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Innerstaatliche Konflikte seit Anfang der 1990er Jahre | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Innerstaatliche Konflikte seit Anfang der 1990er Jahre Forschungstrends und politische Bewertungen

Daniel Lambach

/ 7 Minuten zu lesen

Stellvertreterkriege, ethnische Konflikte, Terrorismus: Die Annahmen über die Ursachen innerstaatlicher Konflikte haben sich in den letzten Jahrzehnten mehrfach verändert. Dies blieb nicht ohne Folgen für die Strategien ihrer Bearbeitung. Wie Konflikte wahrgenommen werden, liegt auch an den weltpolitischen Rahmenbedingungen.

Regierungstruppen im Kongo werden im September 2007 von Rebellen gefangen gehalten. (© AP)

Die internationale Wahrnehmung und Behandlung innerstaatlicher Konflikte in Wissenschaft, Medien und Politik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrmals gravierend verändert. Während des Ost-West-Konflikts hielt man innerstaatliche Kriege in den Ländern der Dritten Welt für "Stellvertreterkriege" der Supermächte. Dadurch wurden die inneren Konfliktursachen und die Motivationen der lokalen Akteure weitgehend ausgeblendet. Zum Beispiel entstand der afghanische Bürgerkrieg ab 1979 zunächst aus einem rein innenpolitischen Konflikt heraus, in den die Sowjetunion und die USA erst später eingriffen.

Identität, Ökonomie und Politik als Erklärungsversuche

Als nach dem Ende des Kalten Krieges die Zahl innerstaatlicher Kriege deutlich zunahm, wurde klar, dass die Ursachen dafür nicht in der Konfrontation der Supermächte gelegen haben konnten. Eine neue Erklärung wurde gesucht. Schnell verbreitete sich die Interpretation, dass die neuen innerstaatlichen Kriege das Resultat ethnischer Streitigkeiten seien. Während des Ost-West-Konflikts, so diese Logik, hätten nationale Regierungen ethnische Konflikte eindämmen können, doch mit dem Ende der Blockkonfrontation wären die bisher unterdrückten Identitäten wieder hervorgetreten, was zu blutigen Konflikten geführt habe. Der jugoslawische Bürgerkrieg (1991-1995) und der ruandische Genozid (1994) wurden dabei als Beispiele herangezogen, die diese Erklärung auch zu stützen schienen.

Über die Jahre wurde jedoch zunehmend deutlich, dass ethnische Unterschiede in kaum einem Bürgerkrieg einen wichtigen Konfliktgrund darstellten. Daraufhin wurde diese Sichtweise durch eine neue Theorie verdrängt, wonach sich innerstaatliche Konflikte hauptsächlich aus den ökonomischen Motiven der Kriegsakteure erklärten. Im Unterschied zur "ethnischen" Erklärung, die die Konflikte als weitgehend irrational und gefühlsgesteuert ansah, hob dieser Ansatz die wirtschaftliche Rationalität der Gewalt hervor, wobei unter anderem auf Fälle wie Sierra Leone (1991-2001) und die DR Kongo (1996-2003) verwiesen wurde.

Die Unterschiedlichkeit beider Theorien machte sich in der Debatte an zwei gegensätzlichen Begriffen fest: "Greed vs. Grievance" (deutsch: "Gier oder Groll"). Die "Gier"-Erklärung geht davon aus, dass die Konfliktparteien hauptsächlich ihren ökonomischen Gewinn im Auge haben. Die "Groll"-These verweist dagegen auf die Unzufriedenheit aufgrund sozialer Missstände sowie ethnisch und religiös bedingter Benachteiligung.

Die ökonomische "Gier"-Theorie war eine Zeitlang sehr populär – auch bei politischen Entscheidungsträgern. Jedoch hat auch sie ihre Schwachpunkte. Mit ihr ließ sich zwar zeigen, dass alle innerstaatlichen Konflikte auch eine wirtschaftliche Dimension haben. Eingehendere Analyse des Beginns und Verlaufs von Bürgerkriegen ergaben indes zugleich, dass ökonomische Gewinnaussichten nur selten im Vordergrund stehen. Vielmehr brechen die meisten Konflikte aufgrund sozialer und/oder politischer Missstände aus. Und selbst die profitgierigsten Gewaltunternehmer (Warlords) kommen ohne eine politische oder ideologische Rechtfertigung ihres Tuns nicht aus.

Seit etwa 2004/05 haben Forschungen und Theorien Konjunktur, die innerstaatliche Konflikte primär als Folge von Staatszerfall deuten. Nach dieser Logik stellen zerfallene Staaten "gewaltoffene Räume" dar, die es Rebellen überhaupt erst ermöglichen, einen Bürgerkrieg (aus welchen Gründen auch immer) vom Zaun zu brechen. Dies passt zu anderen Erklärungen, die dem politischen Charakter von Bürgerkriegen wieder eine größere Bedeutung zumaßen. Diese Ansätze betonen, dass ein Krieg bzw. Konflikt ohne eine politische Strategie nicht gewonnen werden kann. Folglich rückt bei der Konfliktregulierung auch der (Wieder-)Aufbau staatlicher Institutionen in den Fokus (s. Text Interner Link: "Das veränderte Gesicht innerstaatlicher Konflikte").

Die geschilderten Erklärungsversuche haben die Kriegsursachenforschung deutlich vorangebracht. Gleichwohl kann kein Ansatz für sich allein in Anspruch nehmen, das Kriegsgeschehen umfassend zu erklären (Bussmann/ Hasenclever/ Schneider 2009, Dixon 2009). Bei der Erforschung innerstaatlicher Kriege und Konflikte ist immer der konkrete Einzelfall zu betrachten. Dabei muss u.a. zwischen den Konfliktursachen und den Legitimierungs- und Mobilisierungsstrategien der Konfliktparteien unterschieden werden.

So kann eine Rebellengruppe nach wirtschaftlichen Gewinnen streben, dabei aber hauptsächlich Kämpfer aus einer bestimmten ethnischen Gruppe rekrutieren. Netzwerke gemeinsamer Identität (ob ethnisch, religiös oder regional) sind für die Mobilisierung hilfreich, da über diese Gemeinsamkeiten Verbundenheit und Vertrauen entstehen, was für den Aufbau einer handlungsfähigen bewaffneten Gruppe immens wichtig ist. Dies war auch der Grund, weshalb die Konfliktforschung Anfang der 1990er Jahre die Bedeutung von Identität überschätzte: Man hielt Ethnizität für die Konfliktursache und erkannte nicht, dass es sich dabei eher um ein Mobilisierungsinstrument handelt.

Die Veränderung der Bedrohungswahrnehmung

Warum kam es zu dieser Abfolge verschiedener Erklärungen? Dies liegt einerseits daran, dass Anfang der 1990er Jahre das komplexe Ursachengefüge und die Dynamik innerstaatlicher Konflikte nur unzulänglich erforscht waren. Dies lag sicherlich auch daran, dass die lange dominante Theorie der "Stellvertreterkriege" die Wirklichkeit innerstaatlicher Konflikt grob vereinfacht hat. Insofern steht die Vielfalt von Interpretationen auch für einen Lernprozess als Resultat vertiefter wissenschaftlicher Forschung, der zu einer deutlich differenzierteren Sichtweise geführt hat.

Die unterschiedlichen Interpretationen werden aber auch durch die verschiedenen Facetten des liberalen Projekts beeinflusst, das seit dem Ende des Kalten Krieges die Globalisierung von Demokratie und Kapitalismus inspiriert und vorantreibt. Ethnische und wirtschaftliche Konflikttheorien kommen neoliberalen Sichtweisen insofern entgegen, als sie die Grenzen staatlicher Steuerungsfähigkeit hervorheben und die Ursachen gewaltsamer Konflikte primär in Konstanten menschlichen Verhaltens verorten – sei es nun in der vermeintlichen Unvereinbarkeit verschiedener Identitäten oder in schlichter Gier.

Am deutlichsten sind die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Perspektiven in den Strategien erkennbar, die sie zur Bearbeitung und Lösung der Konflikte vorschlagen. Wer hinter Bürgerkriegen "ethnische Konflikte" sieht, wird entweder eine räumliche Trennung der beteiligten Gruppen durch Autonomie oder Sezession bevorzugen oder sich für eine Allparteienregierung mit Machtteilung und Minderheitenschutz aussprechen. Ökonomische Ansätze raten hingegen dazu, den Handel mit Konfliktgütern zu kontrollieren und zu sanktionieren, wie es z.B. der Kimberley-Prozess für die sogenannten "Blutdiamanten" vorsieht.

Stärker politisch geprägte Erklärungen empfehlen dagegen eher institutionalistische Rezepte. Danach benötigen die Gesellschaften des globalen Südens eine effektive demokratische staatliche Ordnung, um sich selbst organisieren und in das internationale System und die Welthandelsordnung integrieren zu können. Nicht zufällig ist eine häufige Schlussfolgerung, die aus dieser Diagnose abgeleitet wird, die Strategie des Staats- und Institutionenaufbaus (s. Text zu Interner Link: Institutionenaufbau in Kapitel 4).

Wie entwickelt sich das Kriegsgeschehen?

Die Zahl innerstaatlicher Konflikte war zwischen 1992 und 2003 deutlich zurückgegangen. Statistiken zeigten, dass Bürgerkriege seltener auftraten und immer weniger direkte Todesopfer forderten. (s. Text Interner Link: "Entwicklung innerstaatlicher Kriege und gewaltsamer Konflikte seit dem Ende des Ost-West Konfliktes", Kap. 1). Von Kommentatoren, wie Joshua Goldstein (2011) oder Steven Pinker (2011), wurde dies als Anzeichen für tieferliegende Prozesse gedeutet. Goldstein formulierte die griffige Formel, dass man dabei sei, den "Krieg gegen den Krieg" zu gewinnen. Pinker verknüpfte die Zahlen mit dem von ihm identifizierten allgemeineren Trend, wonach weltweit ein langfristiger Rückgang von Gewalt im gesellschaftlichen Leben feststellbar sei. Er argumentierte, dass sich die Menschheit in einem Modernisierungs- und Zivilisierungsprozess befinde, der immer stärkere Anreize für eine friedliche Austragung von Konflikten setze.

Diese Theorien blieben natürlich nicht unwidersprochen. An Pinkers These wurde vor allem methodische Kritik laut. Er messe die Opferzahlen von Konflikten nur relativ zur Weltbevölkerung und nicht in absoluten Zahlen, und er vernachlässige die indirekten Opfer und Folgen von Kriegen, d.h. diejenigen Menschen, die an Krankheit oder Hunger sterben. Pinker antwortete darauf, dass er lediglich einen lang andauernden Trend beschreibe und nicht voraussehbar sei, ob sich dieser Trend auch zukünftig fortsetzen werde.

Insbesondere Pinkers Buch erhielt viel öffentliche Aufmerksamkeit. Es hat trotzdem keine Welle des Optimismus losgetreten, weil seine Schlussfolgerungen schon bald mit neuen Konflikten konfrontiert wurden, die der These einer sich entwickelnden globalen Friedlichkeit widersprachen. Kriege in der Ukraine, in Syrien und Irak, in Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik schufen den Eindruck, dass die Geißel des Krieges alles andere als überwunden ist und eine Zeit neuer Unruhe bevorsteht. Laut Uppsala Conflict Data Program (UCDP) stieg die Zahl der unmittelbaren Kriegsopfer in 2014 auf den höchsten Stand der letzten 25 Jahre (Melander 2015).

Besonders beunruhigend für westliche BeobachterInnen war, dass diese Konflikte nicht bloß national zu sein schienen, sondern schwerwiegende transnationale und globale Implikationen haben. Der Ukraine-Konflikt und die Diskussion um "hybride Kriegsführung" erzeugten Angst vor einem neuen Kalten Krieg mit Russland. Der Bürgerkrieg in Syrien hat mit dem "Islamischen Staat" einen Protagonisten, der durch Attentate im westlichen Ausland zu einer transnationalen Bedrohung geworden ist.

Das Beispiel des IS zeigt auch einen Wandel des islamistischen Terrorismus an. Lange Zeit lag diesem in Form von Al-Qaida eine transnationale, eher lockere Organisation zugrunde. Lokale Zellen operierten mit viel Autonomie, wie "Franchise-Unternehmen". Die zentrale Hierarchie war eher schwach und operierte, angesichts der internationalen Jagd nach den Anführern, Osama bin Laden und Ayman al-Zawahiri, ebenso im Verborgen wie ihre Ableger in verschiedenen Teilen der Welt.

Der Islamische Staat (IS) verbindet eine transnationale Struktur mit einem Zentrum, das in Syrien und Irak als aktive Bürgerkriegspartei agiert. Ausgehend von seinem Anspruch, das Kalifat wieder zu errichten, hat der IS Gebiete erobert, die die Keimzelle seines territorialen Projekts darstellen sollen. Auf diese Weise hat er eine große Attraktivität für radikale Islamisten in vielen Ländern. Gleichzeitig macht sich der IS so aber auch verwundbar für direkte Angriffe.

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ist promovierter Politikwissenschaftler. Er ist Vertretungsprofessor für Internationale Beziehungen am Institut für Politikwissenschaft und Mitglied des Instituts für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen.