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Das veränderte Gesicht innerstaatlicher Konflikte | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Das veränderte Gesicht innerstaatlicher Konflikte

Daniel Lambach

/ 7 Minuten zu lesen

Die Hoffnung starker Akteure, einen Konflikt allein durch militärische Überlegenheit für sich zu entscheiden, hat sich regelmäßig als illusorisch erwiesen. Asymmetrische Konflikte werden nicht durch überlegene Feuerkraft gewonnen, sondern sind politische Auseinandersetzungen, die entsprechende Strategien und Instrumente benötigen.

General Abdul Rashid Dostum, ein afghanischer Warlord, wird von seinen Anhängern im August 2009 am Kabuler Flughafen empfangen. (© picture-alliance/AP)

Die Austragungsform innerstaatlicher Konflikte befindet sich seit Längerem im Wandel. Heutige Bürgerkriege weisen verschiedene Eigenschaften auf, die das Verhalten der Akteure auf entscheidende Weise beeinflussen.

Asymmetrische Konflikte

Innerstaatliche Konflikte sind meist durch ein deutliches Machtgefälle zwischen den Konfliktparteien gekennzeichnet. Üblicherweise sind die staatlichen Sicherheitskräfte – ggf. mit der Unterstützung einer externer Interventionsstreitmacht – die überlegene Partei, die gegen eine schwächere Rebellengruppe kämpft.

An sich wäre zu erwarten, dass die militärisch stärkere Partei in derartigen asymmetrischen Konflikten in der Regel die Oberhand gewinnen sollte. Die Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache: Laut Ivan Arreguín-Toft (2001) gewann zwischen 1950 und 1998 die schwächere Partei 55% aller asymmetrischen Konflikte. Selbst wenn die Ressourcen der stärkeren Partei der schwächeren Partei um mindestens das fünffache überlegen waren, behauptete sich die schwächere Partei immer noch in fast 30% der Fälle.

Wie ist dies zu erklären? Eine lange Zeit populäre Theorie erklärt dies mit der Entschlossenheit der Parteien: Für die schwächere Partei geht es um alles oder nichts, während die stärkere Seite zumeist aus externen Streitkräften bestehe, die sich bei einer Niederlage in ihr Heimatland zurückziehen können. Diese These klingt plausibel, erklärt aber nicht diejenigen Fälle, wo Aufständische gegen Regierungstruppen kämpfen, für die es ja auch ums Überleben geht.

Arreguín-Toft argumentiert daher, dass die Wahl der Strategie entscheidend sei. Für die schwächere Seite ist es rational, sich offenen Gefechten zu entziehen, in denen ihre technische und oft auch zahlenmäßige Unterlegenheit die sichere Niederlage bedeuten würde. Stattdessen setzt sie auf indirekte Kriegführung. Diese Guerillataktiken bestehen aus Angriffen aus dem Hinterhalt, nach denen sich die Angreifer wieder in den Untergrund zurückziehen. Damit bieten Guerillagruppen kein Ziel für die überlegene Feuerkraft der Regierungsseite. Sie sind aber von einem sicheren Rückzugsgebiet abhängig, in dem sie über die Unterstützung der Bevölkerung verfügen. Schätzungen zufolge benötigt eine Rebellengruppe pro Kämpfer ein Unterstützungsnetzwerk von zehn oder mehr Personen, das sie mit Nahrung, Nachschub, Schutz und Informationen versorgt.

Wenn die Regierungstruppen eine derartige Taktik mit konventioneller Kriegführung beantworten, haben sie nur geringe Erfolgsaussichten. Umso besser sieht es für die staatliche Seite aus, wenn sie ebenfalls auf indirekte Kriegführung setzt.

Unkonventionelle Kriege

Die Theorie strategischer Interaktion geht davon aus, dass Kriege heutzutage nicht mehr durch offene Feldschlachten entschieden werden, in der die überlegene Feuerkraft einer Seite den Sieg beschert. Stattdessen erleben wir eine "Entgrenzung" des Kriegsgeschehens. Dies bedeutet, dass die Abgrenzung des Schlachtfelds unschärfer wird, die Unterscheidung von Kämpfern und Zivilisten schwieriger, und selbst Anfang und Ende des Krieges immer schwerer zu bestimmen sind, da es heutzutage keine Kriegserklärungen mehr gibt. Manche AutorInnen behaupten auch, dass Kriege brutaler geworden seien und sich etablierte humanitäre Normen in Auflösung befinden (Münkler 2005).

Diese Entwicklungen fasst Jochen Hippler (2009) in seinem Konzept "unkonventioneller Kriege" zusammen. Darin betont er den politischen Charakter des Krieges, den er an zwei Aspekten festmacht. Zum einen verfolgen viele Rebellengruppen eindeutig politische Ziele, auch wenn diese seit dem Ende des Kalten Krieges nur noch selten den klassischen Ideologien des Sozialismus oder des Liberalismus zuzuordnen sind. Stattdessen streben diese Gruppen nach anderen politischen Ideen, z.B. der Umsetzung von religiösen oder ideologischen Vorstellungen von einer idealen Gesellschaft oder nach regionaler Selbstbestimmung.

Zum anderen müssen Rebellen und Regierung auch auf strategischer Ebene sich in erster Linie an ihren politischen Zielen orientieren. Laut Hippler kann keine Partei hoffen, sich in einem Bürgerkrieg zu behaupten, wenn es ihr nicht gelingt, den Rückhalt der Bevölkerung zu gewinnen. Letztlich gehe es darum, den Kampf um die "Herzen und Hirne" (hearts and minds) der Bevölkerung zu gewinnen. Gewalt ist dabei nur ein Mittel zum Zweck, das die Handlungsfähigkeit der Gegenseite schwächt und das eigene Image als überlegene Partei stärkt.

Für Rebellengruppen bedeutet dies, dass der Aufbau militärischer Kapazitäten – Rekrutierung weiterer Kämpfer, Beschaffung von Waffen – nicht vernachlässigt werden darf, aber auch nicht der alleinige Schlüssel zum Erfolg ist. Vielmehr müssen sie ein politisches Projekt verfolgen und Governance-Strukturen etablieren. William Polk (2009) zufolge konzentrieren sich erfolgreiche Rebellengruppen zunächst darauf, in den Rebellenhochburgen Symbole und Repräsentanten des Staates anzugreifen und so die offiziellen Institutionen zu vertreiben. In diesen "befreiten Zonen" bauen sie dann eigene Verwaltungsstrukturen auf, um die Bevölkerung von den Vorzügen ihrer Herrschaftsform zu überzeugen. Ausgehend von den befreiten Zonen versuchen die Rebellen dann, schrittweise weitere Territorien zu erobern, bis sie die Hauptstadt unter ihre Kontrolle gebracht haben.

Auf diese Weise können auch finanzielle Ressourcen mobilisiert werden, die für Rebellengruppen eine große Bedeutung aufweisen. Kämpfer brauchen Sold, Waffen müssen bezahlt werden und die Bereitstellung einer Verwaltungs-, Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur in den kontrollierten Gebieten ist teuer. Für bewaffnete Gruppen ist die Finanzierung heutzutage eine komplexe Aufgabe. Konnte eine Rebellengruppe während des Ost-West-Konflikts darauf hoffen, von einer der beiden Supermächte Unterstützung zu erhalten, sind sie heute darauf angewiesen, die Mittel zur Fortsetzung ihres Kampfes selbst zu erwirtschaften. Dies tun sie zumeist durch den Handel mit Konfliktgütern: Diamanten, Drogen, Öl, Edelhölzer, Mineralien usw.

Der liberianische Warlord Charles Taylor nahm z.B. zwischen 1990 und 1994 jährlich rund 450 Mio. US-$ aus dem Verkauf von Diamanten und anderen Rohstoffen ein, während die liberianische Regierung in diesem Zeitraum nur über ein Jahresbudget von rund 20 Mio. US-$ verfügte (Ellis 1999: 90-91).

Aufstandsbekämpfung

Dass Bürgerkriege immer öfter asymmetrisch ausgefochten werden, hat auch Folgen für ihre Einhegung und Bekämpfung. Für die Regierungsseite bedeutet indirekte Kriegführung, Strategien der Aufstandsbekämpfung (counterinsurgency) einzusetzen. In früheren Zeiten schreckten Staaten nicht davor zurück, zum Mittel der Repression, der Massendeportationen oder sogar der völligen Auslöschung der Zivilbevölkerung zu greifen. Wenn sich die Guerilla "im Volk wie ein Fisch im Wasser bewegt" (Mao), dann müsse eben das Wasser ausgetrocknet werden. Aufgrund der damit verbundenen Gräuel ist dies heute nur noch für autoritäre Regime eine realistische Option (Byman 2015).

Demokratische Regierungen kommen dagegen nicht umhin, sich auf eine politische Auseinandersetzung einzulassen. Das ist die deutlich aufwendigere Strategie, die aber deshalb keine schlechteren Erfolgschancen hat. Vielmehr ermöglicht ein Vorgehen, das sich um die heats and minds der Bevölkerung bemüht, eine nachhaltigere Beilegung des Konflikts.

Dies gilt insbesondere für Interventionsstreitkräfte, wie sie westliche Staaten nach Kosovo, Afghanistan und anderswo entsandt hatten. Diese Soldaten standen dort vor der undankbaren Aufgabe, als Fremde das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen zu müssen, um ihre Mission erfüllen zu können. Hier können militärisch effektive Taktiken, wie Luftschläge oder Drohnenangriffe, sogar kontraproduktiv sein, da sie oft zivile Opfer fordern und in der lokalen Bevölkerung die Legitimität des Einsatzes untergraben.

Studien zeigen, dass auch externe Akteure ihre Erfolgschancen verbessern, wenn sie eine hearts and minds-Strategie verwenden. Allerdings stellen sich ihre Vorteile nur langsam ein. Es braucht fast ein Jahrzehnt, bis sie sich richtig entfalten. Vor allem ist eine frühzeitige Anwendung dieser Strategie notwendig. Erfahrungsgemäß ist mit einem späteren Strategiewechsel das Vertrauen der Bevölkerung nicht mehr zu gewinnen (Enterline/Stull/Magagnoli 2013).

Terroristische Gruppen in innerstaatlichen Konflikten

In mehreren laufenden Bürgerkriegen, z.B. in Syrien, dem Irak oder Libyen, spielen terroristische Gruppen wie der Islamische Staat (IS) eine besondere Rolle. Terror ist in Bürgerkriegen ein typisches Instrument unterlegener Parteien. Das Mittel der Selbstmordanschläge in Bürgerkriegen wurde in den 1980er Jahren zuerst von tamilischen Rebellen in Sri Lanka und verschiedenen Faktionen im libanesischen Bürgerkrieg eingesetzt. In den letzten 10-15 Jahren hat es sich als Taktik verbreitet und wird heute besonders von dschihadistischen Gruppen praktiziert. Durch die Figur des Märtyrers geben fundamental-islamistische Gruppen dem Terror eine quasi theologische Legitimation.

Dies ist eine relativ neue Entwicklung. Der internationale Terrorismus war in den 1990er und 2000er Jahren zunächst als transnationales Netzwerk organisiert (Al-Qaida). In den letzten zehn Jahren sind aber terroristische Gruppen immer stärker als Bürgerkriegsparteien aufgetreten – der IS im Irak und Syrien oder "Al-Qaida im Islamischen Maghreb" (AQIM) in Nordafrika. Diese Gruppen kombinieren beide Merkmale: Sie sind Bürgerkriegspartei und transnational operierende Organisation. Daher kommt auch der Begriff "Terrormiliz", der von den Medien bevorzugt wird und beide Aspekte beschreibt. Der IS ist das Paradebeispiel eines solchen Hybrids. Diese Gruppe handelt einerseits als Konfliktpartei in Syrien und Irak, kann aber gleichzeitig Anschläge im Ausland unternehmen, wie z.B. das Pariser Attentat im Dezember 2015.

Für den IS gehört die Mitwirkung am syrischen Bürgerkrieg zu seiner Selbstlegitimation. Als die Organisation 2014 das Kalifat ausrief, machte sie ihren Anspruch deutlich, territoriale Räume zu kontrollieren und für ihr politisches Projekt zu nutzen. Das bedeutet aber auch, dass der IS sich damit auf besondere Weise angreifbar macht. Der besondere Vorteil von netzwerkartig organisierten und im Verborgenen handelnden Terrorgruppen ist ihre Unsichtbarkeit. Gegen diese Gruppen ist es äußerst schwer vorzugehen, nur mit geduldiger Polizei- und Geheimdienstarbeit kann hier etwas erreicht werden. Nun da der IS zumindest einen Teil seiner Organisation zur Kontrolle seines Territoriums in Syrien einsetzen muss, macht er sich dadurch auch verwundbar, zum Beispiel für Angriffe der kurdischen Milizen sowie für die Luftangriffe Frankreichs und seiner Verbündeter.

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Daniel Lambach, geboren 1977, ist promovierter Politikwissenschaftler. Er ist Vertretungsprofessor für Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft und Associate Fellow des Instituts für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen.