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Die Protestform des zivilen Ungehorsams Definitionen, Entwicklung, Legitimationsprobleme

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber

/ 11 Minuten zu lesen

Sind die Klima-Kleber "Klimaextremisten"? Oder leisten sie zivilen Ungehorsam? Armin Pfahl-Traughber erläutert die Protestform – und ihre Legitimationsprobleme.

Die Hand einer Klimaaktivistin der Gruppe "Letzte Generation" klebt auf einer Straße in Leipzig. (© picture-alliance/dpa)

Klimaaktivisten rechtfertigen ihre Straßenblockaden häufig mit einem für sie nötigen zivilen Ungehorsam. Andere sehen in diesen Protestformen bedenkliche Rechtsbrüche. Dazu ist eine emotionalisierte und polarisierte Debatte entbrannt, die es schon einmal in der Bundesrepublik Deutschland gab. Anfang der 1980er Jahre führten Anhänger der damaligen Friedensbewegung ähnliche Protestaktionen durch, etwa mit Sitzblockaden vor Bundeswehreinrichtungen. Seinerzeit gab es dazu eine intellektuelle Debatte, wobei die Legitimation des zivilen Ungehorsams näher problematisiert wurde. Davon kann in der Gegenwart nicht gesprochen werden. Ein differenzierter Blick könnte gleichwohl die Gemüter beruhigen und eine notwendige Sachdebatte voranbringen. Denn bei der Aktionsform des zivilen Ungehorsams geht es auch um ein Spannungsverhältnis zum demokratischen Rechtsstaat, das Anhängern und Gegnern der Klimaaktivisten aber primär in einem nur einseitigen und unreflektierten Sinne klar zu sein scheint. Die folgenden Ausführungen wollen die politische Philosophie des zentralen Ungehorsams veranschaulichen.

Allgemeine Definition der Protestform des zivilen Ungehorsams

Ausgangspunkt dafür soll eine Definition der gemeinten Protestform sein, wobei angesichts der Kontroverse zunächst nur Versatzstücke geliefert werden können. Ganz allgemein geht es um einen Akt der Verweigerung, man hält sich nicht an geltende Gesetze und Vorgaben. Die Bezeichnung „zivil“ legt dabei ein nicht-gewalttätiges Agieren nahe und sieht im gesellschaftlichen Kontext den Ort dafür. Eine Annäherung zur Begriffsbestimmung kann auch über den wichtigsten Stichwortgeber dazu erfolgen: Der amerikanische Philosoph und Publizist Henry David Thoreau gilt als moderner Begründer des zivilen Ungehorsams, zumindest ist sein bekannter Essay „Von der Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ von 1849 ein derartiger Klassiker geworden. Er berichtete darin von einem kurzen Gefängnisaufenthalt, weil er aus Protest gegen die Sklaverei die Steuerzahlung verweigert hatte. Sein individuelles Gewissen habe ihn, so heißt es in dem Text, zu dieser Handlung motiviert. Demnach handelte es sich nach Thoreau bei zivilem Ungehorsam um die aus dem eigenen Moralempfinden abgeleitete bewusste Negierung einer gesetzlichen Pflicht.

Einzelne Bestandteile der Protestform des zivilen Ungehorsams

Aus dem als grundlegend geltenden Beispiel aus der politischen Ideengeschichte ergeben sich auch weitere Merkmale der Protestform des zivilen Ungehorsams, welche bis in die Gegenwart hinein relevant sind und einschlägige Legitimationsprobleme nach sich ziehen. Dazu gehört erstens der Bruch geltender Gesetze, insofern steht diese Protestform auch immer für einen Straftatbestand. Hieraus ergibt sich zweitens die Notwendigkeit zur Legitimation, müssen dann doch über dem Gesetz stehende höhere Werte betont werden. Drittens stellt sich dabei die Frage, ob man ansonsten das Gesetz akzeptiert oder es in Gänze verwirft. Bei dem erwähnten historischen Beispiel handelte es sich gar um ein komplexes Problem, widersprach doch die praktizierte Sklaverei eigentlich den niedergelegten Verfassungsprinzipien. Viertens geht es um die Einstellung zu den Folgen des jeweiligen Rechtsbruchs, die wie das Gesetz allgemein akzeptiert, aber eben auch nicht akzeptiert werden können. Gerade in diesem Kontext artikuliert sich das erwähnte Spannungsverhältnis, das zwischen den Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates und der Protestform des zivilen Ungehorsams besteht.

Differenzierung von Legalität und Legitimität beim zivilen Ungehorsam

Daher bedarf es auch einer Differenzierung von Legalität und Legitimität bei dieser Protestform. Die Bezeichnung Legalität meint ganz allgemein, dass sich Aktivitäten an ein Gesetz halten, was aber gerade nicht der Fall ist bei den Praktiken des zivilen Ungehorsams. Dies gilt für Aktivitäten sowohl in einer Diktatur wie einem demokratischen Rechtsstaat. Bei der Frage nach der Legitimität verhält es sich anders, ergibt sich doch in einer Diktatur die Legalität durch repressive Macht, an der sich vonseiten der Bürger nichts ändern lässt. Es besteht also nur die Handlungsmöglichkeit illegaler Protestformen. Daher bedürfen dortige Aktivitäten eines zivilen Ungehorsams auch keiner gesonderten Legitimation, da die diktatorische Ordnung über keine demokratisch-rechtsstaatliche Legitimität verfügt. Anders verhält es sich in einem demokratischen Rechtsstaat, wo durch legales Handeln politische Entscheidungen verändert werden könnten. Insofern bedarf es in einem solchen Fall auch einer konkreten Legitimation dafür, zivilen Ungehorsam anzuwenden.

Position 1: Ablehnung des zivilen Ungehorsams im demokratischen Rechtsstaat

Zu den damit einhergehenden Fragen bestehen in der öffentlichen Kontroverse in Deutschland drei idealtypisch unterscheidbare Positionen. Erstens gibt es die erklärte Ablehnung des zivilen Ungehorsams im demokratischen Rechtsstaat. Der Ausgangspunkt der Argumentation besteht darin, dass es sich hier um einen beabsichtigten Rechtsbruch handelt und mögliche Verallgemeinerungen problematische Wirkungen nach sich ziehen würden: Es gehe um Anmaßungen von aktiven Minderheiten, die sich über die in einer repräsentativen Demokratie geltenden Regeln hinwegsetzen würden. Die Berufung auf das individuelle „Gewissen“ gestatte es dabei letztendlich, subjektive Auffassungen zum primären Maßstab politischer Praxis zu machen. Derartiges Agieren bedinge einen Bruch der Friedenspflicht im demokratischen Rechtsstaat, was zu einer gefährlichen Erosion der konstitutiven Grundlagen einer solchen politischen Ordnung führen würde. Daher sahen Anhänger dieser Auffassung darin eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat. Zu ihnen gehört z.B. der Staatsrechtler Josef Isensee oder der verstorbene Politologe Karl Dietrich Bracher.

Position 2: Bejahung des zivilen Ungehorsams im demokratischen Rechtsstaat

Eine zweite Auffassung bejaht den zivilen Ungehorsam auch im demokratischen Rechtsstaat, wobei aber nicht von einer legalen, gleichwohl einer legitimen Protestpraxis ausgegangen wird. Darin besteht die Differenz zu der erstgenannten Position, wobei der demokratische Rechtsstaat akzeptiert wird, was bei der drittgenannten Position dann nicht so sein wird. Die Anhänger dieser konstitutionellen Auffassung, etwa die Philosophen Jürgen Habermas und John Rawls, benannten für das Gemeinte unterschiedliche Merkmale: Dazu gehörte die Gewissensbestimmtheit als Legitimationsquelle, die an die gemeinsamen Basiswerte einer von Gerechtigkeit geprägten politischen Ordnung gebunden wäre. Gewaltlosigkeit bildete ein weiteres Merkmal, soll es doch nicht um Drohungen, sondern um Mahnungen gehen. Und dann stellt man auf das Öffentliche bei den gemeinten Protesthandlungen ab, müssten doch die Akteure mit Gesicht und Namen für ihre Taten stehen. Damit ginge die Akzeptanz der rechtlichen Folgen illegaler Praktiken einher, womit eben die Anerkennung der Institutionen einer bestehenden Rechtsordnung dokumentiert werde.

Position 3: Negierung des demokratischen Rechtsstaates durch zivilen Ungehorsam

Und dann gibt es noch eine dritte Auffassung, welche den bestehenden demokratischen Rechtsstaat etwa mittels eines zivilen Ungehorsams überwinden will. Dahinter steht eine negative Grundauffassung gegenüber westlichen Demokratien, gelten sie doch als abzulehnende imperialistische und kapitalistische Systeme. Bekannte Anhänger dieser Deutung waren der Soziologe Herbert Marcuse oder der Historiker Howard Zinn, die für die Achtundsechziger Bewegung mit ihrer vehementen Gesellschaftskritik geistige Vorbilder waren. Sie betonten als Autoren immer wieder ihren Gegensatz zum bestehenden Staat, der aus ihrer Blickrichtung jeweils Einfluss, Macht und Reichtum als Selbstzweck verfolge. Dabei bezogen sich diese Einwände auf die Gegebenheiten in den damaligen USA. Die schwarze Ghettobevölkerung wie die linken Studenten wurden von ihnen als neues revolutionäres Subjekt wahrgenommen, welches eine freie Gesellschaft mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams erkämpfen würde. Demnach diente dieser hier als politisches Instrument, um einen realen Systemwechsel voranzutreiben.

Einstellung zum demokratischen Rechtsstaat als Unterscheidungskriterium

Die erste und dritte Auffassung weisen bei aller inhaltlichen Gegensätzlichkeit eine formale Übereinstimmung auf: Sie sehen zwischen dem demokratischen Rechtsstaat und dem zivilen Ungehorsam einen grundlegenden Widerspruch. Die Differenz besteht in der unterschiedlichen Einstellung zum bestehenden demokratischen Rechtsstaat, der in der erstgenannten Position akzeptiert und in der letztgenannte Position negiert wird. Die erste Ansicht deutet die gemeinten Protestformen als grundlegend verwerflich, da durch derartige Handlungen die konstitutiven Regeln des demokratischen Rechtsstaates verworfen werden würden. Hier lässt sich eine Fixierung auf den Legalismus konstatieren. Die dritte Auffassung sieht demgegenüber im demokratischen Rechtsstaat ein illusionäres Scheingebilde, das eben durch Praktiken des zivilen Ungehorsams überwunden werden sollte. Dieser gilt hier als ein Instrument zur Systemtransformation. Beide Betrachtungen lehnen demnach einen Gesichtspunkt ab, einmal den demokratischen Rechtsstaat, einmal den zivilen Ungehorsam. Ein zwischen Beidem bestehendes Spannungsverhältnis ist daher dort kein Thema.

Bestandteile einer konstitutionellen Konzeption von zivilem Ungehorsam

Anders verhält es sich bei der zweiten Auffassung, die fortan als konstitutionelle Konzeption des zivilen Ungehorsams bezeichnet werden soll. Die Besonderheit des Gemeinten besteht darin, dass die Handelnden den bestehenden Rechtsstaat akzeptieren. Gleichwohl sind sie bezogen auf ein bestimmtes politisches Anliegen der Auffassung, dass geltende Gesetze um dessen öffentlicher Wahrnehmung willen gebrochen werden müssen. Die Ambivalenz dieser Einstellungen ist unverkennbar, was einen genauen Blick auf die jeweiligen Merkmale nötig macht. Die differenzierteste Ausformulierung der gemeinten Konzeption findet sich Rawls, während demgegenüber Jürgen Habermas dessen Positionen lediglich marginal ergänzte. Daher geht es fortan um die allgemeinen Bestandteile in der Darstellung von Rawls, dazu gehören erstens Gewissensbestimmtheit, zweitens Gewaltlosigkeit, drittens Illegalität und viertens Öffentlichkeit. Absicht einschlägiger Handlungen in diesem Sinne soll es sein, eine Änderung der Gesetze oder der Regierungspolitik herbeizuführen.

Gewissensbestimmtheit als erstes Merkmal konstitutionellen zivilen Ungehorsams

Bereits bei der Benennung der Gewissensbestimmtheit als Merkmal können aber Missverständnisse auftreten, liegt hier doch die Fixierung auf eine persönliche Haltung nahe, was auch etwa der Formulierung von Thoreau entspricht. Indessen stellte entgegen einer solchen Fehlwahrnehmung Rawls klar: Es soll nicht um die Ableitung aus einer religiösen Lehre oder persönlichen Moral gehen, auch sind Eigen- und Gruppeninteressen für solche Praktiken nicht relevant. Ausgangspunkt ist hier die Bejahung einer funktionierenden Demokratie mit gemeinsamen Gerechtigkeitsvorstellungen. Es muss demnach bei den protestierenden Bürgern der konkrete Eindruck bestehen, dass der Geist dieser Grundprinzipien durch reale Politik verletzt wird. Demnach wenden sie aufgrund der Akzeptanz konstitutiver Basiswerte gegen die reale Politik zivilen Ungehorsam an, um die gesellschaftliche Mehrheit wie die gewählte Regierung zu einem Umdenken zu motivieren. So bricht man das Gesetz im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung.

Gewaltlosigkeit als zweites Merkmal des konstitutionellen zivilen Ungehorsams

Diese grundlegende Einstellung, welche im erklärten Gegensatz zur drittgenannten Position steht, bedingt eine verantwortungsvolle Praxis. Denn es besteht durchaus eine potentielle Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates durch einen ausgreifenden zivilen Ungehorsam. Daher bedürfen einschlägige Aktivitäten auch einer Grenzziehung in verschiedenerlei Hinsicht, stehen sie doch ansonsten in einem Gegensatz zu den Idealen des gemeinten zivilen Ungehorsams. Eine herausragende Beschränkung ist die Gewaltlosigkeit in diesem Kontext, womit primär die Ablehnung von Köperverletzungen bei Protestaktionen gemeint ist. Dabei muss es sich noch nicht einmal um eine grundsätzliche Negierung derartiger Praktiken handeln, entscheidender ist hier die Appellfunktion des zivilen Ungehorsams. Denn es soll nicht um die Erzwingung von Meinungen, sondern um die Gewinnung von Zustimmung gehen. Unklar bleibt hier die Einstellung zu Gewalt gegen Sachen, womit man es mit dem Handlungsstil der Sabotage zu tun hätte. Derartige Praktiken stehen in einem Übergangsbereich zum gewaltsamen Widerstand.

Illegalität als drittes Merkmal des konstitutionellen zivilen Ungehorsams

Darüber hinaus kann als Besonderheit die Illegalität beim zivilen Ungehorsam gelten, wobei man es mit einem konstitutiven Merkmal derartiger Protesthandlungen zu tun hat: Man bricht bewusst geltende Gesetze im Namen höherer Werte. Damit geht es auch bei all diesen Aktivitäten um Straftaten, womit eben das aufgezeigte Legitimationsproblem gegenüber dem rechtsstaatlichen Verständnis verbunden ist. Indessen sollen die gemeinten Aktivitäten sich in den Grenzen der Gesetzestreue bewegen, auch wenn eben ein Bruch des Gesetzes erfolgt. Beide Auffassungen können in einem Einklang miteinander stehen, sofern es um Ausnahmen bei dem jeweiligen Protestverhalten geht. Denn prägend ist hier die Annahme gegenüber den Handelnden, dass diese ansonsten die Gesetze und den Rechtsstaat akzeptieren. Mit Blockadeaktionen einhergehende Gesetzesbrüche wollen insbesondere gegenüber der Öffentlichkeit ein Zeichen setzen. Die ihrem Anliegen eigene Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit soll so dokumentiert werden, um eben gegenüber der Mehrheit oder der Regierung eine moralische Wirkung entfalten zu können.

Öffentlichkeit als viertes Merkmal des konstitutionellen zivilen Ungehorsams

Dies setzt als hier letztgenanntes Merkmal die Öffentlichkeit des zivilen Ungehorsams voraus. Gemeint ist damit zunächst die Durchführung einschlägiger Proteste auch in medial gut wahrnehmbarer Weise, kann doch nur so auf die Denkungsarten und Einstellungen der gesellschaftlichen Mehrheit eingewirkt werden. Noch bedeutsamer ist dabei aber das öffentliche Eintreten als konkrete Person, sprich mit Gesicht und Namen für die illegalen Protesthandlungen zu stehen. Dabei entziehen sich die Akteure nicht ihrer möglichen Verhaftung oder Verurteilung. Letzteres müsste auch in ihrem eigenen Interesse bezüglich der öffentlichen Wirkung liegen, gilt es damit doch die persönliche Glaubwürdigkeit der Protestierer zu dokumentieren. Dieses Agieren steht auch im Gegensatz zu klandestinen und konspirativen Handlungen, die etwa mit erheblichen Sachbeschädigungen und mit flüchtigen Tätern verbunden sind. Ihnen ist gerade nicht die Bereitschaft eigen, eine Strafe hinzunehmen. Gerade in dieser Frage wird auch der zwischen der zweiten und dritten Position zum zivilen Ungehorsam bestehende Unterschied deutlich.

Aktivitäten der Klimabewegung und Positionen zum zivilen Ungehorsam

Um die vorstehenden Ausführungen auch zu den referierten Positionen zu veranschaulichen, soll der Blick auf die gegenwärtige Klimabewegung geworfen werden. Deren Aktivitäten vermitteln nicht den Eindruck, dass man sich näher mit der politischen Philosophie des zivilen Ungehorsams beschäftigt hat. Eher wirken die Handlungen wie spontane Praktiken aus der Situation heraus. Gleichwohl sollen sie anhand der erwähnten Gesichtspunkte einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Zunächst einmal geht es um bewusste Gesetzesbrüche aus politischen Motiven, offen steht etwa auf den Bannern der „Letzten Generation“ der Spruch „Wir brechen das Gesetz“. Inhaltliche Basis dafür ist der Hinweis, dass sich die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz verpflichtet und das Bundesverfassungsgericht dazu ein einschlägiges Urteil gefällt hat. Bei den Aktivitäten wird keine körperliche Gewalt angewandt, selbst verbale Herabwürdigungen sind verpönt. Darüber hinaus gibt man sich mit Gesicht und Namen gegenüber der Polizei zu erkennen. Bisherige Geld- und Haftstrafen wurden von den Protestierern akzeptiert, die Konsequenzen nahm man auf sich.

Unangemessene Protestpraktiken für einen konstitutionellen zivilen Ungehorsam

Bezogen auf diese Aspekte bestehen gegenüber den linksextremistischen Autonomen grundlegende Unterschiede, können diese sich doch nicht auf das Konzept eines konstitutionellen zivilen Ungehorsams berufen. Gleichwohl dürfen Einwände gegen die insbesondere von der „Letzten Generation“ praktizierten Protestformen vorgetragen werden: Eigentlich soll es bei derartigen Handlungen darum gehen, gesellschaftliche Mehrheiten anzusprechen. Genau dies gelingt mit den Aktionen der Gruppe nicht, trotz breiter Akzeptanz für den Klimaschutz. Denn die öffentliche Debatte bezieht sich primär auf die Folgen der Straßenblockaden, nicht auf die als unzureichend geltenden Entscheidungen in der Klimapolitik. Darüber hinaus bestehen zwischen den einzelnen Aktionen und dem inhaltlichen Anliegen keine erkennbaren Zusammenhänge, wofür als Beispiel die Gemäldebeschmierungen und der Klimaschutz stehen. Bei derartigen Aktionen geht es offenbar mehr um die eigene öffentliche Darstellung der Gruppe, weniger um die Beförderung von mehr Klimaschutz im gesellschaftlichen Leben. Damit wird aber ein Grundprinzip des konstitutionellen zivilen Ungehorsams verletzt.

Schluss

Auch bei den meisten Akteuren der Klimabewegung, welche sich bei ihren Handlungen auf die Konzeption des zivilen Ungehorsams beziehen, ist das gemeinte Konzept mit seinen Legitimationsproblemen nicht näher bekannt. Es gibt durchaus ein gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat existentes Spannungsverhältnis, aber nicht notwendigerweise einen grundlegenden Widerspruch. Diese Einsicht ist in der Kontroverse auch der anderen Seite nicht klar. Dort kursierende Bezeichnungen wie „Klimaextremisten“ oder gar „Klimaterroristen“ treffen die eigentliche Problematik nicht, womit eine kommunikationslose Polarisierung von beiden Seiten forciert wird. Diese Entwicklung ist angesichts eines breiten Konsenses in der Sachfrage verwunderlich, denn alle Beteiligten plädieren eigentlich für mehr Klimaschutz als jeweilige Zielsetzung. Gleichzeitig mangelt es aber an einer öffentlichen Debatte darüber, was angesichts der erwähnten Legitimationsprobleme eigentlich mit einem konstitutionellen zivilen Ungehorsam gemeint ist. Die Aufmerksamkeit für die damit einhergehende Konzeption kann zu einer Versachlichung beitragen.

Quellen / Literatur

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Pfahl-Traughber, Armin: Henry David Thoreau, Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat (1849), in: Brocker, Manfred (Hrsg.): Geschichte des politischen Denkens. Das 19. Jahrhundert, Berlin 2021, S. 381-393.

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Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy. Herausgegeben und eingeleitet von Andreas Braune, Stuttgart 2017.

Fussnoten

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Dipl.-Pol., Dipl.-Soz., Jg. 1963, ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes in Brühl mit den Schwerpunkten Extremismus und Ideengeschichte, Lehrbeauftragter an der Universität zu Bonn mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Herausgeber des seit 2008 erscheinenden Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung (Brühl).