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Russlands Politik gegenüber innerstaatlichen und regionalen Konflikten | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Russlands Politik gegenüber innerstaatlichen und regionalen Konflikten

Liana Fix

/ 8 Minuten zu lesen

Russlands Politik gegenüber innerstaatlichen und regionalen Konflikten ist hauptsächlich darauf gerichtet, seine globale Machtposition zu stärken. Moskau unterstützt v.a. Konfliktparteien, die den russischen imperialen Zielen entsprechen. Je nach Interessenlage werden Konflikte eingedämmt oder geschürt, tiefere Ursachen jedoch nicht überwunden.

Russische Soldaten auf einem gepanzerten Fahrzeug in Aleppo/Syrien, 23.12.2016. Die Konflikte in Libyen und Syrien haben infolge der Einmischung Russlands und anderer externer Mächte inzwischen eine Dimension angenommen, die weit über die innerstaatliche und regionale Ebene hinausreicht. (© picture-alliance/dpa, TASS)

Die russische Politik im Umgang mit innerstaatlichen Konflikten – Konfliktmanagement als Großmachtprojekt

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Russlands Politik gegenüber innerstaatlichen Konflikten vor allem durch die Erfahrungen mit zahlreichen Sezessionskonflikten im postsowjetischen Raum geprägt (MacFarlane/Schnabel 1995). Nach einer kurzen Phase der Orientierungslosigkeit und des Rückzugs beanspruchte Russland in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zunehmend die Rolle als hegemoniale Ordnungsmacht und als Friedens- und Stabilitätsgarant (Trenin 1996). Interner Link: Von den Vereinten Nationen und dem Westen wurde für die neue Rolle Akzeptanz und Unterstützung erwartet (Lavrov 1996).

Dreh- und Angelpunkt der Politik Moskaus gegenüber innenstaatlichen Konflikten im postsowjetischen Raum ist bis heute das imperiale Selbstverständnis, wonach Russland als regionaler Vormacht ein Recht auf Intervention in die inneren Angelegenheiten seiner Nachbarstaaten zusteht (Allison 2013). Friedenssicherung und Großmachtpolitik sind zwei Seiten einer Medaille. Das russische Vorgehen unterscheidet sich ausdrücklich von internationalen Normen, Standards und Praktiken des Krisen- und Konfliktmanagements (Davies 2020). Trotz vereinzelter konstruktiver Ansätze der Kooperation mit der UNO und der OSZE dominiert ein machtpolitisches und militärisches Verständnis von Friedensschaffung, -sicherung und Konfliktmanagement (Baev 1997), das auf die einseitige Durchsetzung russischer Interessen und Einflussgewinn in der Konfliktregion ausgerichtet ist (Lynch 2000).

Die Angst vor dem Verlust traditioneller Einflusssphären

Die jugoslawischen Nachfolgekriege in den 1990er Jahren und insbesondere das Eingreifen der NATO in den Konflikt rückten zunehmend auch innerstaatliche Konflikte außerhalb des postsowjetischen Raumes in den Fokus der russischen Politik. Der veränderte internationale Kontext sowie die Debatte über humanitäre Interventionen führten seit Anfang der 2000er zu einer Neuausrichtung der russischen Politik. Primär ging es nun darum, die Marginalisierung des eigenen Status‘ und Einflusses im westlichen Balkan und im Kontext der gesamteuropäischen Friedens- und Sicherheitspolitik zu verhindern (Davies 2020/Allison 2013).

Die russische Führung räumt der Wahrung der staatlichen Souveränität und der territorialen Integrität der Konfliktländer ausdrücklich Vorrang gegenüber humanitären Interventionen zur Verhinderung von Menschenrechtsverbrechen und Gewaltanwendungen gegen die Zivilbevölkerung ein. Grundlage dafür war die Erfahrungen in den Tschetschenienkriegen, in denen Russland seine eigene territoriale Integrität in Frage gestellt sah. Außerdem betonte Russland die Notwendigkeit eines Mandats des UN-Sicherheitsrates für humanitäre Interventionen – wohlwissend, dass es mit seinem Vetorecht jeder Zeit unliebsame Initiativen verhindern kann.

Militärische Aufrüstung und Machtdemonstration

Angesichts der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen seit Mitte der 2000er Jahre und der "Farbenrevolutionen" in mehreren Staaten des postsowjetischen Raums nutzte Russland die innerstaatlichen Konflikte in seiner unmittelbaren Nachbarschaft immer rücksichtloser zur Wahrung und Durchsetzung seiner Interessen. So beschränkten sich die russischen Streitkräfte im Georgien-Krieg (August 2008) nicht darauf, den georgischen Angriff auf das abtrünnige Südossetien zurückzuschlagen, sondern besetzten georgisches Territorium und zerstörten große Teile der Infrastruktur. Auch nutzte Moskau den Krieg, um Südossetien und Abchasien noch enger an sich zu binden.

Diese Politik setzte sich 2014 im Ukraine-Konflikt fort. Hier wurde von Russland erstmals ein innerstaatlicher Konflikt geschaffen und gezielt angeheizt, um so eine weitere Annäherung der Ukraine an die EU zu verhindern (Fix/Bakalova). Wie schon gegenüber Georgien rüstete Russland die prorussischen Milizen mit Waffen aus und griff auch mit eigenen Truppen direkt in die Kampfhandlungen ein. Im Rahmen der Politik der "Passportisierung" wurden russischsprachige Ukrainer (wie schon zuvor Osseten und Abchasen) kurzerhand zu russischen Staatsbürgern gemacht, für die Russland nun über seine Grenzen hinweg eine Schutzverantwortung behauptet.

Neubegründung des russischen Weltmachtanspruchs

Seit den 2010er Jahren ist eine Tendenz russischer Machtprojektion in andere Weltregionen zu beobachten. Moskau nutzt seine neu gewonnene Stärke, um seine diplomatische, wirtschaftliche und vor allem militärische Präsenz im Nahen und Mittleren Osten (Syrien, Libyen), im subsaharischen Afrika (Zentralafrikanische Republik) sowie in Lateinamerika (Venezuela) auszubauen. Insbesondere die Konflikte in Libyen und Syrien haben infolge der Einmischung Russlands und anderer externer Mächte inzwischen eine Dimension angenommen, die weit über die innerstaatliche und regionale Ebene hinausreicht. (vgl. Debattenbeiträge Libyen von Interner Link: Reinhard Merkel und Interner Link: Hans-Joachim Heintze)

Ein wichtiges Instrument der Einflussnahme auf innerstaatliche Konflikte ist die Mitgliedschaft Russlands im UN-Sicherheitsrat. Hier nutzt Russland seine Veto-Macht, um die Verurteilung seiner eigenen Politik sowie von Menschenrechtsverletzungen autoritärer Regime zu verhindern. Außerdem blockiert Moskau – meist gemeinsam mit der VR China – Beschlüsse über humanitäre Interventionen zur Befriedung innerstaatlicher Konflikte. Interner Link: So entsteht im UN-Sicherheitsrat immer häufiger eine Blockade, die ein wirksames Handeln gegenüber autoritären Regimen sowie effektive Lösungsschritte verhindert (Remler 2020).

Autoritäres Konfliktmanagement – Interessenslage und Strategie Russlands

Russlands Politik, Konflikte zu managen, unterscheidet sich deutlich von den allgemein anerkannten internationalen Normen und Praktiken der Krisen- und Konfliktbewältigung. In dem von Experten als "zwingende Mediation" ("coercive mediation") oder autoritäres Konfliktmanagement beschriebenen Ansatz sind Verhandlungen und militärische Maßnahmen eng miteinander verschränkt (Lewis 2020; Lewis/Heathershaw/Megoran: 2018). Im Gegensatz zu liberalen Ansätzen der Konfliktlösung, die auf eine neutrale Mediation sowie auf von allen Seiten akzeptierte Friedensgespräche und Kompromisse setzen, sind Verhandlungen in einem autoritären Konfliktmanagement ein hierarchischer, machtpolitischer Prozess, bei dem die stärkere Partei eine Friedensregelung durchsetzt (Lewis: 2020). Die Ursachen des Konflikts sowie die Kosten und Folgen einer solchen meist militärisch flankierten Konfliktbearbeitung bleiben dabei weitgehend unberücksichtigt.

Das Spektrum der Machtmittel zur Durchsetzung der Interessen und Ziele der von Russland unterstützten Konfliktpartei(en) reicht von direkter militärischer Gewalt und hybrider Kriegführung über Verhandlungen und wirtschaftliche Maßnahmen (Hilfeleistungen oder Sanktionen) bis hin zur Gewährung oder Verweigerung humanitärer Hilfe. Zum machtpolitischen Instrumentenkasten gehört auch die Auslegung des Völkerrechts gemäß den russischen Interessen (Lewis/Heathershaw/Megoran 2018). Konfliktlösung wird hier nicht als gesellschaftliche Transformation verstanden, sondern in erster Linie als Unterstützung russlandfreundlicher Konfliktparteien. Waffenstillstände oder die Eindämmung der Kampfhandlungen sind kein Ziel an sich. Sie werden nur dann angestrebt, wenn sie der von Moskau unterstützten (autoritären) Regierung bzw. Konfliktpartei nützen (Lewis 2000).

Ein wichtiger Eckpfeiler zur Stärkung des russischen Einflusses ist die Involvierung regionaler Mächte und ihrer Stellvertreter in die Konflikte. Ziel ist die Etablierung eines an den russischen Interessen ausgerichteten regionalen Konsenses. Dabei werden gezielt westliche Akteure und Vermittlungsformate ins Abseits gestellt und durch eigene Formate ersetzt. Das Ergebnis ist ein "illiberaler Frieden" (Lewis/Heathershaw/Megoran 2018). Die Kampfhandlungen werden zwar reduziert oder beendet, aber die tieferliegenden politischen und sozialen Ursachen werden nicht adressiert. Da die Konflikte lediglich unterdrückt werden, kommt es zu keiner nachhaltigen Konfliktlösung. Deshalb bleibt das Risiko eines Wiederaufflammens der Gewalt sehr hoch (Fraihat/Issaev 2018).

Die russische Politik – Hintergründe und Beispiele

Der Mangel an Nachhaltigkeit der russischen Strategie wird besonders im Fall des Syrien-Krieges deutlich. Die russische Unterstützung von Präsident Assad und die Etablierung des Astana-Gesprächsformats haben die UNO sowie westliche Akteure an den Rand gedrängt. Zugleich wurde mit der Blockade des UN-Sicherheitsrats durch das russische Veto die Verurteilung des Assad-Regimes für die brutalen Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen verhindert.

Diese Blockadehaltung geht u.a. auf die russischen Erfahrungen mit der Politik westlicher Staaten im Interner Link: Libyen-Konflikt zurück. Die Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 17. März 2011 über das Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft in den Libyen-Konflikt, die u.a. die Einrichtung einer Flugverbotszone, den Schutz der Zivilbevölkerung und die Durchsetzung eines Waffenembargos durch französische, britische und US-amerikanische Marineschiffe vorsah, wurde vom Westen als Mandat für den Sturz Gaddafis interpretiert. Während der Westen die Intervention als Erfolg im Sinne des Konzepts der Schutzverantwortung wertete, sah die russische Regierung darin einen weiteren vom Westen betriebenen Regimewechsel, der von der UN-Resolution in keiner Weise gedeckt war.

Heute sichert sich Russland mit der Unterstützung des Rebellenführers General Haftar eine Rolle im internationalen Konfliktmanagement in Libyen. Das Gleiche gilt für Afghanistan. Neben guten Beziehungen zur Regierung in Kabul setzte die russische Führung schon früh auf direkte Kontakte zu den Taliban und zu Führern der tadschikischen und usbekischen Gemeinschaft im Norden Afghanistans. Ziel war es, den russischen Einfluss auch für den Fall zu erhalten, dass sich die Taliban gegenüber der Zentralregierung durchsetzen (Krivosheev 2021).

In der Zentralafrikanischen Republik verschaffte sich Russland durch eine gemeinsame Initiative mit dem Sudan eine Rolle im Mediationsprozess der Afrikanischen Union (AU) – flankiert vom Einsatz russischer Militärausbilder und Söldner der "Gruppe Wagner". In Venezuela unterstützt Russland das Maduro-Regime und wirft zugleich den USA illegitime Einmischung vor. Vermittlungsversuche durch Norwegen im Jahr 2019 sind mittlerweile gescheitert. Weitere innerstaatliche Krisen mit regionalen Auswirkungen, in denen Russland versucht oder versucht hat, an Einfluss zu gewinnen, sind der Kaschmir-, der Jemen- und der Israel-Palästina-Konflikt.

Der Preis der russischen Politik

Wie aufwändig die Anstrengungen zur Einflusssicherung Russlands allein in seiner unmittelbaren Nachbarschaft sind, verdeutlichen Ereignisse der jüngeren Vergangenheit: die Unterstützung für das Lukaschenko-Regime in Belarus angesichts der Protest seit dem Wahlbetrug im August 2020, die Vermittlung im Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien im Bergkarabach-Krieg im Herbst 2020, einschließlich der Stationierung russischer Truppen im Konfliktgebiet, sowie die Eskalation des Ukraine-Konflikts durch russische Truppenstationierungen und Militärmanöver an der ukrainischen Grenze im Frühjahr 2021.

Diese Politik fordert ihren Preis. Russland, das 2020 mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rd. 1,5 Billionen US-Dollar nach Italien, Kanada und Südkorea gerademal auf dem 11. Platz rangierte (USA: rd. 21 Bio., VR China rd. 15 Bio., Deutschland rd. 4 Bio. US-Dollar), muss nicht nur erhebliche wirtschaftliche und militärische Ressourcen aufwenden. Auch gegenüber der russischen Gesellschaft und im globalen Informationsraum sind immer mehr Anstrengungen erforderlich, um die eigene Bevölkerung von der Notwendigkeit eines weltweiten politischen und militärischen Engagements Russlands zu überzeugen und gegen zunehmende antirussische Stimmungen in den Nachbarländern vorzugehen.

Die Kosten-Nutzen-Relation der russischen Politik im Umgang mit innerstaatlichen Konflikten gerät noch aus zwei weiteren Gründen zunehmend unter Druck. Zum einen erfordert die Praxis, Konflikte ständig am Köcheln zu halten oder lediglich mit illiberalen und repressiven Mitteln einzudämmen, einen ständigen Einsatz an Ressourcen. Die russische Präsenz vor Ort muss ebenso finanziert werden wie das Überleben russlandfreundlicher autoritärer Regime. Nachhaltige, selbsttragende Friedensprozesse werden so eher verhindert als gefördert.

Zum anderen befindet sich Russland in Konkurrenz mit anderen Regional- oder Großmächten, wie der Türkei, dem Iran und China. Insbesondere die Spannungen mit der Türkei, z.B. in Syrien, Libyen, im Schwarzmeer-Raum (z.B. Ukraine) und im Südkaukasus (Berg-Karabach), brechen immer wieder auf. Unter dem Strich könnte all dies zu einer erneuten imperialen Überdehnung Russlands führen (Adomeit 2016).

Nicht zuletzt trägt die russische Politik zur Schwächung multilateraler Institutionen auf globaler und regionaler Ebene bei (z.B. UNO, Afrikanische Union, OSZE). Damit geht die Moskau ein hohes Risiko ein. Statt für den Fall einer unkontrollierten Destabilisierung an den russischen Grenzen oder in anderen Konfliktregionen gemeinsame multilaterale Monitoring- und Verhandlungsinstitutionen bereitzuhalten, unterminiert die russische Führung mit ihrer Politik die Fundamente einer über Jahrzehnte gewachsenen regelbasierten regionalen und globalen Ordnung.

Weitere Inhalte

ist Historikerin und Politikwissenschaftlerin sowie Programmleiterin im Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung mit Fokus auf Russland/Osteuropa. Zuvor war sie bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und als Fellow des Mercator Kollegs für Internationale Aufgaben tätig. Liana Fix studierte Theorie und Geschichte der Internationalen Beziehungen an der London School of Economics and Political Science sowie Geschichte und Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und der Université François Rabelais in Tours, Frankreich.