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Nicaragua | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Nicaragua

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Seit der blutigen Niederschlagung der Proteste im April 2018 regieren Präsident Daniel Ortega und seine „Ko-Präsidentin“ und Ehefrau Rosario Murillo autokratisch.

Demonstranten knien bei einem Protest gegen Gewalt durch Paramilitärische Kräfte in Managua vor Polizisten, 14.07.2018. (© picture-alliance/dpa, Carlos Herrera)

Der Weg zum Frieden

Nach dem Sturz des Diktators Anastasio Somoza übernahm 1979 die linksgerichtete Sandinistische Front (Frente Sandinista de Liberación Nacional – FSLN) die Macht in Nicaragua. Ein Jahr später begannen rechtsgerichtete Rebellen den bewaffneten Kampf gegen die sandinistische Regierung. Die „Contras“ oder „Anti-Sandinistas“ genannten Aufständischen setzten sich aus Anhängern des Ex-Diktators, Teilen der bürgerlichen Opposition, vielen Bauern, einigen enttäuschten Sandinisten und großen Teilen der indigenen Bevölkerung an der Atlantikküste zusammen. Diese überaus heterogene Koalition wurde finanziell und logistisch massiv von der US-Regierung unterstützt, welche einen Stellvertreterkrieg gegen den Einfluss der Sowjetunion in der Region führte.

Als der US-Kongress 1982 die weitere Unterstützung der Contras untersagte, leitete die CIA Einnahmen aus Waffengeschäften mit dem Iran an die Rebellen weiter und ließ zu, dass die Contras den illegalen Drogenhandel ankurbelten und große Mengen an Kokain in die USA schmuggelten. 1984 weigerten sich die USA, die Wahl Daniel Ortegas zum Präsidenten anzuerkennen, erließen ein Handelsembargo gegen Nicaragua, und die CIA verminte die Häfen des Landes. Erst nachdem die sogenannte Iran-Contra-Affäre 1986 aufgedeckt worden war, kam die US-Unterstützung zum Erliegen.

Ab 1983 bemühte sich eine lateinamerikanische Staatengruppe um Mexiko, Panama, Kolumbien und Venezuela, die Konflikte in Zentralamerika aus der Rahmung als Stellvertreterkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion zu befreien, um eine regionale Lösung zu ermöglichen. Die sogenannte Contadora-Gruppe der vier Staaten leistete wichtige Vorarbeit für das 1987 unterzeichnete Abkommen von Esquipulas. Darin einigten sich die Regierungen Zentralamerikas auf weitreichende Maßnahmen zur Demokratisierung und Befriedung der Region. In der Folge verloren die Contras ihr Rückzugsgebiet in Honduras und die Sandinisten verpflichteten sich zur Durchführung von Neuwahlen.

Im Februar 1990 gewann das oppositionelle Wahlbündnis Unión Nacional Opositora (UNO) von Violetta Barrios de Chamorro, das ein breites Spektrum bürgerlicher, konservativer und radikal anti-sandinistischer Parteien umfasste. Der überraschende Sieg der UNO traf die Sandinisten völlig unvorbereitet. In der zweimonatigen Übergangszeit bis zum Amtsantritt der neuen Regierung erließen sie noch einige Gesetze zur Absicherung der sandinistischen Agrarreform, stellten zahlreiche Eigentumstitel für Land und Wohnungen aus, und hohe Funktionäre bedienten sich großzügig an konfisziertem Eigentum aus dem Umfeld Somozas.

Präsidentin Barrios und ihr Kabinett stellten sehr schnell die Kreditwürdigkeit ihres Landes wieder her und beendeten die gewaltige Inflation. Auch beim Abbau der fast 100.000 Mann starken sandinistischen Streitkräfte und der Demobilisierung der Ende 1989 noch fast 20.000 Mann starken Contras war die Chamorro-Regierung erfolgreich. Allerdings war sie weiter auf die Unterstützung der Sandinisten angewiesen, denn diese kontrollierten sowohl die Armee als auch Polizei und Geheimdienst und stellten zudem die stärkste Fraktion im Parlament. Eine Wiederwahl von Präsidentin Barrios war verfassungsmäßig nicht zulässig.

1997 folgte ihr der Kandidat eines breiten bürgerlichen Bündnisses, Arnoldo Alemán, ins Präsidentenamt. Im Rahmen einer Verfassungsreform teilten Alemán und Ortega 1999 die wichtigsten Positionen in den zentralen staatlichen Institutionen zwischen der FSLN und Alemáns Partido Liberal Constitucionalista (PLC) auf. Der „Pakt" sollte u.a. auch Alemán, der sich während seiner Amtszeit der Geldwäsche, Veruntreuung und Korruption schuldig gemacht hatte, auf Lebenszeit parlamentarische Immunität sichern. 2007 kehrte Daniel Ortega auf dem Weg von Wahlen an die Macht zurück und regiert seitdem ununterbrochen.

Erfolge und Fortschritte

Als ein wesentlicher Erfolg des nicaraguanischen Friedensprozesses kann der friedliche Machtwechsel durch Wahlen betrachtet werden. Allerdings erwies sich die wirtschaftliche und soziale Notlage nach dem Ende des Bürgerkriegs als schwere Hypothek. Der jahrelange interne Konflikt, die gezielte Obstruktion durch die Contras und ihre Verbündeten, aber auch Fehlentscheidungen der Sandinisten hatten der Wirtschaft enormen Schaden zugefügt. Die sozialen Errungenschaften der sandinistischen Revolution wurden durch die neoliberalen Reformen der nachfolgenden Regierungen weitgehend zurückgenommen.

Die von internationalen Finanzorganisationen eingeforderten Strukturanpassungsmaßnahmen ließen zunächst wenig Spielraum, um angemessen auf die drängenden sozialen Probleme der Nachkriegszeit zu reagieren. Doch nach und nach sicherte sich Präsident Ortega die Gunst der wirtschaftlichen Eliten durch ein investitionsfreundliches Klima, das maßgeblich durch den Unternehmerverband Consejo Superior de la Empresa Privada (COSEP) mitbestimmt wurde. Internationale Finanzinstitutionen stellten jahrelang bereitwillig Kredite in Höhe von hunderten Millionen Dollar zur Verfügung.

Auch die Tatsache, dass sich Ortega schnell über frühere ideologische Überzeugungen hinwegsetzte, trug dazu bei, ehemalige Gegner auf seine Seite zu ziehen. So strebte er beispielsweise mit der katholischen Kirche frühzeitig eine Aussöhnung an. Beispielsweise wurde mit den Stimmen des FSLN 2006 ein Abtreibungsverbot verabschiedet, das selbst bei Gefahr für das Leben der Mutter oder Vergewaltigung langjährige Haftstrafen für Schwangerschaftsabbrüche vorsieht. Auch gegenüber den USA, dem mit Abstand wichtigsten Handelspartner, verfolgte Ortega zunächst einen sehr pragmatischen Kurs, nicht zuletzt im Rahmen des gemeinsamen Freihandelsabkommens zwischen Zentralamerika und den USA und bei der Bekämpfung des Drogenhandels.

Ortega konnte auch im Sicherheitsbereich Erfolge verzeichnen. 1979, nur wenige Wochen nach dem Sieg der nicaraguanischen Revolution, war die Sandinistische Volksarmee (Ejército Popular Sandinista, EPS) gegründet worden. Gleichzeitig wurde das Personal der Streitkräfte des Diktators Somoza, die Guardia Nacional (GN), vollständig aufgelöst. Kurz darauf wurde die Sandinistische Polizei (Policía Sandinista) gegründet, die dem neu gegründeten Innenministerium unterstand und deren Gründung notwendig geworden war, da die GN eine Doppelfunktion als Militär und Polizei ausgeübt hatte. Die Anfang der 1990er Jahre in Nationale Polizei (Policia Nacional) umbenannte Strafverfolgungsinstitution legte einen Schwerpunkt auf die Präventionsarbeit und trug zu einer erheblichen Reduzierung der Gewaltkriminalität bei. Diese ist auch heute noch, insbesondere im Vergleich zum Nachbarland Honduras, in Nicaragua moderat.

Die Unterstützung der ärmeren Bevölkerungsschichten sicherte sich Ortega über Sozialprogramme, wie das 2007 aufgelegte Armutsbekämpfungsprogramm „Hambre Cero“ („Null Hunger“). Nicaragua ist nach Haiti das ärmste Land Amerikas, doch es erzielte über weite Strecken der Amtszeit Ortegas eine der höchsten Wachstumsraten in der Region. Merkliche Fortschritte wurden nicht nur bei der Armutsreduzierung, sondern auch im Bildungssektor und im Gesundheitssystem erzielt. Finanziert wurde dies auch mit Mitteln der befreundeten sozialistischen Regierung Venezuelas. Aufgrund der gravierenden Wirtschaftskrise in Venezuela ist die Unterstützung jedoch seit 2015 merklich gesunken und seit 2017 gänzlich ausgeblieben. Es steht zu vermuten, dass diese finanziellen Probleme die Ortega-Regierung 2018 dazu bewegten, Mittel aus den Sozialkassen für die Wirtschaftsförderung einzusetzen.

Probleme und Defizite

Seit seiner Rückkehr an die Macht 2007 hat Ortega den nicaraguanischen Staat schrittweise in eine Autokratie umgebaut. Zusammen mit seiner Ehefrau Rosario Murillo kontrolliert er nicht nur die sandinistische Partei und die Mehrheit der Gewerkschaften, sondern mittlerweile auch alle politischen und juristischen Institutionen des Landes, den Sicherheitsapparat und die Medien. Als einziges Land in Lateinamerika gibt es in Nicaragua keine gedruckten Zeitungen mehr. Die Regierung hat sie alle geschlossen. Die weitgehend von der FSLN dominierten Bürgerräte (Consejos del Poder Ciudadano) sichern die politische Kontrolle auf der lokalen Ebene.

Allerdings hat das Regime wirtschaftliche und finanzielle Probleme. Nicaragua gehört zu den ärmsten und am höchsten verschuldeten Ländern Lateinamerikas. Nach dem Wegfall der Unterstützung aus Venezuela verkündete die Regierung im April 2018 eine Reform der Sozialversicherung, die zu höheren Rentenbeiträgen und niedrigeren Bezügen geführt hätte. In der Folge kam es zu Massenprotesten, die neben Schülern und Studenten auch von der katholischen Kirche und Teilen der Unternehmerschaft getragen wurden. Im Zuge der Unruhen wies das Regime regimetreue paramilitärische Gruppen und die Sicherheitskräfte an, gezielt auf die Protestierenden schießen. Etwa 300 Menschen starben, tausende wurden verletzt. Hunderte Oppositionelle wurden festgenommen und erlitten in der Haft teilweise massive Menschenrechtsverletzungen.

Seit der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste setzt die Regierung verstärkt auf Unterdrückung und geht unerbittlich gegen die politische Opposition vor. Diese Politik hat zu einer drastischen Verschlechterung der Beziehungen zu anderen lateinamerikanischen Ländern, den USA und der Europäischen Union (EU) geführt. Die staatliche Repression hat in Nicaragua ein Ausmaß erreicht, wie es in Lateinamerika seit dem Ende der Diktaturen in den 1980er Jahren nicht mehr zu beobachten war. Mehr als 5.600 Nichtregierungsorganisationen wurden geschlossen, darunter auch viele kirchliche. Mindestens 37 hochrangige Oppositionelle, darunter sieben Präsidentschaftskandidaten, wurden inhaftiert. Viele andere sahen sich gezwungen, ins Exil zu gehen, darunter allein seit Oktober 2023 mehr als 200 religiöse Persönlichkeiten. Insgesamt sind von den 6,8 Millionen Einwohnern etwa 800.000 Bürger emigriert, vor allem nach Costa Rica, in die USA und nach Spanien.

Um Kritiker mundtot zu machen, nutzt das Präsidentenpaar vor allem Zwangsverbannungen und den Entzug der Staatsbürgerschaft. Die Regierung schloss auch in großer Zahl Universitäten und greift auf Methoden der systematischen Zensur und Verfolgung von Kritikern und Gegnern zurück. Im September 2024 änderte die von der FSLN kontrollierte Nationalversammlung das Strafgesetzbuch, um Personen, die sich im Ausland aufhalten und beschuldigt werden, Straftaten in Nicaragua begangen zu haben, in Abwesenheit strafrechtlich verfolgen zu können. Das Gesetz öffnet Tür und Tor für die Verfolgung von Kritikern im Exil, einschließlich derjenigen, die von der Regierung ausgewiesen wurden.

Das Parlament erweiterte außerdem die Befugnisse der Richter, Vermögenswerte von Angeklagten zu beschlagnahmen, und legte strafrechtliche Sanktionen für jeden fest, der wirtschaftliche, kommerzielle oder finanzielle Sanktionen gegen nicaraguanische Institutionen oder Regierungsbeamte fördert, fordert oder erleichtert. Außerdem wies die Regierung 135 politische Gefangene nach Guatemala aus, entzog ihnen die Staatsangehörigkeit und konfiszierte ihr Vermögen, was einen Verstoß gegen internationales Recht darstellt. Weitere 46 politische Gegner blieben inhaftiert, darunter auch einige indigene Führer. Mehr als 450 Personen wurde seit Februar 2023 die nicaraguanische Staatsbürgerschaft entzogen; viele von ihnen wurden staatenlos.

Im November 2024 hat Ortega eine weitreichende Reform der Verfassung seines Landes angeordnet, die ihm und seiner Frau Rosario Murillo die absolute Kontrolle über die Exekutive, Legislative und Judikative einräumt. Damit ist die Gewaltenteilung auch de jure aufgehoben. Murillo ist ab dem 30. Januar 2025 offiziell „Ko-Präsidentin“. Das ist ein neues, in der Verfassung verankertes Amt, das mit der gleichen Machtfülle wie das des Präsidenten ausgestattet ist. Die Ko-Präsidenten können nun auch Vize-Präsidenten ernennen, die nicht gewählt werden müssen. Außerdem können sie „den Einsatz der Streitkräfte zur Unterstützung der nationalen Polizei anordnen, wenn die Stabilität der Republik dies erfordert“.

Damit sind die Grundlagen für eine Ortega-Murillo-Dynastie gelegt. Bereits jetzt leiten drei Kinder Fernsehkanäle, zwei Schwägerinnen die nationale Erdöl- und Elektrizitätsgesellschaft. Der offenbar als Thronfolger auserkorene Sohn, Laureano Ortega, hat eine Führungsposition in der FSLN und ist zudem für die Förderung von Investitionen, Handel und internationaler Zusammenarbeit zuständig. Zugleich wurde er zum „Sonderbeauftragten für die Beziehungen zu Russland, China, dem Iran und Belarus“ ernannt. Nicaragua sucht einen engen Schulterschluss mit globalen und regionalen autokratischen Mächten.

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