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Sudan | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Sudan

Manfred Öhm

/ 9 Minuten zu lesen

Sudan erlebt nach der Spaltung des Militärregimes im April 2023 den brutalsten Bürgerkrieg seiner Geschichte. Über 10 Mio. Menschen sind auf der Flucht. Eine Lösung der seit den 1970er Jahre andauernden bewaffneten Konflikte ist nicht in Sicht.

Flüchtlinge aus Darfur im März 2024 in einem Camp in Tschad. (© picture-alliance/dpa, MAXPPP)

Aktuelle Konfliktsituation

Mit Beginn des 21. Jahrhunderts ist ein Erstarken ziviler Akteure – v.a. Berufsverbände und junge Menschen – in Sudan zu verzeichnen, die auf eine demokratische Transformation des Landes drängen. Nach dem Putsch gegen Omer al-Bashir im April 2019 und der Einsetzung einer zivilen Übergangsregierung unter Premier Hamdok begann eine hoffnungsvolle, aber nur kurze Phase der politischen Transformation. Das wichtigste Ergebnis war das Friedensabkommen von Dschuba (2020). Es zielt u.a. darauf ab, die politischen und militärischen Kräfte des Landes auf das gemeinsame Ziel einer politischen Transformation zu verpflichten. Die sudanesische Armee behielt jedoch auch in dieser Zeit entscheidenden Einfluss und sicherte sich nach einem erneuten Putsch 2021 wieder die vollständige Macht.

Als die Einigung über die Integration der Rapid Support Force (RSF) in die sudanische Armee scheiterte, begannen im April 2023 Kampfhandlungen in Khartum. Die kampferprobte RSF unter General Hemeti Dagalo konnte zügig Teile der Hauptstadt und mehrere südöstliche Provinzstädte erobern, worauf die sudanesische Armee unter General al-Burhan v.a. mit Luftangriffen und Bombardierungen antwortete. Der von beiden Seiten brutal geführte Bürgerkrieg kostete binnen eines Jahres über 15.000 Menschenleben (ACLED). Laut OCHA sind 13,1 Mio. Menschen auf der Flucht, davon 10,9 Mio. Binnenflüchtlinge. Etwa 25,6 Mio. Menschen sind von Hunger bedroht – das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung. 3,5 Mio. sind allein aus der inzwischen stark zerstörten Hauptstadt geflohen. Die höchste Zahl an Binnenflüchtlingen befindet sich in der westlichen Provinz Darfur (Zahlen vom 1.10.2024).

Darfur erlebt seit dem Frühjahr 2024 eine weitere militärische Eskalation mit verheerenden humanitären Folgen. Im April 2024 hat die RSF in Darfur massive Gräueltaten, insbesondere an der Bevölkerungsgruppe der Masalit, verübt. Wenn der RSF die Einnahme von El Fasher, der Hauptstadt von Norddarfur, gelingt, sind viele Opfer in der Zivilbevölkerung zu befürchten. Seit September 2024 intensivieren sich die Kampfhandlungen an verschiedenen Fronten. Aktuell hat die sudanesische Armee, möglicherweise mit ägyptischer Unterstützung, eine Großoffensive begonnen und offensichtlich in Khartum sowie in den südöstlichen Provinzen des Landes Gebiete zurückerobert.

Es gibt immerhin einige politische Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppen, die versuchen, auf die Kriegsparteien einzuwirken. So formte sich bereits im Oktober 2023 die „Sudanese Coordination of Civil Democratic Forces „Tagaddum“ („Fortschritt“) um den ehemaligen Premierminister Hamdok, die sich für Frieden und eine zivile Regierung in Sudan einsetzt. In der gegenwärtigen, von einer brutalen militärischen Ausscheidungslogik bestimmten Situation gelingt es der Allianz derzeit jedoch nicht, überzeugende und mehrheitsfähige Zukunftsvorstellungen für einen friedlichen oder gar demokratischen Sudan zu entwickeln.

Ursachen und Hintergründe

Seit der Unabhängigkeit des Sudan 1956 werden die internen Konflikte und Kriege entlang dreier großer Konfliktlinien ausgetragen: Im ersten Konflikt stehen sich auf der einen Seite die Kräfte des Regimes, das von der „Islamischen Bewegung“ und dem Militär getragenen wird, und auf der anderen Seite die traditionellen politischen Eliten sowie zivilgesellschaftliche und demokratische Akteure gegenüber. Die traditionellen Eliten sind mit den beiden großen gemäßigten religiösen Sekten der Umma und der Khatmiyya verbunden. Der Machtkonflikt wurde vor allem durch die Islamisierung des politischen Lebens und die Einführung des islamischen Strafrechts (Scharia) seit 1983 verschärft. Die zweite Konfliktlinie verläuft zwischen den Eliten in Khartum und den Regionen des Landes. Besonders Darfur, Süd-Kordofan (Nubaberge) sowie der Süd- und der Ostsudan sind von der extremen ökonomischen und politischen Benachteiligung und Marginalisierung betroffen.

Der dritte Konflikt besteht zwischen den besitzenden Schichten und der großen Mehrheit der Bevölkerung. Während in Khartum und anderen größeren Städten eine Mischung aus urbanen Brotunruhen und politischem Protest vorherrscht, besteht in den Regionen eine komplexe Gemengelage. Dort wird der Zentrum-Peripherie-Konflikt von vielfältigen Landnutzungskonflikten zwischen viehzüchtenden Nomaden und sesshaften Ackerbauern überlagert, die sich infolge langer Dürreperioden und zunehmender Desertifikation seit Mitte der 1980er Jahre massiv verschärft haben. Die politische und sozio-ökonomische Ausgrenzung breiter Bevölkerungsgruppen wird durch die Auswirkungen des globalen Klimawandels noch zusätzlich verschärft.

In den drei Konflikten geht es um die Teilhabe an den wirtschaftlichen Ressourcen des Landes. Die vorherrschende Rentenökonomie begünstigt die Kräfte des Regimes, die weiterhin die Ausbeutung und Verwertung der Öl- und Goldvorkommen kontrollieren. Besonders der Beginn der Ölförderung in Sudan in den 2000er Jahren verschaffte dem Regime eine starke wirtschaftliche Basis. Die traditionellen Eliten in den Regionen, die Protestbewegungen und Rebellengruppen fordern einen gerechten Anteil an den Einnahmen. Besonders die Rebellengruppen finanzieren sich aus der langjährigen humanitären Hilfe aus dem Ausland, die die Situation in den von ihnen gehaltenen Gebieten stabilisiert, wodurch sich die Konflikte verlängern.

In den Protesten von 2018 und 2019, die maßgeblich von den Berufsgenossenschaften getragen wurden, bildete sich ein prekäres Bündnis zwischen verschiedenen Konfliktparteien in der Hauptstadt und den Regionen heraus, das den Sturz des langjährigen Diktators Omer al-Bashir am 11. April 2019 durch die eigenen Armee und die RSF ermöglichte. Doch wandten sich die Streitkräfte schnell wieder gegen die zivilen Reformkräfte. Armee und RSF gingen mit massiver Gewalt gegen die Demonstranten vor. Bei dem „Massaker von Khartum“ am 3. Juni 2019 wurden mindestens 70 Zivilisten ermordet. Um die Situation zu beruhigen, setzte das Putschregime eine zivile Regierung unter Premierminister Abdalla Hamdok ein. Doch de facto wurde die Regierung weiterhin vom Militär kontrolliert, das 2021 erneut gegen Hamdok putschte.

Nach dem Ausbruch der Kämpfe in Khartum hatten es die unterschiedlichen bewaffneten Gruppen in Darfur lange geschafft, größere Kriegshandlungen abzuwenden, in dem sie sich mit der Unterstützung traditioneller Führer gegen die RSF zusammenschlossen. Nach dem Bruch des Bündnisses im Frühjahr 2024 kam es zu abscheulichen Massakern der RSF an der Zivilbevölkerung. Das Wüten der RSF führte zu einer ungewöhnlichen Allianz mehrerer darfurischer Rebellengruppen und der sudanesischen Armee, die sich noch vor wenigen Jahren erbittert bekämpft hatten, um die norddarfurischen Stadt El Fasher gegen die RSF zu verteidigen. Doch auch die Bombardierung der Stadt durch die SAF (Sudanese Armed Forces, Streitkräfte des Sudan) forderte große zivile Opfer.

In der internationalen Berichterstattung wird oft vereinfacht ein Bild vom „Krieg zweier Generäle“ gezeichnet. Beide Seiten sind primär Gewaltakteure, die versuchen, ihre wirtschaftlichen und militärischen Interessen durchzusetzen. Da es jedoch bisher keiner Seite gelang, sich durchzusetzen, ist eine Pattsituation entstanden, in der beide Seiten nur noch eingeschränkte Kontrolle über ihre Truppen haben. Unabhängig davon, welche Seite sich durchsetzen wird, stehen die Zeichen auf Wiederherstellung eines autoritären Regimes, das sich auf die islamische Bewegung stützt.

Internationale Akteure sehen gleichwohl die Notwendigkeit, mit beiden Seiten zu verhandeln, um einen Waffenstillstand oder möglichst sogar einen Friedensschluss zu erreichen. Sudanesische zivile Akteure – wie Tagaddum – wollen dagegen Vertreter des alten Regimes von Friedensverhandlungen ausschließen, weil diese sich gegen den demokratischen Übergang des Sudan stellen und zur Erreichung ihrer Ziele nicht vor Kriegsverbrechen und Völkermord zurückschrecken.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Nach dem Sturz von Diktator al-Bashir und der Einsetzung einer zivilen Regierung wurde nach schwierigen Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat am 31. Dezember 2020 mit der Resolution 2524 die UNITAMS (United Nations Integrated Transition Assistance Mission) als zivile Nachfolgemission der UNAMID ab 2021 beschlossen. Der sudanesische Premier Hamdok und die zivilen Kräfte seiner Regierung hatten sich hingegen für eine robustere Mission, d.h. mit mehr militärischen Fähigkeiten und weitreichenderen Befugnissen, v.a. zum Schutz der Zivilbevölkerung, ausgesprochen. Der Schutz der Zivilbevölkerung in Darfur wie im gesamten Sudan, zuletzt eine Kernaufgabe der UNAMID, ging damit in die Verantwortung der sudanesischen Regierung über.

Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges 2023 konnte die UNITAMS ihre Tätigkeit kaum mehr vernünftig ausüben, und die rund 300 Missionsmitarbeiter mussten ihre Tätigkeit nach Port Sudan und in die Nachbarländer verlagern. Ende November 2023 bat der Sudan um die sofortige Beendigung der Mission UNITAMS. Mit der Sicherheitsratsresolution 2715 vom 1.12.2023 wurde das Mandat der UNITAMS schließlich aufgehoben und ihre Tätigkeit im Februar 2024 beendet, nachdem kurz zuvor der deutsche Missionsleiter Volker Perthes zur unerwünschten Person in Sudan erklärt worden war.

Vermittlungsbemühungen, insbesondere der Regionalorganisation IGAD (Intergovernmental Authority on Development) sowie der Afrikanischen Union und der UNO, führten zu einer Vielzahl von Konfliktlösungsversuchen. Der letzte immerhin zeitweise erfolgreiche Versuch, eine politische Einigung in Sudan herzustellen, war der Friedensschluss von Dschuba im Oktober 2020, der allerdings nur von einem Teil der darfurischen Rebellengruppen unterzeichnet wurde. Die Vereinbarung wurde u.a. von der militärisch stärksten darfurischen SLM/A unter Führung von Abdel-Wahid al Nur abgelehnt – nicht zuletzt, weil General Hemeti damals auf Regierungsseite verhandelt hatte.

Der Krieg in Sudan findet angesichts vieler anderer Krisen international kaum Aufmerksamkeit, obwohl es sich wohl um eine der größten humanitären Notlagen der Welt handelt. Anstrengungen für einen Waffenstilland verlaufen aktuell sehr stockend. Die Konfliktparteien werden von verschiedenen Staaten unterstützt, was eine Lösung verkompliziert. Dabei spielt der Kampf um die Vormachtstellung in der Region eine wichtige Rolle. Während die RSF Unterstützung von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Russland erhält, wird die SAF u.a. von Ägypten, Qatar und dem Iran unterstützt. Friedensgespräche im Februar 2024 in Bahrain blieben erfolglos. Zu den jüngsten Verhandlungen in Genf (August 2024) ist die SAF nicht einmal angereist. Angesichts der desaströsen humanitären Lage in Sudan setzen sich mittlerweile Ägypten, Saudi-Arabien und die VAE gemeinsam mit den USA für eine Lösung des Konfliktes ein.

Geschichte des Konflikts

Der unabhängige Staat Sudan war zunächst von einem Süd-Nord-Konflikt geprägt, der in zwei für die Zivilbevölkerung desaströsen Bürgerkriegen ausgetragen wurde, von 1955 bis 1972 und von 1983 bis 2005. Beide Kriege waren einerseits ein nationaler Emanzipationskonflikt des afrikanisch geprägten Südens gegen den arabischen Norden und andererseits ein Identitätskonflikt um das Selbstverständnis des sudanesischen Staates. Erdölfunde im Südsudan verschärften den Konflikt massiv. Das Comprehensive Peace Agreement (CPA) von 2005 zwischen der sudanesischen Regierung in Khartum und der Sudan People‘s Liberation Movement/Army unter Führung von John Garang und die 2011 erreichte Unabhängigkeit des Südsudan waren politische Zäsuren.

Seit den 1970er Jahren war Sudan geprägt vom zunehmenden Einfluss der Muslimbruderschaft und des politischen Islam, der den Putsch durch General Omer al-Bashir 1989 ermöglichte. Unter seiner Herrschaft verschärften sich langjährige Zentrum-Peripherie Konflikte zwischen dem Zentrum um Khartum und den marginalisierten Regionen. In allen Regionen formierten sich politische und militärische Oppositions- und Widerstandsgruppen.

Der größte Konflikt ist der bereits seit 2003 andauernde Bürgerkrieg in Darfur (Westsudan). Auf die Attacken der zwei wichtigsten Rebellenbewegungen SLM/A und JEM reagierte die sudanesische Regierung mit Luftangriffen und dem Aufbau von relativ eigenständig agierenden Milizen, den sogenannten Dschandschawid. Angesichts schwerster Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen erlangte der Darfurkrieg große internationale Aufmerksamkeit. 2005 wurde der Internationale Strafgerichtshof (ICC) mit der Verfolgung der Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsverletzungen beauftragt, der mehrere Haftbefehle erließ, u.a. gegen Präsident al-Bashir. Der Chefankläger in Den Haag ist auch im aktuellen Bürgerkrieg eine wichtige und mahnende Stimme.

Das politische und kriegerische Geschehen in Sudan war 35 Jahre lang von der massiven Präsenz von Friedenstruppen der Vereinten Nationen und humanitären Operationen geprägt – erst von der sogenannten Operation Lifeline Sudan (dt. Aktion Überlebensbrücke Sudan), dann von mehreren Blauhelmmissionen. Mit der Kombination aus Friedensgesprächen und Friedensmissionen konnten die Bürgerkriege jedoch bislang nicht beendet werden. Regelungen scheiterten immer wieder an der Zerstrittenheit der Rebellengruppen und der Obstruktion seitens der sudanesischen Regierung, aber auch an der mangelnden Koordination der internationalen Akteure.

Mit dem Ende der UNITAMS-Mission 2023 ist diese Phase multilateralen Engagements im Sudan vorbei. Die neue „Post-UNO-Realität“ ist gekennzeichnet von einer Regionalisierung des politischen Geschehens, in der arabische und afrikanische Anrainerstaaten ebenso wie die Afrikanische Union versuchen, die regionale Friedensordnung aufrecht zu erhalten.

Weitere Inhalte

Manfred Öhm, geb. 1970, Politikwissenschaftler, Dr. phil. der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (2013), B.A. Honors der University of Cape Town South Africa (1995), seit 2003 Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung, u.a. in Sudan und Mosambik und als Referatsleiter Afrika. Seit 2021 Abteilungsleiter für Finanzen und Organisation der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Forschungsschwerpunkte: ethnische Konflikte in Afrika, zivile Konfliktbearbeitung, afrikanische Sicherheitsstrukturen, politische Transformationsprozesse. Regionale Schwerpunkte südliches Afrika und Sudan/Horn von Afrika.