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Fremdgesteuert: Games und Verschwörungen

Christian Huberts

/ 11 Minuten zu lesen

Tempelritter, dämonische Wesen und Geheimdienste gehören zum Standardrepertoire der Hintergrundgeschichten digitaler Spiele. Grund dafür ist jedoch nicht allein die Popularität von Verschwörungserzählungen. Um die Grenzen der Handlungsfreiheit in Games zu plausibilisieren, bieten sich Erzählungen von Gedankenkontrolle und konspirativen Mächten in besonderer Weise an. Dabei werden bewusst und unbewusst auch immer wieder antisemitische Narrative reproduziert.

In „Call of Duty: Black Ops Cold War“ (2020, Activision). infiltrieren die Spielenden als CIA-Agent „Bell“ zusammen mit dem Einsatzleiter Russell Adler (im Bild) ein KGB-Archiv. Was „Bell“ und die Spielenden noch nicht wissen: Ihre Gedanken werden durch das MKULTRA-Projekt des US-Geheimdienstes manipuliert. (© Call of Duty: Black Ops Cold War / Activision (Pressematerial))

Wenn der niederländische Kulturanthropologe Johan Huizinga in seinem Buch „Homo Ludens“ über das Spiel als freie, regelgeleitete und raumzeitlich vom Alltag abgetrennte Handlung schreibt, mutet das durchaus konspirativ an. Denn beim Spielen bilden sich „Gemeinschaftsverbände […], die ihrerseits sich gern mit einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders von der gewöhnlichen Welt abheben“ (Huizinga 2004, S. 22). Die Spielenden – so könnte man Huizingas Spieldefinition zuspitzen – verschwören sich gegen die schnöde Realität und schaffen sich eine kollektive Alternativwirklichkeit. Wer nicht zum eingeschworenen Kreis gehört, bekommt von den geheimen Machenschaften und obskuren Ritualen in düsteren Spielzimmern selten etwas mit.

Verschwörungen haben ihrerseits einen spielerischen Charakter, wenn wir sie als das „geheime Zusammenwirken einer […] Gruppe von Personen definieren, deren Absprachen und Handeln darauf zielen, die Ereignisse zu ihrem eigenen Vorteil […] zu beeinflussen“ (Hepfer 2015, S. 24). Konspirative Gemeinschaftsverbände bestimmen sozusagen die Spielregeln der Welt. Nicht ohne Grund gehören die Begriffe „Puppenspieler“ und „Marionetten“ zum Standardrepertoire des verschwörungstheoretischen Sprechens (vgl. Römer 2022, S. 302). Blickt man auf popkulturelle Repräsentationen, sitzen konspirative Kräfte mit Vorliebe vor Spieltischen und -konsolen – vom skrupellosen Politiker Frank Underwood in der Serie „House of Cards“ (2013, Beau Willimon) bis hin zu den verdeckten SPECTRE-Agenten aus den „James Bond“-Filmen „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963, Terence Young) und „Feuerball“ (1965, Terence Young).

James Bond und der SPECTRE-Agent Emilio Largo messen ihre Fähigkeiten der Täuschung und Manipulation bei einer Partie Baccarat. (© Danjaq, LLC / Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.)

Doch in kaum einer Kulturform scheint dieser Hang zur Verschwörungserzählung so ausgeprägt wie im Computerspiel. Sogar ihre Mediengeschichte ist eng verwoben mit der Entwicklung des Computers als Instrument der Überwachung und Kontrolle. US-amerikanische Verteidigungs- und Forschungsbehörden versuchten spätestens seit den 1960ern, „rotes Denken“, also vermeintlich kommunistisches Gedankengut, mit Hilfe von computergestützten Strategiespielen antizipieren und damit manipulieren zu können (vgl. Pias 2002, S. 146ff.). Nach dem Kalten Krieg entwickelte die digitale Spielekultur ihre eigenen Ausprägungen typischer Verschwörungsmythen, Interner Link: von Theoriegebilden über Vorurteilsstrukturen bis hin zu konkreten Erzählungen (vgl. Lamberti 2020). So soll in den 1980ern der Externer Link: Spielautomat „Polybius“ die Gedanken der Spielenden kontrolliert haben (vgl. Johnson et al. 2022). Beweise für die Theorie eines Geheimexperiments der Regierung gibt es selbstverständlich nicht. Doch gerade die Paranoia vor Fremdsteuerung durch Gedankenkontrolle böswilliger Mächte hat sich tief in den Erzählungen von und über Games eingeprägt.

Der Geist in der Maschine

Bereits Ende der 1980er beschreibt der Poet Charles Bernstein die „Paranoia“ beim Spielen früher Computerspiele (vgl. Bernstein 2001, 165f.): Spielende würden erleben, dass etwas – „something like a mind“ – auf dem Bildschirm auf ihre Eingaben reagiert, sich gleichzeitig aber der vollständigen Wahrnehmung entzieht. Wo sich die Strukturen des analogen Spiels spätestens im Regelbuch offenbaren, bleibt das Regelsystem von digitalen Spielen versteckt hinter einer audiovisuellen Benutzeroberfläche. „That's what's scary“, wie Bernstein anmerkt. Wie sehr wir uns einem Game anvertrauen wollen, hängt also maßgeblich davon ab, wie gut das Gezeigte und Erzählte uns von einer konsistenten Spielrealität überzeugen kann. Oder mit anderen Worten: Wie gut uns das Spiel glauben lässt, wir hätten die Kontrolle, während es selbst die Marionettenfäden in der Hand hält.

In der abstrakteren Frühzeit der Computerspiele ist es vergleichsweise einfach, diese „Übergangswahrscheinlichkeiten zu modellieren“ (Pias 2002, S.172), also erzählerische Rahmungen zu wählen, die den Spielenden die Illusion vermitteln, freiwillig die richtigen Entscheidungen für den Spielerfolg zu treffen. Die rudimentäre Darstellung einer Pingpongplatte macht das Spielen von „Pong“ (1972, Atari) ebenso reibungslos möglich wie die Erzählung einer Höhle die Navigation in frühen Text-Adventures wie „Colossal Cave Adventure“ (1976, William Crowther). Nicht nur macht das visuell-narrative Setting plausibel, was möglich oder notwendig ist, sondern auch, was unmöglich oder unerlaubt ist, etwa das Schreiten durch eine massive Felswand. Doch mit immer komplexeren und offeneren Spielwelten geraten diese simplen Strategien zunehmend an ihre Grenzen.

Moderne Games verfügen über ein beachtliches Repertoire an Möglichkeiten, um „poetische Notwendigkeit“ (Pias 2002, S. 172) von erwünschten Handlungen zu erzeugen. Von unscheinbaren Gartenzäunen bis hin zu magischen Barrieren stellen sich den unfreien Spielenden regelmäßig mehr oder weniger plausible Leitplanken in den Weg. Besonders kreativ ist jedoch der Twist, die Grenzen des Spieldesigns schlicht auf die Antagonisten zu projizieren: So haben die Spielenden in „BioShock“ (2007, 2K Games) keine echte Entscheidungsfreiheit, weil der Bösewicht Andrew Ryan per Hypnose ihre Handlungen kontrolliert. In „Portal“ (2007, Valve) führt kein Weg am linearen Spielverlauf vorbei, weil die verrückte Künstliche Intelligenz (KI) GLaDOS uns mit dem Versprechen von Kuchen an der Nase herumführt. Die Unfreiheit des Spielsystems wird zur Erzählung einer Verschwörung gegen die Spielenden.

Das Büro aus „The Stanley Parable: Ultra Deluxe“ ist Projektionsfläche für alle möglichen Hypothesen zur Fremdsteuerung des Protagonisten Stanley. (© The Stanley Parable / Crows Crows Crows)

Wie Anschlussfähig die Strukturen von Computerspielen für diese Narrative sind, zeigt eindrucksvoll „The Stanley Parable: Ultra Deluxe“ (2022, Crows Crows Crows). In der Rolle des Büroangestellten Stanley hängen die Spielenden nicht nur einer einzelnen Verschwörungstheorie an, sondern einer ganzen Reihe möglicher Hypothesen zu ihrem einsamen und unfreien Verbleib in der Spielwelt. Die ebenso überraschende wie enttäuschende Lehre des Spiels ist jedoch, dass Freiheit in Games stets nur eine Illusion sein kann. Eine Gedankenkontrollmaschine oder die allmächtige Erzählstimme als cartesianischer „böser Geist“, der eine falsche Realität vortäuscht, liefern aber die bequemeren Erklärungen für die erfolglose Flucht. Was hier noch metatextuelle Parodie ist, meinen erfolgreiche Reihen wie „Metal Gear Solid“ (erstmals 1998, Konami), „Deus Ex“ (erstmals 2000, Ion Storm), „Assassin’s Creed“ (erstmals 2007, Ubisoft) oder „Call of Duty: Black Ops“ (erstmals 2010, Activision) durchaus ernst. Verschwörungsnarrative sind auch in digitalen Spielen längst Mainstream.

Conspiracy goes Pop

Im Jahr 2022 veröffentlichte der deutsch-französische Kultursender Arte Externer Link: eine vierteilige Dokumentation über die Geschichte des Antisemitismus. Bebildert wird die sehenswerte Produktion unter anderem mit Spielszenen aus „Assassin’s Creed Unity“ (2014, Ubisoft), das zur Zeit der Französischen Revolution spielt. Unerwähnt bleibt in der Dokumentationsreihe, die noch auf weitere Titel der Reihe zurückgreift, dass auch die Hintergrundgeschichte von „Assassin’s Creed“ auf einem strukturell antisemitischen Verschwörungsmythos aufbaut: Der Templerorden kontrolliert im Geheimen die Weltgeschichte, löst etwa gezielt die Französische Revolution aus. Ein Vorwurf, der auch Juden und Jüdinnen gegenüber immer wieder vorgebracht wird und wiederkehrendes Element von Antisemitismus ist (vgl. Butter 2020).

In der typischen Dramaturgie des Computerspiels, in der auf jede Herausforderung eine größere folgt, liegt es nahe, dass sich auch die rahmenden Narrative ins Konspirative steigern. Oder wie es in einem populären Game-Design-Ratgeber heißt: „Even though the mastermind has been defeated, there is still one more ‚villain‘ to defeat: the global threat“ (Rogers 2010, S. 320). Die verheerende Pandemie „Grauer Tod“ in der dystopischen Science-Fiction von „Deus Ex“ erscheint beispielsweise zunächst natürlichen Ursprungs, entpuppt sich jedoch als künstlich in einem Labor gezüchtet, das wiederum von der Geheimorganisation „Majestic 12“ kontrolliert wird, die ihrerseits aus den berüchtigten „Illuminaten“ hervorgegangen ist. Und wie bei der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 werden auch im fiktiven Jahr 2052 die Namen „Rockefeller“ und „Rothschild“ als finanzielle Strippenzieher geraunt, ein etablierter antisemitischer Code (vgl. Butter 2020).

Doch nicht alle Games zitieren sich so sorglos durch den Fundus der Verschwörungserzählungen. Der Ego-Shooter „Wolfenstein: The New Order“ (2014, MachineGames) und seine Nachfolger thematisieren mit „Da'at Yichud“ eine fiktive jüdische Geheimgesellschaft, die explizit nicht nach der Weltherrschaft strebt, sondern den Widerstand gegen das Nazi-Regime mit Waffentechnologie unterstützt. Aber auch ein wohlmeinendes Gerücht ist am Ende ein »Gerücht über die Juden«, wie Adorno (1951, S. 125) den Antisemitismus charakterisiert. Die titelgebenden „Hexer“ aus der „The Witcher“-Reihe (erstmals 2007, CD Projekt RED) sehen sich ebenso Verleumdungen ausgesetzt, die eindeutig von antisemitischen Mythen inspiriert sind. Dass Hexer heimlich Brunnen vergiften, ist eine Lüge, dass sie okkulte Rituale an Kindern durchführen, entspricht aber Externer Link: dem Erzählkanon des erfolgreichen Franchise (vgl. Hexer-Wiki 2009).

Viele Mythen ranken sich um „Hexer“ wie Geralt: Sie sind gierig, betrügerisch und stehlen Kinder für düstere Rituale. (© The Witcher 3 / CD Projekt RED (Pressematerial))

Die Übertragung antisemitischer Stereotype auf Science-Fiction- oder Fantasy-Figuren ist so etabliert, dass sie mittlerweile als Externer Link: Erzähltrope der „space Jews“ bekannt ist (vgl. Sturtevant 2018). Populäres Beispiel dafür sind die stets auf Profit abzielenden, großohrigen Ferengi aus dem „Star Trek“-Kosmos (erstmals 1966, Paramount). Im Jahr 2023 stach in der Spielekultur insbesondere „Hogwarts Legacy“ (2023, Warner Bros. Games) dadurch hervor, dass es eine Verschwörung von Kobolden ins Zentrum seiner Erzählung rückt. Schon die Romane und Verfilmungen des „Harry Potter“-Franchise (erstmals 1997, Joanne K. Rowling) stehen im Verdacht, mit den auf Finanzgeschäfte spezialisierten Kobolden und ihren spitzen Nasen antisemitische Karikaturen nachzuahmen. Wenn Game-Design-Handbücher dazu raten, bei den Feindbildern keine Angst vor visuellen Stereotypen zu haben (vgl. Rogers 2010, S. 314), geraten deren Entstehungskontexte oftmals aus dem Blick.

Gespielte Wahrheiten

So wie typische digitale Spiele den virtuellen Feind also zur Orientierung und Legitimierung der Spielenden mit „[g]lowing red eyes, demonic horns, fangs, clawed hands“ (Rogers 2010, S. 314) dämonisieren, ist die „Dämonisierung ihres Untersuchungsgegenstandes“ ein typisches Merkmal von Verschwörungserzählungen (vgl. Hepfer 2015, S. 145). Was im Rahmen popkultureller Unterhaltung bereits problematisch sein kann, wird ein ernsthaftes Problem bei sogenannten Serious Games. Hier dienen erzählerische Rahmungen eben nicht mehr allein dem Zurechtfinden in einer unterhaltsamen Spielumgebung, sondern ebenso der historisch-politischen Orientierung außerhalb der Spiele (vgl. Körber 2021, S. 412f.). Serious Games meinen es ernst mit ihrem Inhalt, verfolgen ein konkretes Vermittlungsziel. Wird die Dämonisierung realer Gruppen und Institutionen genutzt, um „poetische Notwendigkeit“ (Pias 2002, S. 172) in dieser Art digitaler Spiele zu erzeugen, entsteht verschwörungsideologische Propaganda.

Nachdem „Liyla and the Shadows of War“ (2016, Rasheed Abueideh) Externer Link: aufgrund seines politischen Inhalts zunächst nicht in der Games-Kategorie im App Store von Apple aufgenommen wurde (vgl. Handrahan 2016), konnte es wenig später schon diverse Nominierungen für internationale Preise aufweisen. In der Kategorie „Excellence in Storytelling“ hat es Externer Link: laut Homepage sogar den ersten Preis des International Mobile Gaming Awards in der MENA-Region gewonnen. Die Spielenden durchstreifen als Familienvater ein farbloses Kriegsgebiet auf der Suche nach Angehörigen. Unentwegt regnen Raketen nieder, zerstören Wohnhäuser und Schulen, töten Kindergruppen. Der Feind bleibt anonym. Erst nach dem tragischen Ende wird der Schauplatz offenbart: der Gazastreifen im Jahr 2014. Statistiken ohne Quellenangabe sollen das Ausmaß der Zerstörung dokumentieren. Israel wird nicht benannt, vom Spieldesign aber klar als heimtückischer und übermächtiger Aggressor markiert. Wer das Spiel überleben möchte, darf der unsichtbaren Macht im Hintergrund nicht vertrauen.

Nicht nur die Grafik in „Liyla and the Shadows of War“ ist schwarz-weiß: Ohne Selbstwirksamkeit und Kontext sind die Spielenden einem unsichtbaren Aggressor ausgesetzt. (© Liyla and the Shadows of War / Rasheed Abueideh / play.google.com (Pressematerial))

„Liyla and the Shadows of War“ muss Israel nicht mit Worten dämonisieren, Externer Link: weil die „prozedurale Rhetorik“ (vgl. Bogost 2007) des Spieldesigns diese Aufgabe bereits übernimmt. Wie zuvor mit Hilfe einer bösen KI oder den Illuminaten werden spielmechanische Grenzen und Gefahren auf einen skrupellosen Antagonisten projiziert. Wer ihm misstraut, kann korrekte Entscheidungen für den Spielerfolg treffen, wer die Paranoia hingegen ablegt, wird dafür mit dem Game Over bestraft. So wie Verschwörungserzählungen bietet das Spiel eine kohärente, widerspruchsfreie „Wahrheit“ an, die aber nicht zwingend mit der Realität korrespondieren muss (vgl. Hepfer 2015, S. 57). Auch das im Januar 2025 erfolgreich per Crowdfunding finanzierte Externer Link: Folgeprojekt „Dreams on a Pillow“ setzt diese Rhetorik fort und formuliert dabei in seiner PR-Kampagne noch viel expliziter den Anspruch, die „wahren“ Ursachen des Nahostkonflikts – „skrupellose Zionisten“ – erfahrbar zu machen.

Auch andere Games nutzen diese Strategie, geben dabei aber vor, primär der Unterhaltung zu dienen: Das polnische Computerspiel „IS Defense“ (2016, Destructive Creations) lässt die Spielenden etwa die Küste Europas per Maschinengewehr gegen anrückende muslimische Terroristen verteidigen. Was wie ein klassischer Shooter anmutet, bedient sich dabei bewusst dem islamophoben Bild von gewaltsamen Flüchtlingsmassen, die Europa mit dem Schlauchboot überfallen. Der Geschäftsführer des Entwicklerstudios verbreitet selbst die Theorie, Terroristen würden sich als Geflüchtete tarnen (vgl. Maiberg 2016). Das satirische Shoot 'em up „Heimat Defender: Rebellion“ (2020, Kvltgames) aus dem Umfeld der rechtsextremen Identitären Bewegung referiert in ähnlicher Weise auf Verschwörungsnarrative zu geflüchteten Menschen sowie zu einer mächtigen „globalistischen Elite“ und erweitert ihren Kulturkampf damit auf die Spielekultur (vgl. jugendschutz.net 2020).

Kulturkämpfe

Games wie „Heimat Defender: Rebellion“ erzählen von starken Männern, die sich im Widerstandskampf gegen eine übermächtige Geheimorganisation aus Vertreterinnen und Vertretern von Medien, Politik und Wirtschaft wähnen. Aus der selbstauferlegten Rolle als Opfer von Frauen, queeren Menschen und solchen mit Migrationserfahrung folgt, wie bei vielen Verschwörungserzählungen, die Legitimation von Notwehr (vgl. Hepfer 2015, S. 125f.). Im Spiel mit Laserwaffen, außerhalb davon in Form eines organisierten rechtsextremen Kulturkampfes. Bereits 2014 entstand in der Spielekultur mit „#GamerGate“ eine radikale Hasskampagne gegen Progressive aus den Bereichen Journalismus und Spieleentwicklung, die von Akteuren des rechten Rands befeuert und instrumentalisiert sowie später etwa für US- und Bundestagswahlkämpfe adaptiert wurde (vgl. Schwarz 2020, S. 132ff.). Eine aktuelle Studie legt zudem nahe, dass die starke Identifizierung mit Gaming signifikant mit dem Glauben an Verschwörungserzählungen wie „QAnon“ korreliert (vgl. Kowert 2022).

Im Rahmen von GamerGate wurde auch verschwörungsideologische Propaganda wie diese verbreitet. (© Anonym)

Bis heute werden die Netzwerke, die sich im Kontext von GamerGate gebildet haben, regelmäßig aktiv und bemühen die etablierten Strategien, zuletzt ab 2023 in Form von Verschwörungserzählungen Externer Link: über das Beratungsunternehmen Sweet Baby Inc. (vgl. Farokhmanesh 2024): Eine linksliberale Elite plane durch die Förderung von Diversität, Gleichheit und Inklusion die Spielekultur zu zerstören. Anschlussfähig an gesellschaftliche Kulturkämpfe von rechts außen wird dieses Narrativ durch die geteilte verschwörungsideologische Basis des zuvor auf die meist jüdischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Frankfurter Schule des 20. Jahrhunderts bezogenen und angeblich bis heute um sich greifenden „Kulturmarxismus“. Diese strukturell antisemitische Erzählung über die Beförderung progressiver Gesellschaftsentwicklungen als „Ursache allen Übels“ lässt sich unter anderen in den Reden der Nationalsozialisten, der Propaganda von GamerGate, dem Manifest des Christchurch-Attentäters sowie einem Gastbeitrag von Alice Weidel (AfD) aus dem Jahr 2018 in der Jungen Freiheit finden (vgl. Quent 2019, 188ff.). Die verschworenen Gemeinschaftsverbände des Gamings tun sich noch schwer damit, solche Formen kultureller Vereinnahmung zu erkennen und zu bekämpfen.

Wahre Verschwörungen

Ein Ausweg aus dieser beständigen Reproduktion konspirativer Mythen, Theorien, Ideologien und Erzählungen kann es sein, Games und ihre Umgebung kritisch zu hinterfragen, aber ebenso, digitale Spiele zu entwickeln, die differenzierter mit Verschwörungen umgehen. Während Serious Games wie „Conspiracy Virus“ (2022, Kulturproduktion KBK e.V.) vor allem vorhandenes Wissen abfragen, kann eine Politiksimulation wie „Suzerain“ (2020, Torpor Games) die Motive und Grenzen des konspirativen Handels spielmechanisch erlebbar machen: Als Präsident Anton Rayne der fiktiven Nation Sordland nehmen die Spielenden zum Machterhalt etwa Einfluss auf die Medienlandschaft, Allmachtsfantasien enden aber jäh in Entlarvung und Amtsenthebung. Und sie können auch selbst Opfer von Verschwörungen werden, die sich jedoch auf eindeutige Akteure und konkrete machtpolitische Motive zurückführen lassen.

In „Suzerain“ können sich die Spielenden gegen die eigene Bevölkerung verschwören, ihrer Macht sind aber Grenzen gesetzt. (© Torpor Games / Fellow Traveller)

Auch im Gaming-Mainstream lassen sich subversive Verschwörungserzählungen entdecken. Das Rollenspiel „Persona 5“ (2016, Atlus) entstand unter dem Eindruck einer drohenden Präsidentschaft von Donald Trump. Doch wenn die Spielenden endlich den populistischen Politiker und Antagonisten des Spiels, Masayoshi Shido, besiegen, der das kollektive Unterbewusstsein der Bürger Japans manipuliert hat, folgt die Enttäuschung: Die Wähler/-innen entscheiden sich freiwillig für Unterwerfung und Fremdkontrolle. Politische Resignation als Endgegner, der sowohl im Spiel als auch in der Realität bekämpft werden muss. Wie das in Bezug auf Verschwörungserzählungen aussehen kann, hat ebenfalls Johan Huizinga vorgemacht: Als Rektor der Universität Leiden schmeißt er 1933 den Nationalsozialisten Johann von Leers ohne Handschlag aus dem Gemeinschaftsverbund einer Studierendenkonferenz, da dieser ein Pamphlet über jüdische Ritualmorde verantwortete (vgl. van Nuland 2019). Game Over.

Quellen / Literatur

Adorno, Theodor W. (1951) Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main: Suhrkamp

Bernstein, Charles (2001) Play It Again, Pac-Man. In: Wolf, Mark J.P. (Hrsg.) The Medium of the Video Game. Austin, TX: University of Texas Press, S. 155 - 168

Bogost, Ian (2007) Persuasive Games: The Expressive Power of Videogames. Cambridge, MA: MIT Press

Butter, Michael (2020) Antisemitische Verschwörungstheorien in Geschichte und Gegenwart. https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/321665/antisemitische-verschwoerungstheorien-in-geschichte-und-gegenwart/; verifiziert am 16.12.2024

Farokhmanesh, Megan (2024) The Small Company at the Center of ‘Gamergate 2.0’. https://www.wired.com/story/sweet-baby-video-games-harassment-gamergate/; verifiziert am 16.12.2024

Handrahan, Matthew (2016) Apple deems Palestinian dev's game "not appropriate" for the App Store. https://www.gamesindustry.biz/apple-deems-palestinian-devs-game-not-appropriate-for-the-app-store; verifiziert am 16.12.2024

Hepfer, Karl (2015) Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Bielefeld: transcript Verlag

Hexer-Wiki (2009) Die Kräuterprobe und andere geheime Praktiken der Hexer. https://hexer.fandom.com/wiki/Die_Kr%C3%A4uterprobe_und_andere_geheime_Praktiken_der_Hexer; verifiziert am 16.12.2024

Huizinga, Johan (2004) Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag

Johnson, Lee et al. (2022) Polybius: The most dangerous arcade game ever made? https://www.bbc.com/reel/video/p0bf52h9/polybius-the-most-dangerous-arcade-game-ever-made-; verifiziert am 16.12.2024

jugendschutz.net (2020) Computerspiel Heimat Defender: Rebellion. Rechtsextreme Indienstnahme von Web- und Gaming-Kultur. https://www.jugendschutz.net/mediathek/artikel/praxisinfo-computerspiel-heimat-defender-rebellion; verifiziert am 16.12.2024

Körber, Andreas (2021) Geschichte (virtuell) spielen – und lernen? In: Christoph Kühberger (Hrsg.) Mit Geschichte spielen. Zur materiellen Kultur von Spielzeug und Spielen als Darstellung der Vergangenheit. Bielefeld: transcript Verlag, 407 - 428

Kowert, Rachel et al. (2022) Not just a game: Identity fusion and extremism in gaming cultures. In: Frontiers in Communication, 7, 2022. https://www.frontiersin.org/journals/communication/articles/10.3389/fcomm.2022.1007128; verifiziert am 16.12.2024

Lamberti, Pia (2020) Zwischen Theorien und Mythen: eine kurze begriffliche Einordnung. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/318159/zwischen-theorien-und-mythen-eine-kurze-begriffliche-einordnung/; verifiziert am 16.12.2024

Maiberg, Emanuel (2016) „IS Defense“ Is Islamophobia: The Game. https://www.vice.com/en/article/is-defense-is-islamophobia-the-game/; verifiziert am 16.12.2024

Pias, Claus (2002) Computer Spiel Welten. München: sequenzia Verlag

Quent, Matthias (2019) Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nch der Macht greifen und wie wir sie stoppen können. München Piper Verlag

Rogers, Scott (2010) Level Up! The Guide to Great Video Game Design. West Sussex: Wiley

Römer, David (2022) Sprache in Verschwörungstheorien. Konturen eines Forschungsvorhabens. In: Muttersprache, 132. Jahrgang, Heft 4, S. 299 - 313

Schwarz, Karolin (2020) Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus. Freiburg am Breisgau: Herder

Sturtevant, Paul B. (2018) Science fiction’s anti-Semitism problem. https://www.washingtonpost.com/news/made-by-history/wp/2018/08/14/science-fictions-anti-semitism-problem/; verifiziert am 16.12.2024

van Nuland, Merijn (2019) How Johan Huizinga sent the Nazis packing. https://www.universiteitleiden.nl/en/news/2019/08/how-johan-huizinga-sent-the-nazis-packing; verifiziert am 16.12.2024

Fussnoten

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-ND 4.0 - Namensnennung - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autor/-in: Christian Huberts für bpb.de

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Christian Huberts, Jahrgang 1982, studierte „Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis“ an der Universität Hildesheim und arbeitet seit 2009 als kultur- und medienwissenschaftlicher Publizist mit Sitz in Berlin. Sein inhaltlicher Fokus ist die digitale Spielkultur in allen Facetten.

Er tritt regelmäßig als Experte für digitale Spiele bei Kulturveranstaltungen sowie im Rundfunk und Fernsehen auf. Zuletzt arbeitete er von März 2020 bis August 2024 für die Stiftung Digitale Spielekultur unter anderem als Projektmanager für die Initiative Externer Link: „Erinnern mit Games“ und als Projektleiter von Externer Link: „Let’s Remember!“. Daneben schreibt er für wissenschaftliche Publikationen, Kulturmagazine sowie Online-Zeitungen diverse Artikel über die Partizipation an virtuellen Welten und die Kultur von Computerspielen.