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Entwicklung innerstaatlicher Kriege und Krisen seit dem Ende des Ost-West Konfliktes | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Entwicklung innerstaatlicher Kriege und Krisen seit dem Ende des Ost-West Konfliktes

Nicolas Schwank

/ 8 Minuten zu lesen

Der drastischen Zunahme innerstaatlicher Kriege in der Endphase des Kalten Krieges folgte Mitte der 1990er Jahren ein deutlicher Rückgang. Nach einem erneut starken Anstieg bis 2014 bleibt die Zahl auf hohem Niveau. Gleichzeitig ist eine starke Zunahme innerstaatlicher Gewaltkonflikte unterhalb der Kriegsschwelle zu beobachten.

Soldaten der chinesischen UNAMID-Truppen in Darfur, Sudan. (© UN Photo/Stuart Price)

Die Entwicklung innerstaatlicher gewaltsamer Konflikte und Kriege seit dem Ende des Ost-West-Konflikts lässt sich in fünf Phasen unterteilen. Die erste Phase beginnt mit der zunehmenden Schwäche der Sowjetunion ab Mitte der 1980er und dauert bis Anfang der 1990er Jahre. In dieser Zeit stieg die Anzahl innerstaatlicher Kriege steil an und erreichte mit einem Wert von 50 im Jahre 1992 den absoluten Höchstwert der bis 1945 zurückreichenden Messungen. In der zweiten Phase beschreibt die Verlaufskurve einen rapiden Abschwung auf ein Minimum von 28 innerstaatlichen Kriegen im Jahr 1996. Darauf folgte in der bis 2003 währenden dritten Phase eine erneute Zunahme auf 42 Kriege. Die vierte Phase war durch große Schwankungen gekennzeichnet. In den Jahren 2005 und 2007 war die Anzahl mit 30 bzw. 32 Kriegen vergleichsweise niedrig. Dagegen stieg sie 2006 und 2008 mit 38 bzw. 40 Kriegen stark an. 2010 begann eine neue Phase, die 2013 und 2014 mit jeweils 45 innerstaatlichen Kriegen den höchsten Wert seit den 1990er Jahren aufwies.

Entwicklung inner- und zwischenstaatliche Krisen und Kriege 1945 - 2017 (Nicolas Schwank) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Die quantitative Entwicklung der innerstaatlichen Konflikte und Kriege beruht auf mehreren Faktoren und lässt sich aufgrund der Komplexität struktureller und situativer Faktoren nicht einfach erklären. Für die erste Phase (1985-1992) liegen die Ursachen jedoch klar auf der Hand: Mit dem Abflauen der Konfrontation zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion entfielen die Zuwendungen an Geld und Rüstungsgütern, die den Konfliktparteien von beiden Militärblöcken jahrzehntelang großzügig gewährt worden waren. Mit dem Ausbleiben der Unterstützung an Regierungen konnten Rebellengruppierungen nun schnelle militärische Erfolge erzielen, und in vielen Ländern begann der Zerfall geordneter Staatsstrukturen. Die Bürgerkriege in Somalia (ab 1992) und in Ruanda (1994) sind Beispiele hierfür. Letzterer gipfelte bekanntlich in einem Völkermord.

Der Rückgang der innerstaatlichen Kriege in der zweiten Phase ab 1993 kann zum Teil dadurch erklärt werden, dass sich in mehreren Bürgerkriegen eine der Konfliktparteien politisch und militärisch durchsetzte. Ihre Kontrahenten konnten sich schlicht die hohen Kosten eines aufwendigen Krieges nicht mehr leisten. In anderen Konflikten beugten sich die Bürgerkriegsparteien dem wirtschaftlichen Druck und den Forderungen der internationalen Gemeinschaft und stimmten einem Stopp der Gewalt und Friedensverhandlungen zu.

Konfliktparteien, denen es gelang, sich alternative Finanzierungsquellen zu erschließen, setzten dagegen ihren Kampf fort. Sie fanden auch Nachahmer. Die gesteigerte Fähigkeit von Rebellengruppierungen, natürliche Ressourcen, wie "Blutdiamanten", seltene Metalle oder Drogen, für die Finanzierung ihrer Kriegführung zu mobilisieren, erklärt hauptsächlich den erneuten, langsamen Anstieg der Zahl innerstaatlicher Kriege in der dritten Phase (ab 1997).

Die Gründe für Zickzack-Linie in der vierten Phase von 2004 bis 2010 liegen hauptsächlich im Auseinanderdriften der Konfliktentwicklungen in den verschiedenen Regionen der Welt. Während Afrika und Asien in diesem Zeitraum tendenziell starke Rückgänge der innerstaatlichen Kriege aufwiesen, verzeichnete der Nahe und Mittlere Osten einen deutlichen Anstieg. Besonders in Afghanistan und seinen Nachbarländern brachen nach der Intervention der USA im Jahre 2002 viele lokale innerstaatliche Kriege aus. Ein wichtiger Grund dafür ist in der Zersplitterung der alten Allianzen, aber auch im immer häufigeren Auftreten kleiner und regional agierender Gruppen zu suchen.

Die fünfte und letzte Phase seit 2010 ist einerseits geprägt durch die starke Fluktuation innerstaatlicher Gewalt im Zusammenhang mit den Ereignissen um den "Arabischen Frühling" und andererseits durch die steigende Anzahl von Gewaltkonflikten vor allem in Mittel- und Südamerika. Viele davon begannen ursprünglich als organisierte Kriminalität, müssen jedoch angesichts des Ausmaßes an Gewalt, eingesetzten Waffen und Todesopfern inzwischen als Kriege bezeichnet werden.

Der Rückgang der hochgewaltsamen innerstaatlichen Konflikte ab 2015 geht hauptsächlich auf die hohe Anzahl an Deeskalationen in mehreren afrikanischen Konflikten zurück, die jedoch entsprechend der Erfahrungen der letzten Jahre nicht von Dauer sein werden. Mit einem erneuten Anstieg der kriegerischen innerstaatlichen Konflikte weltweit ist deshalb zu rechnen.

Regionale Verteilung innerstaatlicher Konflikte

Der Blick auf die regionale Entwicklung der innerstaatlichen Kriege zeigt, dass sich zum Ende der 1980er Jahre die Situation am deutlichsten im subsaharischen Afrika und in Europa verschlechterte. Besonders das bis dahin weitgehend friedliche Europa erlebte eine völlig neue Situation. Hatte der Kontinent über lange Zeit mit Nordirland nur einen einzigen kriegsähnlichen Konflikt aufzuweisen, stieg die Zahl nun innerhalb von nur zwei Jahren auf acht. Die Hauptursache waren die Ablösungsbestrebungen nach dem Ende der Sowjetunion. Ehemalige sowjetische Teilrepubliken erkämpften nach und nach ihre Unabhängigkeit. Besonders im Baltikum und im Kaukasus (Armenien, Aserbaidschan und Georgien) wurde der Sezessionsprozess von zum Teil heftigen innerstaatlichen Auseinandersetzungen und Kriegen zwischen Befürwortern und Gegnern der Unabhängigkeit begleitet.

Das Scheitern des realen Sozialismus wirkte sich ebenfalls auf das ehemalige Jugoslawien aus. Da die ideologische Klammer wegfiel, löste sich der Vielvölkerstaat auf, der bereits nach Titos Tod (1981) in eine Krise geraten war. Innerhalb nur weniger Jahre konnte jedoch die für die gesamte europäische Entwicklung bedrohliche Situation eingedämmt werden, nicht zuletzt auch dank der euro-atlantischen Institutionen, eingedämmt werden. Einen herben Rückschlag für die gesamteuropäischen Friedensbemühungen stellte im Jahre 2008 allerdings der georgisch-russische Krieg dar, in dessen Folge auch die innerstaatlichen Kriege in Georgien (um Abchasien und Südossetien) erneut eskalierten. Aktuell schwelen die gewaltsamsten Konflikte Europas in den russischen Teilrepubliken Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien im nördlichen Kaukasus sowie in der Ukraine.

Im subsaharischen Afrika stieg die Zahl innerstaatlicher Kriege nach 1989 auf insgesamt 18 an. Als besonders anfällig erwiesen sich neben den bereits erwähnten Ruanda und Somalia insbesondere Uganda, Burundi und Äthiopien. Nach 1994 halbierte sich die Zahl innerhalb von nur zwei Jahren auf neun. Doch anders als in Europa eskalierte das Konfliktgeschehen erneut und erreichte 2002 mit 21 innerstaatlichen Kriegen einen abermaligen Höchstwert. Einen besonderen Schwerpunkt der gewaltsamen Auseinandersetzungen bildete in diesem Zeitraum die DR Kongo. Aber auch der Sudan, Angola und Uganda wiesen eine hohe Kriegsbelastung auf. In den darauffolgenden Jahren bildeten neben der DR Kongo vor allem der Tschad und Nigeria die Spitze der Kriegsländer. Aktuell sind Nigeria, die Zentralafrikanische Republik, der Sudan, der Südsudan und Mali die wichtigen Schauplätze innerstaatlicher Kriege in Afrika.

Ein gegenläufiger Trend lässt sich für die Region Asien/Ozeanien feststellen. Hier sank nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die Anzahl innerstaatlicher Kriege insgesamt deutlich. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt auf das – zumindest vorläufige -– Ende vieler langjähriger Kriege, so in Kambodscha, Sri Lanka, Indonesien und Myanmar. Auch in Indien, wo es sehr viele innerstaatliche Kriege im Norden des Landes gab, hat sich die Situation zumindest zeitweilig etwas beruhigt. Allerdings wurde und wird in Asien eine größere Zahl von gewaltsamen Konflikten unterhalb des Kriegsniveaus ausgetragen.

In den verschiedenen Teilen des amerikanischen Kontinents lag die Konflikthäufigkeit nach 1989 gleichfalls deutlich unter dem Wert der 1980er Jahre. Typische Konflikte um das politische oder ökonomische System, wie in Nicaragua, Guatemala oder El Salvador, bei denen sich beide Militärblöcke stark engagierten, wurden in den 1980er Jahren beendet oder ebbten in ihrer Gewaltintensität ab. Einzig Kolumbien blieb bis zum Waffenstillstand vom 22. Juni 2016 von blutigen Kämpfen zwischen den FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) und den Regierungstruppen betroffen. Die FARC hatten es durch den Aufbau eines lukrativen Drogenhandels geschafft, Einkommen für ihre militärischen Unternehmungen zu generieren. Kriege, in denen es vorrangig um die Verteilung der Gewinne aus dem Drogenschmuggel geht, toben ebenfalls in Mexiko und Brasilien.

Der Vordere und Mittlere Osten, der die islamischen Staaten vom Maghreb bis nach Afghanistan umfasst, zeigte nach dem Ende des Kalten Krieges zunächst eine ähnliche Tendenz wie in Amerika oder Asien. Die Kriegshäufigkeit nahm deutlich ab. In den letzten Jahren verschlechterte sich der Wert allerdings wieder drastisch – die Kriegszahl war noch nie so hoch. Auffallend ist, dass die regionale Konfliktverlaufskurve erst nach 2002 – und damit nach den Kriegen der USA gegen Afghanistan und den Irak – deutlich anstieg. In der Region dominieren Konflikte, in die islamistische Gruppen in der einen oder anderen Weise involviert sind. Von Afghanistan und dem Irak aus sind Mudschaheddin-Milizen in den gesamten arabischen Raum eingesickert. Sie nutzen die schwache Staatlichkeit vieler Länder, um mit Gewalt ihre Ziele durchzusetzen.

Zunahme gewaltsamer Krisen unterhalb der Kriegsschwelle

Eine bemerkenswerte neuere Entwicklung ist der starke Anstieg "gewaltsamer Krisen", wie sie im CONIAS-Ansatz bezeichnet werden. Der CONIAS Ansatz unterscheidet insgesamt fünf unterschiedliche Stufen politischer Konflikte, wobei die ersten beiden gewaltlos sind und die gewaltsamen Phasen in "gewaltsame Krise", "begrenzter Krieg" und "Krieg" unterschieden werden. Die Konfliktform "gewaltsame Krise" fordert zwar einen geringeren Blutzoll als "begrenzte Kriege" oder "Kriege", sie tritt dafür aber oft überraschend und ohne große Vorwarnzeichen auf. Sie stellt eine neue Qualität der Bedrohung der inneren Sicherheit zahlreicher Staaten dar, die in ihren Auswirkungen – z.B. große Flüchtlingsbewegungen und das damit verbundene Elend der Zivilbevölkerung – durchaus an jene von Kriegen heranreicht. Für die Bewertung der Stabilität und Sicherheit eines Staates wird es deshalb immer wichtiger, nicht nur die Anzahl innerstaatlicher Kriege, sondern auch jene gewaltsamer Krisen zu beachten (vgl. Grafik 1: gestrichelte hellblaue Linie).

Zu "gewaltsamen Krisen" zählen unterschiedliche Formen politischer Konflikte. Darunter fallen beispielsweise Bombenanschläge, Selbstmordattentate oder einzelne, gezielte Tötungen von Zivilisten – also Konfliktformen, die in den Medien gemeinhin als Terrorismus bezeichnet werden. Zu dieser Kategorie gehören ebenso die Operationen kleinerer bewaffneter Gruppen, die ein ähnliches Vorgehen zeigen wie militärische Gruppen in Bürgerkriegen, aber aufgrund ihrer Personalstärke und/oder Bewaffnung nicht das Kriegsniveau dauerhaft erreichen. Beispiele hierfür sind der Autonomiekonflikt der Bakonzo im Westen von Uganda, Konflikte wie im Norden Malis zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppierungen um die Vorherrschaft in der Region oder der Konflikt zwischen bewaffneten Christen und Muslime in Indonesien

Schließlich werden unter gewaltsamen Krisen auch jene militärischen Handlungen subsumiert, die von gut ausgebildeten und materiell ausgestatten staatlichen und nicht-staatlichen Armeen ausgeführt werden, aber in ihrem Ausmaß begrenzt bleiben. Jede einzelne dieser "gewaltsamen Krise" ist jedoch ausreichend, um das Sicherheitsgefühl in diesen Staaten empfindlich zu stören. Sie sind deshalb nicht nur eine massive Bedrohung für die physische Sicherheit der Bevölkerung, sondern auch eine Gefahr für das wirtschaftliche Wachstum geworden.

Die Verlaufslinie in der Grafik 1 zeigt, dass die Häufigkeit innerstaatlicher "gewaltsamer Krisen" bis Mitte der 1990er Jahre stark mit dem Aufkommen innerstaatlicher Kriege korrelierte. Erst ab 1995 zeichnet sich eine eigenständige Entwicklung ab. Die deutliche Zunahme gewaltsamer Krisen fällt mit dem Zeitraum zusammen, in dem die Verbreitung des Internets voranschritt. Insofern stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Anstieg dieser Konfliktform um eine reale Zunahme handelt, oder ob lediglich die Informationen und Berichte darüber zugenommen haben. Sicherlich ist ein solcher medialer Verstärkungseffekt nicht auszuschließen. Doch sind in diesen Zeitraum noch andere Korrelationen zu beobachten: die Häufung von Staaten mit schwacher Staatlichkeit sowie die zunehmende Verbreitung sogenannter leichter Waffen. Beides führte offenbar dazu, dass Rebellengruppierungen sowie andere gewaltbereite politische oder kriminelle Gruppen mit vergleichsweise geringem Aufwand wirkungsvolle Gewaltaktionen durchführen können.

Weitere Inhalte

Geb. 1972, ist Leiter der CONIAS Forschungsgruppe und seit 2013 Geschäftsführer einer Firma, die sich auf die Analyse und Prognose politischer Risiken spezialisiert hat. Zwischen 1999 und 2004 war er Vorsitzender des Heidelberger Instituts für Heidelberger Konfliktforschung (HIIK) und zwischen 2002 und 2012 stellvertretender Projektleiter mehrerer Drittmittel finanzierter Forschungsprojekte an der Universität Heidelberg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Erfassung und Analyse von Konfliktdynamiken und deren Einflussfaktoren.