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Somalia | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Somalia

Dominik Balthasar

/ 9 Minuten zu lesen

Trotz zahlreicher Bemühungen bleibt die Situation in Somalia äußerst angespannt. Der Staat am Horn von Afrika gehört zu den fragilsten weltweit.

Somalische Soldaten am Ort eines Selbstmordattentats mit einer Autobombe in der Nähe des Hafens von Mogadischu, 04.07.2020. (© picture-alliance/AP, Farah Abdi Warsameh)

Aktuelle Konfliktsituation

Die vorsichtigen Hoffnungen auf eine politische Stabilisierung nach der Wahl von Hassan Scheikh Mahamoud zum somalischen Präsidenten im Mai 2022 sind verflogen. In seiner ersten Amtszeit von 2012 bis 2017 war es Mahamoud u.a. gelungen, Vereinbarungen über nationale Aussöhnung mit mehreren Regionalregierungen und führenden Klan-Vertretern zu schließen. Militärische Erfolge gegen die Terrormiliz al-Shabaab zu Beginn seiner zweiten Amtszeit schienen die in ihn gesetzten Erwartungen zu bestätigen. Im Schulterschluss mit den Selbstverteidigungsmilizen „Macawisley“, die sich in den Regionen Lower Shabelle und Hiiraan seit 2021 gegen die Extremisten und ihre Zwangsabgaben zur Wehr setzten, war die somalische Armee im August 2022 in die Offensive gegangen. Allerdings waren die Erfolge begrenzt, auch weil al-Shabaab zu einer Guerilla-Taktik wechselte.

Inzwischen drohen wachsende politische Spannungen die Errungenschaften zunichte zu machen. Der Grund dafür sind die zunehmenden Rivalitäten zwischen den verschiedenen Machtzentren im Land. An erster Stelle sind die gemäßigten islamistischen Bewegungen zu nennen, die nicht nur das religiöse Leben, sondern durch die Gründung eigener Parteien auch das politische Leben dominieren. Die einflussreichste Gruppierung ist gegenwärtig die mit den ägyptischen Muslimbrüdern verbundene al-Islah, mit der Präsident Mahamoud über die Splittergruppe Damul Jadiid eng assoziiert ist. Sein stärkster Widersacher ist der ehemalige Präsident Mohamed Abdullahi Farmaajo (2017-2022), der die politische Partei und Bewegung „Nabad iyo Nolol“ („Frieden und Leben“) anführt.

Diese Rivalitäten befördern Spannungen und Verwerfungen zwischen der Zentralregierung und verschiedenen Regionaladministrationen. Exemplarisch dafür ist der Konflikt zwischen der Regierung in Mogadischu und dem Bundesstaat Puntland in Nordsomalia. Die Auseinandersetzungen entzündeten sich an dem Ansinnen der Zentralregierung, das klanbasierte indirekte Wahlsystem per Verfassungsänderung durch ein direktes Stimmrecht zu ersetzen. In der Folge boykottierte Puntlands Präsident Said Abdullahi Deni die Kooperation mit der Zentralregierung. Die Differenzen wurden durch politisch motivierte Personalentscheidungen seitens der Bundesregierung (z.B. Ernennung des obersten Polizeichefs von Puntland) noch verstärkt und befeuern ihrerseits Klanrivalitäten. Dies zeigt sich beispielsweise im zentral gelegenen Bundesstaat Galgaduud, wo sich die Klans Darood/Marehan und die Dir im Kampf um Wasser und Land und zuletzt auch um die Kontrolle des Flughafens in Abduwak gegenüberstanden.

Die politischen Verwerfungen auf Bundesebene haben ihren Ursprung teils in historischen Klanrivalitäten, teils in den gravierenden Herausforderungen, mit denen sich die Bundesstaaten konfrontiert sehen. So sind in Puntland die jüngst aufgebauten demokratischen Strukturen ins Wanken geraten. Nachdem im Mai 2023 unter groβen Sicherheitsbedenken die ersten allgemeinen Wahlen auf kommunaler Ebene abgehalten worden waren, führte die Einführung eines Mehrparteiensystems zum Jahresende 2023 zu massiven Spannungen. Am 8. Januar 2024 setzte sich dann der amtierende Präsident Said Abdullahi Deni gegen seinen Konkurrenten Guled Salah Barre durch und verkündete seinerseits eine militärische Offensive gegen den mit den jemenitischen Houthi Rebellen verbündeten „Islamischen Staat“ in Somalia.

Auch im de facto seit 1991 unabhängigen Somaliland ganz im Norden mehren sich Spannungen und autokratische Tendenzen. In der Region um die Stadt Lasanod im Grenzgebiet zu Puntland wurden bei Kämpfen zwischen der Armee und den Khaatumo-Milizen rund 5.000 Menschen verletzt oder getötet und zeitweise bis zu 180.000 Menschen vertrieben. Die Auseinandersetzungen wurden am 25. August 2023 durch den Sieg der Milizen über die Armee des Somalilands vorläufig beendet. Der langjährige Konflikt gründet in konkurrierenden Gebietsansprüchen von Somaliland, Puntland und den Khaatumo-Milizen auf Teile der Regionen Sool, Sanaag und Cayn („SSC“).

Derweil haben sich in Somaliland die zahlenmäßig dominanten Dir/Isaaq nach und nach den Löwenteil der Regierungsmacht angeeignet – ein Umstand der von Angehörigen anderer Klangruppen vor dem Hintergrund einer ursprünglich ausgewogeneren Machtverteilung zwischen den Klans massiv kritisiert wird. Gleichwohl setzt Somaliland seinen demokratischen Kurs fort. Beleg dafür ist ein weiterer friedlicher Machtwechsel im Präsidentenamt. Bei den Präsidentschaftswahlen im November 2024 wurde Oppositionsführer Abdirahman Mohamed Abdullahi ‚Irro‘ von der Waddani Partei mit 60 % der Stimmen gewählt.

Ursachen und Hintergründe

Seit dem Kollaps des Zentralstaats 1991 tobt in Somalia ein erbitterter Kampf um die politische und wirtschaftliche Macht. Während in den 1990er Jahren vornehmlich Kriegsherren mithilfe ihrer Klan-Milizen Führungsansprüche anmeldeten, steht seit Mitte der 2000er der Kampf gegen extremistische Islamisten im Mittelpunkt. Verschiedene islamistische Gruppen, wie die „Union der Islamischen Gerichtshöfe“ (UIC), vermochten ihren Einfluss immer wieder zu erweitern, indem sie sich die wiederkehrenden Rivalitäten zwischen diversen Klans und politischen Fraktionen zunutze machten und den Islam als übergeordnetes Identitätsmerkmal aller Somalier betonten. Nach dem die UIC im Jahr 2006 von intervenierenden äthiopischen Streitkräften zerschlagen wurden, etablierte sich die islamistische al-Shabaab als schlagkräftigste Miliz. Die mit al-Qaida verbundene Gruppierung agierte zwischen 2009 und 2011 in weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias sogar als De-facto-Regierung.

Während der Hungersnot von 2011, die nicht zuletzt aufgrund der Verhinderung humanitärer Hilfsleistungen durch die al-Shabaab-Milizen rund 260.000 Menschenleben kostete, verlor die Miliz massiv an Rückhalt in der Bevölkerung. Die militärische Offensive der African Union Mission in Somalia (AMISOM) zwischen August 2011 und Februar 2012 verdrängte al-Shabaab aus der Hauptstadt und aus weiteren wichtigen Städten. Dennoch konnte die Gruppierung auch in den Folgejahren weite Landesteile kontrollieren – nicht zuletzt aufgrund des Unvermögens der politischen Eliten, auf nationaler und regionaler Ebene leistungsfähige Regierungsinstitutionen aufzubauen und das staatliche Machtmonopol auszuüben. Heute dominiert al-Shabaab insbesondere in der südlichen Landeshälfte, verübt aber nach wie vor auch landesweit Anschläge. Bei einem Autobombenanschlag auf das somalische Bildungsministerium am 29. Oktober 2022 kamen 120 Menschen ums Leben und 300 wurden verletzt. Auch im benachbarten Kenia verüben die Extremisten immer wieder Anschläge.

Konfliktverschärfend wirkt sich die desolate wirtschaftliche und soziale Situation aus. Somalia gehört mit einem Bruttoinlandsprodukt von rd. 730 US$ pro Einwohner (2023) zu den ärmsten Ländern der Welt. Das Wirtschaftswachstum von jährlich rd. 2 % bleibt sogar hinter dem Bevölkerungswachstum zurück. 2022 rangierte das Land mit einem Index von 0,380 für den Grad menschlicher Entwicklung (HDI) nach dem Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik auf dem letzten Platz. Im selben Jahr lebten schätzungsweise 54 % Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. In der nomadischen Bevölkerung ist die Armut besonders hoch. Die Erwerbsquote ist niedrig und der Unterschied zwischen den Geschlechtern erheblich. Nur ein Drittel der Männer und 12 % der Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt tätig. Ein Großteil der Somalier ist auf Geldüberweisungen von Verwandten im Ausland angewiesen.

Insbesondere Zentral- und Südsomalia wurden in den vergangenen Jahren wiederholt von massiven Dürreperioden und Überschwemmungen heimgesucht, welche die humanitäre Not im Land weiter zuspitzten. Die Dürre von 2022 betraf ungefähr 7,8 Mio. Menschen; das ist rund die Hälfte der Bevölkerung. In der Folge waren im Frühjahr 2023 fast fünf Millionen Menschen von Nahrungsmittelknappheit betroffen. Überschwemmungen im Herbst 2023 in weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias hatten die Flucht Hunderttausender Menschen und die Zerstörung von Verkehrswegen, Häusern und Ernten zur Folge. Aktuell gibt es in Somalia fast vier Millionen Binnenvertriebene.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Konzeptionell verfolgt die internationale Gemeinschaft bereits seit den 1990er Jahren einen „Baukasten-Ansatz“ („building blocks approach“) (Ali-Dinar 1999). Der Ansatz betrachtet die Formierung von Somaliland und Puntland aufgrund ihrer relativen politischen Stabilität und friedlichen Entwicklung als Vorbild für die schrittweisen Prozess der Staatsbildung im gesamten Land. Nach und nach sollen in weiteren Regionen regionalstaatliche Institutionen aufgebaut werden, die von der Bevölkerung unterstützt werden und eine realistische Alternative zu den Partikularinteressen der Klan-Ältesten und Kriegsherren bieten. Das Ziel ist der schrittweise Aufbau einer föderalen oder sogar konföderalen Staatsform, etwa nach dem Vorbild der Vereinigten Arabischen Emirate.

Kritiker verweisen jedoch darauf, dass eine solche Dezentralisierung des politischen Systems in weiten Teilen des Landes die Macht der größten Klans zementieren könnte. Diese Kritik ist nicht gänzlich unbegründet, denn mit Somaliland und Puntland bestehen bereits zwei politische Gebilde, die einerseits von der Isaaq/Dir-Klanfamilie und andererseits den Harti/Darod dominiert werden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass auch andere Klans entsprechende Gebiets- und Machtansprüche verfolgen. So könnten die Regionen Bay und Bakool sowie Teile von Lower Shabelle von den Rahenweyne (Merifle und Digil) beansprucht werden; Jubaland würde von Mitgliedern des Darod-Klans dominiert; und Zentralsomalia, das auch Benadir umfasst, würde von den Hawiye reklamiert. Mogadischu, sofern es nationale Hauptstadt bliebe, würde allerdings weiterhin separat verwaltet werden (ebenda).

Die ursprünglich für 2020 vorgesehene Einführung der landesweiten Direktwahl der Abgeordneten konnte wegen des Widerstands der Klan-Führer nicht realisiert werden. Die Abgeordneten des Parlaments werden deshalb weiterhin von Wahlgremien ernannt, deren Zusammensetzung von den Klan-Ältesten bestimmt wird. Obgleich 2020 die Bildung politischer Parteien zugelassen wurde – und sich bis zu den Parlamentswahlen 2021 insgesamt 110 Parteien registrieren ließen – bleibt so weiterhin die Klan-Zugehörigkeit für die Ernennung der Abgeordneten ausschlaggebend.

Bei der Umsetzung ihrer Friedensbemühungen wurde und wird die somalische Regierung von der UNO, der Afrikanischen Union und der Regionalorganisation IGAD unterstützt. Seit 2011 sind Friedensmissionen der Afrikanischen Union in Somalia präsent. Nachdem im April 2022 die African Union Mission in Somalia (AMISOM) in die African Transition Mission to Somalia (ATMIS) umgewandelt wurde, steht für Dezember 2024 der Abzug Friedenstruppe an. Die Mission soll durch die African Union Support Mission in Somalia (AUSOM) ersetzt werden, an der sich erstmals auch Ägypten beteiligt. Die äthiopische Regierung sieht darin eine Parteinahme Ägyptens in ihrem Streit mit der somalischen Führung.

Mit Blick auf die Finanzierung des Staatshaushaltes und den Aufbau von staatlichen und Verwaltungsinstitutionen sind regionale und internationale Akteure von zentraler Bedeutung. Somalia erhält jährlich zwischen zwei und drei Mrd. US$ an öffentlicher Entwicklungshilfe. 70 % des Staatshaushalts werden von externen Geberzuschüssen gedeckt, die allerdings größtenteils in den Sicherheitssektor fließen. Für dringend nötige humanitäre, soziale und investive Ausgaben fehlen die Mittel.

Geschichte des Konflikts

Nachdem das britische Protektorat Somaliland und die italienische Kolonie Somalia 1960 ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, vereinigten sie sich zur Republik Somalia. Die parlamentarische Demokratie endete in Korruption und Nepotismus und führte 1969 zum Putsch von General Siad Barre, der eine sozialistische Fortschrittsdiktatur etablierte. Um die in den Nachbarländern lebenden Somali „zu befreien“ und ein „Groß-Somalia“ zu etablieren, griff Somalia 1977 Äthiopien an. Als Reaktion entzog die Sowjetunion der somalischen Regierung die Unterstützung, woraufhin sich diese den USA zuwandte. Es folgte einer der größten Stellvertreterkriege des Kalten Krieges, der mit der Niederlage Somalias (1978) endete. Um sich der bewaffneten Oppositionsbewegungen zu erwehren, sicherte Barre seine Macht mithilfe einer Allianz aus verschiedenen Darood-Klans und westlicher Unterstützung.

Der Guerillakrieg gegen das Barre-Regime eskalierte 1988 und führte drei Jahre später zum Regierungssturz. Im nachfolgenden Bürgerkrieg versuchten verschiedene Klan-Gruppen, die Macht an sich zu reißen. Da sich das in Nordsomalia vorherrschende Somali National Movement (SNM) politisch übergangen fühlte, erklärte sie den Vereinigungsvertrag für nichtig und rief 1991 die Unabhängigkeit der Republik Somaliland aus. Das international nicht anerkannte, aber vergleichsweise stabile Staatsgebilde gilt – trotz aller Probleme – als Musterbeispiel für Frieden und Wiederaufbau.

Im Gegensatz dazu dauerte der Bürgerkrieg in Süd- und Zentralsomalia an. Dürre, Krieg und Staatszerfall kosteten 1991/92 rund 300.000 Menschen das Leben. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurden viele Gebiete von Warlords oder Ältesten kontrolliert; insgesamt nahm das Ausmaß der Gewalt jedoch allmählich ab. Auf der Arta-Konferenz in Dschibuti (1999-2000) wurde mit Unterstützung der UNO eine erste „Nationale Übergangsregierung“ (TNG) unter Abdiqassim Salad Hassan etabliert, die jedoch weitgehend machtlos blieb. Einer weiteren „Friedenskonferenz“ in Kenia (2002-04) entsprang die erste „Föderale Übergangsregierung“ (TFG) unter Abdullahi Yusuf.

Doch galt diese Regierung als von Mitgliedern des Darood-Klans dominiert und von Äthiopien gesteuert, weshalb einflussreiche Mitglieder des Hawiye-Klans und Islamisten sie ablehnten. Ab 2008 versuchte die internationale Gemeinschaft mit der Unterstützung der Wahl Sheikh Sharif Ahmeds zum Präsidenten, die islamistische Opposition zu schwächen. Doch die in ihn gesetzten Hoffnungen wurden angesichts politischer Stagnation und weiter grassierender Korruption enttäuscht.

Im Jahr 2012 gab sich Somalia eine neue (provisorische) Verfassung und aufgrund militärischer Erfolge gegen die al-Shabaab-Milizen konnte im selben Jahr eine gemeinsame somalische Regierung gewählt werden – die erste international anerkannte seit dem Sturz des Siad Barre Regimes anno 1991. Die Regierung läutete einen Föderalisierungsprozess ein, in dessen Verlauf sich neben Somaliland und Puntland vier weitere Bundesstaaten (Galmudug, Hirshabelle, Jubaland, Südweststaat) herausbildeten.

Weitere Inhalte

Dominik Balthasar, geb. 1980, ist seit April 2024 Associate Professor und Direktor des Entwicklungsprogramms am Asian Institute of Management in Manila, Philippinen. Zuvor war er als Sektorökonom für Frieden und Fragilität bei der KfW Entwicklungsbank und als Senior Researcher der Schweizer Friedensstiftung swisspeace tätig. Diesen Anstellungen waren sowohl Engagements bei verschiedenen Think Tanks in Europa, den USA, und Afrika als auch diverse Beratertätigkeiten für die Vereinten Nationen, Weltbank und andere Organisationen der internationalen Zusammenarbeit vorausgegangen. Balthasar wurde an der London School of Economics and Political Science promoviert.