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Die zweite Generation der RAF (1975-1981) | Die Geschichte der RAF | bpb.de

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Die zweite Generation der RAF (1975-1981)

Prof. Dr. Christopher Daase Christopher Daase

/ 7 Minuten zu lesen

Mit ihrer "Offensive '77" brachte die zweite RAF-Generation eine neue Qualität des Terrorismus nach Deutschland. Die Ermordung "Unbeteiligter" nahm sie billigend in Kauf.

Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt waren die führenden Köpfe der "Offensive '77" . (© AP)

Bereits ab Mitte 1973 hatte sich um Helmut Pohl und Margrit Schiller eine neue RAF-Gruppe gebildet, die allerdings schon am 4. Februar 1974 zerschlagen wurde (Verhaftung von Christa Eckes, Helmut Pohl, Ilse Stachowiak, Eberhard Becker, Wolfgang Beer und Margrit Schiller) – und seither als Gruppe 4. 2. bezeichnet wird. Interessant ist, dass die Gruppe 4. 2. offenbar in Rotterdam mit Palästinensern der Fatah die Entführung eines israelischen Flugzeugs geplant hatte, um inhaftierte Genossen freizupressen.

Aufgrund des Oktober-Krieges im Nahen Osten wurde die Aktion jedoch abgesagt. Die Pläne zeigen, dass schon kurz nach der Verhaftungswelle 1972 eine stärkere operative Zusammenarbeit zwischen RAF und palästinensischen Gruppen vereinbart und eine strategische Umorientierung auf das Ziel der Gefangenenbefreiung vorgenommen wurde. Man könnte die Gruppe 4. 2. deshalb bereits zur zweiten Generation der RAF zählen, die den Kampf gegen den Staat dramatisch verschärfte.

Mit der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm im April 1975 begann eine neue Qualität des Terrorismus in Deutschland, insofern rücksichtsloser, brutaler und internationaler vorgegangen wurde als je zuvor. Gleichzeitig verübte die RAF gezielte Mordanschläge gegen führende Persönlichkeiten in Staat und Wirtschaft, so gegen Generalbundesanwalt Siegfried Buback (7. April 1977) und den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank Jürgen Ponto (30. Juli 1977). Als am 5. September 1977 Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer mit dem Ziel entführt wurde, die Inhaftierten in Stammheim freizupressen und am 13. Oktober palästinensische Terroristen zur Unterstützung die Lufthansa-Maschine "Landshut" entführten, eskalierte die Situation. Der Verlauf der Ereignisse ist vielfach geschildert worden:

Überfall auf die Botschaft in Stockholm: eine neue Qualität des Terrorismus. (Tagesschau vom 25.4.1975) (© ARD-aktuell/tagesschau.de)

Odyssee des entführten Flugzeugs von Rom über Larnaka/Zypern, Dubai/Bahrain, Aden/Jemen nach Mogadischu/Somalia; Ermordung des Flugkapitäns Schumann; Befreiung der Geiseln durch die GSG 9; Tod dreier Entführer; die Selbstmorde von Baader, Raspe und Ensslin in Stammheim; die Ermordung Hanns-Martin Schleyers.

Die Ereignisse des Deutschen Herbst kosteten die RAF einen Großteil noch vorhandener Sympathien in der linken Unterstützerszene. Für die RAF folgte eine längere Zeit, um die Folgen dieser Niederlage zu verkraften und einen strategischen Neuanfang zu beginnen. Banküberfälle im Frühjahr 1979 deuteten neue Aktivitäten an, die am 25. Juni 1979 in einen Anschlag auf den NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig mündeten, der dem Attentat aber knapp entkam. Am 31. August 1981 folgte ein Bombenanschlag auf den Stützpunkt der amerikanischen Luftstreitkräfte in Ramstein und am 15. September ein Raketenanschlag auf US-General Frederick Kroesen, der sein Ziel nur knapp verfehlte.

Programmatik: Haftbedingungen und Gefangenenbefreiung

Bei der zweiten Generation der RAF fällt zunächst auf, dass sie die Programmatik der RAF nicht weiterentwickelte. Solange die intellektuellen Wortführer der Bewegung, Baader, Ensslin und Meinhof, am Leben waren, bestimmten sie den Kurs der RAF und beteiligten sich aus dem Gefängnis heraus an der politischen Diskussion. Die wichtigsten Papiere der RAF waren in dieser Zeit die "Erklärung zur Sache" der Stammheimer Gefangenen vom 13. Januar 1976 und ihre diversen Erklärungen zu ihren Hungerstreiks. Der RAF gelang dadurch zwar die Mobilisierung einer breiten Öffentlichkeit, die sich zunehmend gegen die scharfen Haftbedingungen wandte, vernachlässigte darüber aber die internationalen Belange, für die sie ursprünglich angetreten war.

Auch nach den Selbstmorden von Stammheim verfasste die zweite Generation keine eigenen Strategiepapiere, sondern begnügte sich mit relativ kurzen Bekennerschreiben, in denen sie ihre Anschläge mit dürrer Phraseologie in den weltgeschichtlichen Zusammenhang stellte. In einer Erklärung zum Anschlag auf General Kroesen in Heidelberg hieß es zum Beispiel: "Der Kampf in der Metropole jetzt sind die realen Schritte der Revolution im Zentrum selbst, die hier nur eine permanente Umwälzung im Prozeß der Entwicklung des revolutionären Widerstands sein kann."

In dem Maße, in dem sich das Ziel von der Herstellung revolutionärer Verhältnisse zur Befreiung der inhaftierten Genossen verschob, verlor die RAF das internationalistische Selbstbewusstsein der ersten Generation, Teil eines weltweiten Klassenkampfes zu sein. Die RAF wurde zunehmend selbstreferentiell. Erst nach dem Scheitern der "big Raushole" und dem Tod der Insassen von Stammheim kehrte die RAF langsam zu einer internationalistischen Programmatik zurück.

Strategie: Personalisierung und Internationalisierung

Baader selbst hatte die Devise ausgegeben, dass die Gefangenenbefreiung oberstes Ziel der RAF sei. In einem heimlichen Brief aus dem Gefängnis forderte er, dass "alle Kräfte auf diesen Job zu konzentrieren" seien. Zu diesem Zweck musste der Druck auf die deutschen Behörden drastisch erhöht und der Konflikt eskaliert werden. Die RAF wählte dafür eine doppelte Strategie: einerseits die Personalisierung ihrer Angriffe, andererseits die Internationalisierung. Die Mordanschläge auf Buback und Ponto folgten einem Kalkül, das sich schon beim Anschlag auf den BGH-Richter Buddenberg im Mai 1972 angedeutet hatte, nämlich durch gezielte Morde von Funktionsträgern des deutschen Staates politische Zugeständnisse zu erzwingen. Dabei mischten sich allerdings auch Rachegedanken in die Aktionen, wenn es z. B. in der Erklärung vom 7. April 1977 heißt: "Am 7. 4. 77 hat das Kommando Ulrike Meinhof Generalbundesanwalt Siegfried Buback hingerichtet. Buback war direkt verantwortlich für die Ermordung von Holger Meins, Siegfried Hausner und Ulrike Meinhof."

Spiegel-Titel vom 17. Oktober 1977: die RAF gab die letzten Einflussmöglich-
keiten auf die Geschehnisse aus der Hand. (© Spiegel-Verlag / Haus der Geschichte) (© Spiegel-Verlag / Haus der Geschichte)

Die zweite Eskalationsstrategie bestand in der Internationalisierung der Anschläge. Am 2. Februar 1975 forderte die RAF die Gefangenen der RAF auf, ihren dritten Hungerstreik abzubrechen: "Versteht das als Befehl. [...] Wir nehmen Euch diese Waffe, weil der Kampf um die Gefangenen – aus dem Kräfteverhältnis, das an ihm begriffen worden ist – jetzt nur unsere Sache sein kann, mit unseren Waffen entschieden wird."

Knapp drei Monate später wurde die Deutsche Botschaft in Stockholm besetzt und die Freilassung von 26 Gefangenen aus deutschen Gefängnissen gefordert. Die Gruppe um Siegfried Hausner hatte zuvor auch die bundesdeutschen Botschaften in Bern, Wien und Den Haag ausgespäht. Mit der Wahl eines deutschen Ziels im Ausland wollte sie den strengen Polizeikontrollen in Deutschland entgehen und eine so große Publizität erreichen, dass – ähnlich wie bei der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni – die Bundesregierung zur Freilassung der Gefangenen gezwungen sein würde. Dass die Aktion schließlich scheiterte und neben den beiden kaltblütig erschossenen Geiseln auch zwei RAF-Mitglieder den Tod fanden, ließ die RAF zunächst auf weitere internationale Aktionen verzichten. Stattdessen fasste sie während eines Trainingsaufenthalts im Südjemen 1976 den strategischen Doppelbeschluss, die internationale Zusammenarbeit mit Befreiungsbewegungen zu intensivieren und gleichzeitig Kommandos zur Befreiung der Gefangenen in Deutschland zu bilden.

Die Unvereinbarkeit dieser Strategien wurde bei der nächsten Aktion, der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, deutlich. Schon bald nach der Entführung wurde klar, dass die Bundesregierung beabsichtigte, Zeit zu gewinnen, um das Versteck der Entführer ausfindig zu machen. Die RAF war dadurch gezwungen, mit ihrem Opfer in das europäische Ausland auszuweichen. Schleyer wurde von der RAF zunächst in Den Haag, später in Brüssel festgehalten, bevor er ermordet und von der Polizei am 19. Oktober 1977 in Mülhausen/Frankreich gefunden wurde. Parallel dazu reiste ein Teil der RAF nach Bagdad, um die Möglichkeiten eines politischen Asyls für die RAF-Mitglieder zu sondieren, die freigepresst werden sollten.

Bei dieser Reise konnte sich die RAF auf Kontakte beziehen, die sie bereits im August und September 1976 mit der PFLP-SC* im Südjemen geknüpft hatte. Schon damals hatte Wadi Haddad die gemeinsame Planung von Aktionen und eine weitgehende Integration der RAF in die PFLP-SC vorgeschlagen. Vielleicht schwebte ihm eine ähnlich intensive Kooperation wie zwischen PFLP und der JRA vor. Aber die RAF hatte auf ihrer Autonomie bestanden und das Ziel der Gefangenenbefreiung in Deutschland betont. Nun kehrte die RAF zur PFLP zurück und musste die kritische Situation, in der sie sich durch die Hinhaltetaktik der Bundesregierung befand, eingestehen.

In dieser Situation der Schwäche machte Haddad der RAF den Vorschlag, durch eine eigene Aktion die Schleyer-Entführung zu unterstützen. Eine Besetzung der Deutschen Botschaft in Kuwait lehnte die RAF nach ihren schlechten Erfahrungen von Stockholm ab. Aber der Idee einer Flugzeugentführung stimmte sie zu. Wieder zielte die RAF darauf, durch die Eskalation der Gewalt und die räumliche Entgrenzung des Terrorismus den Druck auf die politischen Entscheidungsträger zu erhöhen, um die Befreiung der Gefangenen von Stammheim doch noch zu erzwingen. Die Flugzeugentführung wurde von RAF und PFLP-SC gemeinsam geplant, jedoch von vier jungen Palästinensern, zwei Frauen und zwei Männern, allein durchgeführt.

Das Scheitern dieser Aktion symbolisiert zugleich das Scheitern der Kooperation zwischen der RAF und dem palästinensischen Widerstand. Die Eskalation der Gewalt, die die RAF betrieb, um die Gefangenen von Stammheim zu befreien, hatte sie zu einer Internationalisierung des Terrorismus gezwungen, die bis zur Selbstaufgabe reichte. Mit dem Einverständnis zur Entführung der "Landshut" gab die RAF die letzten Einflussmöglichkeiten auf die Geschehnisse aus der Hand. Dabei brach sie – und das ist eine interessante Pointe – den Konsens über die Anwendung von Gewalt der ersten RAF-Generation. Zwar zeigten sich die Häftlinge von Stammheim bereit, sich befreien und ausfliegen zu lassen, doch stellte Andreas Baader in einem Gespräch mit Alfred Klaus vom BKA klar, dass die Flugzeugentführung nicht von den Gefangenen ausging und die RAF diese Form des Terrorismus stets abgelehnt habe.

Dies deckt sich mit einer Erklärung zu einem Bombenanschlag im Hamburger Hauptbahnhof, von dem sich die RAF im September 1975 mit folgenden Worten distanziert hatte: "Die Sprache dieser Explosion ist die Sprache der Reaktion. [...] Die politisch-militärische Aktion der Stadtguerilla richtet sich nie gegen das Volk. [...] In der Offensive gegen den Staat kann Terrorismus keine Waffe der Stadtguerilla sein." Die zweite Generation hatte diesen Konsens der ersten im Grunde aber schon mit der Botschaftsbesetzung von Stockholm verlassen. Die Idee der Stadtguerilla war endgültig der Logik des Terrorismus gewichen.

*Die Abkürzung PFLC steht für die Terrororganisation "Volksfront für die Befreiung Palästinas". Das Kürzel SC weist auf die Unterorganisation "Spezialkommando" hin, die für die Planung und Durchführung von Terroranschlägen verantwortlich ist. (Anm. der Red.)

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Aufsatzes "Die RAF und der internationale Terrorismus" von Christopher Daase. Erschienen in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburger Edition HIS Verlag, Hamburg 2007.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Christopher Daase promovierte 1996 an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit über unkonventionelle Kriegführung, für die er 1997 den Ernst-Reuter-Preis erhielt. Seit Dezember 2004 ist er Ordinarius für Internationale Beziehungen am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München.