Konservative und liberale Mussolini-Gegner erfassten sehr früh, dass Faschismus und Bolschewismus mit den herkömmlichen Kategorien der Herrschaftstypologie nicht zu fassen waren. Es war der Liberale Giovanni Amendola, der den Faschismus erstmals als "sistema totalitario" bezeichnete, das "absolute und unkontrollierte Herrschaft" anstrebe.
Einen wesentlichen Beitrag zur konzeptionellen Weiterentwicklung leistete der katholische Pfarrer und Gründer des Partito Populare Italiano Luigi Sturzo. Er beschrieb im Londoner Exil den Faschismus als "Strömung der Intransigenz und Intoleranz, das, was man heute das Totalitätssystem nennt (totalitarismo)". Sturzo bezeichnete die kommunistische Diktatur als "Linksfascismus", während der Faschismus eine "konservative Diktatur oder ein Rechtsbolschewismus" sei.
Ein anderer Traditionszweig zur Konzeptualisierung des Totalitarismusbegriffs resultiert aus der Auseinandersetzung der Sozialdemokratie mit der bolschewistischen Diktatur Lenins. Für die Sozialisten, so Karl Kautsky bereits 1918, bedingten sich Demokratie und Sozialismus gegenseitig; eine "kommunistische Wirtschaft" ohne Demokratie müsse in Despotie münden.
Unter den deutschen Staatsrechtlern unterschied als erster der Sozialdemokrat Hermann Heller zwischen autoritärer und totalitärer Diktatur. Letztere vernichte nicht nur den Rechtsstaat, sondern unterwerfe jede Lebensregung dem Staat. Deshalb seien "Fascismus und Bolschewismus Zwillingsbrüder".
Zur ersten wissenschaftlich-systematischen Beschäftigung mit dem Totalitarismusbegriff kam es 1935 in Minneapolis. Der amerikanische Publizist Max Lerner unterschied drei Typen der Diktatur: die konstitutionelle, die konterrevolutionäre und das neue Grundmuster, das durch die kommunistische und faschistische Diktatur repräsentiert werde. Beide Regime wiesen Gemeinsamkeiten auf, etwa in der Phase der Machtergreifung durch eine Bewegung, deren Ideologie von einem "Führer" bestimmt werde. Anschließend erfolge die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie durch eine Terrorherrschaft, die durch die Verschmelzung von Partei und Staat sowie der totalen Kontrolle aller Kommunikationsmittel und des Erziehungswesens gekennzeichnet sei. Die neue Herrschaftsform basiere auf dem Führerprinzip und setze neben Terror moderne Massenpropaganda ein.
Im Mittelpunkt der Analysen standen der totale Herrschaftsanspruch und die Herrschaftstechniken, während ideologischen Differenzen weniger Bedeutung zugemessen wurde. Dies mag erklären, weshalb der Antisemitismus und Rassismus der NS-Ideologie noch kaum thematisiert wurden. Zudem kam der eliminatorische Antisemitismus des Regimes erst während des Krieges zur Geltung, so dass die frühen antijüdischen Maßnahmen noch nicht als fundamentale Differenz zum italienischen Faschismus erkannt wurden. Der Hitler-Stalin-Pakt schien die Wesensverwandtschaft zu bestätigen.
Carl J. Friedrich und Hannah Arendt
Die klassische Formulierung der Totalitarismusmerkmale stammt von dem in Harvard lehrenden Carl J. Friedrich: "1. eine offizielle Ideologie, bestehend aus einem offiziellen, alle Hauptaspekte des menschlichen Lebens umfassenden Lehrsystem, woran sich jedes Mitglied dieser Gesellschaft mindestens passiv zu halten hat; im Mittelpunkt dieser Ideologie stehen (...) chiliastische Forderungen für eine vollkommene Endgesellschaft der Menschheit. 2. eine einzige Massenpartei (...); dabei ist die Partei gewöhnlich unter einem einzigen Führer streng hierarchisch und oligarchisch organisiert und (...) der staatlichen Bürokratie entweder übergeordnet oder völlig mit ihr verflochten. 3. ein technisch bedingtes, fast vollkommenes Monopol der Kontrolle (...) über alle entscheidenden Kampfmittel. 4. ein ähnlich technisch bedingtes, fast vollkommenes Monopol der Kontrolle (in denselben Händen) über alle entscheidenden Massenkommunikationsmittel (...). 5. ein System terroristischer, in seiner Wirkung auf den Punkt 3 und 4 beruhender Polizeikontrolle, die sich bezeichnenderweise nicht nur gegen erwiesene Feinde des Regimes, sondern gegen willkürlich herausgegriffene Gruppen der Bevölkerung richtet".
Dieses Klassifikationsschema kam der empirisch-positivistisch ausgerichteten amerikanischen Politikwissenschaft entgegen. Friedrich betonte, dass zwischen den totalitären Systemen "in bezug auf Zeit und Ort bedeutende Variationen"
Aus der Gemeinsamkeit des Herrschaftsinstrumentariums lässt sich keine Identität der ideologischen Zwecke folgern. Der Nationalsozialismus beruhte auf Rassismus und dem unbedingten Willen zum Krieg, sein Ziel war die rassisch fundierte Herrschaft über Europa, was die Vernichtung des europäischen Judentums mit tödlicher Konsequenz einschloss. Insofern war der Holocaust zwar nur im Krieg zu verwirklichen, aber militärischen Kriegszielen gleichrangig. Die sozialistische Utopie hingegen war humanistisch und universal angelegt. Der Terror Lenins und Stalins ist eng mit dem Marxismus, insbesondere dem Glauben an objektive Gesetzmäßigkeiten der Geschichte, verbunden, doch er war keine notwendige Konsequenz, wie die politische Praxis der Sozialdemokratie zeigt. Hitlers sozialdarwinistische Weltanschauung hingegen ist ohne antisemitischen Rassismus, Gewalt und Krieg als ewigem Lebensgesetz des Rassenkampfes nicht vorstellbar. Ende der sechziger Jahre urteilte Friedrich, die terroristischen Diktaturen Hitlers und Stalins stellten nicht den Normalfall totalitärer Diktatur dar, sondern "rather extreme aberrations".
Die klare Festlegung Hannah Arendts war konsequenter. Sie schrieb 1966 im neuen Vorwort zum Abschnitt "totale Herrschaft", dass man die Sowjetunion seit Stalins Tod "im strengen Sinne des Wortes" nicht mehr totalitär nennen könne. "Auf dem sowjetischen Volk lastet heute nicht mehr der Alptraum eines totalitären Regimes, es leidet nur noch unter den vielfältigen Unterdrückungen, (...) die eine Einparteiendiktatur mit sich bringt." Es sei eine moderne Form der Tyrannis, eine illegitime Macht, die wieder auf die Stufe der totalen Herrschaft zurückfallen könne, "und doch kann man mit gleichem Recht feststellen, dass die totale Herrschaft, die furchtbarste aller modernen Regierungsformen, (...) mit dem Tod Stalins in Russland nicht weniger ihr Ende gefunden hat als in Deutschland mit dem Tod Hitlers".
"Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", das die 1933 emigrierte jüdische Philosophin und Publizistin bekannt machte, besitzt eine komplizierte Entstehungsgeschichte. Ursprünglich wollte Arendt eine ideengeschichtliche Analyse des Nationalsozialismus verfassen, wovon die ersten beiden, zwischen 1944 und 1948 entstandenen Teile zeugen ("Antisemitismus" und "Imperialismus"). Sie sollten folgerichtig in einen dritten Teil ("Rassen-Imperialismus") münden, womit der Expansionsdrang ebenso wie der rassenideologische Charakter des Nationalsozialismus prägnant benannt gewesen wäre. Stattdessen entschied sie sich 1948/49 unter dem erschütternden Eindruck der Augenzeugenberichte über die NS-Konzentrations- und Vernichtungslager sowie von Emigranten über den sowjetischen Gulag, den dritten Teil der "totalen Herrschaft" als einer völlig neuen Staats- und Herrschaftsform zu widmen. Hieraus resultiert der konzeptionelle Bruch des Werkes, dessen letzter Teil in keiner überzeugenden Beziehung zu den ersten beiden steht.
Wie andere konservative Zivilisationskritiker sieht auch Arendt die Voraussetzung für die Entstehung der totalitären Diktaturen im Untergang der Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts und der daraus folgenden Atomisierung der "Massen". Kennzeichen der totalitären Staatsform sind Ideologie und Terror sowie die Behauptung, den Ablauf der Geschichte zu kennen. Der sozialdarwinistischen Berufung der Nationalsozialisten auf "Gesetze der Natur" zur Rechtfertigung der Vernichtung "minderwertiger Rassen" entspreche, so Arendt, der Glaube der Bolschewisten an die "objektiven Gesetze der Geschichte", der die Vernichtung absterbender Klassen legitimiert. Dient die totalitäre Ideologie der geistigen Beherrschung der Massen, so der Terror ihrer ständigen Mobilisierung: "Totalitäre Herrschaft wird wahrhaft total in dem Augenblick (...), wenn sie das privat-gesellschaftliche Leben der ihr Unterworfenen in das eiserne Band des Terrors spannt. Dadurch zerstört sie einerseits alle nach Fortfall der politisch-öffentlichen Sphäre noch verbleibenden Beziehungen zwischen Menschen und erzwingt andererseits, dass die also völligIsolierten und voneinander Verlassenen zu politischen Aktionen (wiewohl natürlich nicht zu echten politischen Handeln) wieder eingesetzt werden können."
In diesen kraftvollen Passagen kommt das Erschrecken über den Zivilisationsbruch zum Ausdruck, doch liegt hier auch eine metaphysische Sinndeutung vor. Denn der industrielle Massenmord in den NS-Vernichtungslagern diente keinem anderen Zweck als der Verwirklichung eines definierten Zieles, der Vernichtung des europäischen Judentums. Der Holocaust lässt sich deshalb nicht mit dem Lagersystem des Gulag gleichsetzen, das mit Zwangsarbeit die Industrialisierung der Sowjetunion forcieren sollte. Entsprechend ihrem anthropologischen Ansatz interpretierte Arendt den Totalitarismus als Versuch zur Vernichtung des genuin Politischen, nämlich der Pluralität und Spontaneität des Menschen. Darauf gründete sich ihre Hoffnung, dass die totalitären Diktaturen den "Keim des Verderbens" in sich trügen.
Die empirische Forschung wusste mit Arendts anthropologisch-existenzialphilosophischer Deutung wenig anzufangen.
Totalitarismus ohne Terror?
Andere Totalitarismuskonzepte heben das Primat einer ideologisch definierten Politik hervor. So unterschied Martin Drath zwischen dem Primärphänomen des Totalitarismus - dem "Ziel, ein neues gesellschaftliches Wertungssystem durchzusetzen, das bis in die Metaphysik hinein fundiert wird"
Legt man diese Kriterien zugrunde, lassen sich die poststalinistische Sowjetunion wie die realsozialistischen Ostblockstaaten einschließlich des SED-Regimes als totalitär bezeichnen. Denn an der parteistaatlichen Kontrolle und geheimpolizeilichen Durchdringung aller Lebensbereiche besteht kein Zweifel, ebenso wenig an der Monopolisierung der Entscheidungsmacht und der prinzipiell unbegrenzten Intensität der Sanktionen. Allerdings steht das Totalitarismuskonzept der totalen Kontrolle in einem kaum auflösbaren Spannungsverhältnis zu den klassischen Konzeptionen. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Ansätze, so dass, wer den Begriff "totalitär" für die DDR benutzt, gut daran tut, ihn zu definieren. Aus Sicht der klassischen Konzeptionen Friedrichs und Arendts lassen sich die kommunistischen Regime poststalinistischer Prägung nur als posttotalitär bezeichnen, da sie keinen vergleichbaren ideologischen Furor und Terror mehr aufwiesen.
Als Resümee gilt, dass eine theoretisch befriedigende, die historischen Unterschiede nicht verwischende Totalitarismustheorie noch nicht gefunden ist. Die begriffliche Unschärfe teilt sie mit anderen Begriffen wie Demokratie, Modernisierung oder Imperialismus. Unverzichtbar erscheint mir der Totalitarismusbegriff für die seit Aristoteles klassische Lehre der Herrschaftsformen: Er bezeichnet einen Typus moderner Diktatur, die man auch als Weltanschauungsdiktaturen mit totalem Herrschaftsanspruch bezeichnen kann. Insofern unterschiedet sich dieser Typus grundlegend von autoritären Diktaturen, die keine umfassende Kontrolle über alle Lebensbereiche anstreben und begrenzten gesellschaftlichen Pluralismus zulassen. Vom Standpunkt der liberalen Demokratie können die totalitären Regime auf gleiche Distanz gebracht werden, jedoch sagt die herrschaftstypologische Einordnung nichts über den politisch-ideologischen Herrschaftszweck aus, weshalb aus dem totalen Herrschaftsanspruch keine Identität der totalitären Regime abgeleitet werden kann. Die Wertgebundenheit des Totalitarismusbegriffs stellt jedoch keine analytische Schwäche dar, sondern markiert den fundamentalen Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur.
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