nur angedeutet wurde, wurde in der Erklärung von 1986 "Die revolutionäre Front aufbauen" präzisiert: "Wir, die revolutionäre Metropolenfront, haben die Macht, die von hier aus durchstartende Aggression der Imperialisten in Schach zu halten. Auf diese Möglichkeit der revolutionären Bewegung in Westeuropa innerhalb der gesamten internationalen Klassenkonfrontation zwischen Weltproletariat und imperialistischer Bourgeoisie sind wir aus." Im Gegensatz zu den ersten beiden Generationen beschränkte sich der Internationalismus der dritten also nicht nur auf vage Solidaritätsbekundungen, sondern zielte auf die Herstellung des Internationalismus.

Begründet wird diese Absicht auf doppelte Weise. Zum einen sei sie eine Rückbesinnung auf den klassenkämpferischen Auftrag, die Metropolen zu erschüttern. Zum anderen sei sie eine Antwort auf die politischen Rahmenbedingungen der europäischen Einigung, die eine europäische Kooperation auch linksterroristischer Kräfte erforderlich mache. Die Internationalisierung der dritten RAF-Generation wurde also sowohl ideologisch als auch pragmatisch begründet.

Am besten kam das in der gemeinsamen Erklärung von RAF und AD vom Januar 1985 "Für die Einheit der Revolutionäre in Westeuropa" zum Ausdruck: "Wir sagen, es ist notwendig und möglich, eine neue Phase für die Entwicklung revolutionärer Strategie in den imperialistischen Zentren zu eröffnen und als eine Bedingung für diesen qualitativen Sprung die internationale Organisation des proletarischen Kampfes in den Metropolen, ihren politischmilitärischen Kern: westeuropäische Guerilla, zu schaffen."

Strategie: Europäisierung

Obwohl der Internationalismus seit Beginn der 1970er Jahre zur Programmatik der RAF gehört, setzte erst die dritte Generation diesen Anspruch – zumindest ansatzweise – in eine praktische Strategie um. Beweise dafür sind die gemeinsamen Erklärungen und Aktionen der RAF mit französischen und italienischen Terrorgruppen.

Höhepunkt der Kooperation zwischen RAF und Action Directe: der Sprengstoffanschlag auf die Rhein-Main-Airbase im Jahr 1985. (© AP)

Ihre Anschläge richteten sich dabei zunächst vorrangig gegen Ziele der NATO, weil sie in den Augen der RAF den "Kern imperialistischer Macht" darstellte: "Zentrales Projekt in der aktuellen Phase imperialistischer Strategie ist der Versuch, die westeuropäischen Staaten zur homogenen Struktur zusammenzuschweißen, zum harten Block, der vollkommen in den Kern imperialistischer Macht – NATO, als der fortgeschrittensten imperialistischen Herrschaftsstruktur, integriert ist."

Anfang der 1980er Jahre fanden verstärkte Versuche der RAF statt, mit europäischen Terrorgruppen (wieder) ins Gespräch zu kommen und Kooperationsverbindungen einzugehen. Am einfachsten gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der Action Directe, insbesondere mit ihrem internationalistischen Flügel, der sich vom nationalistischen 1982 abgespalten hatte. So fielen in die frühen 1980er Jahre eine Reihe gemeinsamer Aktionen, so die Anschläge auf eine Firma in Düsseldorf und die Bundeswehrschule in Bad Ems, für die in Paris handschriftliche Bekennerschreiben auf Deutsch und Französisch gefunden wurden. Auch bei den Mordanschlägen auf General René Audran im Januar 1985 und Ernst Zimmermann einen Monat später arbeiteten RAF und AD eng zusammen. Den Höhepunkt der Kooperation bildete jedoch der Sprengstoffanschlag auf die Rhein-Main- Airbase, der gemeinsam geplant und durchgeführt wurde. Dabei starben drei Menschen, 26 wurden zum Teil schwer verletzt.

Die Kooperation zwischen RAF und AD ging damit über die bislang praktizierte, überwiegend latente Kooperation mit anderen Gruppen deutlich hinaus. Sie erstreckte sich auf die gemeinsame Nutzung von Waffen, Sprengstoff und anderen Ressourcen; die gemeinsame Planung und Durchführung von Aktionen und die Entwicklung einer gemeinsamen Programmatik. Allerdings sah die RAF die Zusammenarbeit auch kritisch. In einem Interview vom September 1985 in der Flugschrift "Zusammen kämpfen" wurde sie zitiert: "In vielen Flugblättern reden Genossen vom 'Zusammenschluss RAF – Action Directe'. Das vermittelt so was wie 'organisatorischlogistisch' – was es nicht gibt. Genausowenig wie es ein europäisch-draufgesetztes Zentralkommando gibt, das irgendwelche Direktiven und Aktionslinien beschließt." Offenbar war die RAF bemüht, bei aller Beschwörung einer "westeuropäischen Front" ihre Autonomie nicht zu gefährden. Hier deuteten sich durchaus vergleichbare Kooperationsprobleme zwischen den europäischen Terrororganisationen an, wie sie auch in der offiziellen europäischen Integrationspolitik anzutreffen waren, die man exemplarisch an den Schwierigkeiten verdeutlichen könnte, die europäische Terrorismusbekämpfung zu vergemeinschaften.

Die Ursachen für das Stocken der deutsch-französischen Terrorismuskooperation ist vermutlich in Führungsstreitigkeiten zu suchen. Das Gleiche gilt für die versuchte Wiederannäherung zwischen RAF und BR. Schon in den 1970er Jahre waren Kontakte aufgenommen, bald aber wieder abgebrochen worden, nachdem die ideologischen und strategischen Unterschiede deutlich geworden waren. Mit dem Front-Konzept konnten die Italiener wenig anfangen, und so scheiterte eine engere Zusammenarbeit an "unüberbrückbaren ideologischen Differenzen". In einem Spiegel-Interview ging der BR-Aktivist Valerio Morucci sogar so weit, die Brigate Rosse und die RAF als "feindliche Konkurrenten" zu bezeichnen.

Eine ähnliche Einstellung setzte sich schließlich auch bei den belgischen Kommunistischen Zellen (CCC = Cellules Communistes Combattantes, Anm. d. Red.) durch, nachdem es Mitte der 1980er Jahre eine sporadische Kooperation gegeben hatte. Zum endgültigen Bruch kam es, wie bei den anderen auch, aber erst mit der Gewaltverzichtserklärung der RAF im Januar 1992. Aus den belgischen Gefängnissen meldete sich das Gefangenenkollektiv der CCC mit den Worten: "In einer bestimmten Weise hat uns dieser Schluß nicht überrascht. Seit langer Zeit verstehen wir nicht mehr, aus welchen historischen, politischen und strategischen Anschauungen und Analysen die RAF ihre kämpfende Vitalität schöpfen konnte." Im Grunde, so folgerte die CCC, sei die 30-jährige Geschichte der RAF die Geschichte einer politischen Abweichung.

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Aufsatzes "Die RAF und der internationale Terrorismus" von Christopher Daase. Erschienen in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburger Edition HIS Verlag, Hamburg 2007.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Christopher Daase promovierte 1996 an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit über unkonventionelle Kriegführung, für die er 1997 den Ernst-Reuter-Preis erhielt. Seit Dezember 2004 ist er Ordinarius für Internationale Beziehungen am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München.