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Mit Games zur Resilienz Können digitale Spiele uns widerstandsfähiger machen?

Benjamin Strobel, Nicolas Hoberg und Jessica Kathmann

/ 14 Minuten zu lesen

Zocken gegen die Schrecken der Klimakrise: Die innere Widerstandsfähigkeit gegen äußere Bedrohungen mit Hilfe von Videospielen zu verbessern, mag zunächst nach einer absurden Idee klingen. Psychologische Erkenntnisse zur Wirkung von Spielen geben jedoch Anlass, diese Idee einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

(© Nintendo / Animal Crossing: New Horizons / Pressematerial)

Einleitung

Die fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen im Rahmen des Klimawandels stellt nicht nur eine Bedrohung der körperlichen Gesundheit dar, sondern bringt auch eine erhebliche Gefahr für das psychische Wohlbefinden mit sich. Jene Unsicherheiten auszuhalten, die mit Zukunftsherausforderungen wie dem Klimawandel einhergehen, erfordert von Menschen ein hohes Maß an innerer Widerstandsfähigkeit, welche in der Psychologie als Resilienz bezeichnet wird. Unter dem Begriff der Futures Literacy hat die UNESCO (2023) Resilienz als eine der zehn Teilkompetenzen beschrieben, welche die Handlungsfähigkeit von Individuen bei der Gestaltung einer von Unsicherheit geprägten Zukunft sicherstellen sollen. Der Aufbau von Resilienz ist untrennbar mit unserer Fähigkeit verbunden, auf unvorhergesehene und unerwartete Zukunftsereignisse zu reagieren. So ist Resilienz unabdingbar dafür, mit den Unsicherheiten umzugehen, die von dieser Zukunft ausgehen.

QuellentextFutures Literacy

Das Konzept der Futures Literacy wurde von der UNESCO ins Leben gerufen. Es bezeichnet – verkürzt ausgedrückt – ein Set aus Kompetenzen, Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen. Durch die Erlangung von Futures Literacy sollen die Menschen dazu befähigt werden, ihre Zukunft sowohl antizipatorisch-proaktiv zu gestalten, als auch spontan-reaktiv mit unvorhergesehenen Entwicklungen und einer generellen Zukunftsunsicherheit umzugehen. Im vorliegenden Text werden nur Teilaspekte der Futures Literacy diskutiert. Für eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Konzept empfiehlt sich die Lektüre des Beitrags „Interner Link: Einleitung ins Teildossier: Games als Mittel zur Förderung von Futures Literacy“.

In den vergangenen Jahren haben die Potentiale von Videospielen zur Förderung verschiedener menschlicher Kompetenzen (wie etwa Kooperation, räumliches Denken, etc.) eine wachsende Aufmerksamkeit in wissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskursen erfahren. An die großen gestalterischen Freiheiten und einzigartigen Eigenschaften des Mediums knüpft sich die Hoffnung auf einen hohen Nutzen für die Vermittlung einer Vielzahl von Kompetenzen, auch zum Zwecke der politischen Bildung (Koenig, 2022). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und welchen Beitrag Videospiele zum Aufbau der Zukunftskompetenz Resilienz gegen die psychischen Belastungen des Klimawandels leisten können. Dieser Frage möchten wir in diesem Beitrag nachgehen.

Klimawandel und psychische Gesundheit

Dort, wo uns die Klimakrise als unmittelbare (Natur-)Gewalt in der katastrophalen Form von extremen Wetterereignissen wie lebensbedrohlicher Hitze und Kälte, Stürmen und Überschwemmungen gegenübertritt, wird sie nicht selten von akuter Todesangst und traumatischen Verlusterfahrungen begleitet. Doch nicht nur diese Gefahren für Leib und Leben, auch die indirekten Folgen der Klimakrise – etwa Hunger, Vertreibung und Kriege – stellen Bedrohungen für das psychische Wohlbefinden dar. Sie finden ihren emotionalen Ausdruck in einer zunehmenden Verunsicherung, Sorgenreichtum und Gefühlen der Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Wenn sich diese Gefühle ausweiten, gefährden sie in Gestalt von posttraumatischen Belastungsstörungen, Depression und Angsterkrankungen die menschliche Gesundheit. Dabei sind die Belastungen ungleich verteilt: Während der globale Süden mit sehr konkreten Bedrohungen menschlicher Lebensgrundlagen konfrontiert ist (wie Hungertode durch Ernteausfälle), wirken diese aus europäischer Perspektive weniger greifbar und äußern sich stärker in abstrakten Zukunftsängsten (z.B. vor dem Verlust von Wohlstand und Lebensqualität). In Konsequenz wird durch die direkten und indirekten Folgen des Klimawandels nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern auch die Leistungs- und Innovationsfähigkeit unserer Volkswirtschaften bedroht, etwa indem die große emotionale Belastung dafür sorgt, dass die Arbeitsbelastbarkeit sinkt. Beides zusammen sind jedoch unabdingbare Voraussetzungen für die Bewältigung der aus der Klimakrise erwachsenden Zukunftsherausforderungen.

Gaming und Resilienz

Unser Wissen über die Natur des Menschen gibt Hoffnung, dass wir uns für diese Herausforderungen wappnen können. In der Psychologie versteht man unter Resilienz die Widerstandsfähigkeit eines Individuums, sich „trotz ungünstiger Lebensumstände und kritischer Lebensereignisse erfolgreich zu entwickeln“ (Warner, 2022). Hinter dieser Definition verbirgt sich die Beobachtung, dass Menschen unter bestimmten Bedingungen dazu im Stande sind, den größten Widrigkeiten zu trotzen – ohne dabei von ihnen beschädigt zu werden. Ein stärker an den Wirtschaftswissenschaften orientiertes Verständnis von Resilienz findet sich im Rahmen des Futures-Literacy-Konzepts der UNESCO. Laut UNESCO-Definition resultiert Resilienz aus „Diversifizierungsansätzen für den Umgang mit Unsicherheit und Risiken“ (UNESCO, 2023; freie Übersetzung). Dieser Definition liegt die Annahme zu Grunde, dass Menschen zur Absicherung gegen Risiken der Zukunft auf eine breite und vielseitige Aufstellung ausgleichender Ressourcen setzen sollen – ähnlich einem Fonds-Manager, der sich gegen wirtschaftliche Risiken durch Diversifizierung seines Aktien-Portfolios rüstet. Nach diesem Verständnis ist ein Mensch dann resilient, wenn ihm viele Quellen psychischer (auch emotionaler) Ressourcen zur Verfügung stehen, auf die er im Falle der Bedrohung oder des Wegfalls einer anderen Ressource (z.B. durch den Klimawandel) kompensatorisch zurückgreifen kann. Aus den oben genannten Perspektiven auf Resilienz ergeben sich für die Rolle digitaler Spiele für den Aufbau von Resilienz zwei Fragen: (1) Welchen Beitrag können digitale Spiele zur Herstellung von Resilienz leisten? (2) Welche (kompensatorischen) psychischen Ressourcen können durch Videospiele erschlossen werden? Im Angesicht der großen Vielfalt von Games erscheint es unwahrscheinlich, dass sie in dieser Sache eine ganz universelle Wirkung entfalten. Entsprechend gehen wir in diesem Beitrag entlang psychologischer Erkenntnisse der Frage nach, unter welchen konkreten Voraussetzungen digitale Spiele unsere Resilienz fördern und uns gegen Zukunftsrisiken rüsten können.

Selbstwirksamkeit im Spiel erfahrbar machen

Um zu klären, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Videospiele wirksam zur Förderung von Resilienz beitragen können, ist zunächst ein genauerer Blick auf Resilienz notwendig. Ein zentraler Aspekt von Resilienz liegt darin, auch – und gerade – im Angesicht von Krisen das Gefühl von Kontrolle und Selbstbestimmung in möglichst vielen Lebensbereichen zu behalten. Eine solche Selbstwirksamkeitserwartung bezeichnet die innere Überzeugung, auf sich und die eigene Umwelt Einfluss nehmen zu können. Wer eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung hat, denkt also von sich selbst, Anforderungen gut bewältigen zu können. Digitale Spiele sind als interaktives Medium ausgezeichnet dazu in der Lage, Situationen herzustellen, die uns Erfahrungen von Selbstwirksamkeit ermöglichen und unsere Selbstwirksamkeitserwartung zu stärken. Sie erschaffen einen Spiel-Raum, innerhalb dessen die Spielenden frei mit dem Spiel interagieren können. Dadurch, dass das Spiel – im Rahmen seiner Programmierung – auf die Eingabe der Spielenden reagiert, verstärkt sich bei diesen somit die Wahrnehmung von Selbstwirksamkeit und Agency (Jennings, 2019), da ihre Handlungen unmittelbare Folgen nach sich ziehen.

Große spielerische Vielfalt

Die Schwerpunkte der Spiele können dabei ganz unterschiedlich sein: In Simulationsspielen wie Stardew Valley (ConcernedApe, 2016) oder Animal Crossing: New Horizons (Nintendo EPD, 2020) lassen sich Farmen bewirtschaften und Häuser bauen. In Strategiespielen wie Dorfromantik (Toukana Interactive, 2021) kreiert man nach bestimmten Regeln mit sechseckigen Kacheln kleine Welten.

Ob wir gemütlich unsere Farm bewirtschaften, wie in Stardew Valley… (© Concerned Ape / Stardew Valley / Pressematerial)

In der Goat Simulator-Reihe (z.B. in Goat Simulator 3 (Coffee Stain North, 2022)) richtet man hingegen als Ziege das größtmögliche Chaos an: mit dem umgeschnallten Jetpack Tankstellen rammen, bis sie explodieren oder vom höchsten Turm auf ein Trampolin in einem leeren Pool springen – fast alles ist möglich. Was diese Beispiele verbindet, ist der Gestaltungsspielraum, in einem vom Spiel gesteckten Rahmen kreativ mit den zur Verfügung gestellten Möglichkeiten und den eigenen Fertigkeiten umzugehen.

… oder in Goat Simulator 3 Chaos stiften. Damit Games unsere Resilienz stärken, müssen sie uns beim Spielen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit geben. (© Coffee Stain North / Goat Simulator 3 / Pressematerial)

Neben Simulations- und Strategiespielen machen vor allem Action- und Rollenspiele sehr gute Angebote für die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. In diesen Genres ist es beispielsweise üblich, dass mit visuellen und auditiven Effekten zurückgemeldet wird, ob die spielende Person mit ihren Handlungen im Spiel effektiv ist oder nicht. Ein Schwerthieb – und schon grunzt das Monster und der rote Lebensbalken des Gegners wird ein bisschen kürzer. Oder die Magierin greift mit lodernden Flammen an, die eine ganze Gruppe an Gegner*innen niederstreckt – hier wird deutlich: Da passiert was! Auf Tastendruck können furchterregende Gegner*innen besiegt werden und man wird mitunter mit einem Stufenaufstieg der eigenen Spielfigur belohnt. Das eigene Handeln wird als wirksam und wichtig gezeigt und erlebt.

Direktes Feedback und Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge

Digitale Spiele – beinahe ungeachtet des Genres – bestechen vor allem dadurch, dass sie Erfolge direkt sichtbar machen und entsprechend rahmen – beispielsweise durch den Stufenaufstieg oder das Freischalten neuer Spielelemente. Im Alltag sieht das meist anders aus: Die Note für den Schulaufsatz kommt fünf Wochen später, bei der Arbeit erhält man häufig gar keine Rückmeldung und in Dimensionen des Klimawandels sind unmittelbare Erfolge ohnehin nicht zu erkennen, weil die zugrundeliegenden Prozesse komplex und träge sind. Menschen gelingt es schlecht, in langen Zeitspannen zu denken und sich als selbstwirksam zu erleben, wenn Handeln und (sichtbarer) Erfolg weit auseinanderliegen (Bak, 2019; Diblasi, Portillo und Pineno, 2017). Im Spiel sind diese Spannen hingegen oft sehr kurz. Ein Erfolgserleben stärkt das Selbstwertgefühl und macht bewusst: das Prinzip des Spiels wurde verstanden, der Weg zum Erfolg ist vorgezeichnet.

Videospiele als Medium sind auf einzigartige Weise dazu geeignet, den Raum für solche Erfahrungen herzustellen. Die gestalterischen Mittel des Mediums, um Zusammenhänge in großen räumlichen und zeitlichen Distanzen erfahrbar zu machen, eröffnen den Weg zu einem tieferen Verständnis der Ursachen des menschengemachten Klimawandels. Sie können auf spielerische Weise Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge aufzeigen, die in uns ein Bewusstsein für die Konsequenzen menschlichen Handelns für die Gesundheit unseres Planeten reifen lassen. Träge, viele Jahre oder Jahrzehnte dauernde Prozesse können im Spiel verkürzt dargestellt werden und so die Auswirkungen der eigenen Handlungen auf die Zukunft sichtbar machen. Steigen die Spielenden im Strategiespiel Sid Meier's Civilization VI (Firaxis Games, 2016) von Kohlekraftwerken zur Energieversorgung ihrer Zivilisation auf Windenergie um, gibt es weniger Überschwemmungen und Wetterextreme. Das Spiel reagiert also auf die Aktionen der Spielenden und zeigt die Konsequenzen der eigenen Handlungen auf. Durch die Verhandlung globaler Herausforderungen und Krisen eröffnen digitale Spiele einen Experimentierraum, der Verstehensprozesse unterstützt und das Erleben von Selbstwirksamkeit ermöglicht. Sie senden die Botschaft: Das konkrete Handeln in der Gegenwart hat spürbare Auswirkungen auf die Zukunft, es lohnt sich, jetzt aktiv zu werden.

Games als Rückzugsorte

Neben der Stärkung des eigenen Selbstwirksamkeitsgefühls haben digitale Spiele auch noch andere Effekte auf die Resilienz der Spielenden. Während der Corona-Pandemie, insbesondere in Zeiten starker Beschränkungen, wurde deutlich sichtbar, dass Games mitunter als Rückzugsorte genutzt werden. Die einen schalten die Spielkonsole ein, um wenigstens in digitalen Wäldern wandern zu gehen und die Welt zu sehen (siehe Sonntag, 2020). Andere nutzen Games dazu, um soziale Kontakte zu pflegen – manch einer verlagerte sogar die eigene Hochzeit in Spielwelten wie die von Animal Crossing: New Horizons, um gemeinsam feiern zu können (siehe Garst, 2020). An diesen Beispielen werden zwei weitere Chancen für die Resilienzförderung deutlich: Zum einen können wir in Games einen Ausgleich zu den Defiziten in anderen Lebensbereichen finden und sie auf diesem Wege in unser Gefühlsmanagement einbinden. Zum anderen können sie ein sozialer Begegnungsraum sein, der uns durch den Kontakt zu anderen stärkt. Auf beide Aspekte gehen wir im Folgenden näher ein.

Gefühlsmanagement

Wie die Resilienzforschung zeigt, sind Menschen umso widerstandsfähiger, je besser ihr Gefühlsmanagement ist. In der Psychologie nennt man diese Fähigkeit Emotionsregulation (vgl. Seiferling, Turgut und Lozo, 2022). Um die eigenen Gefühle zu regulieren, können Menschen zu unterschiedlichen Strategien greifen, wobei einige langfristig bessere Ergebnisse erzielen als andere. So sind zwar beispielsweise Alkoholkonsum und Grübeln mögliche Strategien im Umgang mit negativen Gefühlen. Die erste Strategie kann uns zwar kurzfristig betäuben, jedoch kann sie uns langfristig auch abhängig machen. Die andere Strategie kann den erlebten Stress sogar noch erhöhen, wenn sich keine konstruktive Problemlösung anschließt. Am günstigsten für unsere psychische Gesundheit sind demnach Strategien, die es uns erlauben, die eigenen Emotionen zu verändern oder sie zu akzeptieren. Games können bewusst oder unbewusst in diese Strategien eingebunden werden. Spiele wie Call of Duty: Black Ops III (Treyarch, 2015) oder Fortnite (Epic Games und People Can Fly, 2017), in denen es um Auseinandersetzung, Kampf und Wettbewerb geht, können durch ihr rasantes Spielprinzip zwar effektiv von negativen Gefühlen ablenken, durch Leistungsdruck ihrerseits aber auch weiteren Stress erzeugen.

Dass einige Spiele zur Emotionsregulation womöglich besser geeignet sind als andere, kann ein Beispiel aus den letzten Jahren veranschaulichen. Die Insel-Simulation Animal Crossing: New Horizons wurde vielleicht auch deshalb zum Hit der Corona-Pandemie, weil sie Spielelemente aufweist, die dem Gefühlsmanagement entgegenkommen. Mit der Gestaltung einer idyllischen Insel, der Einrichtung eines virtuellen Hauses und gemächlicher Plauderei mit virtuellen Inselbewohnern bietet uns das Spiel einen Ausgleich zu den Belastungen des Alltags. Dasselbe gilt für ähnlich gelagerte Spiele wie Dorfromantik oder Stardew Valley, die auch unter dem Begriff der Cozy Games firmieren. Eine mögliche Strategie kann beispielsweise sein, die Aufmerksamkeit von negativen Gefühlen weg zu lenken und auf Dinge zu fokussieren, die uns Freude bereiten – beispielsweise, indem wir Spielwelten kreativ nach unseren Vorstellungen gestalten oder sie dafür nutzen, Freunde zu treffen. Dabei ist wichtig zu bemerken, dass Art und Genre eines Spiels, die sich für Einzelne besonders gut dafür eignen, individuell unterschiedlich sein können. Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache bedeutsam, dass wir Digitale Spiele frei und bedürfnisgerecht auswählen können. Games können mit der soziologischen Theorie von Ray Oldenburg deshalb auch als „Dritte Orte“ verstanden werden. Anders als Familie und Arbeit, die als Erster und Zweiter Ort bezeichnet werden, sind Dritte Orte dadurch gekennzeichnet, dass wir sie freiwillig aufsuchen und betreten können, während die ersten beiden Orte stärker vorgegeben und weniger frei wählbar sind (Oldenburg, 1989). Unsere Familie können wir uns selten aussuchen, wohl aber den Sportverein oder das digitale Spiel, in dem wir unsere Freizeit verbringen. Auch besuchen wir diese Orte – den Verein oder die Spielwelt – freiwillig, anders als die Arbeitsstätte, zu der uns, zumindest in Teilen, auch die Notwendigkeit treibt, Geld verdienen zu müssen. Damit kommt uns im Sinne einer Rezeptionskompetenz zugleich die Verantwortung zu, solche Spiele auszuwählen, die uns guttun – jedenfalls wenn sie unsere Resilienz stärken sollen.

Raum für Gespräche

Auch soziale Beziehungen zu anderen Menschen sind resilienzförderlich, insbesondere wenn sie von hoher Qualität sind. Wir können uns dann über Probleme austauschen, Rückhalt erfahren und gemeinsam Lösungen finden. Digitale Spiele sind als Dritte Orte auf vielfältige Weise Begegnungsräume: als verbindendes Element in Foren und Social Media, bei der gemeinsamen Arbeit in Community-Projekten (z.B. Wikis, Spiele-Modifikationen usw.) und natürlich beim gemeinsamen Spielen im Multiplayer (Strobel, 2020).

Indem wir gemeinsam Multiplayer-Games spielen, können wir unseren sozialen Beziehungen pflegen. Diese sind wiederum resilienzfördernd. (© Pavel Danilyuk via Pexels)

Doch auch hier gilt: nicht alle Spiele sind gleichermaßen dazu geeignet, Kontakte zu Mitspieler*innen zu vertiefen. Gerade in kompetitiven Spielen kommen zwar viele Menschen zusammen. Die kurzen Zufallsbegegnungen einerseits und die mitunter aggressiven Auseinandersetzungen andererseits sind jedoch nicht immer ideale Voraussetzungen für die Pflege bestehender oder das Knüpfen neuer Freundschaften. In festen Teams oder Gruppen zu spielen kann die Bindungen zu anderen Menschen hier besser vertiefen als allein in Zufallsteams zu spielen. Gute Rahmenbedingungen für die Pflege sozialer Kontakte finden wir deshalb auch in Sandbox-Spielen wie Minecraft (Mojang Studios, 2009), in denen man die Spielwelt erkunden, Gebäude errichten und gemeinsam gestalten kann. Dass hier nicht immer zeitkritisch auf das Spielgeschehen reagiert werden muss, schafft Freiräume für persönliche Gespräche, Austausch über Belastungen des Alltags und die Vertiefung von sozialen Beziehungen. Insbesondere wenn der erste und zweite Ort uns nicht die Bindungsqualitäten bieten, die wichtig für uns sind, können Spiele etwas aushelfen.

Zusammengenommen bedeutet das: Hochwertige soziale Kontakte, die wir über Games knüpfen, können uns resilienter machen, wenn wir Menschen finden, mit denen wir unsere Probleme teilen können. Für diesen Austausch können bestimmte Games günstige Rahmenbedingungen bieten. Außerdem können wir in Games Rückzugsorte schaffen, die uns erlauben, den Fokus weg von negativen Gefühlen zu lenken und hin zu positiven Erlebnissen. Erfolge im Spiel – allein und gemeinsam in der Gruppe – können zugleich unsere Selbstwirksamkeit stärken. All das kann dazu beitragen, dass wir resilienter gegenüber anfallenden Belastungen werden, weil wir wissen, dass unsere negativen Gefühle nicht unbegrenzt anhalten, und dass wir selbst dazu in der Lage sind, sie zu verändern.

Flucht ins Spiel

Die Möglichkeiten von Games zur Resilienzförderung haben allerdings auch Grenzen, auf die wir in diesem Abschnitt einen schlaglichtartigen Blick werfen. Zuvorderst steht vor dem Hintergrund von Games als Rückzugsorte und Quelle von Selbstwirksamkeitserfahrung die Gefahr der Realitätsflucht. Ein anderer Ausdruck dafür ist der Begriff des Eskapismus. Dahinter verbirgt sich das Vermeiden eines unangenehmen oder langweiligen Lebens (Cambridge University Press & Assessment, o.D.) bzw. der Realität durch ein Ausweichen in „Illusionen oder in Zerstreuungen und Vergnügen“ (Dudenredaktion, o.D.), kurz „Wirklichkeitsflucht“ (Hogrefe AG, 2022). Digitale Spiele sehen sich dem Eskapismus-Vorwurf häufig ausgesetzt, da sie einen Flow-Zustand hervorrufen (Chen, 2007) und psychische Grundbedürfnisse befriedigen können (Przybylski et al., 2010). Auch wenn Eskapismus über Medien zum normalen Spektrum menschlichen Verhaltens gehört, kann er sich unter bestimmten Umständen negativ auf unsere psychische Gesundheit auswirken. Problematisch wird es etwa dann, wenn aus kurzen Urlaubszeiten ein regelrechter Umzug in Medienwelten wird und Spieler*innen sich aus anderen Lebensbereichen völlig zurückziehen. Wird beispielsweise aus dem kurzen “Wanderurlaub“ im Rollenspiel Red Dead Redemption 2 oder in The Hunter ein dauerhafter Rückzug in Welten mit intakten Naturlandschaften, während in der Realität Wälder abbrennen und Tierarten aussterben, kann der Eskapismus zur Realitätsleugnung werden – und damit zum Stillstand beim Kampf gegen Klimaveränderungen beitragen.

Auch erfolgreiche Strategien der Emotionsregulation bergen vor diesem Hintergrund einige Nachteile. Sogar ein gutes Gefühlsmanagement ist zunächst nur darauf fokussiert, unsere Aufmerksamkeit von unseren negativen Emotionen weg zu lenken. Lösungsorientiert – in Bezug auf die Ursprünge unserer Belastungen – ist es nicht. Es kann uns im schlimmsten Fall sogar davon abhalten, gegen die Klimaveränderungen aktiv zu werden. Nicht immer lassen sich also mit einer Strategie alle Ziele auf einmal erreichen. Zuletzt ist wichtig zu bemerken, dass digitale Spiele, auch mit ihren positiven Wirkungen im Blick, nur ein Baustein für den Aufbau von Resilienz und die Schärfung einer Futures Literacy sein können, hinter der andere Aspekte, wie die Auseinandersetzung mit den realen Klimafolgen in unserer physischen Welt, nicht zurücktreten sollten.

Mit Games zur Resilienz

Wir fassen zusammen: In Zeiten der Klimakrise sehen sich Menschen einer Vielzahl emotionaler Herausforderungen ausgesetzt, die ihr psychisches Wohlbefinden bedrohen. Um diesen Herausforderungen trotzen zu können, benötigen wir ein Maß an psychischer Widerstandsfähigkeit und Robustheit, das uns nicht zur Passivität in Sorge und Depression verdammt. Resilienz als eine der Teilkompetenzen von Futures Literacy nimmt daher eine nicht zu vernachlässigende Rolle dabei ein, unsere Handlungsfähigkeit auch im Angesicht großer Zukunftsherausforderungen sicherzustellen.

Zur Entwicklung und Aufrechterhaltung von Resilienz können Videospiele aufgrund der einzigartigen, dem Medium inhärenten Gestaltungsmöglichkeiten unter bestimmten Voraussetzungen einen Beitrag leisten. Eine psychologische Analyse der Wirkung von Spielen legt nahe: Wo Games Kompetenz- und Selbstwirksamkeitserleben ermöglichen, können sie Erfahrungsräume schaffen, die den Nährboden für die Reifung einer widerstandsfähigen Psyche bereiten. Als Dritte Orte und soziale Begegnungsräume sind sie in der Lage, die Funktion von Rückzugsräumen einzunehmen, die der Unvorhersagbarkeit und den Schrecken der Klimakatastrophe eine sichere und vorhersagbare Umgebung gegenüberstellen. Als Werkzeuge unserer Emotionsregulation können Videospiele unsere Aufmerksamkeit von negativen Gefühlen auf ein positives und stärkendes Erleben umlenken. So können psychische und soziale Ressourcen wieder aufgefüllt werden. Digitale Spiele entfalten ihre Potenziale zur Stärkung unserer Resilienz dabei nicht automatisch. Die Betrachtungen in diesem Beitrag können jedoch dabei helfen, geeignete Rahmenbedingungen zu identifizieren, unter denen erwünschte Wirkungen wahrscheinlicher sind. Die Ergebnisse unserer Betrachtung legen die folgenden Schlussfolgerungen nahe: Das Potenzial von Spielen, unsere Resilienz zu fördern, erscheint dann umso größer

  1. je mehr erreichbare Ziele und überwindbare Hürden sie bieten, bei denen wir uns als kompetent und selbstwirksam erleben können,

  1. je mehr Raum ihr Spieldesign für Interaktionen zulässt, sodass sozialer Austausch möglich ist und eine Vertiefung von Beziehungen begünstigt wird,

  1. je besser sie dazu in der Lage sind, einen Ausgleich zu Stressoren des Alltags zu schaffen und sich dadurch zur Emotionsregulation eignen.

Vor diesem Hintergrund kommt der Auswahl geeigneter Spiele und einem verantwortungsvollen Nutzungsverhalten eine entscheidende Rolle im Sinne eines erweiterten Verständnisses von Medienkompetenz zu. Zum Aufbau von Resilienz können wir uns nicht vollständig auf die Spiele verlassen. Es genügt nicht zu spielen; wir müssen auch wissen, welche Spiele uns guttun.

Weitere Inhalte

Die Psychologinnen und Psychologen Dr. Benjamin Strobel, Nicolas Hoberg und Jessica Kathmann beschäftigen sich in ihrer Arbeit mit den Bereichen „Psychologie und digitale Spiele“ sowie „Mentale Gesundheit und digitale Spiele“. Gemeinsam betreiben sie die Online-Plattform „Behind the Screens“, auf der sie in Form von Podcasts oder Online-Artikeln Games aus Sicht der Psychologie besprechen.