Bis heute greifen externe Mächte und internationale Organisationen militärisch in innerstaatliche Konflikte ein. Durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt versuchen sie, den Verlauf und Ausgang des Konflikts in ihrem Sinne zu beeinflussen und im günstigsten Fall die kriegerischen Auseinandersetzungen und die damit einhergehenden Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen zu stoppen. Militärische Interventionen sind wahrscheinlich das heikelste Instrument im Werkzeugkasten der internationalen Staatengemeinschaft zur Bearbeitung und Beilegung innerstaatlicher und regionaler Konflikte.
Herausforderungen und Kosten militärischer Interventionen
Wie u.a. die Erfahrungen in Somalia, im ehemaligen Jugoslawien, in der Sahel-Zone und zuletzt in Afghanistan zeigen, bringen innerstaatliche Konflikte für von außen eingreifende Akteure andere Herausforderungen mit sich als Konflikte zwischen souveränen Staaten.
Innerstaatliche Akteure können den Mangel an Wissen seitens der "Internationalen" über die örtlichen Gegebenheiten ausnutzen, um etwaige Konkurrenten und Gegner zu bekämpfen. So mussten die US-Streitkräfte während ihrer Anfangszeit in Afghanistan mangels eigener Fachexpertise auf Ortskräfte und andere lokale Expertise setzen. Das nutzten etwa lokale Berater, um US-Drohnenangriffe gegen rivalisierende Clans zu richten (Baczko/Dorronsorro: 2021). Irrtümlich Angriffe gegen lokale Verbündete, Dörfer, Menschenansammlungen und Hochzeitsfeiern können auf lokaler Ebene Ablehnung und Feindschaft gegenüber den ausländischen Streitkräften auslösen und bei wiederholten Fällen zum Scheitern der gesamten Mission führen.
Nach den Zählungen des Costs of War Project der Brown-University Maryland starben von 2001 bis 2021 über 240.000 Menschen im direkten Zusammenhang mit dem Einsatz, darunter etwa 71.000 Zivilisten.
Wie zuletzt die NATO-Mission in Afghanistan gezeigt hat, ist das nur sehr begrenzt möglich. Bemühungen der USA und der NATO mit einer angepassten Aufstandsbekämpfungsstrategie, Zivilisten konsequenter zu schützen, wurden aufgrund der stärkeren Gefährdung der eigenen Soldaten bald wieder aufgeben.
Risiken resultieren auch aus der zunehmenden Inter- und Transnationalisierung von Bürgerkriegen. In dem Maße, wie innerstaatliche Konflikte zum Schauplatz geopolitischer Rivalitäten regionaler und globaler Mächte werden, können militärische Interventionen innerstaatliche Konflikte eher anheizen, als zu ihrer Einhegung und Lösung beizutragen. Eine zusätzliche Gefahr geht von grenzüberschreitend agierenden dschihadistischen und kriminellen Netzwerken aus, die das Machtvakuum nutzen, um sich in "Räumen begrenzter Staatlichkeit" festzusetzen. Dadurch werden weitere Staaten in die Auseinandersetzungen hineingezogen und destabilisiert. Ein Beispiel hierfür ist der Libanon, welcher in Folge des Syrienkriegs über 1,2 Mio. Geflüchtete aufnehmen musste und inzwischen
Wenn es nicht gelingt, die Kampfhandlungen im Zielland schnell und wirksam zu stoppen, droht eine Eskalation der Gewalt mit dramatischen Folgen. Statt Entwicklungsprojekte zu unterstützen, fließt immer mehr Geld in die Kriegsführung. Viele Entwicklungsanstrengungen werden durch Krieg und Gewalt zunichte gemacht. Das gilt auch für Afghanistan. Nach dem Rückzug der westlichen Alliierten liegt die Wirtschaft am Boden und ist von externen Hilfeleistungen abhängig. Zuletzt wurde das afghanische Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu 43 % aus Hilfsgeldern der USA und anderer internationaler Geldgeber finanziert.
Hinzu kommen die gesellschaftlichen und humanitären Kosten des Krieges. Heute ist Afghanistan ein zwischen den ethnischen und religiösen Gemeinschaften zerrissenes und tief verfeindetes Land. Viele Menschen sind von Gewalterfahrungen traumatisiert. Wegen der Kriegsfolgen und der langanhaltenden Dürre wird die diesjährige Ernte gering ausfallen. Laut der Welthungerhilfe sind rund 18 Mio. der ca. 32 Mio. Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Über 4 Mio. Menschen sind Flüchtlinge im eigenen Land. Sie leben oft unter desaströsen Bedingungen in provisorischen Lagern.
Militärische Interventionen sind nicht nur auf der Seite der umkämpften Gebiete mit immensen Belastungen verbunden. So sind im Irak und Afghanistan vergleichsweise weniger ausländische Soldaten gefallen als in früheren Konflikten. Doch mehr als die Hälfte der Rückkehrer leidet unter psychischen und physischen Folgen. Alleine in den USA kommen auf jeden gefallenen US-Soldaten vier Suizide von Veteranen.
Grundlagen, Rahmenbedingungen und Regeln militärischer Interventionen in innerstaatliche Konflikte
Als Quintessenz der Debatte über Pro und Contra militärischer Interventionen in innerstaatliche Konflikte hat die Internationale Kommission zu Intervention und Staatensouveränität (ICISS) im Jahr 2001 fünf Kriterien formuliert, die bei einer rechtlich abgesicherten militärischen Intervention erfüllt sein müssen: (1) Legitimierung der Mission durch den UN-Sicherheitsrat, die UN-Vollversammlung oder regionale Organisationen gemäß Kap. VIII der UN-Charta
Zu den hohen Hürden, die das Völkerrecht für die Anwendung militärischer Gewalt im Allgemeinen und für militärische Interventionen in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten im Besonderen errichtet, kommt der Menschenrechtsschutz. Er leitet sich im Wesentlichen aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UN-Generalversammlung 1948) ab.
Das humanitäre Völkerrecht schreibt die Grundrechte für Einzelpersonen und Gruppen fest, die Staaten respektieren, schützen und erfüllen müssen. Sie gelten in Friedenszeiten und während bewaffneter Konflikte. Daran müssen Staaten und organisierte nichtstaatliche bewaffnete Gruppen ihr Handeln ausrichten, die an einem bewaffneten Konflikt beteiligt sind. Dies gilt auch für den Schutz von Personen, die nicht an Feindseligkeiten teilnehmen.
Schließlich ermöglicht das Völkerstrafrecht auf der Grundlage des Römischen Statuts die Ermittlung und Verfolgung von Straftaten einzelner Täter, etwa politischer und militärischer Verantwortungsträger, nach dem Völkerstrafrecht. Zuständig ist der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag. Rechtsgrundlage sind insbesondere die ius cogens-Normen
Um die Regierungen stärker zur Achtung und Umsetzung der Menschenrechte in ihrem Hoheitsgebiet zu verpflichten, wurde in den frühen 2000er Jahren begonnen, eine neue Rechtsgrundlage zu erarbeiten: die sogenannte Schutzverantwortung (Responsibility to Protect – R2P). Kann oder will ein Staat den Schutz seiner Bürger nicht gewährleisten, geht die Verantwortung dafür an die internationale Gemeinschaft über. Sie ist dann verpflichtet, geeignete Maßnahmen bis hin zur militärischen Intervention zu ergreifen. Die Schutzverantwortung wurde auf dem Gipfeltreffen der Vereinten Nationen 2005 von nahezu allen Staaten anerkannt und fand seitdem bei diversen Missionen Anwendung. Die R2P umfasst drei Säulen: 1. Pflicht zur Prävention, 2. Pflicht zur Reaktion und 3. Pflicht zum Wiederaufbau.
Formen militärischer Intervention in innerstaatliche Konflikte
Entsendung militärischer Beobachter und Kontrolleure/Monitore
Verhängung von Waffenembargos
Absicherung und Erzwingung von Sanktionen
Androhung militärischer Gewalt
Einrichtung von Verbotszonen für militärische Bewegungen (z.B. von Kriegsschiffen und Militärflugzeugen)
präventive Stationierung
Absicherung und Schutz humanitärer Operationen
militärische Evakuierung der eigenen Staatsbürger und weiterer gefährdeter Personen aus dem Konfliktland
Stationierung von Interdispositionsstreitkräften
Einrichtung von Schutzzonen
Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen
gewaltsame Trennung von bewaffneten/ kriegerischen Konfliktparteien
Übernahme von Polizeiaufgaben/ Wiederherstellung von Recht und Ordnung
Räumung von Minen und anderen Sprengmitteln
Überwachung der Einhaltung von Feuerpausen und Waffenstillständen
Überwachung und Unterstützung der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Kombattanten
Absicherung von Übergangsprozessen und Wahlen
Unterstützung des Nation- und Statebuilding
Quelle: https://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/ihmf_26011_lampl.pdf
Formen militärischer Interventionen
Wie vielgestaltig militärische Interventionen sein können, zeigt ein Blick auf die Bemühungen der Staatengemeinschaft, die Zerfallskrise der Jugoslawischen Föderation zu managen. Hier reichte das Spektrum von niedrigschwelligen Maßnahmen, wie der Androhung einer militärischen Intervention, bis hin zum massiven Einsatz militärischer Mittel:
Verhängung eines Waffenembargos:
Die Resolution 713 vom 25. September 1991 war der erste Beschluss des UN-Sicherheitsrates zur Jugoslawien-Krise.
Einrichtung einer Flugverbotszone:
Am 9. Oktober 1992 beschloss der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 781 das Verbot militärischer Flüge über Bosnien-Herzegowina.
Stationierung einer UN-Friedensmission:
Mit der Resolution 743 des UN-Sicherheitsrates vom 21. Februar 1992 beschloss der Sicherheitsrat die Entsendung einer Friedensmission zur Überwachung des Waffenstillstands und zur Unterstützung einer Friedenslösung in der Region.
Präventive Stationierung:
Um ein Überschwappen des bewaffneten Konflikts vom Kosovo auf die seit 1991 unabhängige Republik Mazedonien zu verhindern, entschied der damalige US-Präsident Bill Clinton im Sommer 1993 die Stationierung von 330 US-Soldaten in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik (Carpenter 1994). Wie ein "Stolperdraht" sollten sie die jugoslawische Armee davon abhalten, die mazedonische Grenze zu überschreiten.
Einrichtung von Schutzzonen:
Im Zuge der Umsetzung der Resolution 743 wurden ab Frühjahr 1992 mehrere Schutzzonen in Ost- und Westslawonien und in der Krajina geschaffen. Aus diesen Gebieten sollte sich die jugoslawische Armee zurückziehen, paramilitärische Truppen sollten entwaffnet werden und UN-Blauhelme die Zivilbevölkerung schützen. Mit der Resolution 824 vom 7. Mai 1993 wurden weitere "safe areas" in Bosnien-Herzegowina beschlossen.
Friedenerzwingende militärische Intervention:
Nachdem im März 1999 die Verhandlungen in Rambouillet über die Beendigung des Kosovo-Krieges gescheitert waren, bombardierten NATO-Kampfflugzeuge im Rahmen der Operation Allied Force Stellungen der serbischen Armee. Die massiven Bombardements, hauptsächlich durch Kräfte der US-Airforce, erzwangen den Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte aus dem Kosovo. Das war der erste Einsatz von NATO-Truppen, der ohne direkten Bündnisfall und ohne ausdrückliches UNO-Mandat durchgeführt wurde.
Unterstützung der Staats- und Nationenbildung:
Auf der Grundlage der Resolution 1244 des Sicherheitsrats vom 10. Juni 1999 wurde im Kosovo eine zivile Verwaltung der UNO eingerichtet (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo – UNMIK).
Nach Afghanistan: Antworten auf neue Gegebenheiten
Verlauf und Scheitern des Einsatzes in Afghanistan belegen, wie wichtig die Einhaltung menschen- und völkerrechtlicher Normen mit Blick auf den Einsatz militärischer Mittel zur Beilegung innerstaatlicher Konflikte ist. Dass die Standards und Regeln künftig strikter eingehalten werden, ist angesichts der zunehmenden Autoritätsverlustes internationaler Institutionen und der Fragmentierung der internationalen Ordnung jedoch keineswegs selbstverständlich.
Bei externen militärischen Interventionen in innerstaatliche Konflikte geht es immer weniger um die Unterstützung einer stabilen Friedenslösung. Stattdessen rücken die Macht- und Gewinninteressen nationaler Eliten sowie regionaler und globaler Mächte in den Vordergrund. Insbesondere Russland und China unterstützen autoritäre Regierungen und andere Konfliktparteien in Krisen- und Konfliktländern, um diese an sich zu binden. Dafür werden sogar humanitäre Hilfsleistungen instrumentalisiert (Wieland 2021: 33 ff.).
Zu beobachten ist eine schleichende Veränderung der Geschäftsgrundlage der internationalen Politik – von der Stärke des Rechts zum Recht des Stärkeren. In der Folge werden innerstaatliche Konflikte wieder zunehmend zu Schauplätzen von Stellvertreterkriegen rivalisierender Regional- und Weltmächte. Das humanitäre Völkerrecht bleibt dabei auf der Strecke. Gleichzeitig werden wegen der Blockade des UN-Sicherheitsrats multilaterale Friedenseinsätze zunehmend unwahrscheinlicher. Wie diese Entwicklungen eingedämmt werden können, ist bislang völlig offen.