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Meinung: Alternativbezeichnungen für Linksextremismus: "Linksaffine" und "linke Militanz" | Linksextremismus | bpb.de

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Meinung: Alternativbezeichnungen für Linksextremismus: "Linksaffine" und "linke Militanz" Eine Analyse zu Bedeutungsgehalt und Trennschärfe

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber

/ 6 Minuten zu lesen

Neben "Linksextremismus" und "Linksradikalismus" haben in die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung zuletzt auch die Termini "Linksaffine" und "linke Militanz" Eingang gefunden. Armin Pfahl-Traughber mit einem Debattenbeitrag.

09.10.2020, Berlin, Räumung des besetzten Hauses #Liebig34 in der Liebigstraße 34, Ecker Rigaer Straße. Unter Protest wurde das Haus, das als Symbol der linksradikalen Szene gilt, geräumt. Im Einsatz waren insgesamt ca. 1500 Polizeibeamte. (© picture-alliance, Marc Vorwerk / SULUPRESS.DE)

Die Bezeichnung "Linksextremismus" wird immer wieder kritisiert, wobei die Einwände auch auf Missverständnisse zurückgehen. So setzt die Bezeichnung nicht Links- und Rechtsextremismus gleich. Es geht auch nicht um die pauschale Erfassung von Kapitalismus- und Staatskritik. Beides ist Ausdruck von legitimer Meinungsfreiheit, sofern die Basiswerte einer Demokratie geteilt werden. Mitunter wird auch die Auffassung der Sicherheitsbehörden der Deutung der Sozialwissenschaften verwechselt. Und dann gibt es misslungene Definitionsversuche, wobei unterschiedliche Auffassungen und Handlungsstile nicht stringent miteinander in Zusammenhang gebracht werden. Eine Auseinandersetzung mit solchen Einwänden soll hier aber nicht erfolgen, wäre dies doch ein anderer Text und ein anderes Thema. Es geht vielmehr um die kursierenden Alternativbezeichnungen "linksaffin " und "linke Militanz". Handelt es sich dabei um klarere Begriffe? Wie lautet deren genaue Definition? Und ist es um deren Angemessenheit und Trennschärfe besser bestellt?

Definition von "linksaffin" als politische Zuschreibung

Zunächst bedarf es dazu einer Begriffsbestimmung, wobei die einschlägigen Auffassungen von Sozialwissenschaftlern dazu erst einmal unkommentiert referiert werden. Am Beginn steht die Formulierung "linksaffin", die von der Bedeutung her eine "links" nahestehende und damit noch nicht einmal notwendigerweise selbst "linke" Position meinen müsste. Demnach wäre bei der Definition auf die Erläuterung dieses besonderen Näheverhältnisses zu achten. Dem vorangehen müsste eine Bestimmung von "links" selbst. Die Begriffsnutzer von "linksaffin" (vgl. Hillebrand 2015: 41-43; Matuschek u.a. 2011: 11f.) verweisen darauf, dass von einer homogenen linken Identität nicht gesprochen werden könne. Es existierten ganz unterschiedliche Gruppen und Positionen. Dieser Diversität solle durch "linksaffin" eben Rechnung getragen werden. Gemeinsam sei den Akteuren eine an sozialer Gerechtigkeit und emanzipatorischer Herrschaftskritik orientierte politische Prägung. Es handele sich insofern um einen durch Offenheit wie durch Selbsteinschätzung geprägten Terminus.

Einwände zu fehlender Trennschärfe und inhaltlicher Unklarheit

Damit werden von den Anwendern der Kategorie "linksaffin" schon selbst diverse Schwächen eingestanden. Diese beginnen bei der allgemeinen Definition von "links", wobei etwa von humanistischen Absichten oder solidarischen Gesellschaftsbildern die Rede ist. Darüber hinaus nennen die Autoren keine genaueren Merkmale, noch nicht einmal Kapitalismuskritik wird als ein solches benannt. Insofern bleibt die Begriffsbestimmung diffus, denn wer würde denn Humanismus und Solidarität offensiv negieren wollen. Man räumt denn auch mangelnde Operationalisierbarkeit und Trennschärfe ein, ohne daraus aber Konsequenzen für das eigene Verständnis zu ziehen. Darüber hinaus gilt als bedeutsames Kriterium die Selbsteinschätzung der Untersuchten. So bekunden diese etwa "humanistische Absichten", die dann aber nicht hinterfragt werden. Für eine kritische Distanz gegenüber dem jeweiligen Forschungsobjekt spricht dies nicht. Und in anderen Fällen würde eine solche Sichtweise heftig kritisiert: Man stelle sich eine solche Praxis gegenüber "Rechtsaffinen" vor.

Diffusität von "links" und "linksaffin" im begrifflichen Verständnis

Eine Begriffsbeschreibung im wissenschaftlichen Sinne muss mit solchen Verallgemeinerungen verbunden sein, denn wenn aus unterschiedlichen Perspektiven auf formal ähnliche Phänomene geblickt wird, sind inhaltliche Schlagseiten unverkennbar. Darüber hinaus weist die Definition noch weitere grundlegende Defizite auf: Es wird noch nicht einmal allgemein erläutert, was mit "links" denn gemeint sein soll. Der Ansatz, die Einstellung zur Gleichheit zum Maßstab zu machen (vgl. Bobbio 1994), findet kursorische Erwähnung, eine systematische Integration in ein "links"-Verständnis erfolgt indessen nicht. Damit bleibt das Gemeinte überaus diffus, als "links" gilt dann schon allgemein "Solidarität". Aber auch diese Affinität findet keine genauere Erläuterung, würde dann auch jede Bejahung von Chancengleichheit als "links" oder "linksaffin" gelten. Die gemeinten Begriffsnutzer sehen durchaus die Notwendigkeit zu Operationalisierung und Präzisierung ein, sie ziehen daraus aber für ihre Arbeitsbegriffe und Definitionen keine näheren Konsequenzen.

Definition von "linke Militanz" als politische Zuschreibung

Eine weitere kursierende Alternativbezeichnung für "Linksextremismus" lautet "linke Militanz" (vgl. Gemeiner/Micus 2018: 32-34; Meinhardt/Redlich 2020: 16f.). Die Begriffsbestimmung des Gemeinten setzt wiederum voraus, dass es eine Definition von "Linksradikalismus" gibt. Damit sollen politische Akteure gemeint sein, welche sich auf den Anarchismus, Antifaschismus oder Marxismus-Leninismus, oft vermischt mit globalisierungskritischen, postkolonialistischen oder ökologischen Motiven berufen. "Linke Militanz" wäre demnach ein "linksradikaler Habitus", der über drei Kriterien erfasst werden könne: das Bekenntnis zu einer "kämpferischen Haltung", die nicht notwendigerweise gewalttätige Formen annehmen müsse, über ein Gedankengebäude hinausgehende Handlungen im öffentlichen Raum, und eine Einstellung gegen das Unentschlossene. Akteure "linksradikaler Bündnisse" lehnten Gewalt überwiegend ab und befürworteten sie als reagierende Gegengewalt gegen polizeiliche Praxis dann als Widerstand.

Diffuse Definitionselemente und inhaltliche Unklarheiten

Auch diese Definition ist von Diffusität und Unklarheit geprägt. Das belegen bereits die Ausführungen zu "Linksradikalismus", wo Ideologiefamilien (Anarchismus, Marxismus-Leninismus) und Praxisfelder (Antifaschismus) miteinander vermischt werden. Als Ergänzung benannte Gesichtspunkte (z.B. ökologische Motive) können, müssen aber nicht in solchen Zusammenhängen präsent sein. Darüber hinaus bleibt bei diesem Definitionsversuch unklar, worin die inhaltliche Klammer für die gemeinte Sammelbezeichnung bestehen soll. Eine Erläuterung dazu, was "Linksradikalismus" als solches meint, findet sich hier nicht. Ähnlich verhält es sich bei "Linke Militanz", die nicht nur gewaltorientiert, aber kämpferisch sein soll. Worin artikuliert sich aber nun das "Kämpferische"? Und wenn man "nicht nur Gewalthandlungen" meint, warum sollen dann "linksradikale Bündnisse" die Gewalt überwiegend ablehnen, militant sein? Indessen greifen Autonome durchaus Polizisten aktiv und geplant an, es handelt sich nicht nur um ein bloßes Wehren oder Verteidigen.

Selbstbezeichnungen der Szene als Untersuchungskriterien

Besonders bedenklich ist darüber hinaus, dass Selbstbezeichnungen der Szene als eigene Untersuchungskriterien genutzt werden. Die Autonomen definieren sich als "Linksradikale" und sie sprechen für sich von "Militanz". Bereits bei den Arbeitsbegriffen wird hier eine fehlende Distanz zum Untersuchungsobjekt deutlich, zumal sogar dessen Deutungen übernommen werden. Denn Gewalt ist sehr wohl dort ein aktiver Handlungsstil und nicht nur eine Reaktion. Dies wird auch innerhalb der Autonomen-Szene eingeräumt, was die erwähnte Konzeption von "linke Militanz" verkennt. Ganz allgemein kann sich die sozialwissenschaftliche Forschung auch auf das jeweilige Selbstverständnis eines Untersuchungsobjektes beziehen. Dann müsste dies aber konsequent bezogen auf ähnliche Fälle geschehen. Würden aber die gemeinten Forscher auch von einer "rechten Militanz" oder "nationalen Opposition" sprechen, wenn Ausführungen über gewaltorientierte Neonazis das Thema wären? Diese Frage macht die Problematik des Vorgehens deutlich.

Alternativbezeichnungen und Linksextremismus-Verständnis

Bilanzierend betrachtet können die Alternativbezeichnungen "Linksaffin" und "linke Militanz" nicht überzeugen, da sie ihre zentralen Bestandteile selbst nicht genauer definieren, die gemeinten Ebenen durcheinanderwerfen und eine mangelnde Trennschärfe für das Verständnis besteht. Noch nicht einmal eine mit "links" gekennzeichnete Auffassung wird näher beschrieben, wozu etwa die Einstellung zu sozialer Gleichheit wichtig wäre. Die Bezeichnung "linksaffin" weitet darüber hinaus das Verständnis unzulässig aus. Denn wenn etwa eine mentale Nähe zu "Solidarität" schon dafür stehen soll, dann könnten alle nur möglichen politischen Akteure als "linksaffin" gelten. Dass es sich hier um kein trennscharfes Analysekriterium handelt, räumen die Begriffsnutzer auch freimütig ein, ziehen daraus aber keine Konsequenzen. Bei der Bezeichnung "linke Militanz" verhält es sich ähnlich, wobei noch diffuse Herleitungen und unsystematische Kategorisierungen auszumachen sind. Als "kämpferische Haltung" könnte so auch engagierter Umweltaktivismus gelten.

Alternativbezeichnungen mit demokratierelativistischen Konsequenzen

Beide Alternativbezeichnungen zu "Linksextremismus" kamen auch auf, weil man mit dem Begriff eine Diskreditierung von legitimer Gesellschaftskritik verband und diesen deshalb ablehnte. Indessen handelt es sich um eine grundlegende Fehlwahrnehmung, geht es bei den angesprochenen Auffassungen doch um die Befürwortung sozialistischer Diktaturen oder die Negierung einer staatlichen Ordnung. Kapitalismuskritik für sich allein steht ebenso wenig für Linksextremismus wie Staatskritik für sich allein (vgl. Pfahl-Traughber 2020: 22-28). Die beiden Alternativbezeichnungen weiten indessen das gemeinte Spektrum aus. Davon wären alle nur möglichen Akteure eines zivilgesellschaftlichen Protests betroffen (vgl. Scherr 2020: 85-87). Auch wenn die Begriffsnutzer dies nicht beabsichtigen, läuft dies objektiv auf solche Konsequenzen hinaus. Außerdem spielen für ihre Ansätze die Einstellungen, die ein politischer Akteur zu Demokratie, Menschenrechten, Pluralismus und Rechtsstaat hat, keine Rolle. Auch diese Auffassung hat demokratierelativistische Konsequenzen.

Entwicklung der linksextremistischen Straf- und Gewalttaten. Interner Link: Hier finden Sie die Grafik als PDF. Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Entwicklung des linksextremistischen Personenpotenzials. Interner Link: Hier finden Sie die Grafik als PDF. Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Literatur

Bobbio, Norberto: Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung, Berlin 1994. Gmeiner, Jens/Micus, Matthias: Radikalismus der Tat. Linke Militanz oder die Ethnologie der (Post-) Autonomen, in: Demokratie-Dialog, H. 2/2018, S. 20-35.

Hillebrand, Katrin u.a.: Politisches Engagement und Selbstverständnis linksaffiner Jugendlicher, Wiesbaden 2015.

Matuschek, Ingo u.a.: Links sein. Politische Praxen und Orientierungen in linksaffinen Alltagsmilieus, Wiesbaden 2011.

Meinhardt, Anne-Kathrin/Redlich, Birgit: Politische Bildungsarbeit links abseits von Prävention, in: Dies. (Hg.): Linke Militanz. Pädagogische Arbeit in Theorie und Praxis, Frankfurt/M. 2020, S. 13-20.

Pfahl-Traughber, Armin: Linksextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, 2. Auflage, Wiesbaden 2020.

Scherr, Albert: Legitime Gesellschaftskritik oder Extremismus? Fallstricke, Herausforderungen und Perspektiven der Diskurse über Linksextremismus und linke Militanz, in: Meinhardt, Anne-Kathrin/Redlich, Birgit (Hg.): Linke Militanz. Pädagogische Arbeit in Theorie und Praxis, Frankfurt/M. 2020, S. 78-90.

Weitere Inhalte

Dipl.-Pol., Dipl.-Soz., Jg. 1963, ist hauptamtlich Lehrender an der Fachhochschule des Bundes in Brühl mit den Schwerpunkten Extremismus und Ideengeschichte, Lehrbeauftragter an der Universität zu Bonn mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Herausgeber des seit 2008 erscheinenden Jahrbuchs für Extremismus- und Terrorismusforschung (Brühl).