Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Mexiko | Kriege und Konflikte | bpb.de

Kriege und Konflikte Geschichte, Definition, Tendenzen Einführung: Paradigmenwechsel im Umgang mit gewaltsamen Konflikten? Definition von Konflikten Ethnopolitische Konflikte Konflikte und Klimawandel ­Formen und Typen von Konflikten Konzepte und Methoden Ideologie und Konflikt Religionskonflikte Ressourcenkonflikte Geschichte innerstaatlicher Konflikte Innerstaatliche Kriege seit 1945 Innerstaatliche Konflikte seit 1989 Internationale Politik Einführung: Zwischen Interessenpolitik und Peacebuilding Die Politik der USA gegenüber innerstaatlichen und regionalen Konflikten Russland und innerstaatliche Konflikte Deutschlands Interessen, Strategien und Politik im Umgang mit innerstaatlichen Konflikten UNO Regionalorganisationen EU und innerstaatliche Konflikte Völkerrecht Zivilgesellschaftliche Akteure Krise des Multilateralismus Handlungsmöglichkeiten der internationalen Gemeinschaft Konflikte seit 1990 Fragile Staatlichkeit Veränderte Konflikte Friedensmissionen Themengrafik: Der Internationale Strafgerichtshof Konfliktporträts Einführung Afghanistan Ägypten Äthiopien Algerien Belarus Berg-Karabach Birma/Myanmar Burkina Faso Burundi China - Tibet China - Xinjiang El Salvador Georgien Haiti Honduras Indien ­Irak ­Jemen Kamerun Kaschmir Kongo Kurdenkonflikt Libanon Libyen Mali Mexiko Nahost Nigeria Nordkaukasus Pakistan Philippinen - Bangsamoro Simbabwe Somalia Sudan Südsudan Süd-Thailand Syrien Tadschikistan Tschad Tunesien Ukraine Venezuela Zentralafrikanische Republik Konfliktbearbeitung Einführung Bildungsarbeit und Friedenserziehung Demokratisierung Entwicklungszusammenarbeit Evaluierung von Friedensprozessen Geheimdienste Gendersensible Konfliktbearbeitung Identitätsarbeit und -politik Institutionenaufbau Konfliktsensibler Journalismus Menschenrechtsarbeit Militärische Interventionen Nothilfe Prävention Reformen im Sicherheitssektor Sanktionen Schutzbegleitung Traumaarbeit Vergangenheitsarbeit Verhandlungen Versöhnung Ziviler Friedensdienst Friedensprozesse in Post-Konfliktgesellschaften Einführung: Friedensförderung in Zeiten des Weltordnungskonflikts Friedenskonsolidierung Aceh Baskenland Bosnien-Herzegowina Guatemala Kambodscha ­Kolumbien ­Kosovo ­Nordmazedonien Mosambik Namibia Nicaragua Nordirland Nord-Uganda Sierra Leone Südafrika Analysen Sahel-Zone: Deutschland und die EU Sahel: Ursachen der Gewalteskalation Sahel: Implikationen und Folgen der Corona-Krise Die Türkei im Nahen Osten "Neue Türkei" – neue Außen- und Nahost-Politik? Der regionale Aufstieg der Kurden Regionale Brennpunkte Post-sowjetischer Raum Meinung: Deutsch-ukrainische Beziehungen im Schatten Moskaus Standpunkt: Nur Gegenmachtbildung zähmt revisionistische Mächte Standpunkt: Neutralität als Option Standpunkt: Hätte der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verhindert werden können? Ukraine-Krieg: Szenarien Netzwerke im postsowjetischen Raum Verschleppte Konflikte und hybride Staatlichkeit Historische Ursachen und Hintergründe Russland als dominante Regionalmacht Der Einfluss externer Mächte Mittelamerika Mittelamerika: regionale Akteure Mittelamerika: Konfliktursachen Mittelamerika: Regionale Ansätze der Konfliktbearbeitung und -lösung Mittelamerika: Einfluss und Rolle der organisierten Kriminalität Nördliches Afrika Regionale Ansätze für eine konstruktive Konfliktbearbeitung und -lösung Einfluss und Rolle des Islamismus Regionale Zusammenhänge und Wechselwirkungen aus historischer Perspektive Geostrategische, politische und sozio-ökonomische Interessen und Strategien regionaler Akteure Zentralasiatische Region Geostrategische, politische und sozio-ökonomische Interessen und Strategien regionaler Akteure Historische Ursachen und Hintergründe der regionalen Konflikte Einfluss und Rolle des Islamismus Arabischer Raum Einfluss und Rolle des Islamismus und dschihadistischen Terrorismus Geostrategische, politische und sozio-ökonomische Interessen und Strategien regionaler Akteure Regionale Konflikte aus historischer Perspektive Der Syrien-Konflikt und die Regionalmächte Ursachen und Hintergründe der Krisen und Umbrüche in der arabischen Welt Krisen und ihre Folgen Debatten Meinung: Föderative Strukturen in einem israelisch-palästinensischen Staatenbund sind die bessere Alternative Meinung: Die Zweistaatenlösung nicht vorschnell über Bord werfen Meinung: Das Völkerrecht und der Berg-Karabach-Konflikt Meinung: Berg-Karabach und die Grenzen des Selbstbestimmungsrechts Meinung: Die Afghanistan-Mission des Westens - vermeidbares Scheitern? Meinung: Afghanistan – Mission 2001 – 2021: Vermeidbares Scheitern? Meinung: Die Kurden: Partner – und Opfer westlicher Großmachtsinteressen Meinung: Die Kurden in Syrien – wie immer zwischen allen Stühlen Meinung: Managen, was nicht lösbar ist – Zum Umgang mit vertrackten Konflikten Meinung: Krisen dulden keinen Aufschub – auf die richtigen Instrumente kommt es an Meinung: Der Westen trägt eine Mitverantwortung für die Ukraine-Krise Meinung: Die Ukraine-Krise hätte verhindert werden können Meinung: Staatsaufbau in Afghanistan. Das Ende der Illusionen? Meinung: Die NATO in Afghanistan. Erst politisch gescheitert, dann militärisch verloren Meinung: Reden allein bringt Syrien nicht weiter. Die Passivität des Westens lässt Syrien explodieren Meinung: Eine politische Lösung in Syrien ist in Sicht – aber keine Selbstverständlichkeit Meinung: Der Mali-Konflikt - nicht nur ein Sicherheitsproblem im Norden! Meinung: Möglichkeiten und Grenzen der Krisenprävention – das Beispiel Mali Meinung: Mexiko, Nigeria, Pakistan – Staatszerfall ganz neuen Ausmaßes? Meinung: "Schwellenländer" – Wachstum als Konfliktursache? Meinung: Die NATO-Intervention gegen das Gaddafi-Regime war illegitim Meinung: Militärische Intervention in Libyen ist grundsätzlich zu begrüßen Meinung: Das Engagement der EU im Sahel nach dem Scheitern in Afghanistan Meinung: Zeit für einen Strategiewechsel in Mali und im Sahel? Glossar Redaktion

Mexiko

/ 10 Minuten zu lesen

Rivalisierende Drogenkartelle kämpfen immer rücksichtsloser um die Kontrolle von Transitrouten und Hauptumschlagplätzen. Die Bevölkerung leidet unter stark zunehmenden Schutzgelderpressungen. Die politische Einflussnahme von Kriminellen gefährdet die Demokratie zusätzlich.

Das Rathaus von Villa Unión nach einem Kampf zwischen mexikanischen Sicherheitskräften und Kartellmitgliedern. (© picture-alliance, AP Photo/Gerardo Sanchez)

Der Autor ist der Redaktion bekannt

Aktuelle Situation

Nach dem Amtsantritt von Präsidentin Claudia Sheinbaum im Oktober 2024, die als erste Frau an der Spitze der mexikanischen Regierung wegen ihres überwältigenden Wahlsiegs mit großer Machtfülle ausgestattet ist, wurden im Sicherheitsbereich mehrere Verfassungsänderungen vorgenommen (bpb 2024). Die zwei wichtigsten sind eine grundlegende Justizreform, nach der Richter ab 2025 direkt vom Volk gewählt werden, sowie die Festlegung, dass die Nationalgarde (Guardia Nacional) dem Verteidigungsministerium unterstellt wird. Die Nationalgarde war unter Sheinbaums Amtsvorgänger, Andrés Manuel López Obrador, als Nachfolgeorganisation der Bundespolizei gegründet worden.

Die neue Regierung versucht, mit der Kontrolle über das Justizwesen und die Effektivierung des militärischen Vorgehens gegen die Drogenkartelle die beispiellose Sicherheitskrise in den Griff zu bekommen. 2024 wurden in dem knapp 130 Millionen Einwohner zählenden Land jeden Tag zwischen 70 und 100 Menschen ermordet oder verschleppt. Die Gewalt hat sich auf fast alle Landesteile ausgeweitet. Die Organisierte Kriminalität (OK) fordert das Machtmonopol des Staates immer selbstbewusster heraus, der wegen korrupter Funktionäre teilweise in seiner Handlungsmacht gelähmt ist. Rund 60 % der Mexikanerinnen und Mexikaner fühlen sich unsicher, ganze Regionen sind den Drogenkartellen ausgeliefert. Die Kartelle haben ihr kriminelles Portfolio auf die Bereiche Menschenhandel und Schutzgelderpressung ausgeweitet.

Die kriminelle Landschaft ist unübersichtlich. Die Revierkämpfe zwischen den beiden landesweit dominierenden Organisationen – dem Sinaloa-Kartell (Cartel de Sinaloa – CS) und dem Jalisco-Kartell (Cartel Jalisco Nueva Generación – CJNG) – können praktisch überall im Land aufflammen. Das CJNG ist mittlerweile in 28 Bundesstaaten tätig, das Sinaloa-Kartell in 24; in 18 kämpfen beide um die Vorherrschaft. Doch die Allianzen werden fragiler, zugenommen haben auch die Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fraktionen innerhalb der Kartelle. Zudem ist eine Tendenz zu beobachten, dass sich Kriminelle mehr in lockeren Netzwerken und weniger in Kartellen organisieren.

Die wichtigsten Bundesstaaten, in denen derzeit die Kartelle um die Kontrolle des Drogen- und Menschenhandels konkurrieren, sind Chiapas, Baja California, Zacatecas, der Bundesstaat México, Quintana Roo und Guerrero. Hinzu kommen noch mehrere weitere Revierkämpfe, die landesweit erheblich zur Eskalation der Gewalt beitragen. Die Rivalität der kriminellen Gruppen um die Kontrolle der lukrativen Aktivitäten führt in den umstrittenen Gebieten fast täglich zu Zusammenstößen, Entführungen, Straßensperren und Sprengstoffanschlägen. Betroffen sind viele Bundesstaaten, die auch für die legale Wirtschaft von existenzieller und strategischer Bedeutung sind. Laut US-amerikanischer Handelskammer Amcham haben für 2023 60 % der in Mexiko aktiven ausländischen Firmen angegeben, von Kriminalität betroffen zu sein.

Zwar ging nach den Statistiken der Regierung die Mordrate in den letzten Jahren leicht zurück: von 100 Morden pro Tag zu Beginn der sechsjährigen Regierung von Präsident Obrador auf 70 Morde pro Tag. Doch stieg dafür die Anzahl der Verschleppten bzw. Verschwundenen rasant an. Für das Jahr 2024 schätzt das Mexikanische Institut für Menschenrechte und Demokratie die Zahl der als verschwunden gemeldeten Menschen auf knapp 120.000; das ist ein Anstieg um 6,3 % im Vergleich zum Vorjahr.

Im August 2024 erfolgte die Festnahme des Sinaloa-Kartell-Chefs Ismael Zambada (alias Mayo). Seine mögliche Aussage als Zeuge in einem Gerichtsverfahren in den USA könnte erneut ein Schlaglicht auf die politische Einflussnahme der OK auf höchste Kreise der mexikanischen Politik werfen. Vielerorts sind Politikerinnen und Politiker, nicht nur der Regierungspartei, in kriminelle Strukturen involviert. Wenn Politiker nicht mitmachen wollen, setzen sie sich großen Gefahren aus. So wurde Anfang Oktober 2024 – nur eine Woche nach seinem Amtsantritt – der Bürgermeister von Chilpancingo, der Hauptstadt des Bundesstaats Guerrero, enthauptet. Nach derzeitigem Ermittlungstand war der Täter ein hochrangiger Polizist des Bundesstaates.

In der zweiten Amtszeit von US-Präsident, Donald Trump, könnte sich die kriminelle Dynamik in Mexiko verändern. Der Kampf gegen illegale Einwanderung und Drogenschmuggel in die USA stehen ganz oben auf seiner Agenda. Trump will die Drogenkartelle als terroristische Vereinigungen deklarieren und schließt direkte Militäroperationen gegen sie nicht aus. Gleich Anfang Februar 2025 hat er Strafzölle von 25 % angedroht, um die mexikanische Regierung zu einer effektiven Eindämmung der illegalen Migration und des Schmuggels von Fentanyl zu zwingen. Weil sich die mexikanische Präsidentin Sheinbaum umgehend bereiterklärte, die 10.000 Soldaten an die Grenze zu den USA zu entsenden und Verhandlungen mit den USA aufzunehmen, wurde die Entscheidung für 30 Tage ausgesetzt. Laut Sheinbaum verpflichten sich die Vereinigten Staaten, den illegalen Waffenhandel mit Mexiko zu unterbinden. Trumps Bericht über die Vereinbarung auf Truth Social erwähnte diese Verpflichtung nicht.

Auf die Erhöhung des Drucks könnten die Kartelle mit Anpassungen ihres Geschäftsmodells reagieren und noch stärker auf Netzwerkstrukturen setzen als bislang. Falls es zudem – wie angekündigt – zu massiven Deportationen von Migranten aus den USA nach Mexiko kommen sollte, würden die kriminellen Organisationen wahrscheinlich versuchen, die Migranten für viel Geld erneut in die USA zu schleusen oder sie als billige Arbeitskräfte in die eigenen Organisationen zu zwingen.

Ursachen und Hintergründe

In dem seit 2006 andauernden Konflikt zwischen dem mexikanischen Staat und mehreren Drogenkartellen geht es um die Vorherrschaft in den verschiedenen Landesteilen und Regionen. Auch 2023 haben die Auseinandersetzungen die Intensitätsstufe eines begrenzten Krieges erreicht (HIIK 2024: 116). In jedem Monat finden 55 bis 90 Gefechte zwischen staatlichen Sicherheitskräften und bewaffneten Trupps der Kartelle statt. In dem für Zivilisten zweitgefährlichsten Konflikt weltweit sind allein von Dezember 2023 bis November 2024 über 8.100 Menschen ums Leben gekommen, die große Mehrheit waren Zivilisten. Das Uppsala Conflict Data Project (UCDP) hat für 2023 sogar 13.877 Todesopfer gezählt.

Die wichtigsten Gründe für die kriminelle Gewalt sind: erstens die starke Nachfrage nach Drogen in den USA und Europa, zweitens das Unvermögen des mexikanischen Staates, die kriminellen Aktivitäten wirksam einzudämmen, und die Bereitschaft von immer mehr Repräsentanten von Staat und Verwaltung, mit der OK zu kollaborieren, drittens die riesigen Gewinnmargen, die sich im Drogenhandel erzielen lassen sowie viertens die bittere Armut breiter Bevölkerungsschichten und die Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher, die es den Banden leicht macht, immer wieder neue Mitglieder zu rekrutieren.

Die USA, die mit Mexiko eine mehr als 3.000 Kilometer lange Grenze teilt, sind der weltweit größte Markt für illegale Drogen. In Mexiko werden seit Jahrzehnten große Mengen an Marihuana und Schlafmohn (Grundstoff für Opium bzw. Heroin) angebaut und in das nördliche Nachbarland geschmuggelt. Hinzu kommt, dass durch Mexiko die wichtigsten Schmuggelwege für das in den südamerikanischen Andenländern (Kolumbien, Peru, Ecuador und Bolivien) produzierte Kokain verlaufen. Die mexikanischen Drogenkartelle haben Ende des 20. Jahrhunderts die bis dahin mächtigen kolumbianischen Kartelle als die wichtigsten Organisationen auf dem amerikanischen Kontinent abgelöst.

Mittlerweile haben Fentanyl und Methamphetamin, aus meist aus China stammenden Grundstoffen hergestellte vollsynthetische Drogen, deutlich größere Marktanteile als Opium und Heroin erreicht. Eine weitere Einnahmequelle, die momentan an Bedeutung gewinnt, ist die Erpressung von Schutzgeldern von Unternehmen in legalen Branchen, wie dem Bergbau, aber auch von Kleinstunternehmen und Straßenhändlern. Vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren rasant gestiegenen Gewinne aus dem Drogen- und Menschenhandel und den Schutzgelderpressungen hat sich die Rivalität zwischen den zahlreichen Akteuren der OK in Mexiko weiter verschärft.

Die um territoriale Kontrolle kämpfenden Kartelle finanzieren immer ungenierter auch Wahlkämpfe mit und verlangen als Gegenleistung nicht nur Einflussmöglichkeiten auf lokale Sicherheitskräfte. Die so geförderten Politikerinnen und Politiker verlangen ihrerseits nicht selten Unterstützung seitens der Kriminellen, um beispielweise politische Gegner unter Druck zu setzen oder auszuschalten. Dies führt, insbesondere im Vorfeld von Wahlen, landesweit zu stark erhöhter Gewalt.

In Mexiko bestehen zudem enorm große soziale Unterschiede. Trotz erheblicher Staatsausgaben für soziale Unterstützungsprogramme leben in Mexiko immer noch mehr als 35 % der Menschen in Armut. Die armen Bevölkerungsschichten, insbesondere junge Männer, werden von den Kartellen als billige Reservearmee genutzt. Außerdem werden illegal in die USA einwandernde Migranten angeworben oder unter Druck gesetzt, um Drogen zu schmuggeln.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum verfolgt eine ähnliche Strategie wie ihr Vorgänger. Allerdings könnten einige bemerkenswerte Abweichungen zu einem verbesserten Sicherheitsumfeld beitragen: So hat sie den Bundesstaaten, die Brennpunkte des organisierten Verbrechens sind, klare Ziele zur Verringerung von Mord und finanzieller Erpressung vorgegeben und somit die Rechenschaftspflicht erhöht. Der reaktive Ansatz ihres Amtsvorgängers wird so in gewisser Weise umgekehrt. Auch sollen die institutionellen Kapazitäten auf staatlicher und kommunaler Ebene verbessert werden, vor allem durch die Verbesserung nachrichtendienstlicher Mittel zur Untergrabung der OK, insbesondere ihrer Finanzen. Die erweiterte Strategie zielt darauf ab, die staatlichen und kommunalen Polizeikräfte zu professionalisieren und die Koordination und den Austausch von Informationen zwischen den Bundesstaaten zu verbessern. Das ist ein realistischer Ansatz, da die Regierungspartei MORENA nun zwei Drittel der mexikanischen Bundesstaaten regiert.

Der Sicherheitsminister, Omar García Harfuch, bringt Erfahrungen aus seiner Zeit als Leiter des Ministeriums für Bürgersicherheit (SSC) in Mexiko-Stadt (2018-24) in sein Amt mit. Während seiner Amtszeit ging die Zahl der Tötungsdelikte und anderer Straftaten (wie finanzielle Erpressung und gewalttätige Raubüberfälle) zurück. Allerdings wird es angesichts der unterschiedlichen kriminellen Dynamiken in den einzelnen Bundesstaaten weitaus schwieriger sein, auch auf nationaler Ebene Ergebnisse zu erzielen. Außerdem bestehen nach wie vor institutionelle Unzulänglichkeiten. Die Sicherheitskräfte sind oft schlecht ausgebildet und ausgerüstet, und die Korruption ist dort weit verbreitet.

Im Großen und Ganzen wird die mexikanische Regierung mit Unterstützung der USA aber auch weiterhin auf die sogenannte Kingpin-Strategie setzen, deren erklärtes Ziel es ist, die Chefs und Drahtzieher der kriminellen Netzwerke festzunehmen und hinter Gitter zu bringen (Giralt Brun/Kotarska 2022). Federführend bei der Umsetzung der Strategie ist seit 2006 das mexikanische Militär. Doch in der Realität befeuert die Militarisierung der inneren Sicherheit die Gewaltspirale zusätzlich. Die Schaffung einer Nationalgarde, die die Bundespolizei ersetzt und sich aus ehemaligen Bundespolizisten und Mitgliedern von Militär und Marine zusammensetzt, wurde von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert. Zudem ist das Militär in der Regierungszeit von Präsident Obrador zu einem bedeutenden Wirtschaftsakteur geworden. Verteidigungs- und Marineministerium kontrollieren mittlerweile Häfen, Flughäfen, Migration, den Zoll, Fluglinien, Hotels, Zugstrecken und viele andere Geschäftszweige.

Die wichtigste Voraussetzung für dauerhafte Erfolge im Kampf gegen das organisierte Verbrechen wäre eine nachhaltige Stärkung der mexikanischen Institutionen. Nur so könnte verhindert werden, dass Mitglieder krimineller Organisationen und ihre Erfüllungsgehilfen in Politik, Justiz und Sicherheitsapparat weitgehend straflos agieren. Doch ist eine gegenteilige Bewegung zu verzeichnen. Unabhängige Institutionen werden seit der Machtübernahme durch die MORENA-Partei zunehmend abgeschafft oder unter Kontrolle gebracht (Weiss 2024).

Kritische Stimmen und Journalisten bezeichnen diese Politik gar als integralen Teil eines nahezu allumfassenden „Narco-Systems“. Dies besteht im Kern aus einem Tauschhandel: keine wirksame staatliche Verfolgung der Kriminellen als Gegenleistung für millionenschwere Unterstützung der politischen Klasse und führender Sicherheitsverantwortlicher, egal welcher Couleur (vgl. z.B. Hernandez 2012, 2024).

Geschichte des Konflikts

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden im „goldenen Dreieck“ zwischen den Bundesstaaten Sinaloa, Durango und Chihuahua Marihuana und Schlafmohn angebaut und in die USA exportiert. Die Entwicklung des Drogengeschäftes vollzog sich parallel zur 71-jährigen Herrschaft der Partei der institutionalisierten Revolution (Partido Revolucionario Institucional – PRI). Die PRI regierte einen korporatistischen Staat mit weitgehender Kontrolle über die vertikal organisierte Gesellschaft. Dazu gehörte ein stillschweigendes Übereinkommen mit dem organisierten Verbrechen: Die Kartelle halten sich an die Spielregeln der Politik und der Staatsapparat toleriert den illegalen Drogenhandel. Wichtige Parteifunktionäre wurden großzügig an den Gewinnen beteiligt. Die seit der Unabhängigkeit bestehenden engen Verbindungen zwischen politisch Mächtigen und in Polizeiuniformen gekleideten Banditen haben in Mexiko Tradition.

Die institutionellen Rahmenbedingungen änderten sich mit der schrittweisen Demokratisierung und Dezentralisierung der Macht. Im Jahr 2000 verdrängte die Partei der Nationalen Aktion (Partido Acción Nacional – PAN) die PRI von der Macht. Das heikle Gleichgewicht zwischen Staat und organisiertem Verbrechen zerbrach. Gleichzeitig hatten sich die Machtverhältnisse im Drogenhandel verändert. Die Schwächung der kolumbianischen Kartelle führte in den 1990er Jahren dazu, dass mexikanische Organisationen das Geschäft übernahmen. Um die Jahrtausendwende waren sie zu den mächtigsten Akteuren im Drogenhandel aufgestiegen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der mexikanische Staat die Kontrolle über das organisierte Verbrechen verloren.

Die journalistischen Enthüllungen der letzten Jahre scheinen darauf hinzuweisen, dass die als Erneuerungsbewegung von Andrés Manuel López Obrador ins Leben gerufene Movimento de Renovación Nacional (MORENA) die jahrelang von der PRI erprobte Strategie eines Übereinkommens mit dem organisierten Verbrechen zumindest teilweise übernommen hat (vgl. z.B. Hernandez 2022). Allerdings kontrolliert der Staat die Kartelle nicht mehr, sondern einzelne staatliche Akteure verdienen an deren illegalen Aktivitäten mit. Dies zeigt sich auch darin, dass das zuletzt erstarkte Jalisco-Kartell CJNG sich mit dem Sinaloa-Kartell in immer mehr Landkreisen einen erbitterten Kampf um die territoriale Kontrolle liefert.

Weitere Inhalte