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Syrien | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Syrien

Carsten Wieland

/ 13 Minuten zu lesen

Nach 13 Jahren blutigem Bürgerkrieg in Syrien wurde die Jahrzehnte andauernde Diktatur des Assad-Clans im Dezember 2024 überraschend gestürzt. Nun kommt es darauf an, dass die pragmatische Wende der Islamisten in eine langfristig friedliche und inklusive Transition mündet. Der Ausgang ist jedoch offen.

12.01.2025: Im Gefängnis Saidnaya folterte und mordete das Assad-Regmine. (© picture-alliance/AP)

Aktuelle Situation

Ende November 2024 begann eine militärische Koalition aus verschiedenen Kräften unter Führung der islamistischen Miliz Hayat Tahrir Al-Sham (Komitee für die Befreiung Syriens - HTS) das gesamte syrische Territorium zu erobern, mit Ausnahme des kurdisch regierten Nordostens. Unterstützt wurde sie von säkulareren Truppen und drusischen Milizen, die von Süden aus am 8. Dezember Damaskus einnahmen. Eine wichtige Rolle spielte auch der Aufstand der lokalen Bevölkerungen gegen das Assad-Regime (vgl. Helberg 2025). Das Regime, das hunderttausende Tote und unzählige Gefolterte auf dem Gewissen hat und von Russland und dem Iran unterstützt wurde, fiel am Ende wie ein Kartenhaus in sich zusammen, denn es war korrupt, unbeliebt und wirtschaftlich bankrott.

Die HTS hat sich nach ihrer Gründung 2017 von al-Qaida und dem IS losgesagt und leistete einen maßgeblichen Beitrag zum Kampf gegen die beiden Terrororganisationen. Das Bündnis verschiedener Milizen verfolgt zwar weiterhin grundsätzlich eine salafistische Ideologie, orientiert sich jedoch seit seiner Machtübernahme in der nordwestlichen Provinz Idlib in der Praxis zunehmend an pragmatischen Zielen, wie wirtschaftliche Entwicklung, Pluralismus und „multinationale Einheit“. Auch Proteste der Bevölkerung gegen die Provinzregierung wurden geduldet und hatten mitunter Erfolg, da HTS radikalere Pläne zurücknahm. Dieses Modell versucht nun die neue Führung in Damaskus, von Idlib auf ganz Syrien zu übertragen.

Der als Abu Muhammad al-Dschulani bekannt gewordene Führer der HTS, der nun seinen Geburtsnamen Ahmed Al-Scharaa benutzt, vertritt seit der Abkehr von Al-Qaida nach außen einen eher pragmatischen, technokratischen Islam. Ende Januar 2025 ließ er sich von seiner Militärkoalition zum Übergangspräsidenten ernennen. Er versprach, nach einer Phase der Stabilisierung innerhalb von drei Jahren eine neue Verfassung ausarbeiten zu lassen und Wahlen abzuhalten. Auch eine von der Regierung einberufene Nationale Konferenz, die Ende Februar 2025 in Damaskus zusammenkam, sprach sich für Wahlen, Freiheit, territoriale Integrität und für eine Staatsform aus, in der alle ethnischen und religiösen Gruppen Syriens ihren Platz finden sollten. Aus der Konferenz ging auch ein Verfassungskomitee hervor.

Die USA und europäische Staaten entschlossen sich schnell, die neue Übergangsregierung grundsätzlich zu unterstützen. Die EU-Staaten haben Ende Februar eine schrittweise Lockerung von Sanktionen beschlossen. Gleichzeitig bleiben Sanktionen der westlichen Staaten ein Hebel, falls Syrien wieder in Gewalt abdriftet oder Frauen-, Menschen- und Minderheitenrechte nicht geachtet und demokratische Beteiligungsrechte nicht garantiert werden. Die Türkei und arabische Staaten unterstützen ebenfalls die neuen Machthaber, allerdings mit jeweils eigenen nationalen Interessen. Sie eint u.a. das Ziel, den Iran aus Syrien zu verdrängen.

Die UN mit ihrem Mediationsauftrag für Syrien sucht nach einer neuen Rolle im Übergangsprozess. Der UN-geführte Genfer Prozess zu Syrien ist Geschichte. Die oppositionelle Syrische Verhandlungskommission (SNC) in Genf, bestehend aus der Nationalen Koalition und weiteren Gruppen, hat im Februar 2025 ihre Auflösung bekanntgegeben. Zuvor hatte sich die von der politischen syrischen Opposition im Exil geschaffene Plattform „Nationale Koalition“ mit Sitz in Istanbul nach einem Treffen mit Al-Scharaa für aufgelöst erklärt.

Ursachen und Hintergründe

Der zentrale Konflikt zwischen dem Assad-Regime und der vielgestaltigen politischen und militärischen Opposition ist innerhalb von nur wenigen Tagen implodiert. Syrien war nach der Eskalation im Nahen Osten zwischen Israel und der Hamas nach dem Massaker der Hamas an Israelis am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Krieg im Gaza-Streifen zum Schauplatz eines um sich greifenden Konflikts geworden. Durch die starke Präsenz des Iran in Syrien geriet das Assad-Regime in zunehmende Bedrängnis. Israel flog regelmäßig Luftangriffe in Syrien gegen iranische und syrische Militärziele. Die zwei direkten militärischen Konfrontationen zwischen Israel und dem Iran im April und Oktober 2024 offenbarten die Schwäche des Teheraner Regimes. Die Ausweitung israelischer Kriegsführung gegen die Hisbollah im Norden führte zur Tötung fast der gesamten Führungsriege der Hisbollah, die in Syrien mit brutalen Mitteln zum Überleben des Assad-Regimes beigetragen hatte.

Durch die militärische Schwächung der Hisbollah und des Iran durch israelische Angriffe entstand eine neue Dynamik, welche die HTS-Miliz in Idlib nutzte, um aus der Enklave Idlib auszubrechen. Dort waren die Frontlinien lange eingefroren. Die Militäroffensive war zunächst zur Abschreckung und Abwehr russischer Luftschläge und Attacken iranischer Milizen gedacht, die seit langem ein Problem für die Menschen im Nordwesten darstellten. Dass die militärische Operation vom 27. November 2024, zu der die Türkei nach einigem Zögern grünes Licht gegeben hatte, schon nach elf Tagen zum Sturz Assads führen würde, hatte niemand vorhergesehen, nicht einmal die beteiligten Milizen selbst.

Der Erfolg der HTS-geführten Allianz war nicht nur das Ergebnis einer klugen Militärstrategie der Vermeidung großer Schlachten und eines schnellen Vormarsches, sondern auch in der Schwäche des korrupten und weithin unbeliebten Assad-Regimes begründet. HTS verstand es, durch geheime Kommunikation und Sicherheitsgarantien sicherzustellen, dass Teile des Assad-Regimes im Falle eines Vormarschs keinen Widerstand leisteten. Auch wurde deutlich, dass große Teile der Bevölkerung keine Loyalität mehr zum Assad-Regime zeigte und die Siege der HTS-Allianz auf den Straßen feierte. Als eine Front nach der anderen zusammenbrach, entschied das durch die Aggression gegen die Ukraine geschwächte Russland, Assad keinen Beistand mehr zu leisten. Der Iran war so schnell nicht in der Lage, Unterstützung zu leisten, und die Regierung des Irak weigerte sich, die Grenzen für unterstützende Milizen zu öffnen (z.B. Adar et al. 2025).

Doch auch nach dem Sieg über das Assad-Regime bleiben die meisten innerstaatlichen Konflikte in Syrien virulent. Zu nennen sind insbesondere (1) die Auseinandersetzungen in und zwischen den verschiedenen Machtgruppen über die Gestaltung des Übergangsprozesses und die politische Ausrichtung des syrischen Staates; (2) die Konflikte um die territoriale und administrative Struktur des neuen Syrien sowie (3) der Kampf um die Verteilung der knappen wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen zwischen verschiedenen politischen, sozialen und ethnisch-religiösen Gruppen und Milieus. Wenn es der Übergangsregierung nicht gelingt, dafür tragfähige Kompromisse auszuhandeln und zielführende politische Strategien zu entwickeln, könnte das Land schnell wieder in bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zurückfallen.

An erster Stelle steht die Aufgabe, Recht und Ordnung sowie das Gewaltmonopol des Staates herzustellen. Das Erfolgskonzept der HTS war bislang, keine Rachefeldzüge gegen Assad-treue Militärangehörige, Beamte oder gegen andere Religionsgruppen, insbesondere die Alawiten, zuzulassen, zu der Assad gehört – und wenn sie geschehen, sie zu verfolgen und aufzuarbeiten. Stattdessen setzte Al-Scharaa auf die Vermeidung von Konflikten und die Beibehaltung von staatlichen Institutionen. Es bleibt abzuwarten, ob es den neuen Machthabern in Zukunft gelingt, radikale islamistische Splittergruppen von weiteren Übergriffen und Gewalttaten gegen alawitische und christliche Syrer abzuhalten. Gefahr droht auch von Anhängern und Gruppen des alten Regimes, die – unterstützt und angestachelt vom Iran – versuchen, die Stimmung gegen die neuen Machthaber aufzuheizen und Chaos zu stiften.

Von einer lokalen und vielleicht sogar landesweiten Destabilisierung könnten auch radikalere Kräfte innerhalb der HTS und ihrer Bündnispartner profitieren, denen die Politik der Übergangsregierung als zu gemäßigt und zu wenig islamtreu erscheint und die dem Übergangspräsidenten Al-Scharaa einen Kniefall vor dem Westen vorwerfen (vgl. z.B. Bunzel 2025). Diese Kräfte könnten Streitigkeiten innerhalb der Koalition nutzen, um gegen den aktuellen Kurs aufzubegehren und auf die Hinwendung zu einer islamistischen Politik zu drängen. Al-Scharaa hat zunächst versucht, diese Kräfte durch Posten in Militär und Politik zu beschwichtigen und in seine Politik einzubinden.

Eine Destabilisierung droht auch, wenn es nicht gelingt, die kurdischen Kräfte im Nordosten des Landes in die neue syrische Armee und das politische Gefüge des neuen Syriens einzugliedern. Ohne die Einmischung der Türkei und die Angriffe der von ihr unterstützten Syrian National Army (SNA) auf von Kurden kontrollierte Gebiete hätten sich die neue Führung in Damaskus und die kurdische Selbstverwaltung wohl schon geeinigt. Jetzt bleibt abzuwarten, ob nach der Niederlegung der Waffen durch die PKK eine Aussöhnung zwischen den Kurden und der Türkei auch in Syrien gelingt oder die türkische Regierung die militärische Konfrontation in Syrien sucht, was die Stabilität im Land gefährden könnte.

Die Übergangsregierung wird ihre ambitionierte politische Agenda nur bei halbwegs stabilen wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen umsetzen können. Syriens Wirtschaft ist zwischen 2011 und 2018 um jährlich 12 Prozent geschrumpft und befindet sich bei nur noch einem Drittel des Vorkriegsniveaus von 2010. Verglichen mit normalen Bedingungen im gleichen Zeitraum hat Syriens Wirtschaft durch Zerstörung und Produktionsausfall laut Angaben der Weltbank ca. 300 Milliarden USD verloren. Alleine der Wiederaufbau soll nach Schätzungen 250 Milliarden kosten. Die neue Regierung in Damaskus hat die Schulden des Landes auf 20 bis 23 Milliarden USD geschätzt, und das bei einem Bruttoinlandsprodukt von lediglich 17,5 Milliarden. Die Bevölkerung leidet unter einer hohen Inflation und insbesondere unter steigenden Lebensmittelpreisen. Rund 90 % der Syrerinnen und Syrer leben nach UN-Angaben in Armut und 70 % sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Angesichts der Rückkehr hunderttausender Flüchtlinge aus den Nachbarländern (Libanon, Jordanien, Türkei) könnte sich die Situation noch weiter zuspitzen. Nach jahrelanger Armut und Ausgrenzung im Exil hoffen sie auf eine spürbare Verbesserung ihrer Lebenssituation. Viele Syrerinnen und Syrer in Europa machen ihre Rückkehr vom Erfolg der friedlichen Transition abhängig.

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass externe Mächte in alte Muster zurückfallen und ihre Stellvertreter („proxies“) innerhalb Syriens unterstützen. So stehen die Türkei und Katar auf der einen Seite (pro-HTS und pro-türkischer Milizen SNA) und Saudi-Arabien, die VAE und Jordanien eher auf Seiten der säkulareren Kräfte im Süden des Landes. Al-Scharaa hat bereits mehrfach versichert, dass das syrische Beispiel einer islamistischen Machtübernahme keine Bedrohung für die Golf-Monarchien bedeute und Syrien an guten Beziehungen zu diesen Staaten interessiert sei. Die neue Regierung ist auf die Unterstützung der reichen Golfstaaten angewiesen und auf offene Grenzen mit Jordanien, um den Handel zu fördern.

Situation in Syrien 2024. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Neuanfang in Syrien sind denkbar schwierig. Bisher gibt es in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten kein aktuelles Beispiel dafür, dass sich eine radikal-islamistische Kraft nachhaltig zu einem pragmatisch handelnden Akteur gewandelt hat. Aber es gibt zahlreiche repräsentative Fälle, in denen die Transition gescheitert ist:

  • Afghanistan kann trotz seiner salafistischen Ausrichtung kein Vorbild für die neuen Machthaber in Syrien sein. Zwar konnte die Situation im von der HTS verwalteten Idlib als gesellschaftlich konservativ gelten, sie war und ist jedoch in keiner Weise mit dem repressiven Regime der Taliban vergleichbar. Auch eine internationale politische und wirtschaftliche Isolierung steht dem Interesse der neuen Machthaber in Damaskus nach einem wirtschaftlichem Aufschwung entgegen.

  • In Ägypten bekamen die Muslimbrüder nach dem Arabischen Frühling Mitte 2012 bis Mitte 2013 die Chance, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Diese verspielten sie allerdings durch ihre einseitig islamistische Politik und ihre schlechte Regierungsführung. In der Folge verloren sie schnell den Rückhalt in der Bevölkerung, darunter auch in weiten Teilen der sunnitischen Gemeinschaft. Der Sturz von Präsident Mohammad Mursi durch das Militär erfuhr daher breite Unterstützung.

  • Libyen befindet sich seit dem Sturz von Langzeit-Machthaber Muammar Al-Gaddafi (2011) im Bürgerkrieg, der zu einer De-facto-Ost-West-Teilung des Landes geführt hat. Dieses Szenario könnte auch in Syrien eintreten, wenn es nicht gelingt, die verschiedenen Milizen, einschließlich der Kurden, auf die Achtung des staatlichen Gewaltmonopols zu verpflichten und religiöse oder ethnische Rachefeldzüge zu unterbinden.

  • Auf die Entwicklung in Tunesien hat Al-Scharaa selbst verwiesen, als er die Sorge ausdrückte, dass sich nach einem zunächst gelungenen Übergang mit neuer Verfassung und substanziellen Schritten in Richtung Demokratie als Ergebnis von Wahlen wieder eine Diktatur etablieren könnte (Syria in Transition 2025). In Tunesien hat der amtierende Präsident, Kais Saied, nach seiner Wahl 2019 schrittweise ein autokratisches Regime aufgebaut.

Übergangspräsident Al-Scharaa hat das türkische Modell einer pragmatischen, marktwirtschaftlichen Ordnung vor Augen. Die in Idlib unter HTS-Herrschaft erreichten wirtschaftlichen Erfolge, inklusive der Digitalisierung von Serviceleistungen, dienen als Orientierung. Wie die HTS in Idlib gezeigt hat, sind die Regierenden durchaus bereit, Abstriche bei der Umsetzung streng salafistischer Regeln zu machen, besonders wenn es Widerstand aus der Bevölkerung gibt.

Die ersten Maßnahmen der Regierung zeigen offenbar bereits Wirkung. Es herrscht weitegehend Ruhe auf den Straßen, die Brotpreise sind gefallen, der Mindestlohn wurde angehoben, das Syrische Pfund ist gegenüber dem US-Dollar gestiegen. Vieles wird von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung Syriens abhängen und davon, ob die Menschen in absehbarer Zeit von einer Friedensdividende profitieren können. Um soziale Unruhen zu verhindern, drängt die Übergangsregierung auf eine schnelle Umsetzung von wirtschaftlichen Liberalisierungen und auf ein Ende der Sanktionen. Der Erfolg wird letztlich davon abhängen, inwieweit es den neuen Machthabern in Damaskus gelingt, den Übergang zur Sache aller Syrerinnen und Syrer zu machen. Für eine Mehrheit der Bevölkerung war das Ende des Assad-Regimes kein islamistischer Umsturz, sondern eine Revolution.

Schließlich ist in diesem zerstörten und traumatisierten Land die Aufarbeitung der Verbrechen des Assad-Regimes und eine Versöhnung der Gesellschaft ein wichtiges Thema eines friedlichen Übergangs. Dazu gehört die Diskussion im Rahmen einer Übergangsjustiz (Transitional Justice), welche die Balance zwischen Gerechtigkeit und Frieden in Bezug auf die Verfolgung und Bestrafung der Täter und der Aufrechterhaltung und Stärkung des gesellschaftlichen Friedens definieren muss. Mittelfristig steht mit der Verfassungsreform die Erarbeitung eines neuen Gesellschaftsvertrags auf der Tagesordnung. Essenziell wird dabei sein, wen die neue Führung in den Übergangsprozess einbindet, um eine breitere und stabilere Legitimitätsbasis zu schaffen.

Noch weitgehend unbekannte Größen in der komplexen Gleichung einer tragfähigen syrischen Nachkriegsordnung sind die im Land militärisch präsenten Mächte Türkei und USA. Die PKK hat eigene Kader im kurdischen Projekt im Nordosten Syriens und die Türkei betrachtet die PKK als Terrororganisation. Falls Erdogan im eigenen Land eine nationale Aussöhnung mit der PKK gelingt und im Zuge einer solchen Regelung PKK-Kräfte aus Syrien abziehen, könnte dies ein wichtiger Schritt im Rahmen einer Verhandlungslösung sein. Doch die PKK-nahe SDF-Miliz in Syrien hat nach der historischen Erklärung von PKK-Führer Abdulla Öcalan am 27. Februar 2025 erklärt, die Niederlegung der Waffen gelte nicht für sie (Ünlühisarcıklı 2025). Allerdings hatte die kurdische Selbstverwaltung nach dem Sturz Assads erklärt, keine staatliche Unabhängigkeit anzustreben und Teil eines „neuen Syriens“ sein zu wollen. Allerdings gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Integration kurdischer Kämpfer in die neue syrische Armee und ob es im neuen Syrien zu föderalen Strukturen kommen kann.

Die Machtübernahme durch sunnitische Islamisten in Syrien verändert grundlegend die geopolitische Konstellation im Nahen Osten. Der iranisch-schiitische Einflussbereich wurde durch eine „sunnitische Achse“ ersetzt, die von der Türkei durch Syrien bis zur Hamas in den Gaza-Streifen verläuft, und auch die Kräfteverhältnisse im Libanon und im Irak beeinflusst.

Wie sich die USA, die in den Kurdengebieten mit etwa 2.000 Soldaten präsent sind, unter der Präsidentschaft von Donald Trump positionieren werden, ist noch nicht abzusehen. In seiner ersten Amtszeit hatte Trump bereits zwei Mal einen Rückzug angekündigt, was jedoch ohne Konsequenzen geblieben war. Die kurdisch dominierten SDF haben nicht nur maßgeblich den IS bekämpft, sondern bewachen auch das Gefangenenlager Al-Hol, das viele als „Zeitbombe“ beschreiben und in dem 50.000 IS-Kämpfer und deren Familienangehörige interniert sind. Um die kurdischen Kräfte zu schwächen und ihnen die führende Anti-IS-Rolle abzusprechen, versucht die türkische Regierung zusammen mit dem Irak und Jordanien, selbst einen verstärkten Fokus auf die Bekämpfung des IS zu richten. Denn sowohl den USA als auch den Nachbarstaaten ist klar, dass der IS nie ganz besiegt wurde und jedes Machtvakuum zur Widererstarkung nutzen wird.

Deutschland und die Europäische Union haben mit der – zunächst temporären - Aufhebung von Sanktionen gegen Syrien im Februar 2025 einen wichtigen Schritt zur schnellen wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes unternommen. Beteiligung am Wiederaufbau knüpfen westliche Staaten an die Erfolge eines inklusiven Transitionsprozesses, der nun komplett in syrischer Hand liegt und nicht mehr im Rahmen eines UN-Prozesses erfolgt. Allerdings gelten Kernpunkte der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 für westliche Entscheidungsträger weiterhin als Leitlinien für einen Verfassungsprozess sowie die Durchführung freier und fairer Wahlen, wozu die UN dann möglicherweise einen Beitrag leisten könnten. Eine Orientierung wird die UN-Resolution weiterhin geben, da sie auch die territoriale Integrität Syriens, die nationale Souveränität und eine nicht-sektiererische und pluralistische Regierungsführung postuliert.

Deutschland konzentriert sich beim Wiederaufbau auf die Themen Energie, Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, Bildung und Gesundheitswesen. So hat das BMZ eine Klinikpartnerschaft mit syrischen Ärzten in Deutschland und syrischen Krankenhäusern ins Leben gerufen.

Geschichte des Konflikts 2011-2024

Bis zu Beginn der Unruhen Mitte März 2011 glaubten viele Beobachter nicht an eine Revolte in Syrien. Ideologisch stand das Volk, das jahrzehntelang durch eine anti-israelische und panarabische Ideologie beeinflusst wurde, in der Tat näher zum Regime als in den pro-westlichen Autokratien, wie Tunesien oder Ägypten. Doch auch in Syrien hatte sich die Wut über Korruption, Willkürherrschaft und schlechte Lebensbedingungen angestaut. Vor allem war durch die Bilder von mutigen Demonstrationen in Tunesien, Ägypten und Libyen die Angst vor dem Regime geschwunden.

Die syrische Gesellschaft vor dem Krieg war ein buntes Mosaik politischer und religiöser Gruppen. Der Assad-Clan gehört zur Minderheit der Alawiten (ca. 12 %). Auch wenn bei weitem nicht alle Alawiten Assad unterstützten, fürchteten viele nun die Rache konservativer und radikaler Sunniten. Im Jahr 1982 hatte Hafez al-Assad, der Vater und Amtsvorgänger des heutigen Präsidenten, in Hama ein Massaker angerichtet, dem viele Tausend Sunniten zum Opfer gefallen waren. Ziel war die Niederschlagung eines aufflammenden Aufstands der Muslimbrüder.

Die übrigen Minderheiten, wie Christen und Drusen, unterstützten teilweise und zeitweise ebenfalls das säkulare Regime der Baath-Partei, da sie eine Vormacht radikal-islamischer Sunniten fürchteten. Viele Kurden hatten traditionell Probleme mit dem arabischen Zentralstaat der Baathisten. Das Assad-Regime hatte zwar die gemäßigte sunnitische Handelsklasse an sich binden können, doch begann mit dem Aufstand auch diese Allianz zu bröckeln. In den späteren Jahren des Kriegs hatten das Ausmaß an Zerstörung und Leid, die große Angst vor Radikalismus und einer ungewissen Zukunft in Teilen der Bevölkerung den Rückhalt für den Aufstand geschwächt und vorübergehend dem Assad-Regime in die Hände gespielt.

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Dr. Carsten Wieland ist Diplomat, langjähriger Senior UN-Berater, Nahost- und Konfliktexperte. Er ist Associate Fellow am Geneva Centre for Security Policy (GCSP) und Fellow des Middle East Centre am Peace Research Institute Oslo (PRIO). Von 2013 bis 2019 arbeitete er für drei UN-Sondergesandte für Syrien als Senior Expert für die innersyrischen Verhandlungen und Senior Political Advisor. Außerdem arbeitete Wieland im Syrien-Team des Auswärtigen Amtes in Berlin und als Leiter des Deutschen Informationszentrums für die arabische Welt in Kairo, bevor er als Nahost-Berater zur Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag wechselte.