Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts schien die Gefahr großer zwischenstaatlicher Kriege zwischen den USA und der Sowjetunion und ihren Verbündeten gebannt. Stattdessen wurden (gewaltsame) innerstaatliche Konflikte und Kriege zu einem zentralen Thema und Handlungsfeld der internationalen Politik. Der Übergang von der Bipolarität der Systemkonkurrenz zwischen den USA und Sowjetunion zu einer von westlichen liberalen Normen geprägten Weltordnung – (neo-)liberale Marktwirtschaft, repräsentative Demokratie und universell gültige Menschenrechte – vollzog sich vielerorts mit großen politischen und sozialen Verwerfungen und Brüchen.
In dieser Phase des Zusammenbruchs alter Strukturen und des Übergangs zu neuen innerstaatlichen und internationalen Ordnungsvorstellungen, die bereits Anfang der 1980er Jahre, also einige Jahre vor der Auflösung der Sowjetunion begonnen hatte, erhöhte sich Jahr für Jahr die Zahl gewaltsamer innerstaatlicher Konflikte.
Ein globales Lernfeld
Regierungen und internationale Organisationen waren alarmiert. Plötzlich rückten Fragen und Herausforderungen auf die weltpolitische Tagesordnung, für die niemand hinreichend erprobte Antworten, geschweige denn Handlungsempfehlungen in der Schublade hatte. Das Thema "innerstaatliche Konflikte" war in aller Munde. Forschungsaufträge zu den Ursachen und Bearbeitungsmöglichkeiten wurden an renommierte Forschungseinrichtungen vergeben. In vielen Ländern gründeten sich Institute und Studiengänge für Friedens- und Konfliktforschung. Bereits bestehende und neu gegründete Nichtregierungsorganisationen (NGOs) begannen, sich mit Projekten in Krisengebieten zu engagieren.
Neu in den Jahren des Aufbruchs nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation war, dass die Vermeidung und Beendigung bewaffneter innerstaatlicher Konflikte als gemeinsame Herausforderung der internationalen Staatengemeinschaft verstanden wurde. Von den zuständigen internationalen Organisationen, den intervenierenden Staaten und den zivilgesellschaftlichen Gruppen wurde erwartet, dass sie auf der Grundlage vereinbarter Eckpunkte möglichst abgestimmt vorgehen. Dies bedeutete einen Paradigmenwechsel im Vergleich zu den vier Jahrzehnten des Ost-West-Konflikts, wo innerstaatliche Konflikte häufig als Auseinandersetzung zwischen prowestlichen und prosowjetischen Kräften, also als Stellvertreterkonflikte angesehen und ausgetragen wurden.
Um diese Form gewaltsamer Konflikte möglichst verhindern und wirksam bearbeiten zu können, war ein umfangreiches Wissen über ein vergleichsweise neues Politikfeld erforderlich. Das Interesse von Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik richtete sich dabei in erster Linie auf die Erforschung der Strukturen, der Ursachen und der Dynamik von Konflikten im Allgemeinen und von innerstaatlichen Konflikten im Besonderen. Dabei rückte zunehmend auch die jüngere und ältere Geschichte innerstaatlicher Konflikte in den Fokus empirischer und theoretischer Untersuchungen.
Struktur, Komplexität und Dynamik von Konflikten
In den wissenschaftlichen und politischen Lernprozess flossen Erfahrungen und Erkenntnisse aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Forschung, Therapie und gesellschaftlichen Praxis ein. Darunter waren z.B. neuere soziologische und politikwissenschaftliche Konflikttheorien, Forschungsergebnisse und Handlungsansätze der humanistischen Psychologie sowie Erfahrungen und Studien zivilgesellschaftlicher Organisationen im Bereich der gesellschaftlichen und internationalen Konflikt- und Friedensarbeit. Die Friedens- und Konfliktforschung etablierte sich an mehreren Universitäten endgültig als akademische Disziplin.
In der wissenschaftlichen Forschung und der praktischen Konfliktberatung wurden verschiedene neue Einsichten in Bezug auf die Natur, die Komplexität, die Ursachen und die Dynamik von Konflikten formuliert:
(1) Alle Konflikte – egal ob zwischen Einzelpersonen, zwischen kleineren und größeren Gruppen oder zwischen Staaten und Staatenbündnissen – weisen grundsätzlich eine vergleichbare Struktur auf. Dabei haben wir es immer mit drei Komponenten zu tun: (1) widerstreitenden Kommunikations- und Verhaltensmustern, (2) gegensätzlichen Interessen und Zielen sowie (3) unvereinbar erscheinenden Einstellungen und Überzeugungen.
(2) Ob ein Konflikt vorliegt, kann nicht von einer gleichsam objektiven, d.h. wissenschaftlichen oder normativen Position aus festgestellt bzw. definiert werden. Die Entscheidung darüber liegt in erster Linie bei den Konfliktparteien. Ein Konflikt besteht also schon dann, wenn nur eine der Parteien ihre psychische und/oder physische Integrität durch das Verhalten und Handeln, die Verfolgung der Interessen und Ziele und/oder die Einstellungen und Überzeugungen einer anderen Partei in inakzeptabler Weise gefährdet bzw. beeinträchtigt sieht. Das gilt auch dann, wenn die anderen Beteiligten den Konflikt nicht sehen oder nicht anerkennen wollen.
(3) Es gibt kaum einen Konflikt, in dem sich lediglich zwei Parteien gegenüberstehen und um einen Konfliktgegenstand streiten. In der Regel sind Konflikte deutlich komplexer. Auf mehreren, miteinander vernetzten und verschränkten Ebenen stehen sich direkt und indirekt Beteiligte in unterschiedlichen Konstellationen gegenüber. Hinzu kommt, dass jede Partei den Konflikt vor dem Hintergrund ihrer eigenen Prägungen, Erfahrungen und Interessen wahrnimmt und bewertet. Experten sprechen vom "Konflikt über den Konflikt".
(4) Konflikte sind zunächst weder gut noch schlecht. Sie sind ein normaler Bestandteil unseres sozialen Lebens. Das Problem ist nicht, wie weit die Konfliktparteien mit ihren jeweiligen ideellen und materiellen Positionen auseinanderliegen, sondern wie sie mit der oft angespannten und belastenden Situation umgehen.
(5) Oft können Konflikte bereits durch eine achtsamere Kommunikation befriedet werden. Wenn allerdings die Ursachen auf der strukturellen Ebene – also z.B. in Machtunterschieden, sozialen Ungerechtigkeiten und/oder ungleichen Zugängen zu (über-)lebenswichtigen Ressourcen – zu suchen sind, werden tiefgreifendere Veränderungen notwendig. In diesen Fällen können Konflikte meist erst im Zuge eines substanziellen sozialen Wandels überwunden werden. Das setzt meist auch eine Angleichung des Machtgefälles und einen inklusiveren Modus der Teilhabe und Entscheidung im Verhältnis zwischen den Konfliktparteien voraus.
(6) Beobachter und andere Außenstehende, ob Freunde oder Nachbarn, Experten oder Journalisten, Politiker oder Unternehmer, Nothelfer oder Vermittler, sind keine neutrale Instanz. Denn durch ihre Bewertungen und ihr Verhalten können sie sowohl zur Beruhigung, Öffnung als auch zur Zuspitzung und Verhärtung von Konflikten beitragen. Auch für sie gilt deshalb das "Do no harm"-Prinzip. Das bedeutet, dass jede Handlung daraufhin zu überprüfen ist, ob von ihr – beabsichtigt oder unbeabsichtigt– Wirkungen ausgehen könnten, die geeignet sind, den Konflikt zuzuspitzen bzw. zu verhärten.
Erfassung, Analyse und Bewertung von Konflikten
Ein deeskalierender Umgang mit Konflikten beginnt mit einer gründlichen Analyse. Voraussetzung dafür ist nicht nur ein breites theoretisches Wissen, sondern der Zugang zu möglichst aktuellen und aussagekräftigen Daten – z.B. über Konfliktparteien und Austragungsort, Beginn und Dauer, Auslöser und Streitgegenstand, Intensität und Gewaltniveau, Opfer und Kosten. Da Ende der 1980er Jahre noch kaum geeignete Konzepte und Raster zur statistischen Erfassung und Charakterisierung innerstaatlicher Krisen und Konflikte existierten, wurden an mehreren Universitäten und Instituten neue Forschungsansätze entwickelt und Datensammlungen eingerichtet.
Beispiele sind das Uppsala Conflict Data Programm (UCDP) in Schweden sowie die Arbeitsgemeinschaft für Kriegsursachenforschung (AKUF) und das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) in Deutschland. Die drei Einrichtungen erfassen, systematisieren und bewerten kontinuierlich weltweit stattfindende gewaltträchtige Konflikte und Kriege nach vorgegebenen Kriterien und publizieren einmal jährlich ihre Ergebnisse. So liegen in regelmäßigen Abständen aussagekräftige Übersichten und Analysen zu den Trends des globalen Konfliktgeschehens vor.
Seit einiger Zeit etablieren sich immer mehr Agenturen im Bereich der Datenerhebung sicherheitsrelevanter Ereignisse und Frühwarnung. Am erfolgreichsten ist das ACLED-Projekt (Armed Conflict Location & Event Data Project). ACLED veröffentlich z.T. im Wochenrhythmus Daten zu politisch motivierten Einzelereignissen in Krisenregionen (z.B. Kämpfe, Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, Attentate, Aufstände, Proteste). Diese werden mit Georeferenzdaten verknüpft und in elektronische Karten eingebunden. Im Unterschied zu den o.g. Projekten fehlt hier allerdings die Zuordnung dieser Einzelereignisse zu längerfristigen Krisen- und Konfliktkontexten.
Zur Geschichte innerstaatlicher und regionaler Konflikte
Will man innerstaatliche und regionale Konflikte besser verstehen, ist ein Blick in die Geschichte unerlässlich. Die verfügbaren Langzeitdaten des US-amerikanischen "Correlates of War"-Projektes (CoW) reichen bis 1816 zurück. Die Daten belegen, dass bereits im 19. Jahrhundert deutlich mehr innerstaatliche als zwischenstaatliche Konflikte und Kriege stattgefunden haben. Zudem fällt auf, dass innerstaatliche Konflikte und Kriege immer dann vermehrt auftraten, wenn sich ein grundlegender Wandel regional- und weltpolitischer Ordnungsvorstellungen vollzog. Kurz: Wenn die Weltpolitik infolge des Kampfes zwischen widerstreitenden Ordnungsprinzipien in Turbulenzen geriet, erhöhte sich auch die Zahl innerstaatlicher Konflikte.
In den bürgerlichen Revolutionen des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts ging es um die Ablösung der dynastisch organisierten Monarchien durch das übergreifende Prinzip des modernen Nationalstaats. In den nationalen Befreiungskriegen kämpften die Aufständischen gegen das imperiale bzw. koloniale Joch. Der Amerikanische Bürgerkrieg (1861-1865) war das bekannteste Beispiel für bewaffnete innere Auseinandersetzungen um die politische und wirtschaftliche Verfasstheit des Nationalstaates.
Dieses Muster setzte sich auch im 20. Jahrhundert fort. Mit der Oktoberrevolution und dem russischen Bürgerkrieg (1917-1922) kündigte sich ein neuer großer Ordnungskonflikt an: die Systemrivalität zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs etablierte sich der Ost-West-Konflikt als übergreifendes Strukturprinzip in den internationalen Beziehungen. In zahlreichen innerstaatlichen Konflikten standen sich prowestliche und prosowjetische Parteien und Bewegungen gegenüber, die um die soziopolitische Ausrichtung und das Verhältnis ihres Landes zu den sich unversöhnlich gegenüberstehenden Blöcken stritten.
Eine weitere Zäsur bildete die sprunghafte Zunahme des antikolonialen Befreiungskampfes, vor allem in Afrika. Sie war ursächlich für eine signifikante Zunahme gewaltsamer Konflikte in den 1950er Jahren. Auf die Erringung der Unabhängigkeit folgten in den 1960er und 70er Jahren zahlreiche bewaffnete innere Auseinandersetzungen, weil die politische Orientierung des neuen Staates zwischen Ost und West umstritten war. In mehreren Staaten kämpften zudem ethnische Minderheiten um die staatliche Unabhängigkeit der von ihnen besiedelten Territorien und die Bildung eines eigenen Staates.
Ein weiterer signifikanter Anstieg von Mitte der 1970er bis Anfang der 1990er Jahre fällt mit dem sich verschärfenden Kalten Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion zusammen, der hauptsächlich in der Dritten Welt ausgetragen wurde. Wichtige Schauplätze waren Mittelamerika und die Karibik, das südliche Afrika sowie der Krisenbogen, der sich von Nordafrika über den Nahen Osten und die südliche Arabische Halbinsel bis nach Afghanistan erstreckt. Das verstärkte internationale Engagement der Sowjetunion und ihrer Verbündeten und der Rüstungswettlauf mit den USA führten zur Überdehnung ihrer kaum noch wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften. Die dadurch ausgelöste interne Krise gipfelte in der Auflösung der Sowjetunion und dem Zerfall des sogenannten Ostblocks. Der Weltordnungskonflikt schien für einen langen Zeitraum zugunsten der westlichen Staaten und des liberalen Gesellschaftsmodells entschieden.
Aktuelle Kriege und Konflikte
In den 1990er Jahre sah es zunächst so aus, als würde die Zahl innerstaatlicher und regionaler Konflikte dank neuer Handlungsansätze und gemeinsamer Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft dauerhaft abnehmen. Doch schon Ende des Jahrzehnts kehrte sich der Trend wieder um. Bis 2003 erhöhte sich ihre Zahl wieder auf über 40 Kriege. Nach einem uneinheitlichen Auf-und-ab in der zweiten Hälfte der 2000er Jahren folgte ab 2010 ein erneuter Anstieg auf 51 Kriege (2013). Seitdem hat sich der Wert zwischen 36 und 44 Kriegen eingependelt.
An der globalen Konfliktentwicklung der letzten drei Jahrzehnte lässt die Entwicklung der Hegemonie des liberalen Westens in der internationalen Politik nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wie an einer Fieberkurve ablesen. Nach einer Phase der Aufbruchstimmung, gemeinsamer Anstrengungen und erster Ergebnisse trat ab Ende der 1990er Jahre die innere Widersprüchlichkeit des liberalen Peace-buildings immer deutlicher zutage. Misserfolge, Unterlassungen und Defizite führten zu einem zunehmenden Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzverlust (vgl. z.B. Brzoska et al. 2019).