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Vom Sozialismus zum revolutionären Kommunismus | Linksextremismus | bpb.de

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Vom Sozialismus zum revolutionären Kommunismus

Hans-Gerd Jaschke

/ 6 Minuten zu lesen

Der Kommunismus erhebt den radikalen Egalitarismus zur Tugend. Er möchte eine 'Nivellierung nach unten' erreichen: Das Private soll nicht die Oberhand über das Gemeinschaftliche gewinnen.

Lenin / Wladimir Iljitsch Uljanow. (© AP)

Spaltungen in reformistische und revolutionäre Fraktionen begleiten die Geschichte der Arbeiterbewegung seit ihren Anfängen. Die ersten Ansätze der deutschen Gewerkschafts- bewegung, im Umfeld der 1848er Revolution, die "Allgemeine deutsche Arbeiter-Verbrüderung", forderte die Beteiligung der Arbeiterschaft an der Regierung: "Wir verschwören uns nicht gegen die bestehende Regierung, wir wollen nur, dass man uns einen Platz einräume in dem gemeinsamen Vaterlande"; Zeitgleich forderte der Bund der Kommunisten im Londoner Exil den Sturz der Bourgeoisie, die Herrschaft des Proletariats, die Aufhebung der Klassengesellschaft und die Errichtung einer neuen Gesellschaft ohne Klassen und Privilegien (Weick 1974: 19). Die spätere Fraktionierung in den reformorientierten demokratischen Sozialismus einerseits und die revolutionäre kommunistische Arbeiterbewegung andererseits ist hier schon angedeutet und begleitet die Geschichte des Sozialismus bis heute.

Anfänge sozialistischer Ideen gehen zurück auf die sogenannten "Frühsozialisten" in der Zeit zwischen der Französischen Revolution 1789 und dem Erscheinen von Marx "Kommunistischem Manifest" (1848). Sie beziehen sich auf eine noch vorindustrielle Gesellschaft und konzentrieren sich vornehmlich darauf, eine ideale neue Gesellschaftsordnung zu entwerfen (Ramm 2002). Erst Marx und Engels und ihre Anhänger entwerfen nach 1848 eine Kritik der bürgerlichen und kapitalistischen Gesellschaft, die so folgenreich war für die weitere Ausprägung des Sozialismus. Die parteienförmige Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung in einen reformistischen und einen revolutionären Flügel geht zurück auf die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Die Anhänger Ferdinand Lassalles und seines 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins forderten eine Strategie, gesellschaftliche Veränderungen zugunsten der Arbeiter auf friedlichem, legalem Weg herbeizuführen.

Das allgemeine Wahlrecht und die soziale Vertretung der Arbeiter sollten Schritte dahin sein. Lassalle glaubte, der Staat sei der zentrale Akteur zur Durchsetzung sozialistischer Ideen, deshalb müsse es darum gehen, den Staat so weit wie möglich mit sozialistischen Ideen zu durchsetzen. Lassalle zufolge ist der Arbeiterstand, der vierte Stand, gleichbedeutend mit der Sache der gesamten Menschheit. Der Staat dürfe eben nicht Nachtwächterstaat nach liberalen Vorgaben sein, der nur die persönliche Freiheit des Einzelnen und das Eigentum zu schützen habe, seine Aufgaben seien viel breiter, er müsse die Entwicklung des Menschengeschlechts zur Freiheit vorantreiben. Demgegenüber bestanden die Anhänger von Marx, Engels, Bebel und Liebknecht und ihrer 1869 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei auf der Annahme, dass die notwendigen Veränderungen nur auf revolutionärem Weg durchsetzbar seien, da der Staat nur ein Instrument der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie sei. Das Gothaer Programm von 1875 war ein Kompromiss: Der Vereinigungsparteitag beider Parteien fusionierte beide Richtungen, begründete aber nicht eine wirkliche Vereinigung der zugrunde liegenden Analysen und Strategien.

Der Burgfrieden zwischen beiden Richtungen hielt bis zum Ersten Weltkrieg. Die Verfolgungen durch Bismarcks Sozialistengesetz (1878-1890) und der starke Einheitsgedanke der Gewerkschaften verhinderten das erneute Aufbrechen der Kontroverse. Als jedoch die SPD-Reichstagsfraktion 1914 die Kriegskredite bewilligte und sich den nationalen Aufbruchstendenzen nicht entgegenstemmte, als auch die Gewerkschaften den Kriegseintritt Deutschlands unterstützten, sammelte sich die revolutionäre Linke in der 1917 gegründeten "Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands" (USPD). Wenig später, 1918, wurde die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet, die USPD blieb eine Episode. Teile kehrten zur SPD zurück, andere gingen zur KPD. Damit war die Spaltung der Arbeiterbewegung besiegelt und die weitere Entwicklung in eine sozialdemokratische und eine kommunistische Strömung vorweggenommen.

Die Entwicklung der marxistischen und sozialistischen Theorien um die Jahrhundertwende hatten die Fraktionierung maßgeblich beeinflusst. Marx und Engels begreifen die Geschichte als einen voranschreitenden, gesetzmäßigen, aber auch widerspruchsvollen Prozess, der eine Weiterentwicklung und ein Endziel aufweist: die klassenlose, kommunistische Gesellschaft. Diese Auffassung versteht die Fortschritte der bürgerlichen Gesellschaft auf politischem Gebiet und bei der Entwicklung der Technik als eine notwendige, aber zu überwindende Etappe auf dem Weg zum historischen Endziel. Die bürgerliche Demokratie und die kapitalistische Wirtschaftsordnung sind bloße Zwischenstadien der weiteren historischen Entwicklung, die es durch die organisierten Kämpfe der Arbeiterbewegung zu überwinden gilt. Besonders in der deutschen Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg gewann, beeinflusst durch die Theoretiker Bebel und Kautsky, eine chiliastische Auffassung eine beherrschende Dominanz. Der Gang der Geschichte führe mit gesetzmäßiger Notwendigkeit über bestimmte Stufen der bürgerlichen Entwicklung hin zum Sozialismus. Kautsky verkündete den Sieg des Proletariats als eine Naturnotwendigkeit. Giddens hat die Grundphilosophie des Kommunis-mus wie folgt zusammengefasst:

"Der Kommunismus erhebt den radikalen Egalitarismus zur Tugend. Er möchte, um es in neuerer Terminologie auszudrücken, eine 'Nivellierung nach unten' vornehmen und läßt sich dabei von asketischen Gedanken leiten: das Private dürfe nicht die Oberhand über das Gemeinschaftliche gewinnen, und der Egoismus sollte beinahe vollständig ausgerottet werden. Der Kommunismus beruht nicht auf der Steuerung der Produktion, sondern auf der Regelung der Konsumtion. Er ist im wesentlichen eine ethische Ordnung, die im Egalitarismus nicht so sehr einen Selbstzweck erblickt, sondern eher eine Instanz der notwendigen sittlichen Kontrolle, die die Schwachen vor den Starken schützt" (Giddens 1999: 87).
Lenin hat dem eine entscheidende und für die weitere Entwicklung folgenreiche Wendung hinzugefügt. Nach seiner Auffassung ist die Arbeiterbewegung nicht aus sich heraus in der Lage, das Heft in die Hand zu nehmen, es fehle ihr an Klassenbewusstsein und an Handlungsfähigkeit. Notwendig ist daher, Lenin zufolge, eine starke Partei der Arbeiterklasse, die als revolutionäre Avantgarde als einzige imstande ist, die Lage richtig einzuschätzen und politische Konsequenzen daraus zu ziehen. Die Partei ist unfehlbar, sie verlangt Gehorsam, Linientreue und Gefolgschaft. Von hier aus liegt der Schritt zu einem Modell der Diktatur der marxistisch-leninistischen Partei auf der Hand.

Die russische Oktoberrevolution 1917 und die anschließende Ausbreitung des sowjetkommunistischen Modells über die halbe Welt, geprägt von Lenins Vorstellungen, haben die Abspaltung der KPD von der Sozialdemokratie in Deutschland beschleunigt und verfestigt. Die KPD geriet in Abhängigkeit von der Kommunistischen Internationale (Komintern) und der von Moskau vorgegebenen marxistisch-leninistischen Ideologie und Dogmatik. Hier liegt auch der Grund für die Unfähigkeit der KPD, in der Schlussphase der Weimarer Republik auf die SPD zuzugehen, um durch eine Einheitsfront den Aufstieg des Nationalsozialismus und die Machtübernahme zu verhindern. Die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung in Sozialisten und Kommunisten war ein ganz wesentlicher Faktor für Hitlers Machtübernahme. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die kommunistische Tradition fortgesetzt in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und kleinen kommunistischen Grüppchen in Westdeutschland. Die SPD wurde in der DDR zwangsvereinigt mit der KPD zur SED, in Westdeutschland verstand sie sich bis zum Godesberger Parteitag 1959 als Partei der Arbeiterklasse, dann vollzog sie eine volksparteiliche Wendung.

Der Sieg des sozialdemokratischen Reformismus hatte mehrere Gründe. Zum einen musste sich die SPD in einer Zeit der Ost-West-Konfrontation deutlicher vom Kommunismus osteuropäischer Prägung abgrenzen, um Glaubwürdigkeit zu behalten. Sie musste sich angesichts von Massenwohlstand, weitreichender Partizipation der Arbeiter am Wohlstand und an betrieblicher Mitbestimmung und dem Vordringen der Angestellten einer breiteren Wählerschicht öffnen. Mit der Wendung der SPD zur Volkspartei war freilich auch das Lager des linken Extremismus noch mehr isoliert, konnten doch fortan Bündnisse nicht mehr oder nur mehr unter erschwerten Bedingungen ins Auge gefasst werden.

Literatur



Giddens, Anthony: Jenseits von Links und Rechts. Die Zukunft radikaler Demokratie. Frankfurt 1999, S. 87.

Ramm, Tilo: Die Frühsozialisten. In: Bernd Heidenreich (Hrsg.): Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus. Berlin 2002.

Weick, Edgar: Artikel "Arbeiterbewegung". In: Axel Görlitz (Hrsg.): Handlexikon zur Politikwissenschaft Bd. 1. Reinbek 1974, S. 19.

Aus: Hans-Gerd Jaschke: Politischer Extremismus, Wiesbaden 2006, VS Verlag für Sozialwissenschaften. Der Band aus der Reihe "Elemente der Politik", hrsg. v. Hans-Georg Ehrhart, Bernhard Frevel, Klaus Schubert und Suzanne S. Schüttemeyer ist als Lizenzausgabe bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen und kann hier bestellt werden.

Fussnoten

geb. 1952; Professor für Politikwissenschaft und Soziologie an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin.

Anschrift: Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, Alt-Friedrichsfelde 60, 10315 Berlin.

Veröffentlichungen u. a.: Fundamentalismus in Deutschland. Gottesstreiter und politische Extremisten bedrohen die Gesellschaft, Hamburg 1998.