Kaum jemandem dürfte verborgen geblieben sein, welche Wellen das Thema Terrorismus in den ersten Monaten des Jahres 2007 in der deutschen Öffentlichkeit geschlagen hat. Es geht dabei jedoch nicht etwa um den Irak, wo seit mehreren Jahren beinahe täglich Dutzende von Menschen durch Anschläge ihr Leben verlieren; es geht auch nicht um Afghanistan, wo die Taliban wieder so weit erstarkt sind, dass es auch dort zu Selbstmordattentaten kommt; es geht um keines der Länder, die vom islamistischen Terrorismus in Mitleidenschaft gezogen werden, nicht um Indonesien, um Pakistan oder Algerien; auch nicht um Spanien oder England.
Es geht bei dieser kaum abklingenden öffentlichen Erregung um einen Terrorismus aus der Vergangenheit, einen, der inzwischen nicht weniger als zwei, drei Jahrzehnte zurückliegt und nach einhelliger Einschätzung der Sicherheitsbehörden längst keine Gefahr mehr darstellt.
Während die vielen Toten im Irak kaum mehr als eine Fünf-Zeilen-Meldung wert sind, dominieren die Kontroversen um die Freilassung bzw. Begnadigung ehemaliger RAF-Angehöriger die Schlagzeilen. In Bagdad, Kirkuk oder Karbala sterben an manchen Tagen mehr Menschen als in der gesamten, 28 Jahre dauernden RAF-Zeit zusammengenommen. Doch das hat in Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung ganz offensichtlich weniger Gewicht als die Erörterung des Für und Wider eines Begnadigungsantrages gestellt von Christian Klar, der seit einem Vierteljahrhundert inhaftiert ist, dessen Mindesthaftzeit aber erst 2009 verbüßt wäre.
Angesichts dieses Missverhältnisses drängt sich die Frage auf, was eigentlich die Gemüter an den letzten RAF-Häftlingen so sehr bewegt. Diese Frage ist nicht einfach, schon gar nicht monokausal zu beantworten. Es gilt dabei nicht der Versuchung zu erliegen, sich in dieser Hinsicht zu voreiligen Schlussfolgerungen verleiten zu lassen. Allerdings lassen sich einige Aspekte aufzählen, die dabei ganz offenbar von Bedeutung sind.
Zunächst einmal das Faktum, dass sich die RAF-Geschichte im eigenen Land abgespielt hat und es in den älteren Generationen, die inzwischen die vierzig überschritten haben, kaum jemanden – es sei denn er hätte in der DDR gelebt – geben dürfte, der daran keine lebendige Erinnerung hat. Im Vergleich dazu spielt sich der Terror der Gegenwart zumeist Tausende von Kilometern entfernt in einem anderen Kulturkreis ab; die terroristischen Akteure dort sind weitgehend gesichtslos, die aus dem eigenen Land hingegen haben ein Gesicht, obgleich zumeist nur eines, das durch Fahndungsaufnahmen verzerrt und medial vermitteltet ist.
Der zweite Punkt besteht darin, dass das Kapitel RAF eine Ausnahme in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gewesen ist; weder davor noch danach hat es eine größere Herausforderung der politischen Ordnung gegeben. Schließlich hatte die RAF das Gewaltmonopol des Staates zu brechen versucht und verwarf damit zugleich die Voraussetzungen des Rechtsstaates. In der ihr eigenen Vermessenheit war sie soweit gegangen, dem Staat den "Krieg" zu erklären.
Der dritte Aspekt, der hier zu nennen ist, dürfte vielleicht der brisanteste, auf jeden Fall aber der folgenreichste sein. Die Debatte hatte sich schnell auf zwei Rollen fixiert: Auf die der Täter und die der Opfer. Nicht zuletzt durch diese Polarisierung haben die Fragen um Reue, Schuldeinsicht und Gnade eine geradezu existentielle Aufladung und zugleich eine ungeheure Schärfe erhalten.
Obwohl die Taten, wegen denen die letzten noch einsitzenden Häftlinge zu mehrfachen lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt worden sind, lange zurückliegen, stehen sie in der Öffentlichkeit immer noch sehr im Vordergrund, nicht zuletzt, weil Hinterbliebene der RAF-Opfer hartnäckig Aufklärung fordern.
Stand: Juli 2007