Aktuelle Konfliktsituation
Vor der erneuten sogenannten Präsidentschaftswahl am 26. Januar 2025 gibt es in Belarus
Die Menschen in Belarus befinden sich in einem Zustand der Resignation. Gleichzeitig bleibt der Wille zur Veränderung bestehen, insbesondere unter jenen, die sich im Untergrund sowie im Ausland engagieren. Die digitale Vernetzung über Plattformen, wie Telegram, ermöglicht es weiterhin, Informationen zu verbreiten und Widerstand zu organisieren. Doch die Angst vor Verhaftung und Folter hält viele davon ab, aktiv zu werden. Unabhängige Medien, die inzwischen fast ausschließlich aus dem Ausland berichten und in Belarus blockiert sind, bleiben über VPN-Dienste
Die Situation der Gefangenen und Opfer des Regimes bleibt besorgniserregend. Berichte von Menschenrechtsorganisationen, wie Viasna
Für die Betroffenen, aber auch für diejenigen, die nicht mehr in Belarus bleiben wollen, bleibt das Exil eine Möglichkeit. Laut verschiedenen Schätzungen haben bereits zwischen 200.000 und 500.000 Belarussen das Land verlassen.
Belarus liegt an der Grenze zur EU und zu Russland, was es zu einem geopolitischen Brennpunkt zwischen Westeuropa und Russland macht. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die geopolitischen Spannungen weiter verschärft. Belarus dient als Werkstatt und Operationsbasis für russische Truppen.
Nach einem Rückgang 2021 und 2022
Durch die Auswirkungen des inneren Konflikts sehen sich Belarussen zunehmend vom Westen isoliert, während die Türen in Richtung Russland offenstehen. Belarussen sind in Russland willkommen, um zu studieren und zu arbeiten. In Richtung EU gibt es nur noch wenige Grenzübergänge; Reisende müssen sich oft darauf einstellen, mehrere Tage zu warten. Derzeit dürfen keine belarussischen Fahrzeuge und Lebensmittel nach Litauen mitgeführt werden. Seit dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine gibt es keinen Flug- und Zugverkehr mehr mit der EU.
Die neue belarussische Diaspora im Exil, vor allem in Warschau und Vilnius, engagiert sich aktiv für politische Veränderungen in Belarus.
Ursachen und Hintergründe
Trotz immer wieder aufflammender Proteste (z.B. 2011), gelang es dem Lukaschenka-Regime als „letzte Diktatur Europas“
Vor der Präsidentschaftswahl im August 2020 war die belarussische Gesellschaft im Großen und Ganzen gut organisiert, durch „Treppenhaus-Chats“ zwischen Nachbarn auf Telegram vernetzt und von den Machthabenden enttäuscht. Überall wurden Unterschriften für oppositionelle Kandidaten gesammelt. Als zwei dieser Kandidaten ins Gefängnis geworfen wurden, verstärkte sich die Gegenbewegung. Treffen mit registrierten Kandidaten verzeichneten Rekordzahlen an Teilnehmenden, sowohl in Großstädten als auch in der Fläche (vgl. Wöllenstein 2020). Die Bürgerrechtlerin Swiatlana Zichanouskaja, Frau eines inhaftierten Oppositionellen und Präsidentschaftsbewerbers, begeisterte viele Menschen. Mit ihr und weiteren Kandidatinnen, wie Maryja Kalesnikawa, bekam die Oppositionsbewegung ein weibliches Gesicht.
Als Lukaschenka nach den Wahlen 2020 den Sieg für sich beanspruchte, obwohl die Mehrheit der belarussischen Bevölkerung sowie die internationale Gemeinschaft die Wahlen als gefälscht ansahen
Die Reaktion des belarussischen Regimes war brutal. Sicherheitskräfte setzten Gewalt ein, um Demonstranten zu schikanieren, und verhafteten tausende Teilnehmende. Berichten zufolge wurden viele Gefangene gefoltert; es gibt zahlreiche Misshandlungsdokumentationen.
Seit Beginn der Proteste hat der Kreml Lukaschenka politisch und wirtschaftlich unterstützt. Lukaschenka hat Putin zu verdanken, dass 2020 die Verantwortlichen und Mitarbeitenden seiner Ministerien nicht auf die Seite der Protestierenden gewechselt sind.
Belarus spielt eine Schlüsselrolle in der Strategie Moskaus zur Erreichung seiner geopolitischen Ziele, wodurch der interne Konflikt eine regionale Bedeutung erhält. Russland ist seit 1999 formal in einer Staatenunion mit Belarus und unterstützt das Regime von Lukaschenka politisch, wirtschaftlich und militärisch. Diese Unterstützung hat es ihm ermöglicht, die Protestbewegungen zu unterdrücken und die internationale Isolation abzuschwächen. Im Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich Lukaschenka klar an die Seite Putins gestellt. Inzwischen sind auf belarussischem Territorium nicht nur russische Truppen, sondern nach russischen und belarussischen Angaben auch Atomsprengköpfe stationiert.
Bearbeitungs- und Lösungsansätze
Die belarussische Regierung versucht, den Konflikt mit massiver Unterdrückung einzudämmen. Seit der Niederschlagung der Proteste 2020 gab es fast wöchentlich Festnahmen und politische Schauprozesse, um Bürger für ihre Teilnahme an Demonstrationen oder für Kommentare in den Medien zu bestrafen, die meist erst im Nachhinein als „extremistisch“ eingestuft wurden. Das Regime verfolgt eine Politik der Repression und schürt ein Klima der Angst, wodurch jegliche Kritik an dem Regime im Keim erstickt werden soll. Alle Dialog- und Kompromissangebote wurden strikt abgelehnt.
Die Strategie der Regierung ist eine Mischung aus langfristig geplanten Maßnahmen und situativen Anpassungen. Ihr Vorgehen weist Parallelen zu anderen autoritären Regimen auf. Insbesondere die Praxis Russlands unter Putin scheint als Modell zu dienen. Die Kontrolle über Medien, die systematische Ausschaltung der Opposition und die Zentralisierung der Macht spiegeln typische Merkmale autoritärer Systeme wider. Gleichzeitig ist das Regime stark von überkommenen sowjetischen Symbolen und Praktiken geprägt, was sich vor allem in der engen Verbindung von Staat und Wirtschaft sowie der Betonung von „Stabilität“ und „Frieden“ als Rechtfertigung für Repression zeigt.
In dieser schwierigen Lage setzen sich Swiatlana Zichanouskaja und andere demokratische Akteure und Strukturen, wie der Koordinierungsrat
Neben der Opposition haben auch internationale Organisationen, wie die EU, die UNO und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), diplomatische Bemühungen unternommen, um den Konflikt zu deeskalieren und eine friedliche Lösung zu fördern. Doch bisher haben diese Bemühungen zu keinen nachhaltigen Ergebnissen geführt. Das Regime von Lukaschenka zeigt keinerlei Bereitschaft, auf die Vermittlungsversuche einzugehen.
Parallel dazu haben europäische Staaten, wie Deutschland, Litauen, Polen, Schweden, Tschechien, ihre politische und humanitäre Unterstützung für die belarussische Zivilgesellschaft und die Opposition im Exil verstärkt. Allerdings bleibt die Unterstützung durch die EU und die USA begrenzt. Die Zurückhaltung lässt sich durch die strategische Sorge erklären, dass eine zu starke Einmischung in die belarussische Krise den ohnehin angespannten geopolitischen Konflikt mit Russland zusätzlich verschärfen könnte, was die Gefahr einer weiteren Destabilisierung in der Region birgt.
Ein weiterer Lösungsansatz, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Förderung von Medien, des zivilgesellschaftlichen Engagements sowie von Bildungs- und Diskussionsveranstaltungen, die helfen sollen, den Wandel hin zu einer demokratischeren Gesellschaft zu fördern. Zahlreiche Initiativen und NGOs im Exil arbeiten daran, die belarussische Gesellschaft wieder zusammenzuführen
Geschichte des Konflikts
Die Zeit der Perestroika und die Phase der oft chaotischen wirtschaftlichen und politischen Umbrüche in den 1990er Jahren haben viele Menschen als krisenhaft und traumatisierend erfahren. In dieser Situation entstand ein soziales Klima, in dem der Ruf nach einem Stopp der marktwirtschaftlichen Transformation und nach paternalistischer Führung immer lauter wurde. 82,7 % der Belarussen stimmten im März 1991 für den Erhalt der Sowjetunion. Der Konflikt in Belarus hat seine Wurzeln in diesen ersten Jahren der Unabhängigkeit.
Gleichzeitig erlebte Belarus den Aufschwung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten. Jugend-, Kultur- und Umweltinitiativen entstanden landesweit, oft motiviert durch Ereignisse wie die Tschernobyl-Katastrophe von 1986. Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren in dieser Zeit weitgehend gewährleistet, was diese Entwicklung förderte. Auch nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 erlebte Belarus eine Phase der Konsolidierung zivilgesellschaftlicher Strukturen. Es entstanden zahlreiche Nichtregierungsorganisationen und Initiativen, die sich mit Themen wie Menschenrechten, Umweltschutz und Bildung beschäftigten.
Bei den Präsidentschaftswahlen 1994 nutzte Lukaschenka die allgemeine Unzufriedenheit, um sich mit einer Anti-Korruptionskampagne gegen seine national orientierten, prowestlichen Mitbewerber durchzusetzen. Seit seiner Wahl hat Lukaschenka das politische System nach und nach autoritär umgestaltet. Was von einer Mehrheit zunächst als stabilisierend angesehen wurde, stieß in der Bevölkerung zunehmend auf Widerstand. Lukaschenka änderte die Verfassung, um sich seine Wiederwahl zu ermöglichen. Er manipuliert Wahlen, verfolgt politische Gegner und schränkt die Meinungsfreiheit und die Grundrechte massiv ein.
Ab 1996 begann die Regierung mit Repressionen gegen die Zivilgesellschaft. Aktivitäten nicht registrierter NGOs wurden strafrechtlich verfolgt und Neuregistrierungen verhindert. Trotz schwieriger politischer Bedingungen waren die 2010er Jahre von vielen Fortschritten geprägt. Einige NGOs konnten ihre Arbeit fortsetzen, oft in Bereichen, wie Kultur, Bildung oder Sozialprojekten, die weniger im Fokus staatlicher Kontrolle standen. Sie leisteten wertvolle Basisarbeit und schufen regionale und lokale Netzwerke, die das Fundament für künftige Entwicklungen legten. Zudem gelang es, internationale Partnerschaften zu etablieren, die nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch moralischen Rückhalt boten. Diese Erfolge zeigten, dass es auch unter restriktiven Bedingungen möglich war, punktuell gesellschaftlichen Wandel anzustoßen.