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Einführung: Zwischen Interessenpolitik und Peacebuilding | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Einführung: Zwischen Interessenpolitik und Peacebuilding Warum externe Mächte in innerstaatliche Konflikte eingreifen

Daniel Lambach

/ 7 Minuten zu lesen

Politische Umbrüche innerhalb von Staaten können die Interessen von Nachbarländern, globalen Mächten und Unternehmen erheblich tangieren. Daher gibt es seit jeher vielfältige Bemühungen, auf die Entwicklung in anderen Ländern Einfluss zu nehmen. Diese Bemühungen können bestehende Konflikte entweder einhegen oder anfachen.

Ein portugiesischer Soldat der MINUSCA-Mission der UN. (© picture-alliance/AP)

Um eine möglichst friedliche Austragung innerstaatlicher Konflikte zu erreichen, gab es in den 1990er und 2000er Jahren ambitionierte Versuche von Staaten und internationalen Organisationen, eine regelbasierte internationale Ordnung aufzubauen, die die externe Intervention in Konfliktgebiete an gemeinsam vereinbarte Werte und Regeln bindet. Doch sind diese vielversprechenden Ansätze seit Anfang der 2010er Jahre in eine Krise geraten.

Rollen externer Akteure

Wenn Regierungen das Risiko eingehen, sich in innerstaatliche Konflikte in anderen Ländern einzumischen, tun sie das nicht nur aus humanitären oder friedenspolitischen Motiven, sondern auch aus nationalen Interessen, seien diese wirtschaftlicher, diplomatischer oder geopolitischer Natur. Andere Staaten, insbesondere Nachbarstaaten, können auf vielfältige Weise in einen innerstaatlichen Konflikt involviert sein:

  • Sie können selbst eine Konfliktpartei und dabei vielleicht sogar ein Mitanstifter oder Mitauslöser des Konflikts sein. So führten türkische Streitkräfte Kampfeinsätze gegen kurdische Milizen in Externer Link: Syrien durch.

  • Sie können Unterstützer einer oder mehrerer innerstaatlicher Konfliktparteien sein und diesen politisch, aber auch mit Waffen, Geld und verdeckten Operationen zur Seite stehen, wie z.B. Saudi-Arabien (und andere Staaten) im Externer Link: Jemen.

  • Nicht zuletzt sind andere Staaten, insbesondere Nachbarstaaten, auch in gewisser Weise Opfer innerstaatlicher Konflikte. Sie müssen Flüchtlinge aufnehmen, Handelswege werden unterbrochen, Kleinwaffen breiten sich aus. Mitunter brechen dort ebenfalls Kriege aus, wie z.B. durch die Ausbreitung der islamistischen Boko Haram-Miliz aus Externer Link: Nigeria nach Externer Link: Tschad, Niger und Externer Link: Kamerun.

  • Externe Staaten können Profiteure des Konflikts bzw. Krieges sein, z.B. indem sie eine für sie günstige politische Lösung erzwingen oder Gewinne bei der Ausplünderung natürlicher Ressourcen erzielen. So zog die liberianische Regierung in den 1990er Jahren großen Profit aus dem Handel mit Externer Link: sierra-leonischen "Blutdiamanten".

  • Regierungen und Vertreter internationaler Organisationen können auch als Vermittler zwischen Konfliktparteien auftreten, wie es z.B. Nachbarstaaten, wie Äthiopien und Uganda, aber auch Großmächte, wie China und die USA, im Externer Link: südsudanesischen Bürgerkrieg taten.

Politisch am brisantesten ist sicherlich, wenn andere Staaten als Konfliktparteien militärisch beteiligt sind. Dies ist seit den 2010er Jahren zunehmend der Fall. Das Externer Link: Uppsala Conflict Data Program, Externer Link: eines des weltweit renommiertesten Forschungsprogramme zu Gewaltkonflikten, veröffentlicht jährlich Statistiken über das Kriegsgeschehen. Dabei zählt es u.a. die Zahl "internationalisierter innerstaatlicher Konflikte", also solcher Konflikte, in denen eine externe Partei durch die Kampfbeteiligung eigener Truppen militärisch involviert ist. War diese Zahl bis Ende der 2000er Jahre relativ stabil bei unter 10 Fällen pro Jahr, ist sie bis 2020 auf ca. 25-30 Fälle pro Jahr angestiegen (Pettersson et al. 2021).

Schaut man die 25 Fälle aus dem 2021er-Datensatz genauer an, lassen sich unterschiedliche Gruppen von Fällen identifizieren:

  • In knapp der Hälfte der Fälle sind es westliche Staaten, v.a. die USA oder Frankreich, die zusammen mit regionalen Verbündeten intervenieren, i.d.R. auf der Seite der Regierungen und nationalen Streitkräfte.

  • Der globale Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) repräsentiert allein 10 Fälle. Dazu kommen einige weitere, in denen andere islamistische Bewegungen durch internationale Allianzen bekämpft werden.

  • Eine dritte Gruppe von Fällen ist in Afrika angesiedelt. Dort unterstützen sich afrikanische Staaten gegenseitig bei der Bekämpfung von Aufständischen. Dies ist eine deutliche Veränderung gegenüber den 1980er und 1990er Jahren, wo afrikanischen Staaten in ihren Nachbarländern eher aufständische Gruppen als die Regierungen unterstützten.

  • Schließlich gab es 2021 nur einen einzigen Fall im Datensatz, wo externe Akteure auf verschiedenen Seiten desselben Konflikts intervenierten: In Syrien unterstützte die Türkei Aufständische, während Iran und Russland auf der Seite des Regimes intervenierten.

Allerdings sind bekannte Fälle, wie Externer Link: Libyen, Sudan, Zentralafrika und die Sahel-Region, nicht in dieser Auswahl vertreten. Hier unterstützen externe Mächte, wie die USA, Russland und die Türkei, verfeindete lokale Akteure, ohne dafür reguläre Truppen zu entsenden. Das bekannteste Beispiel ist wohl die Präsenz der russischen Söldnergruppe "Wagner" in den o.g. Konfliktländern und -regionen.

Regierungen und nationale Interessenspolitik

Länder, wie die USA, Frankreich und Russland, tauchen als Interventen in innerstaatlichen Konflikten weltweit auf. Wie die UCDP-Daten zeigen, tun sie dies vermehrt im letzten Jahrzehnt, in dem die globale Kooperationsbereitschaft zur Eindämmung von Bürgerkriegen merklich nachgelassen hat. Externer Link: Wie Liana Fix in ihrem Text zu Russland bemerkt, beansprucht Russland eine Großmachtrolle mit besonderen Vorrechten in seiner "Einflusszone" im postsowjetischen Raum, welche es durch militärische Machtdemonstrationen und Krieg durchzusetzen versucht.

Auch die Vereinigten Staaten versuchen, ihre hegemoniale Position global abzusichern. Externer Link: Julian Müller-Kaler und Lutz Schrader zeigen in ihrem Beitrag auf, wie sich die strategischen Begründungen je nach Dominanz verschiedener politischer Positionen in Washington ändern. Den USA steht dabei ein breites Instrumentarium an Mitteln zur Verfügung, um politische Prozesse in eine ihr genehme Richtung zu lenken. Die Volksrepublik China ist bislang eher zurückhaltend bei der Entsendung von Truppen ins Ausland, auch wenn sie sich seit einiger Zeit zunehmend an UN-Friedensmissionen beteiligt. Stattdessen nutzt die chinesische Regierung hauptsächlich politische und wirtschaftliche Instrumente, um ihre Interessen in Konfliktländern und Post-Konfliktländern zu verfolgen.

Deutschland versucht ebenfalls, ein eigenes Profil in der internationalen Konfliktbearbeitung zu entwickeln. Externer Link: Wie Hans-Georg Ehrhart in seinem Beitrag argumentiert, ist dies jedoch eine schwere Aufgabe, bei der gute Intentionen durch unzureichende Umsetzung ausgebremst werden. Ein glaubwürdiges Engagement für multilaterale Lösungen ist sicherlich zu begrüßen und auch der schrittweise Aufbau von Krisenreaktionskräften macht die Bundeswehr handlungsfähiger. Gleichzeitig fehlt es an ausreichenden Ressourcen sowie der Anerkennung, dass sich die Welt derzeit in eine ungünstige Richtung für konstruktive Konfliktbearbeitung entwickelt. Die westlichen Konzepte eines liberalen Peacebuilding scheinen an ihre Grenzen gestoßen zu sein, ohne dass es einen überzeugenden Ersatz dafür gäbe.

Wie sich die Rolle internationaler Organisationen verändert

Neben Staaten spielen auchExterner Link: internationale Organisationen, wie die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union und die Europäische Union, oder Externer Link: zivilgesellschaftliche Akteure eine wichtige Rolle in Konflikten, insbesondere beim Versuch, diese politisch einzuhegen und zu managen. Seit dem Ende des Kalten Krieges gab es hier Veränderungen, die jedoch nicht zu einem nachhaltigen Umbau der internationalen Ordnung in Richtung einer wirksamen Prävention und Bearbeitung von gewaltsamen Konflikten geführt haben.

Die erste Veränderung ist normativ. Im Kern geht es um eine Neubewertung dessen, wer bei innerstaatlichen Konflikten Verantwortung trägt: einerseits die beteiligten Regierungen, andererseits die internationale Gemeinschaft. Hier hat sich seit den 1990er Jahren das Verständnis davon verändert, was als "innere Angelegenheit" eines Staates gilt und woran die internationale Gemeinschaft ein legitimes Interesse haben kann. Externer Link: Der Beitrag von Hans-Joachim Heintze zeichnet den Stand der völkerrechtlichen Diskussion um eine internationale "Schutzverantwortung" nach. Im Kern soll damit die Verantwortung von Regierungen für den Schutz ihrer eigenen Bevölkerung vor massiven Menschenrechtsverletzungen völkerrechtlich festgeschrieben werden. Diese Verantwortung soll auf die internationale Gemeinschaft übergehen, wenn Regierungen ihr nicht nachkommen. Während westliche Staaten diese Weiterentwicklung des Völkerrechts unterstützen, verweisen andere Länder auf den Schutz der staatlichen Souveränität.

Das zweite ist eine institutionelle Veränderung: Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts erhielten multilaterale Organisationen wesentlich größere Handlungsmöglichkeiten zum Eingriff bei massiven Menschenrechtsverletzungen, da sie zumindest zeitweise nicht mehr zwischen den Großmächten blockiert waren. Dies galt vor allem für die Externer Link: Vereinten Nationen, aber einige Regionalorganisationen, wie die Afrikanische Union, die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft oder die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, haben ebenfalls Instrumente zur Konfliktbearbeitung unter ihren Mitgliedsländern entwickelt, wie der Externer Link: Text von Ekkehard Griep aufzeigt. Weiterhin beschreibt Externer Link: Julia Strasheim in ihrem Beitrag, wie die Europäische Union versucht, wirksam zur Befriedung gewaltsamer Konflikte außerhalb ihres eigenen Gebiets beizutragen.

Gerade die Vereinten Nationen spielten eine überaus wichtige Rolle beim globalen Konfliktmanagement, büßen jedoch seit einiger Zeit ihre neu gewonnene Autorität und Handlungsfähigkeit zunehmend wieder ein (Gowan/Stedman 2018). Gab es in den 1990er und 2000er noch positive Entwicklungen von Normen, Instrumenten und Handlungsbereitschaft, stagnieren die Bemühungen der Weltorganisation zum Management innerstaatlicher Konflikte seit den 2010er Jahren.

Laut dem aktuellen Factsheet des UN Department of Peacekeeping (Stand: 30. Juni 2023) ist die Zahl aktiven Personals in Uniform von einst weit über 100.000 auf knapp 75.000 gesunken. Es gibt nur noch 12 laufende Peacekeeping-Missionen anstelle von 17-18, was lange Zeit der Normalzustand war. Nach der 2014 geschaffenen Externer Link: MINUSCA-Mission in der Zentralafrikanischen Republik wurde keine neue UN-Mission mehr mandatiert. Es sind gerade die mächtigsten Nationen, die sich oft nur sehr wenig an multilateralen Friedensmissionen beteiligen. Die größten Truppenkontingente kommen traditionell aus asiatischen (Nepal, Indien, Bangladesch, Pakistan, Indonesien) oder afrikanischen Ländern (Ruanda, Ghana, Senegal).

Die Diskussionen innerhalb der UN-Vollversammlung und des Sicherheitsrats um ein gemeinsame internationale Position zu den Bürgerkriegen in Externer Link: Libyen und Externer Link: Syrien (beide ab 2011) offenbarten zudem einen erstarkten Widerstand gegen externe Interventionen, insbesondere aus China und Russland. Die Lähmung der Vereinten Nationen ist eine Auswirkung der zunehmenden Externer Link: Gegenmachtbildung autokratischer Staaten sowie von Ländern des Globalen Südens. Sie kritisieren schon länger viele westliche Positionen in der globalen Friedens- und Sicherheitspolitik als selbstgerecht und inkohärent (Jütersonke et al. 2021; Bliesemann de Guevara/Kühn 2010).

Resümee und Ausblick

Wo stehen wir heute? Die 1990er und 2000er Jahre haben ambivalente Veränderungen gebracht. Einerseits eine Externer Link: massive Ausweitung von Konfliktprävention und Peacebuilding sowie ernstgemeinter Versuche, von Kriegen verheerten Gesellschaften beim Wiederaufbau zu helfen, welche durchaus positive Wirkungen hinterließen (Gowan/Stedman 2018). Andererseits war diese Phase auch durch eine offene Interessens- und Interventionspolitik des Westens geprägt, die – teils zu Recht – als "humanitärer Imperialismus" kritisiert wurde (Nardin 2005), bis hin zur Externer Link: US-amerikanischen Politik des "regime change" u.a. in Afghanistan, im Irak und in Libyen.

Die Entwicklungen seit den 2000er und 2010er Jahren zeigen, dass die Weltgemeinschaft eine Chance vertan hat. Anstatt das internationale System im Sinne eines effektiveren Schutzes menschlicher Sicherheit gegen innerstaatliche Gewalt umzubauen, wurde die Externer Link: Peacebuilding-Agenda zwischen widerstreitenden Interessen zerrieben. Der Kampf gegen den islamistischen Terror und die Beschränkung auf die Stabilisierung von (Post-)Konfliktstaaten verdrängten die humanitäre und demokratiefördernde Motivation früherer Ansätze. Angesichts der zunehmenden spannungsgeladenen Weltlage zeichnet sich aktuell auch kein neues "Möglichkeitsfenster" für eine bessere Kooperation zur Prävention und zum Schutz der Opfer von Bürgerkriegen ab. Dies hat auch Folgen für den Rest der Welt, wenn Flüchtlinge aus Konfliktregionen anderswo Schutz suchen.

Weitere Inhalte

PD Dr. Daniel Lambach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum Normative Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt und assoziierter Forscher am Peace Research Institute Frankfurt.