Obwohl der Linksextremismus in Europa organisatorisch (u. a. Parteien, autonome Szenen, intellektuelle Zirkel) und ideologisch (u. a. kommunistisch, anarchistisch, trotzkistisch) vielgestaltig auftritt, sind seine Absichten und Feindbilder eng miteinander verbunden: Ihn eint der "antifaschistische Kampf" sowie die Forderung, den "Kapitalismus" abzuschaffen und eine sozialistische Gesellschaft als die – vermeintlich – wahre Form der "Demokratie" zu errichten. Da die weltanschaulichen Grundlagen auf die Überwindung von Nationalismus bzw. Nationalstaaten zielen, haben internationale Allianzen für Linksextremisten eine zentrale Bedeutung. Anders als beim Rechtsextremismus, der die jeweils eigene "Volksgemeinschaft " überhöht und ihr Vorrang einräumt, weswegen länderübergreifende Kooperationen zumeist nur Zweckbündnisse darstellen (wenngleich sich durch das Feindbild "Islam" Europas Rechtsextremisten zunehmend näher kommen), resultiert die Schlagkraft vor allem der linksextremen Szene aus der internationalen Vernetzung solcher Gruppierungen. So waren die massiven Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg im Sommer 2017 nicht zuletzt die Folge einer organisierten Zusammenkunft mit hoher Planungsintensität von Linksextremisten aus ganz Europa. Und auch die Bündnisfähigkeit von Linksaußenparteien übertrifft die ihrer rechten Pendants deutlich. Hier fällt die Abgrenzung zwischen (noch) demokratisch und (schon) extremistisch häufig schwer – weil manche Gruppierungen heterogene Gebilde sind und demokratische wie extremistische Kräfte einschließen, weil sie legalistisch agieren und ihre extremistischen Charakter verschleiern, weil sie sich im Zeitverlauf wandeln können und nicht zuletzt bei internationalen Vergleichen, weil in Europa ganz unterschiedliche Maßstäbe gelten, was als (links-)extremistisch zu gelten hat und was nicht. Allgemein lassen sich linke und linksextreme Bestrebungen dadurch voneinander abgrenzen, ob ihre Sozialismusforderungen unter Einschränkung individueller Freiheitsrechte (vor allem von Eigentum und Besitz) durchgesetzt werden sollen oder nicht.
Parteien
Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus 1989/90 zerfaserte die bis dahin übersichtlichte Landschaft von einerseits linken (sozial-)demokratischen und andererseits am Sowjetkommunismus orientierten, extremistischen Parteien. Die Beschleunigung des gesellschaftlichen Wandels durch Globalisierung und Digitalisierung verstärkte die Verschiedenheit im linken Lager. Manche Parteien blieben ihrer orthodoxen Ideologie treu (z. B. die kommunistischen Parteien in Griechenland, Portugal und Tschechien), andere reformierten sich teilweise (z. B. die kommunistischen Parteien in Frankreich und Österreich) oder vollständig (z. B. die Linksparteien in Skandinavien), wiederum andere bildeten breite Allianzen unter Einschluss sowohl demokratischer als auch extremistischer Partner (z. B. Die Linke in Deutschland, Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland).
Trotz der Heterogenität kam es am 8. Mai 2004 in Rom zum Zusammenschluss von 15 linken Parteien und zur Gründung der Partei der Europäischen Linken (EL). Mittlerweile (Stand Ende 2017) sind es 27 Mitglieder aus 21 Ländern, davon fünf außerhalb der Europäischen Union (Moldawien, San Marino, Schweiz, Türkei, Weißrussland). Im Grundsatzprogramm der EL werden sowohl die verschiedenen ideologischen Grundlagen als auch die gemeinsamen Ziele betont: "Wir fühlen uns den Werten und Traditionen des Sozialismus, des Kommunismus und der Arbeiterbewegung, der feministischen Bewegung und der Geschlechter-Gleichheit, der Umweltbewegung und einer nachhaltigen Entwicklung, des Friedens und der internationalen Solidarität, der Menschenrechte, des Humanismus und des Antifaschismus, des progressiven und liberalen Denken[s] im nationalen und internationalen Rahmen verpflichtet." Weiter heißt es: "Wir wollen den Entwurf für ein anderes Europa vorlegen, der EU einen anderen Inhalt geben : [...] ein alternatives soziales und politisches Modell zum Kapitalismus, aktiv gegen wachsende Militarisierung und Krieg, für Umweltschutz und die Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet."
Im Europäischen Parlament sind die Abgeordneten in der "Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke" organisiert, wo sie mit weiteren Parteien kooperieren und mit 52 Mitgliedern seit der Europawahl 2014 den fünft größten Zusammenschluss bilden. An den Strukturen auf europäischer Ebene zeigt sich die höhere Bündnisfähigkeit linksextremer Parteien gegenüber den rechtsextremen – in doppelter Hinsicht. Zum einen sind die demokratischen und extremistischen Linksaußenparteien in einer Fraktion organisiert, während es am rechten Rand mit den Fraktionen "Europäische Konservative und Reformer" (demokratisch-euroskeptisch), "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" (rechtspopulistisch) und der "Europa der Nationen und der Freiheit" (rechtsextrem) gleich drei sind, zudem weitere fraktionslose Parlamentarier (z. B. die der griechischen "Morgenröte") hinzukommen. Zum anderen gelingt es den linksextremistischen Vertretern deutlich besser sich an Allianzen mit demokratisch linken Parteien zu beteiligen, während Bündnisse der Rechten regelmäßig daran scheitern, dass die Partner einander als entweder zu extrem oder als nicht radikal genug gelten.
Doch auch die linken Parteiennetzwerke sind nicht frei von Konflikten. Vor allem Unterschiede bei der Be- und Verurteilung der kommunistischen Vergangenheit stellen ein zentrales Hindernis bei der Verbreiterung und Vertiefung der Beziehungen dar, weswegen die kommunistischen Parteien Tschechiens und der Slowakei nur einen assoziierten Beobachterstatus in der EL besitzen; die Kommunistische Partei Griechenlands (KEE) und die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) sind gar nicht vertreten. Auch progammatisch gibt es zahlreiche Kontroversen – abhängig von der Stellung der Linksaußenkräfte in den nationalen Parteiensystemen als Regierungspartner oder als Fundamentalopposition und von politisch-kulturellen Landesspezifika. Wirtschaftspolitisch äußert sich dies etwa im Dissens um entweder mehr staatliche Investitionen und Umverteilung im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft oder um die Etablierung eines planwirtschaftlichen Modells, europapolitisch in der Frage nach EU-Abschaffung oder -Reform (im Sinne einer Transferunion) und außenpolitisch im Verhältnis zur NATO und den USA. Zudem bergen die Debatten um Flucht und Migration ein hohes Spannungspotenzial (Stichwort Visegrád). Und nicht zuletzt verlaufen Konflikte entlang verschiedener soziokultureller Milieus – einer eher autoritär geprägten Basis orthodox-kommunistischer Parteien auf der einen Seite und dem antiautoritären Habitus im alternativen Milieu wie bei Anhängern der "Neuen Linken" auf der anderen.
Linksextreme Szene
Die Szenerie nichtparteiförmiger linksextremistischer Vereinigungen gestaltet sich nicht weniger heterogen als die der Parteien. Organisatorisch unterscheiden sich linke subkulturelle Gruppierungen von extremistischen Kreisen innerhalb breiter (teilweise demokratischer) Bündnisse. Zu erstgenannten zählen lose Zusammenschlüsse (z. B. Punks und Hausbesetzer), über Gruppierungen mit festen Strukturen, allerdings kurzer Verweildauer (z. B. Autonome, Schwarzer Block) bis hin zu langlebigen intellektuellen und internationalen Netzwerken. Letztgenannte treten im Umfeld der Umwelt- und Antiglobalisierungsbewegung oder antifaschistischer Initiativen auf. Vielfach überschneiden sich die Milieus personell. So bestehen Anknüpfungspunkte von Autonomen zu Punks, linksalternativen Cliquen und Oi-Skins nicht zuletzt deshalb, weil der Antifaschismus eine inhaltliche Klammer für weite Teile des linksextremen (und zugleich auch demokratisch-linken) Spektrums bildet .
Auch deswegen ist die international agierende linksextreme "Antifascist Action" (AFA) das aktivste und langlebigste Netzwerk innerhalb der anarchistisch-autonomen Szene. 1985 in Großbritannien gegründet, existieren heute Ableger in den meisten europäischen Staaten. Allerdings unterscheiden sich Gruppengröße, Aktivität und nicht zuletzt die ideologischen Hintergründe mitunter deutlich. Während der subkulturelle Linksextremismus im Allgemeinen und die "Autonomen" im Besonderen in westeuropäischen Metropolen wie Berlin, Hamburg, Kopenhagen, Amsterdam, London, Barcelona und Athen fest verankert sind, existieren im postsozialistischen Raum nur in wenigen Städten wie Warschau, Prag und Budapest vergleichbare Strukturen. Während die osteuropäische AFA strikt anarchistisch und antibolschewistisch orientiert ist, beziehen sich ihre Pendants im westlichen Europa auch auf (neo-)kommunistische Konzeptionen, z. B. eines Antonio Negri. Und auch in manchen Ländern mit einer schlagkräftigen rechtsextremen Szene wie in Tschechien und Polen, in denen sich die Aktivitäten zumeist gegen den extremistischen Antipoden richten, ist die autonome "Antifa" spätestens seit der Jahrtausendwende (G8-Gipel Genua 2001) wichtiger Akteur innerhalb der globalisierungskritischen Szene.
Eine besondere Rolle spielen hierin die jeweiligen nationalen bzw. regionalen "Schwarzen Blöcke", die bei Gipfeltreffen wie zuletzt unter dem Motto "Welcome to Hell" beim G20 in Hamburg geschlossen auftraten und europaweit ein Potenzial von mehr als 10.000 Personen bilden. Sie traten vollständig in schwarz gekleidet und vermummt auf und sind gekennzeichnet von einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft – sie tragen häufig die Verantwortung für Ausschreitungen nicht nur gegenüber Rechtsextremisten, sondern auch gegenüber den Institutionen und Repräsentanten der Demokratie, zumeist (aber nicht nur) gegen die Polizei. Zugleich beschränkt sich das Handlungsspektrum des international agierenden gewaltbreiten Linksextremismus nicht auf Demonstrationen. Es reicht von spontanen Sachbeschädigungen und Krawallen über eigenständig koordinierte Demonstrationen bis hin zu Aktivitäten mit hoher Planungsintensität wie Antifacamps und "Nazi-Outing". Im Vergleich zum Rechtsextremismus ist den "Autonomen" ein noch immer höherer Professionalisierungs- und Vernetzungsgrad bei der internationalen Zusammenarbeit zu attestieren, wiewohl die Orientierung von "rechts" an "links" für einen Aufholprozess gesorgt hat. Während die linksextreme Szene innerhalb kurzer Zeit mehrere Hundert, bei Spitzentreffen der Politik mit entsprechender Vorlaufzeit regelmäßig mehrere tausend Anhänger mobilisieren kann, gelingt dies der Rechten nicht in vergleichbarem Umfang.
Eine längerfristige Vernetzung der Autonomen scheitert jedoch auf nationaler wie internationaler Ebene an der häufig geringen Verweildauer der einzelnen Mitglieder innerhalb der Szene. Anders als bei Parteimitgliedern und ihrer meist lebenslangen Verbundenheit beträgt die durchschnittliche Szenezugehörigkeit nur wenige Jahre im jugendlichen Lebensalter. Die Anziehungskraft des linksextremen Milieus resultiert offenbar weniger aus der Attraktivität der Ideologie als vielmehr aus dem Gruppen- und Identifikationsgefühl, das von der linken Subkultur ausgeht. Als Ausstiegsmotive gelten zuvorderst Partnerschaft und Familienplanung, das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit und dem Nachgehen "normaler" Berufstätigkeit, die mit dem Selbstverständnis der Bewegung kaum vereinbar sind. Dazu kommen Generationenkonflikte zwischen "Alt-Autonomen" und dem "Nachwuchs" sowie die Anlassbezogenheit ihrer Vernetzung, z. B. die Gegenproteste bei internationalen Gipfeltreffen oder rechtsextremistischen Veranstaltungen, die nach den "Highlights" und der "Erledigung ihrer selbstgestellten Aufgabe" wieder zerfallen. Das wiederum bedeutet aber, dass der gesellschaftliche Anteil jener, die wenigstens einen Teil ihrer politischen Sozialisation in der Autonomenszene erfahren haben, deutlich größer ist als der jeweilige Ist-Stand der Beobachtung durch die Sicherheitsinstitutionen widerspiegelt.
Linksextreme Webseiten und soziale Netzwerke
Der höhere Vernetzungsgrad des linken gegenüber dem rechten Extremismus zeigt sich zudem bei der Nutzung des Internets. Obwohl sich auch im Rechtsextremismus vor allem die Nutzung im Bereich Sozialer Netzwerke intensiviert und professionalisiert, lässt sich – mit Blick auf Anzahl und Reichweite der Angebote – nach wie vor eine größere Internetaffinität im Linksextremismus feststellen. Für Rudolf van Hüllen ist das Internet im "Kampf um die Köpfe" ein gewichtiger ideologischer und strategischer Aspekt: "Sie verbreiten eigene Agitation, mobilisieren und koordinieren eigene Anhänger, sie werben um neue und bemühen sich, über Internet-Angebote Einbindungs- und Radikalisierungsprozesse in Gang zu setzen. Schließlich beobachten und bekämpfen sie im Internet politische Gegner" (Stichwort Nazi-Outing). Informationsseiten, Rundmails und Social-Media-Kanäle ermöglichen die schnelle und grenzübergreifende Erreichbarkeit der Szene. Das hängt vor allem mit der Nutzung von internationalen, gruppenunabhängigen Plattformen zusammen. Von zentraler Bedeutung ist hier das Independent Media Center (indymedia.org). 1999 im Zuge des WTO-Gipfels in Seattle von der globalisierungskritischen Szene gegründet, zielte es zunächst darauf ab, eine alternative Gegenöffentlichkeit zu bilden, das Demonstrationsgeschehen und – vermeintliche wie tatsächliche – Polizeigewalt zu dokumentieren. Heute existieren Ableger in mehr als 60 Ländern, die untereinander vernetzt sind. Indymedia funktioniert nach der Methode "Open-Posting", bei der jeder Aktivist und Interessent Beiträge einstellen kann; zudem bietet die Seite Übersetzungskoordination an. In der Selbstdarstellung heiß es: "Indymedia Deutschland versteht sich als ein multimediales Netzwerk unabhängiger und alternativer Medien, MedienmacherInnen, engagierter Einzelpersonen und Gruppen."
Vor und während des G20-Gipfels in Hamburg hatte nicht zuletzt die länderübergreifende Mobilisierung und Koordination der gewaltsamen Proteste über solche Netzwerke stattgefunden. Als Konsequenz aus den tagelangen Ausschreitungen wurde im August 2017 der deutsche Indymedia-Ableger "indymedia.linksunten" auf Grundlage des Vereinsgesetzes vom Bundesinnenministerium verboten und aufgelöst. Es war das erste Verbot einer linksextremistischen Vereinigung in Deutschland und ist umstritten. Zur Begründung heißt es: Auf der Plattform wird öffentlich zur Begehung von Gewaltstraftaten gegen Polizeibeamte und politische Gegner sowie zu Sabotageaktionen gegen staatliche und private Infrastruktureinrichtungen aufgerufen." Zugleich wurde die Entscheidung – z. B. durch die Organisation "Reporter ohne Grenzen" – als Eingriff in die Pressefreiheit durch die Hintertür des Vereinsrechts kritisiert, auch wenn Aufrufe zu Gewalt inakzeptabel, strafbar und zu löschen seien. Nicht zuletzt wegen der internationalen Ausrichtung der Internetplattform stellte sich die Maßnahme ohnehin als begrenzt wirksam heraus. So wurden die Web-Aktivitäten nicht unterbunden, sondern in Richtung der Hauptdomäne indymedia.org verschoben, deren Server in Brasilien steht und für den Verfassungsschutz unerreichbar ist.
Laut Verfassungsschutzbericht nutzen Linksextremisten "insbesondere die sozialen Medien, um die Szene und ihre Sympathisanten schnell zu informieren, zu emotionalisieren und zum Handeln zu bewegen." Sowohl die kostenlose Verfügbarkeit anstelle der eigenen Unterhaltung von Servertechnik und Webdomäns als auch die flächendeckende Verbreitung von Facebook und Twitter befördern die globale Erreichbarkeit und Vernetzung. Zudem bietet die Anonymität im Social Web Schutz vor Strafverfolgung – sowohl für Urheber als auch Konsumenten extremistischer Medieninhalte. Indes ist fraglich, ob vor dem Hintergrund der weltweiten Nutzung der Sozialen Netzwerke das Ende 2017 vom Bundestag verabschiedete und stark umstrittene "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" zur Verhinderung "offensichtlich rechtswidriger Inhalte" beiträgt, zumal sich die Stoßrichtung bei der Unterbindung von Hasskommentaren eher gegen den Rechts- als den Linksextremismus richtet.